TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/5 W109 2160693-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W109 2160693-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 16.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.07.2019 zu Recht:

A)       

I.       Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

B)       

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 27.08.2015 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 27.08.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und stamme aus Daikondi. Er sei Analphabet. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, er sei in Afghanistan für seine Geschwister verantwortlich gewesen und habe keine Aussicht auf eine gute Zukunft gehabt. Er sei geflüchtet, um in einem Land arbeiten und seine Geschwister finanziell unterstützen zu können. Die Taliban würden Schiiten töten.

Am 16.11.2016 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, seine Eltern seien gestorben und er habe bei der Familie XXXX gelebt. Diese hätten ihn immer geschlagen. Der Sohn der Familie hätte ausreisen wollen, da habe der Beschwerdeführer gebeten, mitkommen zu dürfen. Er habe nicht mehr geschlagen werden und sein eigenes Leben führen wollen.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.05.2017, zugestellt am 17.05.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe lediglich eine private Auseinandersetzung vorgebracht, welche nicht in Zusammenhang mit der Genfer Flüchtlingskonvention stehe. Er sei im Fall der Rückkehr keiner speziellen Gefährdung ausgesetzt und könne nach Kabul zurückkehren.

3.       Am 31.05.2017 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, Ermittlungsverfahren und Länderberichte seien mangelhaft. Die Behörde habe die berechnete Volljährigkeit des Beschwerdeführers abgewartet. Dem Bescheid seien weder Berichte zur konkreten Situation der Hazara, noch zur Herkunftsregion zu entnehmen. Auch die Situation von Waisenkindern sei nicht behandelt worden. Der Beschwerdeführer gehöre als Hazara und Schiit in mehrfacher Hinsicht zu einer gefährdeten Personengruppe. Waisenkinder seien häufig Opfer von Diskriminierung, Ausbeutung und Menschenhandel und sei der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Flucht noch minderjährig gewesen. Ihm drohe wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara, aufgrund seines schiitischen Glaubens und wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Waisenkinder Verfolgung. Der Beschwerdeführer verfüge nicht über ein soziales Netzwerk, welches ihn auffangen und unterstützen könne.

Am 10.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine im Akt namentlich genannte Zeugin und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat verfolgt, weil er sei von seiner „Pflegefamilie“ misshandelt worden und Schiit sei, aufrecht. Zudem ergänzte er, es habe immer wieder Konflikte mit den Kutschis gegeben. Das Herkunftsdorf liege an der Grenze zu Ghazni und sei gefährlich.

Am 10.07.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe keine Schulbildung, keine Berufsausbildung und als Waisenkind außer seinen minderjährigen Geschwistern keine Verwandten in Afghanistan. Er verfüge über kein soziales Netzwerk und könne nicht mit Unterstützung rechnen. Er sei als Hazara diskriminiert und habe noch nie in Mazar-e Sharif oder Herat gelebt. Er könne dort nicht Fuß fassen.

Mit Schreiben vom 13.07.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 22.07.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Zeitungsartikel

?        Schreiben der „Christlichen XXXX

?        Diverse Fotos

?        ÖSD Zertifikat A1 vom 22.11.2017

?        Teilnahmebestätigungen für diverse Veranstaltungen

?        Teilnahmebestätigung für Werte- und Orientierungskurs

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Daikondi, Distrikt Miramor geboren, wo er bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat lebte.

Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat nie eine Schule besucht und bereits als Kind begonnen, als Schafhirte zu arbeiten.

Die Mutter des Beschwerdeführers kurz nach der Geburt eines Kindes, als der Beschwerdeführer noch ein Kind war. Der Vater des Beschwerdeführers war als Landarbeiter tätig und verstarb etwa ein Jahr nach der Mutter an einer Erkrankung.

Der Beschwerdeführer hat einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester. Nach dem Tod seiner Eltern lebte er mit seinen Geschwistern bei einer Familie im Herkunftsdorf.

Die Schwester des Beschwerdeführers ist seit einer Auseinandersetzung mit Kutschi Nomaden im Herkunftsdorf verschollen. Der Bruder lebt weiterhin bei der „Pflegefamilie“ im Herkunftsdorf.

Ein weiterer Bruder und eine weitere Schwester des Beschwerdeführers sind bereits verstorben.

Im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer einige Deutschkurse besucht und andere Bildungsangebote wahrgenommen. Er verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Außerdem hat er ehrenamtliche Arbeit geleistet. Der Beschwerdeführer interessiert sich für christliche Glaubensinhalte, er beabsichtigt jedoch nicht, zum christlichen Glauben überzutreten.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer wurde von seiner „Pflegefamilie“ regelmäßig geschlagen und misshandelt und musste als Kind für sie als Hirte arbeiten. Er reiste schließlich mit einem Sohn seines Pflegevaters aus. Diesen hat er auf der Reise verloren.

Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers besteht ein langanhaltender Konflikt zwischen Kutschi-Nomaden und im Hazaradschat sesshaften Hazara, dessen Wurzeln bis in das Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Bei dem Konflikt geht es ursprünglich um lokale Ressourcen. Im Zuge der jährlichen Wanderungen der Kutschi-Nomaden zu im Hazaradschat gelegenem Weideland kommt es insbesondere saisonal zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Kutschi und Hazara. Der Konflikt ist bislang ungelöst. Bewaffnete Gruppierungen nutzen den Konflikt und beteiligen sich an Plünderungen. Konfliktgegenstand ist auch die terriroriale Kontrolle durch eine Bevölkerungsgruppe. Der Konflikt wird von unterschiedlicher Seite politisch Instrumentalisiert.

Die Routen der Kutschi-Nomaden führen auch durch die Herkunftsprovinz.

Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in das Herkunftsdorf keine zielgerichteten Übergriffe durch Angehörige der Kutschi-Nomaden wegen des im Herkunftsstaates bestehenden Hazara-Kutchi-Konflikt.

Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe oder Misshandlungen wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Daikundi ist eine relativ sichere Provinz, die Infrastruktur ist allerdings mangelhaft. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und regierungsfreundlichen Kräften, der Herkunftsdistrikt ist hiervon nicht betroffen. Er steht unter Kontrolle der Regierung, Vertreibungen sind nicht verzeichnet.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers ins Herkunftsdorf ist nicht zu erwarten, dass er im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften oder durch Übergriffe Aufständischer oder die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung misshandelt, verletzt oder getötet wird.

Die Herkunftsprovinz ist nicht sicher erreichbar. Dem Beschwerdeführer droht bei der Anreise in das Herkunftsdorf die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften oder durch Übergriffe Aufständischer oder die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung misshandelt, verletzt oder getötet zu werden.

Kabul, Herat und Balkh zählen zu den am stärksten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Teilen Afghanistans. Die Krankheit breitet sich im ganzen Land aus. Zur Bekämpfung des Virus wurden landesweit Sperrmaßnahmen verhängt. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen, die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind eingeschränkt, Hotels, Teehäuser und ähnliche Einrichtungen sind ebenso geschlossen. Öffentliche Verkehrsmittel, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Es ist mit schwerwiegenden Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen seiner Bevölkerung zu rechnen. Insbesondere Menschen, die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind, sind betroffen. Die Lebensmittelpreise sind stark gestiegen, unter anderem die COVID-19-Beschränkungen behindern den landwirtschaftlichen Anbau.

Die Wirtschafts- und Versorgungslage in Afghanistan war bereits zuvor schlecht. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Armutsrate und Arbeitslosigkeit sind hoch. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptschlich auf den informellen Sektor, der 80 bis 90 % der Wirtschaftsleistung ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert in Afghanistan nicht. Sozialleistungen gibt es – abseits von Pensionen in sehr wenigen Fällen, kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung – nicht.

Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften. Ihm wäre es im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich, Fuß zu fassen. Er liefe Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Herkunft, sowie seiner Muttersprache ergeben sich aus den gleichbleibenden plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde traf entsprechende Feststellungen (angefochtener Bescheid, S. 7-8). Das festgestellte spätestmögliche Geburtsdatum beruht auf dem von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen Gutachten zur Sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung vom 21.11.2015. Zwar nimmt der Formulierung zufolge das Gutachten das höchstmögliche Mindestalter, sowie das daraus errechnete fiktive Geburtsdatum, das auch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, lediglich mit „einfacher Wahrscheinlichkeit“ an, aus dem gesamten Gutachten ergibt sich jedoch, dass es sich hierbei lediglich um einen Formulierungsfehler handelt und es sich tatsächlich um das spätestmögliche fiktive Geburtsdatum nach einem § 13 Abs. 3 BFA-VG entsprechenden Beweismaß handelt. Der Beschwerdeführer gibt in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 16.11.2016 zu seinem Geburtsdatum lediglich an, er wisse dieses nicht und habe sein Alter in Österreich ein Arzt festgestellt, er sei eben erst 18 Jahre alt geworden (Einvernahmeprotokoll vom 16.11.2016, S. 3) und offenbart damit, dass er gegen das festgestellte Mindestalter keine Bedenken hegt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass im Lauf des Verfahrens kein anderslautendes Vorbringen erstattet und auch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung des Beschwerdeführers nachweisen würden.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Seine Lebensverhältnisse bzw. die Lebensverhältnisse seiner Familie und seinen Lebenswandel im Herkunftsstaat hat der Beschwerdeführer gleichbleibend und plausibel geschildert und traf auch die belangte Behörde im Wesentlichen gleichlautende Feststellungen (angefochtener Bescheid, S. 8).

Dass seine Schwester von den Kutschis mitgenommen und sein Bruder zwar bei einer Auseinandersetzung mit den Kutschis verletzt wurde, jedoch weiterhin bei der „Pflegefamilie“ lebt, beruht auf der überzeugenden und lebendigen Schilderung des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2019 (OZ 7, S. 5 und 6). Im Hinblick auf zwei weitere Geschwister gibt der Beschwerdeführer gleichbleibend an, diese seien bereits verstorben und schilderte im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auch die diesbezüglichen Umstände überzeugend (OZ 7, S. 5 und 6).

