TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/4 G307 2226388-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2020
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Entscheidungsdatum

04.08.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs3
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2226388-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA.: Kroatien, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gerhard RUHRI, Dr. Claudia RUHRI und Mag. Christian FAULAND in 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 04.11.2019, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Anlässlich einer wiederholten Verurteilung des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) wurde dieser am 06.03.2014 von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zwecks Prüfung der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme niederschriftlich einvernommen.

2. Am 18.12.2018 fand vor der belangten Behörde erneut eine Befragung des BF statt.

3. Mit Schreiben des BFA vom 04.09.2019, dem BF persönlich zugestellt am 09.09.2019, wurde dieser anlässlich einer weiteren Verurteilung über den in Aussicht genommenen Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde er zur dahingehenden Stellungnahme binnen 4 Wochen ab Erhalt dieses Schreibens aufgefordert.

Der BF gab bis dato dazu keine Stellungnahme ab.

4. Mit oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 08.11.2019, wurde gegen ihn gemäß § 67 Abs. 1 und 3 FPG ein auf 8 Jahre befristete Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und diesem gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

5. Mit per E-Mail am 06.12.2019 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch seine Rechtsvertretung (im Folgenden: RV), Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurden die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Herabsetzung der Befristung des Aufenthaltsverbotes beantragt.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt, wo sie am 11.12.2019 einlangten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist kroatischer Staatsangehöriger, ledig, kinderlos und der kroatischen Sprache mächtig.

1.2. Der BF lebt seit seinem 2. Lebensjahr in Österreich, wo er die Pflichtschule besucht und die Lehre zum Beruf des Maurers absolviert hat. Zudem hat der BF im Rahmen einer Umschulung den Beruf des Schweißers erlernt.

1.3. Der BF ist der deutschen Sprache in Wort und Schrift mächtig und verfügt über eine Anmeldebescheinigung.

1.4. Das Bestehen einer Erkrankung konnte nicht festgestellt werden und ist der BF arbeitsfähig.

1.5. Von 2007 bis 2013 ging der BF wiederholt, teils nur für kurze Zeiträume, Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Er bezog auch wiederholt Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung und lebte zuletzt von finanziellen Zuwendungen seines Vaters.

1.6. Die Familie des BF, bestehend aus Eltern, Geschwistern und weiteren Verwandten, hält sich in Österreich auf.

1.7. Von XXXX .2007 bis XXXX .2007, XXXX .2011 bis XXXX .2012 sowie XXXX .2013 bis XXXX .2018 wurde der BF in Justizanstalten angehalten. Aktuell befindet sich der BF seit XXXX .2018 in Haft.

1.8. Vor seiner jüngsten Festnahme lebte der BF mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt.

1.9. Der Lebensmittelpunkt des BF liegt in Österreich.

1.10. Der BF weist folgende Verurteilungen in Österreich auf:

1.       Bezirksgericht (BG) XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2007, RK XXXX .2007, wegen § 127 StGB, § 229/1 StGB, § 88/1 und 4 1. Fall StGB als junger Erwachsener zur einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Monaten.

Die bedingte Strafnachsicht wurde mit Urteil des Landesgerichts (LG) XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2012 widerrufen.

2.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2007, RK XXXX .2007, wegen §§ 27/1 1., 2. und 6. Fall, 27 Abs. 2/1, 27 Abs. 2/2 1. Halbsatz 1. Fall SMG, als junger Erwachsener zu einer bedingt nachgesehen Freiheitsstrafe von 4 Monaten.

Die bedingte Strafnachsicht wurde mit Urteil BG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2010, widerrufen.

3.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2007, RK XXXX .2007, wegen §§ 127, 129/1 StGB, § 229/1 StGB, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten

Die bedingte Strafnachsicht wurde mit Urteil des LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2012 widerrufen.

4.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2008, RK XXXX .2009, wegen § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten.

Die bedingte Strafnachsicht wurde mit Urteil LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2011 widerrufen.

