TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/29 W277 2230300-2

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Veröffentlicht am 29.07.2020
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Entscheidungsdatum

29.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W277 2166579-1/12E
W277 2178997-1/7E
W277 2230300-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Somalia, vertreten durch XXXX , gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom XXXX , Zl. XXXX , 2.) vom XXXX , Zl. XXXX , und 3.) vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

II. Den Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

III. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge: BF1) XXXX , ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (in der Folge: BF2) XXXX , und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (in der Folge: BF3) XXXX .

I. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in Österreich am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am XXXX durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, dass sie ihren Herkunftsstaat wegen der Sicherheitslage verlassen habe. In ihrem Heimatort herrsche Krieg zwischen al Shabaab und der Regierung. Im Falle einer Rückkehr habe sie Angst um ihr Leben.

2. Am XXXX wurde die BF1 durch eine Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen.

3. Mit dem nunmehr hinsichtlich des Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheides des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF1 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der BF1 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt sowie unter Spruchpunkt III. ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

4. Das BFA stellte der BF1 amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

5. Mit Schriftsatz vom XXXX erhob die BF1, vertreten durch den XXXX , binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte nach Wiederholung der Fluchtgründe im Wesentlichen vor, dass ihre Heimatregion eine „Hochburg“ der al Shabaab sei und ihr die Verfolgung durch ihren Vergewaltiger drohe. Die BF1 sei zudem schwanger. Im Falle der Geburt einer Tochter würde dieser in Somalia weibliche Genitalverstümmelung drohen.

6. Am XXXX wurde der Zweitbeschwerdeführer in XXXX als Sohn der BF1 und des im Bundesgebiet subsidiär schutzberechtigten, somalischen Staatsbürgers XXXX , geb. XXXX , geboren.

7. Am XXXX brachte die BF1 als gesetzliche Vertreterin für den BF2 gem. § 17 Abs. 3 AsylG 2005 einen schriftlichen Antrag auf internationalen Schutz ein.

8. Mit dem nunmehr hinsichtlich des Spruchpunktes I. angefochtenen Bescheides des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF2 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde dem BF2 gem. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

9. Mit Schriftsatz vom XXXX erhob die BF1 als gesetzliche Vertreterin für den BF2 durch ihre rechtsfreundliche Vertretung XXXX binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und verwies hierbei auf ihr eigenes Vorbringen. Der BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe.

10. Auf Antrag der BF1 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung der BF bis zum XXXX verlängert.

11. Am XXXX wurde der Drittbeschwerdeführer (in der Folge: BF3) in XXXX als Sohn der BF1 und des im Bundesgebiet subsidiär schutzberechtigten, somalischen Staatsbürgers XXXX , geb. XXXX , geboren.

12. Am XXXX brachte die BF1 als gesetzliche Vertreterin für den BF3 gem. § 17 Abs. 3 AsylG einen schriftlichen Antrag auf internationalen Schutz ein.

13. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte das BFA der BF1 als gesetzliche Vertreterin des BF3 die aktuellen Länderberichte zum Herkunftsstaat und gewährte eine Frist von zwei Wochen zur Stellungnahme.

14. Mit Schreiben vom XXXX nahm die BF1 zu den Länderberichten Stellung.

15. Mit dem nunmehr hinsichtlich des Spruchpunktes I. angefochtenen Bescheides des BFA vom XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF3 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde dem BF3 gem. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

16. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte die BF1 als gesetzliche Vertreterin für den BF3 durch ihren Rechtsvertreter unmittelbar beim BVwG eine gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde ein und verwies auf ihr eigenes Vorbringen. Der BF3 habe keine eigenen Fluchtgründe.

XXXX

18. Mit Schriftsatz vom XXXX legte die BF1 dem BVwG eine Stellungnahme zu den mit der Ladung übersandten Länderberichten vor.