Die Feststellungen zu den Aktivitäten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beruhen auf den hierzu vorgelegten Bestätigungen und Unterlagen sowie auf den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers. So hat der Beschwerdeführer zu den von ihm belegten Kursen und Workshops in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2019 sowie in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 16.11.2016 Teilnahmebestätigungen vorgelegt. Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer ein ÖSD Zertifikat für das Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen vorgelegt (Beilagen zu OZ 7). Im Hinblick auf seine ehrenamtliche Arbeit brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Bestätigungen und Fotos in Vorlage, ebenso dazu, dass er regelmäßig an kirchlichen Meetings teilnimmt und sich für den christlichen Glauben interessiert (Beilage zu OZ 7). Hierzu brachte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 10.07.2019 vor, er beabsichtige allerdings nicht, zu konvertieren, sondern sei einfach an Geschichte und Religion Österreichs interessiert (OZ 7, S. 9).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer schilderte seine Lebensumstände bei seiner „Pflegefamilie“ in der mündlichen Verhandlung lebendig und in Übereinstimmung mit seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 16.11.2016. Auch die belangte Behörde zweifelte nicht an den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers und legte sie unter dem Titel „private Streitigkeiten“ ihrer Entscheidung zugrunde. Die Schilderungen des Beschwerdeführers stehen zudem mit den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten (OZ 13) in Einklang. So berichtet das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 29.06.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt) vom mangelnden Zugang zu Schulbildung, der weiten Verbreitung der Kinderarbeit insbesondere im ländlichen Gebiet, sowie von der weiten Verbreitung körperlicher und psychischer Züchtigung (Kapitel 17. Relevante Bevölkerungsgruppen, Unterkapitel 17.2. Kinder). Die EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) beschreibt unter einem eigenen Risikoprofil die Situation von Kindern, die nicht über Eltern bzw. andere erwachsene Familienmitglieder verfügen, die für sie sorgen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 10. Children, Buchstabe f. Unaccompanied children without a support network in Afghanistan, S. 59-60) und berichtet ebenso von Kinderarbeit, Gewalt gegen Kinder und einem mangelhaften Zugang zu Bildung (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 10. Children).

Im Hinblick auf die Schilderungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2019, denen zufolge er große Angst vor den Kutschi Nomaden habe, berichtet der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 13.07.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebrachte EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, insbesondere Unterkapitel 6.2 Landstreitigkeiten zwischen nomadischen und sesshaften Bevölkerungsgruppen, S. 83 ff.) zunächst allgemein, dass Landkonflikte in Afghanistan weit verbreitet seien, insbesondere Bodenstreitigkeiten zwischen verschiedenen Gemeinschaften würden im Licht des schwachen Rechtsstaates häufig eskalieren (S. 80). Die Gewaltbereitschaft sei grundsätzlich hoch und würden Landstreitigkeiten häufig schnell eskalieren und in Gewalt umschlagen, womit mitunter kleine bewaffnete Konflikte oder Blutfehden entstehen (S. 82). Auch zum Hazara-Kutschi-Konflikt wird im Detail berichtet, wobei der Zugang zum Weideland in diesen Gebieten als Wurzel angegeben wird (S. 84). Berichtet wird auch von regelmäßigen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Kutchi-Nomaden und Sesshaften, bei denen auch Menschen getötet und verletzt würden (S. 84-85). Der ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konfliktes zwischen Kuchis und Hazara [a-9737-V2] vom 02.09.2016, Abschnitt Hintergrund des Konfliktes zwischen Kuchi und Hazara, ebenso mit Schreiben vom 13.07.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebracht, lässt sich zum Hintergrund des Konfliktes entnehmen, der Konflikt reiche zurück bis in das Ende des 19. Jahrhunderts, wobei auch berichtet wird, dass er seine Wurzeln im Zugang zu Ressourcen hat. Insbesondere seit dem Jahr 2007 wird von einer zunehmenden Eskalation und davon berichtet, dass die Spannungen oftmals in offene Gewalt umschlagen. Es komme zu Todesfällen und Vertreibungen.

Erwähnung findet auch, dass der Konflikt durch die Einmischung unterschiedlicher Gruppen politische Dimension gewonnen habe (EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017, Kapitel 6. Landstreitigkeiten, Unterkapitel 6.2 Landstreitigkeiten zwischen nomadischen und sesshaften Bevölkerungsgruppen S. 84). Auch die ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konfliktes zwischen Kuchis und Hazara [a-9737-V2] vom 02.09.2016, Abschnitt Hintergrund des Konfliktes zwischen Kuchi und Hazara erwähnt als zweiten Konfliktgegenstand die subnationale Vorherrschaft im Sinne der de-facto Kontrolle einer Bevölkerung über ein Gebiet. Der Konflikt sei zu einer Triebfeder für ethnische Spannungen und politische Propaganda geworden. Auch berichtet wird, dass die Reihen der Kutchi von bewaffneten Gruppierungen durchdrungen wären bzw. dass solche Gruppierungen an Plünderungen von Hazara-Dörfern beteiligt seien. Auch der aktuelle von Dr. Antonio Giustozzi für AREU verfassten Bericht, Nomad-settler conflict in Afghanistan today von Oktober 2019, vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 13.07.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebracht, beschreibt mehrere auch ethnische und politische Dimensionen des Konfliktes (insbesondere Kapitel 4. Impact and significance of the conflict on state and society, S. 35 ff.).