5.       BG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2010, RK XXXX .2010, wegen §§ 27 Abs. 1/1, 27 Abs. 1 SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten.

6.       LG XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX .2012, RK XXXX .2012, wegen §§ 127, 129 Z 2, 130 1. Fall StGB, § 107 (1) StGB, §§ 15, 109 (1,3) Z 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten.

7.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2013, RK XXXX .2013, wegen der Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 (1) StGB sowie der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 (1), 84 (2) Z 4 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, wovon 10 Monate bedingt nachgesehen wurden.

Der BF wurde im Zuge dieser Entscheidung für schuldig befunden, er habe am XXXX .2013 in XXXX dadurch, dass er einem Polizeibeamten einen heftigen Stoß gegen den Oberkörper versetzt, sodann versucht habe, die Flucht zu ergreifen und nach seiner neuerlichen Anhaltung im Zuge des Versuches der Fixierung seiner Person mit einer Handfessel den beiden Beamten Schläge und Tritte gegen den Körper versetzt bzw. versucht habe, zu versetzen sowie in weiterer Folge einer der Polizeibeamten zu Sturz gebracht habe, Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich an seiner Anhaltung und Fixierung der Durchsetzung der wider ihn ausgesprochenen Festnahme und Verbringung auf eine Polizeidienststelle genötigt, und

namentlich genannte Polizeibeamte vorsätzlich am Körper verletzt, sodass einer der beiden Beamten länger andauernde Schmerzen in den Fingern der rechten Hand und ein weiterer eine Kopfprellung samt Schwellung im Stirnbereich, eine Prellung des linken Ellenbogens sowie länger anhaltende Schmerzen in der Wirbelsäule und im Hüftbereich erlitten habe, wobei die Tat an den Beamten während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben und der Erfüllung ihrer Pflichten begangen worden sei.

Als mildernd wurden dabei das teilweise Geständnis, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie die Vorstrafen gewertet.

8.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2014, RK XXXX .2014, wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 (1) StGB, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 18 Monaten in Bezug auf LG XXXX , Zl. XXXX .

Dem BF wurde darin angelastet, er habe am XXXX .2013 in XXXX mit Gewalt gegen eine Person, und zwar durch das Versetzen eines Faustschlages in das Gesicht des D.R., diesem eine fremde bewegliche Sache, nämlich Suchtgift in Form einer Kapsel Substitol, zwei bis drei Tabletten Compensan sowie etwa 6 Gramm Cannabiskraut zu einem Straßenverkaufswert von insgesamt zumindest etwa € 170,00 mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Als erschwerend wurden dabei die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehreren Vergehen (bei Berücksichtigung des Zusatzstrafenverhältnisses) sowie die Tatbegehung während eines gewährten Strafaufschubes gemäß § 39 SMG gewertet.

9.       LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2017, RK XXXX .2018, wegen § 107 (1) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten.

10.      LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2018, RK XXXX .2018, wegen des Vergehens der Nötigung gemäß § 105 (1) StGB, des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß §§ 83 (1), 84 (4) Abs. 1, 84 (5) Z1 StGB, sowie des Vergehens der Körperverletzung § 83 (1) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren.

Der BF wurde im Rahmen dieser Verurteilung für schuldig befunden, er habe am XXXX .2018 in XXXX , namentlich genannte Personen vorsätzlich am Körper teils verletzt, teils zu verletzen versucht