19. Mit Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die befristeten Aufenthaltsberechtigungen der BF1 und des BF2 sowie des BF3 für weitere zwei Jahre verlängert.

20. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Somali durch, an welcher die BF sowie ihre Rechtsvertretung teilnahmen. Mit Schreiben des BFA vom XXXX teilte das BFA mit, dass aus dienstlichen und personellen Gründen kein informierter Vertreter an der Verhandlung teilnehmen könne und ist folglich nicht erschienen. Die BF1 wurde ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihr Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihr mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Die BF1 gab hierbei an, dass BF2 und BF3 keine eigenen Fluchtgründe hätten. Auf Antrag wurde ihr eine Frist zur Stellungnahme bis zum XXXX gewährt.

21. Mit Schriftsatz vom XXXX reichte die BF1 eine Stellungnahme nach, welcher im Wesentlichen zu entnehmen ist, dass ihr Herkunftsort XXXX eine Bastion der al Shabaab darstelle und der Vorwurf eines unehelichen Kindes von der al Shabaab als Verstoß gegen die von Frauen einzuhaltenden Normen und Konventionen betrachtet werde. Auch ihr Clan würde sie aufgrund dieses Verstoßes nicht schützen.

22. Das Bundesverwaltungsgericht führte eine Strafregisterabfrage durch. Es scheint keine Verurteilung auf.

II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person

1.1.1. der BF1

Die BF1 ist eine volljährige, somalische Staatsangehörige sunnitisch-muslimischen Glaubens, welche dem Clan der XXXX zugehörig ist.

Sie wurde in XXXX , geboren und hat dort bis zu ihrer Ausreise gelebt. Sie verfügt über keine Schulausbildung und arbeitete vor ihrer Ausreise als Haushaltshilfe bei einer somalischen Familie.

Die BF1 hat im Herkunftsstaat im Jahre XXXX außerehelich einen Sohn XXXX geboren. Die BF1 hat fernmündlichen Kontakt zu Ihrer Mutter und dem erstgeborenen Sohn, welche mit ihren drei Brüder und den drei Schwestern in XXXX leben.

Die BF1 lebt mit dem Kindsvater, XXXX , geb. XXXX , des BF2 und BF3, aktuell nicht im gemeinsamen Haushalt.

Die BF1 ist gesund und im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.
1.1.2. des BF2

Der BF2 ist der am XXXX im Bundesgebiet geborene Sohn der BF1 und XXXX

Der BF2 gehört dem Clan der XXXX an.

Er ist gesund.
1.1.3. des BF3

Der BF3 ist der am XXXX im Bundesgebiet geborene Sohn der BF1 XXXX

Der BF3 gehört dem Clan der XXXX an.

Er ist gesund.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

Die BF1 ist aufgrund der Geburt eines unehelichen Kindes einer konkreten, asylrelevanten Bedrohung und Verfolgung durch den Kindsvater ihres erstgeborenen Sohnes und Mitgliedern der al Shabaab im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt.

Der BF2 und der BF3 haben keine eigenen Fluchtgründe.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Aus den ins Verfahren eingeführten und im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.09.2019, zuletzt aktualisiert am 20.11.2019, (in der Folge: LIB 2019) zitierten Länderberichten zur Lage in Somalia XXXX ergibt sich entscheidungsrelevant Folgendes:

1.3.1. Sicherheitslage in Middle Juba

Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN – Political Geography Now (8.2019): Somalia Control Map & Timeline – August 2019; vgl. LI – Landinfo (Norwegen) (21.5.2019a): Somalia: Al-Shabaab-områder i Sør-Somalia, S.2; BS – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 – Somalia Country Report, S.15). Die Region gilt als Bastion der Gruppe (BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia, Sicherheitslag ein Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, S.62).

Generell begeht al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2018, S.20). Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt.

