TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/24 I415 2232763-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.07.2020
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Entscheidungsdatum

24.07.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs3
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I415 2232763-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Polen, vertreten durch: ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.04.2020, Zl. XXXX , nach der Beschwerdevorentscheidung vom 19.06.2020 aufgrund des Vorlageantrags vom 03.07.2020 betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Am 12.04.2019 verständigte das Landesgericht für Strafsachen Wien das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA; belangte Behörde) von der Verhängung der Untersuchungshaft über den Beschwerdeführer.

2.       Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 18.06.2019 teilte das BFA dem Beschwerdeführer mit, dass im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn beabsichtigt sei und gewährte ihm eine zehntägige Frist zur Erstattung einer Stellungnahme. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nicht nach.

3.       Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 17.07.2019, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren verurteilt.

4.       Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des BFA vom 17.04.2020, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und 3 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

5.       Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht am 08.05.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer lebe seit über zehn Jahren überwiegend in Österreich und habe zuletzt zusammen mit seiner Freundin und ihrem gemeinsamen Kind zusammengelebt. Auch der Vater des Beschwerdeführers lebe in Wien. Das BFA habe sich keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschafft und die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers sowie das Wohl seines Kindes nicht ausreichend berücksichtigt. Der Beschwerdeführer bereue seine Tat und von ihm gehe keine weitere Gefährdung mehr aus. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung mit Einvernahme des Beschwerdeführers sowie seiner Freundin als Zeugin anberaumen, den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbots mit einem angemessenen Zeitraum befristen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

6.       Mit Beschwerdevorentscheidung vom 19.06.2020, Zl. XXXX , wies das BFA die Beschwerde gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.

7.       Der Beschwerdeführer brachte durch seine Rechtsvertretung am 03.07.2020 einen Vorlageantrag ein.

8.       Der Vorlageantrag samt Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 07.07.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist polnischer Staatsangehöriger. Er wurde am XXXX in XXXX geboren. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer verfügte erstmals zwischen 03.02.2005 und 23.07.2009 über eine behördliche Meldeadresse im Bundesgebiet und war neuerlich von 09.06.2011 bis 03.04.2013 in Österreich behördlich gemeldet. Am 20.04.2012 wurde dem Beschwerdeführer eine unbefristete Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt. Nach dem 03.04.2013 verfügte er bis zum Zeitpunkt der Verhängung der Untersuchungshaft am 10.04.2019 über keine Meldeadresse mehr in Österreich. Ein durchgehender Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich während dieses Zeitraumes ist nicht feststellbar.

Der Beschwerdeführer hat ein gemeinsames Kind mit der in Österreich lebenden polnischen Staatsangehörigen XXXX . Am XXXX wurde ihre gemeinsame Tochter XXXX , die ebenfalls polnische Staatsbürgerin ist, geboren. Der Beschwerdeführer lebte laut eigenen Angaben mit ihnen bis zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung im gemeinsamen Haushalt, ohne jedoch dort behördlich gemeldet gewesen zu sein.

Im Bundesgebiet leben außerdem die Eltern des Beschwerdeführers, die ebenfalls polnische Staatsangehörige sind.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig. Seine Muttersprache ist polnisch und er hat auch Kenntnisse der deutschen Sprache.

Er war zwischen März 2007 und Oktober 2012 immer wieder als Arbeiter bzw. geringfügig beschäftigter Arbeiter für jeweils wenige Wochen bei insgesamt zwölf verschiedenen Arbeitgebern erwerbstätig, oder bezog Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX als Geschworenengericht vom 17.07.2019, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren verurteilt.

Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 06.04.2019 in Wien den J.S. zu töten versuchte, indem er ihm mit einem Küchenmesser mehrere Stiche ins Gesicht und in den Hals versetzte. Dadurch erlitt sein Opfer eine Stichwunde vom linken Halsansatz bis in die linke Brusthöhle mit Bruch der linken ersten Rippe und einer Blut- und Luftbrustfüllung links, sowie zahlreiche Schnittverletzungen im Gesicht und eine Durchtrennung des linken Nasenbodens.

Bei der Strafbemessung mildernd wertete das Gericht, dass es beim Versuch geblieben ist, den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und den Beitrag zur Wahrheitsfindung, als erschwerend den Einsatz einer Waffe.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 10.04.2019 durchgehend in Strafhaft. Seit dem Antritt der Strafhaft absolviert er eine Lehre als Fräser. Er wird regelmäßig von seinen Eltern, fallweise auch von Bekannten und Freunden besucht. Der letzte Besuch seiner Lebensgefährtin in der Justizanstalt erfolgte am 24.12.2019.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich stellt eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1.    Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in die Beschwerdevorentscheidung und in den Vorlageantrag. Einsicht wurde auch genommen in das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , Zl. XXXX . Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem AJ-Web, dem Schengener Informationssystem und dem Strafregister wurden ergänzend eingeholt.