I.       indem er im Zuge der zwischen zwei anderen Personen stattgefundenen tätlichen Auseinandersetzung P.Z. mit der linken Hand weggedrängt habe, wobei er dabei in der rechten Hand ein Klappmesser mit 9,5 cm langer spitz zulaufender scharfer Klinge gehalten habe, welche nach vorne in Richtung des L.S. gezeigt und mit dem L.S. in den Oberbauch gestochen habe, als sich L.S. und P.Z. aufeinander zubewegt hätten, wobei er dadurch – wenn auch nur fahrlässig – eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung, nämlich eine länger als 24 Tage andauernde Berufsunfähigkeit und an sich schwere Verletzungen herbeigeführt habe und er die Körperverletzung auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist (Stichverletzung am rechten Oberbauch mit Eröffnung der Bauchhöhle, Durchtrennung der Zwischenrippenmuskulatur und oberflächliche Stichverletzung an der Oberfläche des rechten Leberlappens mit dem Erfordernis eines Krankenstandes vom XXXX .2018 bis XXXX .2018), begangen habe;

II.      den L.S. mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung, nämlich dazu, ihn loszulassen, genötigt habe, indem er anlässlich der Würgehandlung an ihm durch L.S. das unter I. näher beschriebene Messer gegen L.S., welchen er ebenfalls mit einer Hand erfasst gehabt und festgehalten habe, gerichtet und zugleich geäußert habe:„ Lass mich los oder ich steche zu!“ und ihm in der Folge drei oberflächliche Schnitte mit dem Messer in den linken Unterarm versetzt habe, wodurch L.S. letztlich von ihm abgelassen und die besagten Schnittverletzungen erlitten habe.

Als mildernd wurden dabei das der Wahrheitsfindung dienliche Geständnis, als erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens mit Vergehen, das massiv belastete Vorleben samt Vorliegens der Voraussetzungen des § 39 StGB, der rasche Rückfall nach der Haftentlassung und die mehrfache Qualifikation der Körperverletzung gewertet.

11.      LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2020, XXXX .2020, wegen § 83 (1) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten.

Der BF wurde für hier für schuldig befunden, er habe am XXXX .2019 den A.F. durch das Versetzen mehrerer Faustschläge ins Gesicht vorsätzlich verletzt, wodurch dieser eine Kinnladenprellung links, Prellungen und Hautabschürfungen beider Beine sowie eine Prellung der linken Hand erlitten habe.

Der BF wurde am selben Tag, von seinem Opfer durch das Werfen eines Aschenbechers gegen den Kopf sowie das mehrmalige Umwerfen eines Tisches in Form einer Abschürfung der rechten Hand, einer blutenden Verletzung im Bereich beider Beine und Unterschenkel am Körper verletzt und erlitt Schmerzen im rechten Bereich des rechten Rippenbogens, wofür dieser zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt wurde.

Als mildernd wurden dabei das teilweise Geständnis, als erschwerend die zahlreichen einschlägigen Vorverurteilungen sowie die neuerliche Tatbegehung während der Verbüßung einer Strafhaft gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die besagten Straftaten begangen und die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Familienstand, Kinderlosigkeit, Aufenthalt in Österreich, Schulbesuch und Abschluss einer Lehre als Maurer im Bundesgebiet, den Deutschkenntnissen, Besitz einer Anmeldebescheinigung, finanzieller Unterstützung durch den Vater des BF sowie zum Gesundheitszustand des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Den konkreten und widerspruchsfrei gebliebenen Angaben des BF folgen ferner die Feststellungen zu den familiären Bezugspunkten in Österreich, zur Umschulung zum Schweißer sowie zur Kenntnis der kroatischen Sprache. Zudem ließ sich durch Abfrage im Zentralen Melderegister der Aufenthalt der Eltern des BF in Österreich sowie die zuletzt vor der Haft bestandene gemeinsame Haushaltsführung mit diesen ermitteln.

Dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Sozialversicherungsauszuges wiederum lassen sich die Erwerbstätigkeiten des BF sowie der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung und einer Abfrage des Zentralen Melderegisters, zudem die Anhaltungen des BF in Justizanstalten entnehmen.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF samt näherer, oben ergangener Ausführungen sowie die Feststellung, dass der BF die besagten Straftaten begangen hat, ergeben sich aus der Nachschau im Strafregister der Republik Österreich sowie dem Inhalt der Ausfertigungen der oben zitierten – näher ausgeführten – Strafurteile.