Zivile Behörden sind nur eingeschränkt in der Lage, der Gesellschaft den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: Tötung von Zivilisten durch al Shabaab, somalische Kräfte, Clanmilizen und unbekannte Angreifer (USDOS 13.3.2019, S.1); Gewalt gegen Frauen und Mädchen, darunter Vergewaltigungen (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. SRSG 13.9.2018, S.2); gefährliche traditionelle Rituale; willkürliche Verhaftungen (SRSG 13.9.2018, S.2).

Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans (USDOS 13.3.2019, S.34).

1.3.2. Rechtsschutz und Justizwesen bei al Shabaab

In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe abgelehnt (AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, S.23). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM – Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, S.33) bzw. ist letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2018, S.19). Außerdem gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, S.10).

Der Clan-Schutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, S.33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, S.3).

Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, S.4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2018, S.19). Angeklagte vor einem Schariagericht haben kein Recht auf Verteidigung, Zeugen oder einen Anwalt (USDOS 13.3.2019, S.10). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 4.3.2019, S.12; vgl. SEMG – Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), S.38; TIND – The Independent / Joe Sommerlad (15.1.2019): Al-Shabaab: Who are the East African jihadi group and what are their goals?; BS 2018, S.19). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt (LI – Landinfo (Norwegen) (20.12.2017): Al-Shabaab utenfor byene i Sør-Somalia, S.3) – was v.a. in Städten und größeren Dörfern der Fall ist (LI 21.5.2019a, S.3).

1.3.3. Minderheiten und Clans

Bei al Shabaab gilt generell, dass jene Clans, die als gegen al Shabaab gerichtet erachtet werden, mit mehr Problemen zu rechnen haben – sei es z.B. eine höhere Besteuerung; ökonomische Isolierung; oder Plünderung (EASO – European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview, S.91). Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten (ICG 27.6.2019, S.7f). Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet (DI – Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, S.11).

1.3.4. Bevölkerungsstruktur

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI – Landinfo (Norwegen) (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, S.9).

Die somalischen Verwandtschaftsstrukturen basieren auf einem agnatischen (patrilinearen) Lineage-Typus6, der als Clan bezeichnet wird. Genealogien definieren die Zugehörigkeit von Verwandten zu einem bestimmten Clan in Abhängigkeit von dem (männlichen) Vorfahren, von dem sie abstammen (Österreichisches Rotes Kreuz- Clans in Somalia vom Dezember 2009, S. 7).

Das Clanwesen ist patrilinear strukturiert, d.h. die Zugehörigkeit zu einer Sippe, einem Subclan bzw. zu einem Clan richtet sich nach der des Vaters (Informationszentrum Asyl und Migration – Minderheiten in Somalia vom Juli 2010 , S.1)

1.3.5. Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v.a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S.14ff).

Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe auf oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S.43f).

Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA – Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A; vgl. SEM 31.5.2017, S.44ff). Insgesamt sind die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S.44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S.49).

1.3.5.1. XXXX

Die XXXX sind traditionell als Schmiede tätig, arbeiten mittlerweile aber auch in anderen Berufen. Zudem sind auch andere Berufsgruppen-Angehörige als Schmiede tätig. Sie leben in Nord- und Zentralsomalia sowie in einigen Städten Südsomalias (Focus Somalia – Clans und Minderheiten, S. 17).

1.3.5.2. XXXX

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

XXXX leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in XXXX und XXXX , außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten XXXX -Clans sind XXXX (beide im Norden) und XXXX (Süd-/Zentralsomalia) (SEM 31.5.2017, S.55; vgl. AA 5.3.2019b).

1.3.6. Frauen bei Al Shabaab

Auch wenn Gewalt gegen Frauen laut Verfassung verboten ist (USDOS 13.3.2019, S.29), ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem.

