TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/1 W189 2232613-1

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Veröffentlicht am 01.08.2020
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Entscheidungsdatum

01.08.2020

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §53
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W189 2232613-1/2E

im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2020, Zahl 1255983802-191300802 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde zu Spruchpunkt III. wird stattgegeben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) wurde am 19.12.2019 am Flughafen Wien-Schwechat einer Ausreisekontrolle unterzogen, wobei festgestellt werden konnte, dass die BF, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein, die sichtvermerksfreie Dauer ihres Aufenthaltes überschritten hat, indem die BF sich bereits in den Zeiträumen von 07.08.2019 bis 12.08.2019, 13.09.2019 bis 03.10.2019 sowie vom 16.10.2019 bis 19.12.2019 im Bundesgebiet aufgehalten habe. Das SPK Schwechat leitete daraufhin ein Verwaltungsstrafverfahren wegen unerlaubten Aufenthalts ein. Die BF reiste in weiterer Folge am 19.12.2019 aus dem Bundesgebiet in Richtung Kiew aus.

Mit Parteiengehör vom 20.12.2019 wurde der BF – nachweislich zugestellt am 11.01.2020, wurde die BF über das eingeleitete Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitgeteilt und die BF aufgefordert dazu innerhalb der erteilten Frist von 14 Tagen dazu eine schriftliche Stellungnahme einzubringen, welcher die BF innerhalb offener Frist auch nachkam und hinsichtlich des Grundes der letzten Einreise im Bundesgebiet noch die Besichtigung von Kunst und Kultur und das Erlernen der deutschen Sprache angab.

Mit Aktenvermerk vom 23.01.2020 wurde das gegen die BF eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren wegen unerlaubten Aufenthaltes wegen Geringfügigkeit der überschrittenen Aufenthaltsdauer eingestellt.

Die BF reiste erneut am 16.03.2020 via Flughafen Wien in das Bundesgebiet ein und wurde im Zuge der Einreisekontrolle festgestellt, dass die BF ihre 90 -tägige visumfreie Zeit überschritten habe, weshalb sie 25 Tage im Bundesgebiet illegal aufhältig war. Am selben Tag wurde die BF gemäß § 41/2/2 FPG nach Kiew zurückgewiesen.

2. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Niederösterreich, wurde gegen diese gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt II.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Z 6 FPG gegen die BF ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.).

3. Gegen den Spruchpunkt III. dieses Bescheides richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde mit dem Antrag, das Einreiseverbot ersatzlos zu beheben. Zusammengefasst wird vorgebracht, die Behörde habe kein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt, da die BF zu ihrer finanziellen Situation nicht ausreichend befragt worden sei. Die BF hätte nämlich angeben können, dass sie über ausreichend finanzielle Mittel verfüge, auch sei ihr Verlobter, welcher auch Grund für die Einreise der BF gewesen sei und die BF finanziell unterstützen könne, als österreichischer Staatsbürger an einer näher bezeichneten Adresse im Bundesgebiet wohnhaft, wo sie kostenlos wohnen könne. Überdies sei ihr illegaler Aufenthalt von mehr als 90 Tagen auf einen Rechenfehler ihrerseits zurückzuführen gewesen und sei dann im Zuge der Anhaltung bei der Grenzpolizei aufgeklärt worden. Jedenfalls sei das Einreiseverbot in der Dauer von drei Jahren überschießend gewesen, weshalb sie ersuche den Bescheid hinsichtlich des Einreiseverbots ersatzlos zu beheben.

4. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt wurde vom BFA dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 30.06.2020 vorgelegt und ist dort am 02.07.2020 eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF ist Staatsbürgerin der Ukraine, führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Sie ist ledig und lebt in Kiew, wo auch ihr Lebensmittelpunkt liegt. Dort halten sich auch deren Mutter und Schwester auf.

1.2. Die BF ist zuletzt am 16.03.2020 in das Bundesgebiet eingereist, wobei im Zuge der Grenzkontrolle festgestellt werden konnte, dass die BF, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein, die sichtvermerksfreie Dauer ihres Aufenthaltes überschritten hat. Zum Zeitpunkt ihrer Einvernahme war die BF nicht im Besitz von Barmittel.

1.3. Die BF ist strafrechtlich unbescholten. Sie hat laut eigenen Angaben in Österreich eine Beziehung mit einem österreichischen Staatsangehörigen, welche – in Ermangelung von Angaben darüber in der Stellungnahme vom 11.01.2020 – offensichtlich von noch nicht so langer Dauer ist.

1.4. Die BF wurde nach Anzeigenerstattung gemäß § 41/2/2 FPG am 16.03.20 nach Kiew zurückgewiesen.

1.5. Die BF ist nicht im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels.

1.6. Die Ukraine gilt als sicherer Herkunftsstaat.

1.7. Da die Beschwerde ausdrücklich die Behebung des Einreiseverbotes begehrt sind Spruchpunkt I. und II. in Rechtskraft erwachsen.

2. Beweiswürdigung: .

Der Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat ergibt sich aus der im Akt aufliegenden Ausreisebestätigung.

Die Feststellungen zu den privaten und familiären Lebensverhältnissen der BF basieren auf ihren bislang unwiderlegten Angaben im Rahmen ihrer Stellungnahme und Beschwerde. Ihre Identität wird auch durch die Vorlage ihres gültigen ukrainischen Reisepasses belegt.