Zu den Hauptwanderrouten der Kutschi-Nomaden lässt sich dem von Dr. Antonio Giustozzi für AREU verfassten Bericht, Nomad-settler conflict in Afghanistan today von Oktober 2019, entnehmen, dass diese (auch) durch die Provinz Daikondi führen (Karte auf S. 15).

Damit ist zwar plausibel, dass der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit von Auseinandersetzungen mit den Kutschi-Nomaden betroffen war, so wie er dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.07.2019 angegeben hat (OZ 7, S. 7). Hieraus lässt sich jedoch nicht automatisch schließen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsdistrikt persönlich von Kutschi-Nomaden angegriffen, misshandelt oder getötet würde. So wird zwar berichtet, dass der Konflikt immer wieder eskaliert und dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen und Todesfällen kommt, die damit in Zusammenhang stehen. Allerdings ergibt sich hieraus noch nicht, dass gerade der Beschwerdeführer in eine solche Auseinandersetzung geraten und dabei zu Schaden kommen würde, insbesondere, weil diese Vorfälle saisonal und vereinzelt auftreten, allerdings nicht so gehäuft, dass davon ausgegangen werden kann, dass jede im Hazaradtschat anwesende Person bzw. jede im Herkunftsdistrikt anwesende Person automatisch mit Misshandlungen und anderen Übergriffen bis hin zur Tötung rechnen müsste. Dem EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017, ist zwar – wie auch oben schon ausgeführt – zu entnehmen, dass die Gewaltbereitschaft im Zusammenhang mit Grundstücksstreitigkeiten in Afghanistan hoch ist, wobei berichtet wird, dass etwa 25 % der Landstreitigkeiten Feindseligkeiten und Blutfehden nach sich ziehen (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, Unterkapitel 6.1 Gewaltbereitschaft, S. 82 f.). Kleinere Vorfälle könnten schnell eskalieren, weil die Polizei untätig bleibe, wobei hieraus eine Blutfehde entstehen könne, allerdings nicht wegen des Landes selbst, sondern wegen Morden, zu denen es infolge der Auseinandersetzung komme. Die verschränkten Beweggründe könnten jedoch nur schwer entwirrt werden (Kapitel 7. Blutfehden und Rachemorde, Unterkapitel 7.4 Zusammenhänge mit dem in Afghanistan herrschenden Konflikt sowie mit Landstreitigkeiten, persönlichen Konflikten und anderen wechselseitig abhängigen Motiven, S. 96 ff.). Allerdings hat der Beschwerdeführer derartiges nicht behauptet und stellt auch im Hinblick auf die Betroffenheit seines Bruders von einer Auseinandersetzung und den Umstand, dass seine Schwester verschollen ist, keinen konkreten Bezug zu seiner Person her und äußert keine Befürchtungen hinsichtlich konkreter, ihn persönlich betreffender Folgen dieser Umstände. Dementsprechend wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in die Herkunftsregion keine Übergriffe durch Kutschi-Nomaden wegen des im Herkunftsstaat bestehenden Hazara-Kutschi-Konfliktes drohen.

Hinsichtlich der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers zählt dem Länderinformationsblatt zufolge die schiitische Religionszugehörigkeit wesentlich zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara (Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.3. Hazara). Bedingt durch die nach der Berichtslage untrennbare Verbundenheit von Ethnie und Religionszugehörigkeit kann den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien), oftmals nicht eindeutig zwischen einer Diskriminierung und Misshandlung aufgrund der Religion einerseits oder aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit andererseits unterschieden werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Unterabschnitt Schiiten, S. 69-70). Daher scheint in diesem Fall eine gemeinsame Betrachtung der Merkmale der Religions- und der Volksgruppenzugehörigkeit geboten.