Berichte legen nahe, dass sexualisierte Gewalt von al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 4.3.2019, S.14). Es kommt zu Zwangsehen (USDOS 13.3.2019, S.30), die diesbezügliche Zahl hat in jüngerer Vergangenheit zugenommen (DI 6.2019, S.9). Solche Zwangsehen gibt es nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (USDOS 13.3.2019, S.32). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS – Danish Immigration Service / Danish Refugee Council (3.2017): South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016, S.19/25). Nach anderen Angaben werden die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab freiwillig eingegangen (ICG 27.6.2019, S.8; vgl. DIS 3.2017, S.19), auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht geringgeschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (ICG 27.6.2019, S.8). Demgegenüber stehen Berichte, wonach viele Eltern ihre Töchter in Städte gebracht haben, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen (DI 6.2019, S.9).

Al Shabaab schränkt die Freiheit und die Möglichkeiten von Frauen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle signifikant ein (TE – The Elephant / Rasna Warah (11.3.2019): The Invisible Clan: Is Somalia Ready for a Women’s Revolution?). Die Anwendung einer extremen Form der Scharia resultiert in einer entsprechend weitergehenden Diskriminierung von Frauen (AA 4.3.2019, S.14f). Diese werden etwa insofern stärker exkludiert, als ihre Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten als unislamisch erachtet wird (USDOS 13.3.2019, S.30f). Nach anderen Angaben hat al Shabaab einen pragmatischen Zugang. Da immer mehr Familien vom Einkommen der Frauen abhängig sind, tendiert die Gruppe dazu, sie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen zu lassen. Und dies, obwohl Frauen nominell das Verlassen des eigenen Hauses nur unter Begleitung eines männlichen Verwandten (mahram) erlaubt ist (ICG 27.6.2019, S.11).

In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z.B. Geburt eines unehelichen Kindes (LI – Landinfo (Norwegen) (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce, S.10). Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, S.27; vgl. LIFOS – Lifos/Mirationsverket (Schweden) (1.6.2017): Women in Somalia – Pregnancies and Children out of Wedlock, S.8ff).

1.3.7. Uneheliche Schwangerschaft in Somalia

Eine somalische Frau, welche unehelich schwanger wird, unterliegt schwerer Stigmatisierung. Sie wird mit großer Wahrscheinlichkeit von ihrer Familie abgelehnt werden und keinen Schutz und Unterstützung durch den Clan erfahren. Die unehelichen Kinder leiden ebenso unter Stigmatisierung (LIFOS 01.06.2017, S. 4). Da im somalischen Clansystem fast jeder den Anderen kennt wäre es schwierig, einen solchen Hintergrund zu verbergen (LIFOS 01.06.2017, S. 15).

Bei Schwangerschaft einer unverheirateten Frau wird dies von der Familie und der Gesellschaft als Verrat gegen die Ehre der Familie angesehen. Die Position und der Respekt dieser Frau in der Gesellschaft werden schwer beschädigt. Die männlichen Verwandten könnten sich unter Anwendung von Gewalt gegen diese Frau wenden, üblicher ist es jedoch, dass sie verstoßen wird. Eine vom Clan verstoßene Frau genießt keinen Clanschutz. Möglich ist es jedoch auch, dass sie mit ihrer Familie weiterlebt, wenn sie dies akzeptieren, obwohl dies für sie nicht die gleiche Sicherheit wie ein Clanschutz bedeutet (LIFOS 01.06.2017, S. 14).

Einem telefonischen Interview mit dem „Puntland Minister for Women Development and Family Affairs“ war zudem zu entnehmen, dass eine Frau, die uneheliche schwanger wird, jedenfalls stigmatisiert wird, andere Leute über sie reden und diese sogar körperlich attackieren werden. Die Quelle äußerte zudem, dass der physische und psychologische Missbrauch der Mutter sie dazu bewegen könnte, Selbstmord zu begehen oder abzustreiten, dass das Kind unehelich geboren wurde (LIFOS 01.06.2014, S. 14).

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer

2.1.1. Die Identität der BF1 konnte mangels Vorlage von Dokumenten nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Namen und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.