Die belangte Behörde hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung der angefochtenen Beschwerdevorentscheidung die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde.

Auch der Beschwerde sowie dem Vorlageantrag vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen. Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt und somit entscheidungsreif ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.

2.2      Zur Person des Beschwerdeführers

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der vorliegenden Kopie seines polnischen Reisepasses Nr. XXXX fest (AS 39-40).

Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, zu seinen bisherigen Wohnsitzmeldungen und zu der ihm erteilten Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ergeben sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit einer eingeholten zmr-Auskunft und einem Auszug aus dem zentralen Fremdenregister (izr).

Der Beschwerdeführer war nicht in der Lage, einen durchgehenden Aufenthalt im Bundesgebiet in der Zeit, in der er über keine behördliche Meldeadresse verfügte, durch die Vorlage geeigneter Dokumente nachzuweisen. Die entsprechende Feststellung der belangten Behörde ist daher nicht zu beanstanden. Wie in der rechtlichen Beurteilung zu zeigen sein wird, wäre für den Beschwerdeführer selbst bei Wahrunterstellung eines durchgehenden Aufenthaltes seit über zehn Jahren im Bundesgebiet nichts gewonnen, sodass eine zeugenschaftliche Einvernahme seiner Freundin zu dieser Frage unterbleiben kann.

Die Feststellungen zu der im Bundesgebiet lebenden Familie des Beschwerdeführers ergeben sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt und einem Abgleich der eingeholten zmr-Auskünfte aller Familienmitglieder.

Im Vorlageantrag wird moniert, das BFA habe es unterlassen, den Beschwerdeführer zu seinen genauen Lebensumständen zu befragen und seine Lebensgefährtin als Zeugin einzuvernehmen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer die ihm von der belangten Behörde mit Parteiengehör vom 18.06.2019 eingeräumte Gelegenheit zur Erstattung einer Stellungnahme zu einem allfälligen Privat- und Familienleben im Bundesgebiet nicht wahrgenommen und dadurch seine Mitwirkungspflicht verletzt hat. Doch auch unter Berücksichtigung der im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen des Beschwerdeführers und seiner Beziehung zu einer polnischen Staatsangehörigen wurden in der Beschwerde sowie im Vorlageantrag keine Angaben getätigt, die geeignet wären, die Feststellungen des BFA zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Bundesgebiet in Zweifel zu ziehen und eine Änderung der Entscheidung herbeizuführen.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Verwaltungsakt. Auch dem Beschwerdeschriftsatz und dem Vorlageantrag sind keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers zu entnehmen.

Die Zeiten seiner Erwerbstätigkeit gehen aus einem aktuellen Auszug des Hauptverbandes der Österreichischen Sozialversicherungsträger hervor.

Die Feststellungen zu der vom Beschwerdeführer begangenen Straftat, zu seiner rechtskräftigen Verurteilung in Österreich und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf einem eingeholten Strafregisterauszug und dem vorliegenden Strafurteil vom 17.07.2019.

Die Verbüßung der Haftstrafe ergibt sich aus dem Strafregister in Zusammenschau mit der Wohnsitzmeldung des Beschwerdeführers in einer Justizanstalt gemäß zmr. Aus einer Besucherliste der JA XXXX ergibt sich die Feststellung zu den Besuchern des Beschwerdeführers in der Justizanstalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1      Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots (Spruchpunkt I.)

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger Polens EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG sogar unbefristet erlassen werden.

§ 67 Abs. 1 FPG 2005 idF FrÄG 2011 enthält somit zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet bzw. im Fall von Minderjährigen (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; 15.09.2016, Ra 2016/21/0262).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß § 67 Abs. 3 Z 1 FPG kann ein Aufenthaltsverbot insbesondere unbefristet erlassen werden, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Die Verhältnismäßigkeit eines Aufenthaltsverbots ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289)

Gemäß Art. 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Als Staatsangehöriger Polens ist der Beschwerdeführer EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG.