Die Arbeitsfähigkeit des BF folgt dem festgestellten Gesundheitszustand des BF sowie dem fehlenden Vorbringen eines die Arbeitsfähigkeit des BF in Frage stellenden Sachverhaltes seitens des BF.

Der in Österreich gelegene Lebensmittelpunkt erschließt sich aus dem Umstand, dass er in Österreich aufgewachsen ist, hier die Schule besucht hat und sich seine Familie im Bundesgebiet aufhält.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1.  Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF als Staatsangehöriger von Kroatien ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

Der BF hält sich seit seinem 2. Lebensjahr durchgehend in Österreich auf, wo er auch die Schule besuchte, einen Beruf erlernte, Erwerbstätigkeiten ausübte und seine Familie lebt. Der BF hält sich vom Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung des BFA zurückgerechnet mehr als 10 Jahre im Bundesgebiet auf (vgl. EuGH 16.01.2014, C-400/12), bzw. wies bereits vor seiner ersten Verurteilung im Jahr 2007 einen mehr als 10jährigen durchgehenden Aufenthalt in Österreich auf (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 71: hinsichtlich der Beachtlichkeit von Aufenthaltszeiten vor der entscheidungsrelevanten Verurteilung). Deshalb ist – selbst unter Berücksichtigung der in diesen 10 Jahren gelegenen Verurteilungen und Anhaltungen des BF in Haft – vor dem Hintergrund seiner besonderen Verbundenheit zu Österreich – davon auszugehen, dass kein – einer Aufenthaltsunterbrechung gleichkommender – Integrationsabbruch erfolgt ist (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 72) und gegenständlich der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG zur Anwendung gelangt. Gemäß der Judikatur des EuGH stellt der jeweilige Integrationsgrad eines EWR-Bürgers, welcher unter anderem mit der Aufenthaltsdauer im besagten Mitgliedsstaat korreliert, einen maßgeblicher Faktor bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung dar und spiegelt sich letztlich im System der abgestuften Gefährdungsmaßstäbe wieder (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16). Es kann demgemäß – unter Berücksichtigung, dass Kroatien erst im Jahr 2013 Mitglied der EU wurde – nämlich nicht darauf ankommen, ob die geforderte Integration in Zeiten eines unionsrechtlichen oder nationalstaatlichen (Fremden-) Rechtsregimes rechtmäßig und durchgehend erworben wurde.

Da vom BF, der aufgrund seiner kroatischen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt, somit die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG für Unionsbürger zu Anwendung.

3.1.4. Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sohin gemäß § 67 Abs. 1 5. Satz FPG nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

„Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf).“ (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091)

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die Bestimmungen der § 67 Abs. 1 und 2 FrPolG 2005 und § 66 Abs. 1 FrPolG 2005, beide idF FrÄG 2011, sind vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie, deren Umsetzung sie dienen, zu verstehen. Demnach sind sie in ihrem Zusammenspiel dahin auszulegen, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der genannten Richtlinie entspricht, heranzuziehen ist (Hinweis E 13. Dezember 2012, 2012/21/0181; E 12. März 2013, 2012/18/0228). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011. (vgl. VwGH 22.01.2014, 2013/21/0135)

3.1.5. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101).“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

„Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind.“ (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)

„Es trifft zwar zu, dass im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 MRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielte in der bisherigen Judikatur nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen war (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN).“ (VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409)

„Zur Aufhebung des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 durch das FrÄG 2018 hielt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR 26. GP 27 f) ausdrücklich fest, dass sich § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 "lediglich als Konkretisierung bzw. Klarstellung dessen, was sich unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur ohnehin bereits aus Abs. 1 iVm Abs. 2 ergibt", erweist. Ungeachtet des Außerkrafttretens des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 sind die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 weiter beachtlich (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0121; VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152), ohne dass es aber einer ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 bedarf (siehe VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152). Es ist also weiterhin darauf Bedacht zu nehmen, dass für die Fälle des bisherigen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 allgemein unterstellt wurde, dass die Interessenabwägung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen hat und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden darf. Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Dazu zählen jedenfalls die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach § 53 Abs. 3 Z 6, 7 und 8 FrPolG 2005, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (siehe VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung; VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel).“ (19.12.2019, Ra 2019/21/0238)