Die Identität des BF2 und des BF3 steht aufgrund der vorgelegten, österreichischen Geburtsurkunden (AS 3 des BF2; AS 5 des BF3) fest.

2.1.2. Die Feststellungen zur Staats- und Religionszugehörigkeit der BF1 sowie ihrer somalischen Herkunft gründen sich auf ihre insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bzw. ihren Kenntnissen der somalischen Sprache.

2.1.3. Dass die BF1 dem Clan der XXXX zugehörig ist, ist auf ihre -vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nachvollziehbaren- Angaben im Verfahren beim BFA und in der mündlichen Verhandlung zurückzuführen.

In der Einvernahme durch das BFA gab die BF1 an, dem Clan der XXXX zuzugehören (AS 97) und diese XXXX bekannt seien (AS 113). Das BFA hat in dem belangten Bescheid keine Feststellung zur Clanzugehörigkeit der BF1 getroffen (AS 135).

Auch in der mündlichen Verhandlung gab die BF1 an, dem Clan der XXXX zugehörig zu sein (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, in der Folge; NSV S. 9). Vor dem Hintergrund des in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Berichtes Focus Somalia- Clans und Minderheiten, welchem zu entnehmen ist, dass die XXXX traditionell als XXXX , sind ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung, dass die XXXX (NSV S. 10) objektivierbar. Ebenso verhält es sich zu ihren Angaben, dass sie aus dem Süden von Somalia stamme und es dort, wo sie aufgewachsen sei, nur wenige XXXX gegeben habe (NSV S. 9 und 10), zumal die XXXX vorwiegend in Nord- und Zentralsomalia sowie vereinzelt in einigen Städten Südsomali leben (siehe Punkt II. 1.3.5.1. sowie Focus Somalia – Clans und Minderheiten, S. 17). Auch sind ihre Angaben, keine Schule besucht zu haben (NSV S. 9) vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nachvollziehbar, zumal die XXXX bzw. XXXX um die Jahrtausendwende starke Diskriminierung erfahren haben (NSV S. 9 sowie NSV S. 17).

In einer Gesamtbetrachtung haben sich daher aufgrund der nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Angaben der BF1 keine Hinweise ergeben, an ihren Angaben dem Clan der XXXX zugehörig zu sein, zu zweifeln.

2.1.4. Dass der BF2 und der BF3 dem Clan der XXXX angehören, ergibt sich aus der Clanzugehörigkeit des Kindsvaters (W237 2124617-1/10Z, Niederschrift S. 5.). Den in den zitierten Länderberichten angeführten Clantabellen ist zu entnehmen, dass der Clan der XXXX dem Hauptclan der XXXX angehört. Da sich die Zugehörigkeit zu einer Sippe, einem Subclan bzw. einem Clan nach der Clanzugehörigkeit des Vaters richtet bzw. sich aus der Zugehörigkeit des (männlichen) Vorfahrens, von dem die jeweilige Person abstammt, ableitet (II.1.3.5.; XXXX ), ist davon auszugehen, dass der BF2 und der BF3 dem Clan der XXXX angehören. Dies hat die BF1 in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt (NSV S. 11).

2.1.5. Dass die BF1 in XXXX geboren wurde und bis zu ihrer Ausreise dort gelebt hat, ergibt sich aus den insoweit gleichbleibenden Angaben der BF1 im Verfahren.

Die Angabe der BF1 in Somalia am XXXX einen unehelichen Sohn geboren zu haben, ist auf ihre diesbezüglich stringenten und glaubhaften Schilderungen im Verfahren sowie in der mündlichen Verhandlung zurückzuführen (AS 99 sowie NSV S.11 sowie S. 17). Dass sie im Herkunftsstaat einen Sohn geboren hat wurde auch durch das BFA festgestellt (Bescheid S. 10). Es haben sich keine Hinweise ergeben, an ihren Angaben betreffend den aktuellen Aufenthaltsort ihrer Mutter, den Geschwistern und ihres erstgeborenen Sohnes sowie dem Bestehen eines aktuell fernmündlichen Kontaktes zu zweifeln (NSV S. 11).