Der belangten Behörde ist beizupflichten, dass im Falle des Beschwerdeführers die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet weder seit fünf, noch seit zehn Jahren erfüllt ist, sodass für ihn der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 Satz 1 und 2 FPG für Unionsbürger zur Anwendung kommt. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist demnach zulässig, weil sein Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Doch selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung des Beschwerdevorbringens, wonach sich der Beschwerdeführer seit über zehn Jahren im Bundesgebiet aufhalte und für ihn der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zur Anwendung komme, wären die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes erfüllt:

Aufgrund des vom Beschwerdeführer begangenen Kapitalverbrechens des versuchten Mordes ist die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorgehen gezielt die Tötung seines Opfers im Sinn gehabt, auch wenn es lediglich beim Versuch geblieben ist. Durch das Versetzen von mehreren Stichen mit einem Küchenmesser ins Gesicht und gegen den Hals fügte er seinem Opfer eine Stichwunde vom linken Halsansatz bis in die linke Brusthöhle mit Bruch der linken ersten Rippe und einer Blut- und Luftbrustfüllung links, sowie zahlreiche Schnittverletzungen im Gesicht und eine Durchtrennung des linken Nasenbodens zu. Der gewaltsame Angriff auf das Leben eines Menschen – das höchste Rechtsgut – und die brutale Vorgehensweise lässt jedenfalls auf eine beachtliche Herabsetzung der Hemmschwelle des Beschwerdeführers schließen.

Auch ist der seit der Straftat des Beschwerdeführers vergangene vorfallfreie Zeitraum zu kurz, um vor dem Hintergrund der vom Beschwerdeführer gezeigten Gewaltbereitschaft Rückschlüsse auf ein zukünftiges Wohlverhalten ziehen zu können. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Der Beschwerdeführer befindet sich nach wie vor in Strafhaft und hat erst ungefähr ein Zehntel der über ihn verhängten Haftstrafe verbüßt. Er wird den Wegfall der durch seine strafgerichtliche Verurteilung indizierten hochgradigen Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit nach dem Strafvollzug unter Beweis stellen müssen.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass vom Beschwerdeführer auch zukünftig eine nachhaltige und maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG ausgehen wird.

Weitere Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist, dass ein damit verbundener Eingriff in das Familien- und Privatleben verhältnismäßig sein muss.

Das Aufenthaltsverbot greift in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers ein.

Vor Antritt seiner Strafhaft am 10.04.2019 lebte der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben mit seiner Lebensgefährtin und seiner im März 2019 geborenen Tochter, beide polnischer Staatsangehörigkeit, in einem gemeinsamen Haushalt in Österreich. Darüber hinaus leben auch die Eltern des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Außerdem hält sich der Beschwerdeführer für mehrere Jahre in Österreich auf und ist hier auch immer wieder Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Ein dementsprechend vorhandenes Privatleben zu Arbeitskollegen und Freunden ist anzunehmen und wird auch durch die Besuche in der Justizanstalt untermauert.

Selbst unter Annahme eines über zehnjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet schlägt die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten der Allgemeinheit aus. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist im Rahmen der Interessenabwägung nach Art 8 EMRK bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in der Regel vom Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn sich aus dem Verhalten des oder der Fremden (abgesehen von einem allfälligen unrechtmäßigen Verbleib in Österreich) sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergibt und nicht in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der dem Beschwerdeführer ein massives strafrechtliches Fehlverhalten anzulasten ist (siehe VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409).

Die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer ist im Ergebnis aufgrund des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung, das wegen des ihm vorzuwerfenden versuchten Tötungsdelikts besonders groß ist, trotz der starken privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet nicht zu beanstanden. Bei einer so gravierenden Straftat und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst gegen einen langjährigen in Österreich befindlichen EWR-Bürger zulässig.

Bei der gemäß § 9 BFA-VG durchzuführenden Interessensabwägung ist weiters zu berücksichtigen, dass den Beschwerdeführer selbst sein familiäres und privates Umfeld in Österreich nicht daran hindern konnte, die von ihm verübte schwerwiegende Straftat zu begehen. Der Beschwerdeführer musste erwarten, dass sein Verhalten zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen führen könne. Darüber hinaus ist die Beziehung zu seiner Freundin und seiner Tochter ohnehin aufgrund des momentanen Strafvollzugs derzeit stark eingeschränkt und ist in den nächsten Jahren keine Änderung dieser Situation in Sicht. Zuletzt erhielt er am 24.12.2019 Besuch von seiner Freundin in der Justizanstalt; seine Tochter hat er seit Antritt der Strafhaft im April 2019 nicht mehr gesehen. Zu diesem Zeitpunkt war seine Tochter erst wenige Wochen alt und kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine soziale Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter zum Entscheidungszeitpunkt besteht bzw. eine Bindung während seiner Haft entwickeln könne.