„Gemäß ihrem Einleitungssatz bezieht sich die Bestimmung des § 9 Abs 4 BFA-VG 2014 idF FrÄG 2015 lediglich auf Drittstaatsangehörige, also auf Fremde, die nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind (§ 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 2 BFA-VG 2014). Demzufolge wird dann auch als einzige aufenthaltsbeendende Maßnahme, die in den Fällen der Z 1 und 2 nicht erlassen werden darf, eine Rückkehrentscheidung angesprochen. Dessen ungeachtet kann es aber zur Vermeidung von sonst nicht auflösbaren Wertungswidersprüchen nicht zweifelhaft sein, dass § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 über seinen Wortlaut hinaus - entsprechend modifiziert verstanden - auch jenen Personenkreis umfasst, gegen den eine Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 oder ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FrPolG 2005 in Betracht käme (also EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige; vgl. E 9. November 2011, 2011/22/0264). § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 normiert demnach allgemein, wann trotz einer von einem Fremden ausgehenden Gefährdung eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinesfalls erlassen werden darf. In der Fassung des FrÄG 2015 stellt diese Bestimmung den - vorläufigen - Schlusspunkt einer Entwicklung dar, die durch den Wechsel zwischen absolut und relativ gefassten Aufenthaltsverfestigungstatbeständen (relativ in dem Sinn, dass es ergänzend noch darauf ankommt, dass dem Fremden keine spezifische Gefährdungen anzulasten sind) gekennzeichnet ist.“ (vgl. VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0050)

3.1.6. Der BF kam im Alter von 1 Jahr (2. Lebensjahr) nach Österreich und hält sich seither durchgehend und rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der BF ist sohin iSd § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG idF. BGBl. I Nr. 70/2015 (BFA-VG 2014) im Bundesgebiet aufgewachsen und langjährig rechtmäßig in Österreich niedergelassen und kommt diesem Umstand – im Sinne der oben zitierten Judikatur des VwGH – nach wie vor maßgebliche Relevanz bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer Abwägung iSd. § 9 BFA-VG zu (vgl. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).

Eine Aufenthaltsbeendigung in Bezug auf den BF erweist sich gegenständlich sohin nur dann dem Grunde nach als zulässig, wenn eine außergewöhnliche Gefährdung iSd. oben zitierten Judikatur vorliegt.

3.1.7. Der BF wurde unbestritten zuletzt wegen des Vergehens der Körperverletzung und zuvor wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung sowie der Vergehen der Nötigung und der Körperverletzung zu Freiheitstrafe von Insgesamt 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Das vom BF gezeigte Verhalten lässt vor dem Hintergrund der zahlreichen überwiegend einschlägigen Vorverurteilungen und dabei wiederholt gezeigten Gewalt eine massive Herabsetzung der inneren Hemmschwelle und das Vorliegen einer hohen kriminellen Energie erkennen. So hat der BF nicht nur wiederholt Personen am Körper verletzt, gegen das Suchtmittelgesetz verstoßen, sich gegen die Staatsgewalt aufgelehnt und einen Raub begangen, sondern darüber hinaus, unter Verwendung einer Waffe, konkret eines Messers, eine andere Person schwer und potentiell lebensgefährdend am Körper verletzt. Weder mehrfach verhängte strafgerichtliche Maßnahmen noch der aktuelle Strafvollzug konnten den BF bisher von der wiederholten Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. So hat der BF seine letzte Straftat sogar während laufender Strafhaft begangen.

Es steht völlig außer Zweifel, dass das vom BF gezeigte Verhalten ein Fehlen einer Verbundenheit zu rechtsstaatlich geschützten Werten sowie Interessen und Rechten andere erkennen lässt und eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen darstellt.

So hat der VwGH wiederholt festgehalten, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Eigentums- und Gewaltdelikten (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474) sowie Suchtmitteldelikten (vgl. 29.03.2012, 2011/23/0662) vorherrscht. Auch eine positive Zukunftsprognose lässt sich anhand der Kriminalhistorie des BF nicht ohne weiteres erstellen.

Trotz der dem BF zu attestierender schwerwiegender Gefährdung öffentlicher Interessen, erreicht dessen Verhalten nicht das gegenständlich geforderte Maß der besonderen Schwere im Sinne einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit iSd. § 67 Abs. 1 5. Satz bzw. der oben zitierten Judikatur zum aufgehobenen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014. Weder hat der BF ein Delikt iSd. § 53 Abs. 3 Z 6,7 und 8 FPG verwirklicht, noch kann in dem vom BF gesetzten Verhalten ein, mit beispielsweise grenzüberschreitendem bandenmäßigem Suchtmittelhandel oder Vergewaltigung vergleichbares, die öffentliche Sicherheit gefährdendes Handeln gesehen werden. Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass Raub, schwere Körperverletzung und Suchtgiftdelikte, insbesondere vor dem Hintergrund beständig gezeigter Gewaltbereitschaft und Gesetzesmissachtungen, schwer wiegen. Jedoch kommt es nicht nur auf die Tatsache der Verurteilungen des BF wegen der besagten Straftaten an. Vielmehr ist auch das den Verurteilungen zugrundeliegende Verhalten maßgeblich zu berücksichtigen. So beschränkte sich der Raub des BF auf eine einmalige Tathandlung mit geringer Sachschadenshöhe und resultierten die beiden letzten zur Verurteilung geführten Körperverletzungen jeweils aus wechselseitigen Streithandlungen, sohin im Zuge gegenseitiger Provokationen und Tätlichkeiten. Ferner liegen die Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz sowie die Eigentumsdelikte des BF bereits länger zurück und ist das Alter des BF zu den Zeitpunkten seiner ersten drei Verurteilungen zu beachten (vgl. VwGH 12.04.2001, 2007/18/0962).

Unbeschadet dessen gilt es zu berücksichtigen, dass der BF in Österreich aufgewachsen ist, die Schule besucht und einen Beruf erlernt hat. Er hat zudem seinen Lebensmittelpunkt seit über 32 Jahren in Österreich und damit wohl kaum bis keinen Bezug zu seinem Herkunftsstaat. Dort hat er nur einen Bruchteil seines Lebens verbracht, hält sich seine gesamte Familie in Österreich auf, wird er von seinem Vater finanziell unterstützt und lebte bis zu seiner aktuellen Festnahme mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalte. Ferner ist der BF Erwerbstätigkeiten in Österreich nachgegangen.

Das Verwaltungsgericht verkennt nicht, dass an der Verhinderung von Straftaten, insbesondere an Gewaltdelikten, ein großes öffentliches Interesse vorherrscht und das vom BF wiederholt gezeigte Verhalten eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen bewirkt hat. Dennoch kommt das Gericht nach Beurteilung aller für und wider den BF sprechenden Momente und erfolgter Abwägung der sich wiederstreitenden öffentlichen und privaten Interessen iSd. Art 8 EMRK, letztlich zum Schluss, dass sich insbesondere aufgrund eines Überwiegens der persönlichen Interessen des BF, der Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes im konkreten Fall als nicht zulässig erweist.

Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht hinreichend nachgekommen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde samt Ergänzung geklärt war. Was das Vorbringen des BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in dieser kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen, welches die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätte.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Interessenabwägung Privat- und Familienleben Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2226388.1.00

Im RIS seit

04.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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