Es hat sich in der mündlichen Verhandlung auch kein Hinweis ergeben, an ihrer Angabe im Herkunftsstaat vor ihrer Ausreise ebendort als Haushaltshilfe gearbeitet zu haben (AS 19, AS 103), zu zweifeln.

2.1.6. Die BF1 gab an, im Bundesgebiet eine traditionell-islamische Ehe mit XXXX , geb. XXXX , geschlossen zu haben (AS 97, NSV S. 8), konnte jedoch keine diesbezüglichen Dokumente vorlegen (NSV S.8). Den Geburtsurkunden der gemeinsamen Söhne ist zu entnehmen, dass XXXX der Vater von BF2 und BF3 ist (AS 3 des BF2; AS5 des BF3). Dass aktuell kein gemeinsamer Haushalt der BF zu XXXX besteht, da die BF1 mit dem BF2 und dem BF3 umgezogen ist, sie aber weiterhin im selben Bundesland leben, ist ihrer diesbezüglichen Angabe in der mündlichen Verhandlung (NSV S. 9) sowie einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu entnehmen.

2.1.7. Dass die Beschwerdeführer gesund sind, ergibt sich aus der Aussage der BF1 in der mündlichen Verhandlung (NSV S. 7). Es haben sich auch in der mündlichen Verhandlung keine Hinweise ergeben, an dem angegebenen Gesundheitszustand der Beschwerdeführer zu zweifeln.

Die Feststellung, dass die BF1 strafgerichtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug. Der BF2 und der BF3 sind strafunmündig.

2.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

2.2.1. Die Feststellung, dass die BF1 einer konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia aufgrund der Geburt eines unehelichen Kindes ausgesetzt ist, ergibt sich daraus, dass das Fluchtvorbringen glaubhaft ist.

Ihre Angaben, dass sie mit dem Kindsvater des erstgeborenen Sohnes nicht verheiratet war, dieser kein Interesse an dem Kind hatte, und ihr gegenüber regelmäßig gewalttätig wurde (AS 107, AS 111 sowie auch NSV S.14) sind glaubhaft (NSV. S.11). Ihre Schilderungen von dem Kindsvater des erstgeborenen Kindes beschuldigt worden zu sein, dass sie durch diese uneheliche Schwangerschaft Schande über seine Familie gebracht habe (NSV S. 16) und ihr gedroht habe, sie zu töten, sind auch vor dem Hintergrund der unter II.1.3.7. zitierten Länderberichte nachvollziehbar, zumal Schwangerschaft einer unverheirateten Frau von der Gesellschaft als Verrat gegen die Ehre der Familie angesehen werden kann, und in Somalia Frauen nach der unehelichen Geburt eines Kindes häufig physischer Gewalt ausgesetzt sind.

Wie dem unter Punkt II.1.3.7. zitierten Länderberichten zu entnehmen ist, erfahren Frauen in Somalia, die außerehelich schwanger werden, Stigmatisierung, welche bis zu einer physischen Gewaltausübung gegen sie reichen kann. Die Position und der Respekt dieser Frauen in der Gesellschaft werden stark beschädigt (LIFOS 01.06.2017, S. 14). Die Schilderungen der BF1, dass die Nachbarn erfahren hätten, dass sie schwanger gewesen war sowie dies eine Schande für ihre Familie dargestellt habe, und sie folglich ihre Mutter zu ihrer Großmutter gebracht habe, sind somit glaubhaft und nachvollziehbar (Bescheid S. 6 und 7).