Weder aus dem Länderinformationsblatt (Kapitel 15. Religionsfreiheit, insbesondere Unterkapitel 15.1. Schiiten sowie Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten, insbesondere Unterkapitel 16.3. Hazara) noch aus den UNHCR-Richtlinien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) religiöse Minderheiten [S. 66 ff.], insbesondere Unterabschnitt Schiiten [S 69 f.] und Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara [S. 106 f.]), ergibt sich, dass es systematisch und verbreitet zu so intensiven Übergriffen gegen schiitische Hazara kommt, dass gleichsam jeder Angehörige dieser Volksgruppe aufgrund seiner Anwesenheit im afghanischen Staatsgebiet mit Übergriffen rechnen muss. Zwar berichtet das Länderinformationsblatt von sozialen Ausgrenzungen und Diskriminierung ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag, die nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert werden und auch, dass ethnische Spannungen weiterhin zu Konflikten und Tötungen führen, gleichzeitig ist aber auch von einer grundsätzlichen Verbesserung der Lage der Hazara seit dem Ende der Taliban-Herrschaft sowie von deren Etablierung in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft die Rede. Auch berichtet wird von sozialer Diskriminierung, illegaler Besteuerung, Zwangsrekrutierung, physischer Misshandlung und Festnahme. Eine konkrete Betroffenheit des Beschwerdeführers von derartigen einzelnen Übergriffen ist jedoch nicht ersichtlich und wurde auch nicht weiter konkretisiert. Der Beschwerdeführer äußert in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich, er sei Schiite und werde diskriminiert (OZ 7, S. 8) und geht ansonsten nicht weiter auf diesen Themenkreis ein. Entsprechend wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Übergriffe drohen, weil er der Volksgruppe der Hazara angehört oder sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan basiert auf den vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 13.07.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebrachten UNHCR Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR Richtlinien) insbesondere Kapitel II. Überblick, Unterkapitel A. Die wichtigsten Entwicklungen in Afghanistan, S. 13 f. und Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel B. Flüchtlingsstatus nach den weitergehenden Kriterien gemäß dem UNHCR-Mandat oder nach regionalen Instrumenten und Schutz nach ergänzenden Schutzformen, Unterkapitel 2. Subsidiärer Schutz nach der Qualifikationsrichtlinie der EU [Richtlinie 2011/95/EU], S. 117 f.) und findet Bestätigung im Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage. Insbesondere die UNHCR-Richtlinien betonen die uneinheitliche Betroffenheit der unterschiedlichen Gebiete vom innerstaatlichen Konflikt. Diese lässt sich auch aus den Erläuterungen des Länderinformationsblattes zu den einzelnen Provinzen gut nachvollziehen.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.7. Daikundi sowie dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019, Kapitel 2.7. Daykundi, S. 107 ff.). Weder das Länderinformationsblatt noch der EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019 berichten von Kämpfen im Herkunftsdistrikt und weist der EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019 den Herkunftsdistrikt als unter Regierungskontrolle stehend aus (S. 109) und verzeichnet keine Vertreibungen (S. 111).

Die Feststellung, dass nicht zu erwarten ist, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr ins Herkunftsdorf im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften oder durch Übergriffe Aufständischer oder die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung misshandelt, verletzt oder getötet wird, beruht auf dem oben zitierten Berichten zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz bzw. dem Herkunftsdistrikt und steht überdies im Einklang mit der EASO Country Guidance, der zufolge das Gewaltniveau in der Herkunftsprovinz generell niedrig ist und grundsätzlich nicht zu erwarten ist, dass Zivilisten Gewalthandlungen ausgesetzt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Abschnitt Daikundi/Daykundi, S. 94). Im Hinblick auf den Hazara-Kutschi-Konflikt wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen (Punkt 2.2.)

Zur Erreichbarkeit des Herkunftsdorfes ist auszuführen, dass mit Blick auf die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat lediglich eine Anreise über die Provinz Bamyan auf dem Landweg in Betracht kommt. Im Hinblick auf den Flughafen Bamyan berichtet allerdings der EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von Juni 2019, dass der Linienflugbetrieb seit Jänner 2018 eingestellt ist, was zu Problemen für die lokale Bevölkerung führt, weil das Reisen über die Straßen aufgrund der Aktivitäten aufständischer, mangelhafter Rechtsdurchsetzung und schlechten Straßenverhältnissen unsicher ist (Kapitel 1.6. Mobility, S. 64). Hinsichtlich der Provinz Ghor wird berichtet, dass insbesondere die Sicherheit auf den Straßen von Ghor problematisch ist und es zu Straßenblockaden und Ermordungen kommt, außerdem zu Bodenkämpfen zwischen unterschiedlichen Akteuren (Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.11. Ghor, insbesondere Abschnitte Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure und Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung). Gleiches gilt für die Provinz Ghazni, die der EASO Country Guidance zufolge zu den Hauptschauplätzen von Kämpfen zwischen Taliban und Regierungsstreitkräften gilt (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Abschnitt Ghazni, S. 96-97). Insbesondere die Sicherheit auf den Straßen wird von der starken Präsenz der Taliban in der Provinz beeinträchtigt. Es komme zu Bodenkämpfen und Luftangriffen (EASO COI Report: Afghanistan, Security situation von Juni 2019, Kapitel 1.6. Mobility, S. 64 und Kapitel 2.10, Ghazni, insbesondere Unterkapitel 2.10.3.1 General, S. 131-132). Im Hinblick auf eine Anreise vom internationalen Flughafen Mazar-e Sharif ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass die Taliban auf den Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte errichten, auch hier kommt es zu Bodenkämpfen (Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.5. Balkh). Hinsichtlich der Straßen von Kabul über Maidan Wardak nach Bamyan wird von einer Präsenz der Taliban berichtet, sowie von Erschießungen und Entführungen und dem Sammeln von „Steuern“. Die Taliban würden Posten an der Autobahn aufstellen (Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.33. (Maidan) Wardak). Für die Provinz Parwan berichtet das Länderinformationsblatt von einer jüngsten Verschlechterung der Sicherheitslage in manchen Distrikten, auch wenn die Provinz weiterhin zu den relativ friedlichen Provinzen zählt. Berichtet wird jedoch insbesondere von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf den Straßen der Provinz, es komme zu Entführungen oder Verhaftungen durch die Taliban und andere nicht identifizierte Militante (Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.28. Parwan). Damit erscheint auch eine Anreise vom internationalen Flughafen Kabul aus über Parwan oder Maidan Wardak nicht sicher möglich. In Urzugan kommt es dem Länderinformationsblatt zufolge ebenso zu militärischen Operationen, insbesondere um die Kandahar-Urguzgan-Autobahn von Taliban zu räumen, diese errichten entlang der Straße Kontrollpunkte. Damit ist eine Anreise auf dem Landweg über den Flughafen Trinkot in Urzugan ebenso nicht möglich (Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.32. Urzugan). Helmand dagegen – das ebenso über einen Flughafen in der Hauptstadt Lashkargah verfügt (Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.12. Helmand) – zählt zu den volatilen Provinzen. Der EASO Country Guidance zufolge sind die meisten Distrikte der Provinz umkämpft oder unter Talibankontrolle (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. Subsidary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Abschnitt Helmand, S. 98). Damit ist die sichere Erreichbarkeit der Herkunftsprovinz nicht gewährleistet und wurde entsprechend auch festgestellt, dass dem Beschwerdeführer bei der Anreise in das Herkunftsdorf die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften oder durch Übergriffe Aufständischer oder die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung misshandelt, verletzt oder getötet zu werden.

Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie im Herkunftsstaat beruhen auf der Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan; Stand: 21.7.2020.

Die Feststellungen zur Wirtschafts- und Versorgungslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 20. Grundversorgung. Dort wird auch berichtet, dass es finanzielle oder sonstige Unterstützung in Afghanistan nicht existiert.

Die Feststellung zu den Folgen einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ergibt sich insbesondere aus einer Zusammenschau der individuellen Umstände und Merkmale, die der Beschwerdeführer in seiner Person vereint.

Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie, ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.).

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig und spricht mit Dari eine im Herkunftsstaat verbreitete Sprache. Als Angehöriger der schiitischen Glaubensrichtung und der Volksgruppe der Hazara gehört der Beschwerdeführer zwar zu einer Minderheit, hinsichtlich Herat, Maza-e Sharif und Kabul wird jedoch berichtet, die Städte seien ethnisch divers und Kenntnisse von Dari oder Paschtu würden ausreichen (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterkapitel Reasonableness to settle, S. 135-136). Auch aus dem Länderinformationsblatt ergibt sich, dass Hazara in den Städten stark vertreten sind (Kapitel 17. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 17.3. Hazara). Hinweise darauf, dass Hazara in Städten spezifisch gefährdet wären, sind den Berichten allerdings nicht zu entnehmen. An körperlichen Vorerkrankungen leidet der Beschwerdeführer nicht, weswegen er hinsichtlich COVID-19 nicht zur Risikogruppe gehört.

Der Beschwerdeführer verfügt jedoch weder über Schulbildung noch über eine Berufsausbildung und ist die Verwertbarkeit seiner im Herkunftsstaat erworbenen Berufserfahrung als Hirte in einer afghanischen Großstadt fraglich. Zudem verfügt der Beschwerdeführer nicht über Ortskenntnisse in den genannten drei Städten und im Herkunftsstaat im Allgemeinen und insbesondere in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul nicht über soziale Anknüpfungspunkte, auf deren Unterstützung er zurückgreifen könnte. Damit verfügt der Beschwerdeführer nicht über ein soziales Netzwerk, dass dem Länderinformationsblatt zufolge für das Überleben in Afghanistan wichtig und für Rückkehrer bei der Anpassung an das Leben in Afghanistan besonders ausschlaggebend ist. Insbesondere stelle ein Mangel an Netzwerken eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar (Kapitel 22. Rückkehr). Auch EASO schätzt ein Unterstützungsnetzwerk per se als essentiell für die Ansiedelung ein (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, Unterabschnitt Individual circumstances, S. 136). Aktuell ist das wirtschaftliche Leben in den drei Städten zudem bedingt durch Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeschränkt, insbesondere Tagelöhner sind hiervon betroffen. Der ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) von 05.06.2020 – vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 13.07.2020 (OZ 13) in das Verfahren eingebracht – zufolge gibt es aufgrund der landesweiten COVID-19-Beschränkungen weniger Gelegenheitsarbeit. Dies treffe insbesondere den informellen Arbeitsmarkt, auf den ein großer Teil der afghanischen Arbeitskräfte angewiesen sei. Bei Arbeitsmangel biete dieser kein Sicherheitsnetz. Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in der Lage ist, Arbeit zu finden, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, erscheint unter diesen Bedingungen – insbesondere nachdem Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten, als formelle Qualifikation (Kapitel 20. Grundversorgung, Abschnitt Arbeitsmarkt), über die der Beschwerdeführer im Übrigen nicht verfügt – als nicht wahrscheinlich. Zudem ist dem Bericht, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 – ebenso mit Schreiben vom 13.07.2020 (OZ 13) vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebracht – zu entnehmen, dass insbesondere Rückkehrer stigmatisiert werden, weil sie primär für die Gefahr durch Corona verantwortlich gemacht werden. Das Stigma, Seuchenüberträger zu sein, treffe auch aus Europa Eingereiste (S. 2). Dadurch würde die Niederlassung des Beschwerdeführers zusätzlich erschwert. Hierdurch würde eine Suche des Beschwerdeführers nach Arbeit und Unterkunft zweifellos weiter behindert.