Die Arbeitsfähigkeit der BF kann aufgrund des Fehlens von Anhaltspunkten für gesundheitliche Beeinträchtigungen und aufgrund ihres erwerbsfähigen Alters festgestellt werden. Anhaltspunkte für Deutschkenntnisse der BF konnten nicht festgestellt werden.

Im Fremdenregister ist weder die Beantragung noch die Erteilung eines Aufenthaltstitels dokumentiert. Wohnsitznahmen der BF im Bundesgebiet gehen aus dem Zentralen Melderegister nicht hervor. Dem Versicherungsdatenauszug sind keine Beschäftigungszeiten im Bundesgebiet zu entnehmen. Die Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus dem Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig von seinem bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs. 2 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine Gefährdung öffentlicher Interessen indiziert. Dies ist demnach z.B. dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag (§ 53 Abs. 2 Z 6 FPG). In diesem Fall kann ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens fünf Jahren erlassen werden.

Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu verbinden, sondern steht im Ermessen der Behörde. Es soll bestimmte, mit dem Aufenthalt des betroffenen Fremden potentiell verbundene Gefährdungen öffentlicher Interessen hintanhalten. Dabei ist im Rahmen einer Interessensabwägung zu prüfen, inwiefern private und familiäre Interessen des Fremden der Verhängung des Einreiseverbots in der konkreten Dauer allenfalls entgegenstehen. Ein Einreiseverbot ist dann zu verhängen, wenn die Gefährdungsprognose eine zukünftige Gefährdung relevanter öffentlicher Interessen ergibt und eine Interessensabwägung nach Art 8 EMRK zu Lasten des betroffenen Drittstaatsangehörigen ausgeht (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10 ff).

Bei der Erstellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache einer allfälligen Verurteilung oder Bestrafung des Fremden an, sondern auf das dieser zugrunde liegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild (vgl VwGH 19.2.2013, 2012/18/0230).

Wenn sich das Fehlverhalten des Drittstaatsangehörigen auf den unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beschränkt und fallbezogen ausnahmsweise (etwa auf Grund seiner kurzen Dauer oder der dafür maßgebenden Gründe) nur eine geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellt, ist überhaupt kein Einreiseverbot zu verhängen (vgl VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0207).

3.2. Das BFA kam zu dem Schluss, dass die BF aufgrund ihrer Mittellosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, die eine Erlassung eines Einreiseverbotes erforderlich mache, ohne eine auf ihr aktuelles und konkretes Verhalten abstellende Gefährdungsprognose anzustellen, zumal sich die belangte Behörde auf eine Stellungnahme der BF im Rahmen eines vorangegangenen – kurzfristigen – illegal gewordenen Aufenthaltes bezog, dessen festgestellter Sachverhalt die Behörde in weiterer Folge auch bewog, das eingeleitete aufenthaltsbeendende Verfahren einzustellen. Im Rahmen des nunmehr geführten Verfahrens wurden allerdings keine weiteren Ermittlungen zur beabsichtigten Erlassung eines Einreiseverbotes eingeleitet, sondern lediglich auf die Angaben im vorangegangen eingestellten Verfahren zurückgegriffen.

Im vorliegenden Sachverhalt ist jedenfalls festzuhalten, dass der fehlende Nachweis betreffend den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt im Zuge der – unbestritten – rechtswidrigen Einreise, zwar eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch ihren Aufenthalt gemäß § 53 Abs. 2 Z 6 FPG zu indizieren vermag. Der BF fällt jedoch nur ein geringfügiges Fehlverhalten zur Last. Da von ihr keine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgeht, weil sie allenfalls bloß einen der Tatbestände des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 FPG erfüllt und sich nur kurz im Bundesgebiet aufhielt, kann von der Erlassung eines Einreiseverbots Abstand genommen werden. Auch ist es durch den Aufenthalt der BF bislang weder zu einer finanziellen Belastung für eine Gebietskörperschaft noch zu einer unrechtmäßigen Mittelbeschaffung durch die BF gekommen, vielmehr offenbart sie in der Beschwerde eine Beziehung zu einem österreichischen Staatsangehörigen, der gewillt ist die BF während ihres Aufenthaltes finanziell zu unterstützen. Die allfällige Mittellosigkeit der BF erfordert (auch in Verbindung mit ihrem unrechtmäßigen Aufenthalt) angesichts ihrer sonstigen straf- und verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit daher nicht die Erlassung eines Einreiseverbots zusätzlich zur Rückkehrentscheidung, zumal die BF bereits in ihre Heimat zurückkehrte und sich die mit einer Mittellosigkeit verbunden Gefahren bei der BF noch nicht realisiert haben.

Daher ist das Einreiseverbot laut Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos aufzuheben.

3.3. § 21 Abs. 7 BFA-VG erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung sogar dann, wenn deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Diese Regelung steht im Einklang mit Art 47 Abs. 2 GRC. Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zwar besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art 8 EMRK sonst relevanten Umstände. Daraus ist aber noch keine generelle Pflicht zur Durchführung einer
mündlichen Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch eine mündlichen Verhandlung nicht beantragt wurde, konnte die Abhaltung einer Beschwerdeverhandlung entfallen. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten, zumal ohnehin von der Richtigkeit der in der Beschwerde aufgestellten Behauptungen der BF ausgegangen wird.

Zu Spruchteil B):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots (siehe VwGH 29.05.2018, Ra 2018/20/0259). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Einreiseverbot Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose illegaler Aufenthalt Interessenabwägung Mittellosigkeit öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W189.2232613.1.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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