Ebenso glaubhaft sind ihre Angaben, dass sie der Kindsvater ihres erstgeborenen Sohnes mit dem Tode bedroht hat und dies den Grund für ihre Flucht aus dem Herkunftsstaat darstellte (AS 113 sowie NSV S. 14).

Den unter II.1.3.7. ist weiters zu entnehmen, dass Frauen nach der unehelichen Geburt eines Kindes keine Unterstützung durch den Clan erfahren und sogar vom Clan verstoßen werden können. Selbst wenn sie mit ihrer Familie weiterleben können, stellt dies de facto für sie nicht die gleiche Sicherheit wie ein Clanschutz dar (LIFOS 01.06.2017, S. 14). Ihr Vorbringen in ihrer Stellungnahme vom XXXX , dass ihr Clan aufgrund ihrer Eigenschaft als Mutter eines unehelichen Kindes nicht willens wäre sie zu schützen, war daher vor dem Hintergrund der zitierten Länderinformationen objektivierbar. Der Schutz durch den Clan ist vor allem auch vor dem Hintergrund ihrer Zugehörigkeit zum Minderheitenclan der XXXX , nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, zumal diese in und um XXXX schwachen Präsenz haben.

Es haben sich keine Hinweise ergeben an ihren Angaben, dass der Kindsvater des erstgeborenen Sohnes ein Mitglied der al Shabaab ist, zu zweifeln (AS 109 sowie NSV S. 18), zumal dies auch vor dem Hintergrund, dass der Mann ebenfalls aus XXXX stammt, welches von der al Shabaab kontrolliert wird, und ihren glaubhaften Schilderungen zu seiner Tätigkeit ebendort nachvollziehbar war (Bescheid S. 5 sowie NSV S. 13). Unter diesen Umständen war auch schlüssig, dass die Mutter der BF1 keinen Kontakt zum Kindsvater hat und die BF1 somit auch nicht erfahren konnte, ob dieser mit seiner Familie aktuell noch in XXXX lebt (NSV S. 11). Daraus kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass von dem Kindsvater des erstgeborenen Sohnes keine Gefahr der BF1 gegenüber ausgeht, zumal der Herkunftsort aktuell unter der Kontrolle der al Shabaab steht, in diesem Gebiet, das Recht der Scharia gilt (siehe Punkt II. 1.3.2. sowie LIB S. 92) und den zitierten Länderberichten folgend eine Frau die uneheliche Geburt eines Kindes im Clansystem Somalias, in welchem fast jeder jeden kennt, nur schwer verbergen kann (II. 1.3.7. sowie LIFOS 01.06.2017, S. 15). Es ist daher davon auszugehen, dass ihr ehemaliges Umfeld in XXXX von der unehelichen Geburt des erstgeborenen Sohnes weiß und sie ebendort einer Verfolgung durch andere Mitglieder der al Shabaab ausgesetzt ist.

Auch ihr Vorbringen in der Stellungnahme vom XXXX , dass Frauen in Gebieten, die von der al Shabaab kontrolliert werden, sexueller Gewalt ausgesetzt sind sowie, dass im gegenständlichen Fall erschwerend hinzukomme, dass die Geburt eines unehelichen Kindes von der al Shabaab als Verstoß gegen die von Frauen einzuhaltenden Normen angesehen werde, kann vor den unter II.1.3 den zitierten Länderberichten nachvollzogen werden.

Den Länderberichten ist zudem zu entnehmen, dass zivile Behörden nur eingeschränkt in der Lage sind, der Gesellschaft den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten (II.1.3.1.), weshalb eine Schutzmöglichkeit der BF1 in hohem Maße nicht wahrscheinlich ist.

In einer Gesamtbetrachtung ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen Verfolgung und Bedrohung gegen Leib und Leben der BF1 durch den Kindsvater ihres erst- und unehelich geborenen Sohnes nachvollzogen und durch Mitglieder der al Shabaab in XXXX auszugehen.