Art. 24 Abs. 2 GRC (der Art. 1 zweiter Satz BVG über die Rechte von Kindern entspricht) normiert, dass das Kindeswohl bei allen Kindern betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen eine vorrangige Erwägung sein muss. Eine absolute Priorisierung ist damit gleichwohl nicht gefordert; im Einzelfall kann die volle Entfaltung auch zugunsten der (höheren) Schutzwürdigkeit anderer Interessen zurücktreten (Fuchs ins Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar (2014) Art 24 Rz 33). Gegenständlich fällt die Abwägung – wie auch vom BFA berücksichtigt – auch unter Beachtung des Kindeswohles zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Darüberhinaus bestünde gegebenenfalls die Möglichkeit, das Familienleben nach seiner Haftentlassung außerhalb Österreichs fortzusetzen, zumal sämtliche in Österreich lebenden Familienangehörigen des Beschwerdeführers, auch seine Freundin und seine minderjährige Tochter, über die polnische Staatsbürgerschaft verfügen. Eine Unzumutbarkeit eines Umzuges nach Polen oder der Aufrechterhaltung des Kontakts durch moderne Kommunikationsmittel und Besuche der Freundin mit Kind in Polen kann nicht erkannt werden. Eine Trennung ist dem Beschwerdeführer und seiner Familie auch zumutbar, zumal der Kontakt auch während der Inhaftierung des Beschwerdeführers nicht intensiver sein kann. Eine allfällige finanzielle Unterstützung des Beschwerdeführers durch seine in Österreich lebenden Familienangehörigen bzw. die Leistung von Unterhaltszahlungen kann auch vom bzw. ins Ausland erfolgen. Eine Trennung von seinem Kind hat der Beschwerdeführer - auch unter Berücksichtigung des Kindeswohls - im öffentlichen Interesse hinzunehmen.

Letztlich ist auch auf die Judikatur des VwGH zu verweisen, wonach die allfällige Trennung von Familienangehörigen ebenso wie mögliche Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung im Heimatland im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen sind (vgl. VwGH 09.07.2009, 2008/22/0932; 22.02.2011, 2010/18/0417) und selbst Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse, die infolge der alleinigen Rückkehr auftreten können, hinzunehmen sind (vgl. VwGH 15.03.2016, Zl. Ra 2015/21/0180).

Auch ist davon auszugehen, dass nach wie vor Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat Polen bestehen. Er ist dort aufgewachsen, kennt die Gepflogenheiten und spricht die übliche Sprache. Es wird ihm daher ohne unüberwindliche Probleme möglich sein, sich wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren.

Den Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich steht das große öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen und an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften gegenüber. Es ist nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde bei Abwägung dieser gegenläufigen Interessen zu dem Ergebnis kam, dass das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an der Möglichkeit, sich in Österreich aufzuhalten, überwiegt.

Angesichts des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 9 BFA-VG zulässig ist, ist es doch zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer, Schutz der Rechte Dritter) dringend geboten.

Aufgrund der Delinquenz des Beschwerdeführers, der über ihn verhängten unbedingten Haftstrafe in der Dauer von zehn Jahren und der evidenten vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährlichkeit kommt unter Bedachtnahme auf die in § 67 Abs. 1 FPG iVm § 9 BFA-VG festgelegten Kriterien eine Aufhebung oder Herabsetzung des Aufenthaltsverbots nicht in Betracht.

3.2      Zur Nicht-Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs (Spruchpunkt II.) und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt III.)

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann bei EWR-Bürgern die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Aufgrund der schwerwiegenden Straftaten des Beschwerdeführers ist seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig. Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG ist vor diesem Hintergrund korrekturbedürftig, sodass die Beschwerde auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet ist.

3.3      Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

§ 21 Abs. 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung, und zwar selbst dann, wenn deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Diese Regelung steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC). Eine Beschwerdeverhandlung muss daher nur dann durchgeführt werden, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt zwar der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen wie hier, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Da im gegenständlichen Fall der Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom Beschwerdeführer bei einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, konnte eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal von der Richtigkeit der ergänzenden Tatsachenbehauptungen des Beschwerdeführers ausgegangen wird bzw. auch bei deren Zutreffen keine andere, für ihn günstigere Entscheidung möglich wäre.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Frage der Rückkehrentscheidung und der Einreiseverbote betreffend straffällige EWR-Angehörige, auch nicht mit Inlandsanknüpfungen im Privat- oder Familienleben.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Beschwerdevorentscheidung EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gewalttätigkeit Haft Haftstrafe Interessenabwägung Mord öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unionsbürger Verbrechen Vorlageantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2232763.1.00

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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