Angesichts dessen, dass Hotels, Teehäuser und vergleichbare Einrichtungen geschlossen sind, es auch keine staatliche Unterbringung von Rückkehrer gibt (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr) wäre der Beschwerdeführer, nachdem er in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht über soziale Anknüpfungspunkte verfügt, durch die ihm allenfalls Unterkunft gewährt werden könnte, im Fall der Rückkehr unmittelbar von Obdachlosigkeit bedroht.

Hinsichtlich einer allfälligen Unterstützung durch Angehörige ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer nur mehr einen jüngeren Bruder hat, von dessen Unterstützung angesichts seiner Lebensverhältnisse nicht ausgegangen werden kann. So hat der Beschwerdeführer – vor dem Hintergrund der gleichbleibend geschilderten Lebensumstände plausibel – bereits in der Erstbefragung am durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.08.2015 angegeben, die finanzielle Situation der Familie sei schlecht. Zudem resultiert dem Länderinformationsblatt zufolge aus der bereits schlechten wirtschaftlichen Lage im Herkunftsstaat – wobei sich diese Informationen auf einen Zeitpunkt vor Ausbrechen der Pandemie beziehen – und individuellen Faktoren, dass Unterstützung durch die Familie nur temporär und nicht immer gesichert erfolgt (Kapitel 24. Rückkehr). Weiter verfügt die Familie nicht über Vermögen, aus dem der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, existiert staatliche Unterstützung nicht und wird hinsichtlich Rückkehrunterstützung berichtet, dass ein koordinierter Mechanismus nicht existiert. Insbesondere wird Rückkehrhilfe nur temporär und kurzfristig gewährt und funktioniert eine allfällige Anschlussunterstützung nicht lückenlos (Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr).

Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in Herat (Stadt), Mazar-e Sharif oder Kabul (Stadt) nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen zu bestreiten und seine Lebensgrundlage zu erwirtschaften und insbesondere, dass es ihm nicht möglich wäre, Fuß zu fassen und er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Parteiengehör bezüglich der in dieser Entscheidung hinsichtlich Punkt 2.3. der Beweiswürdigung neben den in das Verfahren eingebrachten herangezogenen Kurzinformation der Staatendokumentation, COVID-19 Afghanistan; Stand: 21.7.2020 konnte entfallen. Die belangte Behörde hat aufgrund ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Abfassung von Länderberichten sowie als spezialisierte Fachbehörde Kenntnisse über ebendiesen Bericht; weiter wurden dieser ausschließlich zugunsten des Beschwerdeführers verwendet, weshalb auch diesbezüglich eine Notwendigkeit zur Gewährung von Parteiengehör nicht gegeben war. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 30.08.2018, Ra 2017/18/0119 mwN).

3.1.1.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Zugehörigkeit zur „sozialen Gruppe“ der Waisenkinder

Der Beschwerdeführer konnte glaubhaft machen, dass er von seiner „Pflegefamilie“ regelmäßig geschlagen und misshandelt wurde und bereits als Kind für sie als Hirte arbeiten musste und führt hierzu rechtlich im Wesentlichen aus, dass ihm wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Waisenkinder asylrelevante Verfolgung drohe.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Asylgewährung auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Insbesondere reicht „Vorverfolgung“ für sich genommen nicht aus, weil entscheidend ist, dass der Betroffene im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (zuletzt VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).

Der nunmehr anfang-20-Jährige Beschwerdeführer ist von diesen kinderspezifischen Umständen nicht mehr betroffen, er ist mittlerweile ein erwachsener Mann und bringt eine Verfolgungsgefahr für den Fall der Rückkehr durch seine „Pflegefamilie“ auch nicht vor.

Damit kommt es auf die Klärung der Rechtsfrage, ob „Waisenkinder“ als soziale Gruppe im Sinne des Art. 10 Abs. 1 lit. d Stausrichtlinine anzusehen sind, nicht entscheidungswesentlich an (Vgl. auch VwGH 23.01.2019, Ra 2018/01/0442).

3.1.2.  Zum Fluchtvorbringen einer ethnisch bzw. politisch motivierten Verfolgung im Rahmen des Kuschi-Konfliktes

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (in der Folge gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG „Statusrichtlinie“) ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 Statusrichtlinie genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass als politisch alles qualifiziert werden kann, was für den Staat, für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist (VwGH 30.09.2004, 2002/20/0293 m.w.N).

Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie umfasst der Begriff der Rasse insbesondere Aspekte der Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe.