2.2.3. Eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit der BF1 zum Clan der XXXX ist vor dem Hintergrund der Länderberichte auszuschließen. Die BF1 hat eine Verfolgung aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit auch nicht behauptet, sondern vielmehr ausgeschlossen (NSV S. 17).

2.2.4. Dass der BF2 und der BF3 keine eigenen Fluchtgründe haben, folgt aus den Angaben der BF1 als deren gesetzliche Vertreterin (AS 72 des BF2; AS 286 des BF3 sowie NSV. S. 14). Vor dem Hintergrund der Länderberichte kann eine Verfolgung des BF2 und BF3 aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit zu den XXXX ausgeschlossen werden (II.1.5.2. sowie LIB S. 83), zumal die XXXX zu einem der noblen Clans Somalias zählt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchteil A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

3.1.2. Flüchtling iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist demnach, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“

Der zentrale Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.3. Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist ganzheitlich unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens zu würdigen (vgl. VwGH 26.11.2003, Ra 2003/20/0389).

3.1.4. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn die BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.5. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.1.6. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall folgt hieraus, dass, wie bereits in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.2. erörtert wurde, die BF1 substantiiert angeben konnte, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung und Bedrohung gegen Leib und Leben sowie Ermordung gegeben ist. Sie war in ihrem Vorbringen persönlich glaubhaft, ihre Antworten widerspruchsfrei bzw. in den Erklärungen plausibel. Ein gesteigertes Fluchtvorbringen war nicht zu erkennen.

Im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat droht ihr aufgrund der Geburt eines unehelichen Kindes eine aktuelle und maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr durch den Kindsvater ihres unehelichen Sohnes. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur al Shabaab droht ihr zudem eine aktuelle und maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr durch andere Mitglieder der al Shabaab, zumal sich der Herkunftsort XXXX der BF1 unter deren Kontrolle befindet. Hinzukommt, dass sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan und auch aufgrund deren schwachen Präsenz in der Region in und um XXXX keinen Clanschutz erwarten kann.

Die Angaben der BF1 hinsichtlich einer drohende Verfolgung durch die al Shabaab aufgrund des Verstoßes gegen die von Frauen einzuhaltenden Normen und Konventionen sind vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte plausibel, welchen zu entnehmen ist, dass sich aktuell die Lage von Frauen in Somalia, die ein uneheliches Kind geboren haben, als prekär darstellt. Die wohlbegründete Furcht ist daher im gegenständlichen Fall nachvollziehbar.

Die die BF1 treffende Verfolgungsgefahr findet Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe.

Angesichts der Berichtslage in den zitierten Länderinformationsblättern zu Somalia kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden im vorliegenden Fall ausreichend schutzfähig und schutzwillig wären, um die die BF1 treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden.

Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative kommt aufgrund des der BF1 zukommenden Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Somalia nicht in Betracht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

Es haben sich keine Hinweise auf das Bestehen von Asylausschlussgründen iSd. § 6 AsylG 2005 ergeben. Die BF1 ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

Aufgrund des Bestehens einer aktuellen, maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählt sind, ist der BF1 der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird diese Entscheidung mit der Feststellung verbunden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.1.7. Die BF1 gab als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen BF2 und BF3 an, dass diese keine eigenen Fluchtgründe haben. Vor dem Hintergrund der Länderberichte haben sich solche auch nicht ergeben.

Aus § 34 AsylG 2005 folgt, dass das Bundesverwaltungsgericht Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen hat, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

BF2 und BF3 sind die Kinder der BF1 und Familienangehörige im Sinne des § 2 Z 22 AsylG 2005. Asylausschlussgründe gemäß § 6 AsylG 2005 konnten sich bei dem BF2 und BF3 nicht ergeben.

Im Einklang mit den Bestimmungen des § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 ist den BF2 und BF3 gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm. 34 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2. Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich daher das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Es ist somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W277.2230300.2.00

Im RIS seit

04.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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