Zwar wurde festgestellt, dass der im Herkunftsstaat herrschende Konflikt insbesondere die Verteilung lokaler Ressourcen zum Gegenstand hat. Allerdings ist neben dieser Komponente auch eine ethnische Komponente des Konfliktes ersichtlich, findet er doch zwischen den Angehörigen zweier Volksgruppen statt und dreht sich auch die Vorherrschaft dieser Bevölkerungsgruppen in bestimmten Gebieten. Weiter konnte auch festgestellt werden, dass der Konflikt von unterschiedlicher Seite politisch instrumentalisiert wird, so dass etwa regierungsfeindliche Gruppierungen den Konflikt für ihre Zwecke nutzen und sich etwa an Plünderungen beteiligen.

Auch hat der Verwaltungsgerichtshof zu Art. 9 Abs. 3 Statusrichtlinie unter Berufung auf die Ansicht des UNHCR bereits mehrfach ausgesprochen, dass für die notwendige Verknüpfung zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen und den Verfolgungsgründen ausreicht, dass der Konventionsgrund ein (maßgebend) beitragender Faktor ist. Er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (zuletzt VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113 mwN).

Konkret zur Beurteilung einer möglichen Asylrelevanz eines Vorbringens, demzufolge es im Rahmen des Hazara-Kuschi-Konfliktes in Zusammenhang mit Weideland zu einer Blutfehde gekommen sein soll, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur ausgesprochen, dass die Beweiswürdigung vor dem realen Hintergrund der vorgetragenen Fluchtgeschichte vorzunehmen und die Glaubwürdigkeit auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen ist (VwGH 28.08.2019, Ra 2018/14/0384).

Das Bundesverwaltungsgericht hat im gegenständlichen Verfahren in einer umfassenden Beweiswürdigung vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte zum Hazara-Kutschi-Konflikt sowie zu hieraus allenfalls resultierenden Blutfehden das Vorbringen des Beschwerdeführers beleuchtet und aufgrund dessen festgestellt, dass aus den vom Beschwerdeführer zwar grundsätzlich glaubhaft geschilderten Umständen mangels hinzutreten besonderer zusätzlicher Gefährdungsfaktoren im Fall der Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkret und individuell gegen seine Person gerichtete Übergriffe bzw. Misshandlungen durch Kutschi-Nomaden zu erwarten sind.

Demnach konnte der Beschwerdeführer – mag der Hazara-Kutschi-Konflikt auch ethnische und politische Komponenten haben und das Herkunftsdorf sowie der Beschwerdeführer selbst und seine Geschwister in der Vergangenheit bereits betroffen gewesen sein – nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr von Seiten der Kutschi-Nomaden Verfolgung unter den GFK-Anknüpfungspunkten der Rasse bzw. der politischen Gesinnung droht.

3.1.3.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeine Gefahr eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, so hat jedes einzelne Mitglied schon aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (zuletzt VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400 mwN).

Der Beschwerdeführer konnte wie festgestellt seine Zugehörigkeit zur Gruppe der schiitischen Hazara glaubhaft machen.

Der Verwaltungsgerichthof nahm in den letzten Jahren keine Gruppenverfolgung der Hazara irgendwo in Afghanistan an (zuletzt VwGH 07.02.2020, Ra 2019/18/0400). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara – unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit – nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande).

Da eine Gruppenverfolgung – in Hinblick auf die Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit – von Hazara und Schiiten in Afghanistan wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt nicht gegeben ist und der Beschwerdeführer auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich hieraus eine asylrelevante Verfolgung nicht ableiten.

Die Beschwerde war daher im Ergebnis spruchgemäß hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Stattgebung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Mit Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106 hat der Verwaltungsgerichtshof sich mit der Rechtsprechung des EuGHs zu den Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auseinandergesetzt. Danach sei subsidiärer Schutz nur in jenen Fällen zu gewähren, in denen die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK auf einen ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zurückzuführen ist, der vom Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie verursacht wird (Art. 15 lit a. und b.), bzw. auf eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt (Art. 15 lit. c) zurückzuführen ist. Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführende Verletzungen von Art. 3 EMRK. Insofern habe der nationale Gesetzgeber die Bestimmungen der Statusrichtlinie fehlerhaft umgesetzt, weil nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 2. Art. EMRK, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führe (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

An diese Judikatur anschließend spricht der der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 aus, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausschließlich anhand Art. 15 Statusrichtlinie geprüft werden könne. Die Bestimmung sei – obgleich fehlerhaft in das nationale Recht umgesetzt – nicht unmittelbar anwendbar, weil dies zulasten eines bzw. zur Vorenthaltung von Rechten des Einzelnen nicht in Frage komme. Die nationale Regelung des § 8 Abs. 1 AsylG sei günstiger. Deren unionsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung finde ihre Schranke jedoch in einer Auslegung contra legem des nationalen Rechtes. Eine einschränkende Auslegung des Wortlautes des § 8 Abs. 1 AsylG im Sinne einer teleologischen Reduktion sei vor dem Hintergrund des klaren gesetzgeberischen Willens – den der Verwaltungsgericht

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten