TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/6 W226 2219026-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.08.2020
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Entscheidungsdatum

06.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W226 2219026-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Hubert WAGNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2019, Zl.: 1014697810/190348696, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.03.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals minderjährige BF, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste im Jahr 2003 gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde für den BF durch seine gesetzliche Vertretung am 10.09.2003 ein Asylerstreckungsantrag gestellt, welchem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2003 stattgegeben wurde und dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

2. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX (RK 20.05.2011) wurde der BF (als junger Erwachsener) wegen des Vergehens der versuchten Nötigung gemäß §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, wobei die Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Für den BF wurde eine Bewährungshilfe angeordnet.

3. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX (RK 07.09.2015) wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2 SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt, wobei die Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Für den BF wurde erneut eine Bewährungshilfe angeordnet.

4. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX (RK XXXX ) wurde der BF wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Abs. 1 Z 3 StGB, des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, des Vergehens der Unterschlagung nach § 134 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, wobei die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Vom Widerruf der gewährten bedingten Strafnachsichten wurde abgesehen und die Probezeit wurde jeweils auf fünf Jahre verlängert. Zudem wurde eine Bewährungshilfe angeordnet.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF am 26.05.2013 in bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zwei unbekannten Mittätern einem Opfer eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein Fahrrad in nicht mehr festzustellendem Wert mit dem Vorsatz wegzunehmen versuchte und sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er den Diebstahl zu begehen trachtete, indem er zur Ausführung der Tat eine Sperrvorrichtung, nämlich das am Fahrrad angebrachte Schloss, aufzubrechen versuchte. Zudem hat er am 23.06.2017 eine fremde Sache beschädigt, indem er eine Scheibe im Stiegenbereich einer U-Bahnstation einschlug, wodurch ein Schaden in der Höhe von 697 EUR entstanden ist. Weiters hat er Mitte Juni 2017 ein fremdes Gut, das er gefunden hat, nämlich ein Ausweisetui, sich oder einem Dritten mit dem Vorsatz zugeeignet, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern. Sowie zwischen Mitte Juni 2017 und 23.06.2017 einen Führerschein, mithin eine Urkunde, über die er nicht oder nicht alleine verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde.

Als mildernd wurde das teilweise Geständnis, die Tatsache, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und die teilweise Schadenswiedergutmachung gewertet. Als erschwerend wertete das erkennende Gericht das Zusammentreffen mehrere Vergehen.

5. Gegen dieses Urteil brachte die Staatsanwaltschaft XXXX eine Berufung ein und wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX die Freiheitsstrafe auf acht Monate erhöht, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe, nämlich sechs Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Beschluss hinsichtlich der ausgesprochenen Verlängerung der Probezeit wurde ersatzlos aufgehoben. Die vom Erstgericht angenommenen besonderen Strafzumessungsgründe wurden dahingehend ergänzt, dass dem BF als erschwerend auch zur Last liegt, dass er schon einmal wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat verurteilt wurde, zumal Nötigung und Sachbeschädigung auf den gleichen Charaktermangel, nämlich eine Neigung zur Gewalttätigkeit zurückzuführen sind. Aufgrund des Vorlebens des BF (Verurteilung wegen versuchter Nötigung und versuchte Übergabe von Suchtgift an einen inhaftierten Freund in einer Justizanstalt) sei die vom Erstgericht gefundene Sanktion zu gering gegriffen. Der BF sei zweimal zu jeweils bedingten Freiheitsstrafen verurteilt worden und sei zweimal während noch offener Probezeiten sowie trotz Beigebung eines Bewährungshelfers und erfolgreichem Abschluss eines Anti-Gewalttrainings rückfällig geworden.

6. Am 18.02.2019 wurde das BFA vom Strafantritt des BF verständigt (Strafantritt 18.02.2019, errechnetes Strafende 18.04.2019).

7. Am 05.04.2019 leitete das BFA ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ein.

8. Am 17.04.2019 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich in den Sprachen Russisch/Deutsch einvernommen.

Der BF gab an, den Anwesenden Dolmetscher gut zu verstehen. Seine Muttersprache sei Tschetschenisch, außerdem spreche er ein wenig Russisch, ein wenig Englisch und passables Deutsch.

Zu seinem Gesundheitszustand befragt, gab der BF an, gesund zu sein und keine Medikamente einzunehmen. Er könnte arbeiten gehen.

Zu seinem Lebenslauf gab er an, in der Stadt XXXX geboren zu sein und bis zu seinem achten oder neunten Lebensjahr dort aufgewachsen zu sein. Dann sei er gemeinsam mit seiner Familie nach Österreich gekommen. Er hab ein Tschetschenien etwa ein halbes Jahr die Schule besucht. Er sei ledig und habe keine Kinder. Seine Eltern seien geschieden, würde aber hier in Österreich ( XXXX ) leben. Seine Mutter sei bereits österreichische Staatsbürgerin. Er habe zwei Schwestern und zwei Brüder, welche alle in XXXX leben würden. Sie würden aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben. Er habe zu seiner Familie Kontakt und sei von seiner Mutter und seiner Schwester in Haft manchmal besucht worden.

Zu seinem Leben in Österreich gab er an, vier Jahre die Hauptschule besucht zu haben. Dann habe er zwei Jahre lang das Gymnasium besucht, dieses aber abgebrochen. Er habe Arbeitserfahrung in der Produktions- und Lagerarbeit gesammelt. Zudem sei er mehrere Arbeitsverhältnisse eingegangen. Zuletzt habe er von 05.12.2016 bis 05.10.2018 bei einer Leihfirma als Hilfsarbeiter gearbeitet und habe Maschinen bedient. Er sei dort gekündigt worden, den Grund dafür wisse er nicht. In Österreich habe er Bekannte, sonst nichts Nennenswertes. Vor seinem Haftantritt sei er beim AMS gemeldet gewesen, er sei arbeitslos. Er sei kein Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen.

Nach Angehörigen im Herkunftsland befragt, gab der BF an, dass zwei Tanten väterlicherseits und zwei Onkel mütterlicherseits in Tschetschenien leben würden. Weiters würden Angehörige mütterlicherseits in Russland leben. Er habe hin und wieder Kontakt zu ihnen und rufe sie an.

Zu seinen aktuellen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr in sein Heimatland befragt, gab der BF an, er fürchte dort vom Präsidenten Kadyrow geschlagen oder umgebracht zu werden. Befragt warum Kadyrow ihn umbringen sollte, gab der BF an, weil er mit seiner Familie im Krieg geflüchtet sei. Die Sicherheitslage schaue von hier aus zwar nicht schlecht aus, aber dies sei nicht der Fall.

Zu seinen aktuellen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr in einen anderen Teil der Russischen Föderation befragt, gab der BF an, dass dies nicht so schlimm wäre. Aber auch dort könne man ihn festnehmen.

9. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25.04.2019, erkannte das BFA den mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2003 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Ferner wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein auf 8 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Das BFA stellte fest, dass der BF russischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Tschetschenen angehöre und sich zum muslimischen Glauben bekenne. Er sei in Tschetschenien (Stadt XXXX ) aufgewachsen und habe bis zu seinem achten/neunten Lebensjahr dort gelebt. Er sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Er sei ledig und kinderlos. In seiner Heimat habe er eine Vielzahl an familiärer Anknüpfungspunkte. Er sei in Österreich straffällig geworden und stelle eine Gefahr für die Gemeinschaft dar.

Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation habe er nicht glaubhaft machen können. Im Falle einer Rückkehr habe er in seinem Heimatland keine Gefährdungs- oder Gefahrenlage zu befürchten. Er könne seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestreiten und würde dort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Seine Familienangehörigen seien zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt. Er lebe mit seinen Familienangehörigen nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Er spreche passables Deutsch.

Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und zur Situation im Falle der Rückkehr führte das BFA aus, dass der BF in Bezug auf sein Heimatland keine aktuellen bzw. individuellen Fluchtgründe glaubhaft darlegen habe können, sondern habe er sich lediglich auf eine in den Raum gestellte Gefahr, die sich aus der damaligen Ausreise seiner Familie ableiten lasse, vorgebracht. Er habe nicht glaubhaft vorbringen können, dass er im Falle einer Rückkehr nach wie vor noch einer Bedrohung ausgesetzt sein würde. Da sich aus dem Grund, welcher zur Schutzgewährung des Vaters geführt habe, im Falle einer Rückkehr keine (aktuelle) Gefährdungslage des BF ableiten lasse, sei ihm eine Rückkehr zuzumuten. Er habe lediglich vage in den Raum gestellt, aufgrund der damaligen Flucht vor dem Krieg im Falle einer Rückkehr womöglich einer Bedrohung ausgesetzt zu sein. Es lass sich aber nichts erkennen, das anzeigen würde, dass gerade der BF in besonderer Weise davon persönlich betroffen wäre bzw. jemals persönlich bedroht worden sei. Die bloße Behauptung einer in den Raum gestellten aktuellen Bedrohung reiche nicht aus, um ein tatsächliches Rückkehrhindernis feststellen zu können. Eine individuelle Gefährdungs- bzw. Bedrohungslage habe er bei einer Rückkehr in sein Heimatland nicht zu befürchten.

Der BF könne seinen Lebensunterhalt in Russland bestreiten, zumal er ein arbeitsfähiger, junger Mann sei, der seine in Österreich neu erworbene Arbeits- und Lebenserfahrung bei einer Wiederansiedelung in seinem Heimatland nutzen könne. Er habe nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte im Heimatland, welche ihn bei einer Rückkehr unterstützen werden können. Er spreche die dortige Sprache und sei mit der Kultur vertraut. Er kenne mit Sicherheit die russischen Traditionen und Gepflogenheiten, zumal er einen Teil seines Lebens dort verbracht habe und auch in Österreich im Bunde seiner Familie aufgewachsen sei. Es sei ihm möglich in seine Heimat zurückzukehren und sich dort ein neues Leben aufzubauen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass eine Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG grundsätzlich nur innerhalb von fünf Jahren ab Zuerkennung möglich sei. Da der BF aber mehrmals straffällig geworden sei, sei die Frist von fünf Jahren nicht zu berücksichtigen. Die Gründe für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten seien nicht mehr vorliegend.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF seit geraumer Zeit nicht mehr mit seinen Eltern und Geschwistern in einem gemeinsamen Haushalt lebe und daher keine nennenswerten Bindungen bzw. keine Abhängigkeit erkannt werden hätten können. Der BF sei selbsterhaltungsfähig und gesund. Er verfüge über passable Deutschkenntnisse und gehe derzeit keiner Arbeit nach. Er habe keine nennenswerten Bindungen bzw. Verfestigungen in der Gesellschaft oder ehrenamtliche Tätigkeiten vorgebracht, welche ihn an einer Rückkehr ins Heimatland hindern könnten bzw. einen Verbleib im Bundesgebiet unabdingbar machen würden. Zudem habe er mehrere Straftaten begangen. Angesichts der hohen kriminellen Energie lasse sich für ihn keine positive Beurteilung vornehmen. Er stelle aufgrund seiner Verurteilungen eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Die öffentlichen Interessen an der Rückkehr des BF würden somit gegenüber seinen privaten Interessen überwiegen.

Zum Einreiseverbot führte das BFA aus, dass § 53 Abs. 3 Z 1 FPG im Falle des BF erfüllt sei. Er sei unter anderem zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt rechtskräftig verurteilt worden. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens des BF und unter Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten bzw. im Hinblick darauf, wie er sein Leben in Österreich gestaltet habe, sei insgesamt davon auszugehen, dass der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Höhe von 8 Jahren sei gerechtfertigt, zumal er mehrmals rechtskräftig verurteilt worden sei. Seine Straftaten würden klar und deutlich zeigen, dass er eine massive Gefährdung für die öffentliche Sicherheit darstelle. Besonders schwer wiege das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und sei er offensichtlich nicht gewillt, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer sei gerechtfertigt und notwendig, um die vom BF ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

10. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 25.04.2019 wurde dem BF für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

11. Gegen den oben angeführten Bescheid des BFA erhob der BF fristgerecht eine vollinhaltliche Beschwerde, worin inhaltliche Rechtwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht wird. In der Beschwerde wird ausgeführt, dass sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit den Gründen, die im Falle des BF zur Asylgewährung geführten hätten, auseinandergesetzt habe. Dazu wäre sie schon vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen von Amts wegen verpflichtet gewesen. Der BF habe keinerlei Bezug mehr zum Land seiner Staatsangehörigkeit, weshalb er wenig über die dortige Lage wisse. Aus den getroffenen Länderfeststellungen sei ersichtlich, dass die Menschenrechtslage besorgniserregend sei und föderale Sicherheitskräfte sowie Kaydrovzy würden damals wie heute Menschenrechtsverletzungen begehen. Die Behörde habe auch zum Familienleben des BF keine näheren Ermittlungen angestellt und es verabsäumt, die Mutter des BF zum Familienleben als Zeugin einzuvernehmen. Die Einvernahme der Mutter werde daher beantragt. Weiters habe keine ausreichend individuelle Gefährlichkeitsprognose stattgefunden, sondern stütze sich die Behörde primär auf die Verurteilungen des BF. Nähere Feststellungen zu den Umständen der Straftaten treffe das BFA nicht. Wäre die Behörde ihrer Ermittlungstätigkeit in ausreichender Weise nachgekommen, so wäre sie zu einem günstigeren Ergebnis für den BF gekommen. Entgegen der Auffassung der Behörde würde der BF bei einer Rückkehr nach Russland sehr wohl in eine existenzgefährdende Notlage geraten und würde ihm eine Verletzung seiner von Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohen. Die Lage am Arbeitsmarkt sei in Russland angespannt und gäbe es keine ausreichenden Sozialleistungen für Menschen ohne Einkommen. Wie der BF, der seit seiner Kindheit nicht mehr in Russland gewesen sei, in der Lage sein solle, seine Existenz zu sichern, lege das BFA nicht dar. Es sei eher zu befürchten, dass der BF – der über keine Landeskenntnisse verfüge – keine Arbeiten finden werde und mangels sozialer Unterstützung in eine auswegslose Lage geraten würde. Zudem habe der BF als Familienangehöriger seines Vaters eine Verfolgung in Russland zu befürchten. Die Behörde habe es verabsäumt in ihrer Beweiswürdigung dazu Feststellungen zu treffen und sei der Bescheid auch deswegen mit Rechtswidrigkeit belastet. Hinsichtlich des Einreiseverbotes verweise die Behörde lediglich auf die Aktenunterlagen und habe es komplett unterlassen, eine begründete Beweiswürdigung durchzuführen. Auch habe der BF das Unrecht seiner Taten eingesehen und bereue er seine Straftaten sehr. Von einer zukünftigen Straffälligkeit und Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den BF sei daher nicht auszugehen. Soweit sich die Behörde betreffend die Aberkennung auf den Aberkennungsgrund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG stütze, so sei darauf abzustellen, ob die Verfolgungsgründe hinsichtlich des Familienangehörigen, von welchem der Status des Asylberechtigten abgleitet worden sei, weggefallen seien. Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF bereits seit knapp 16 Jahren in Österreich lebe und zu Russland keinen Bezug mehr habe. Er spreche fließend Deutsch, habe hier die Schule besucht und sei erwerbstätig gewesen. Die Eltern und die Geschwister des BF würden in Österreich leben. In der Russischen Föderation würden keine sozialen Bindungen mehr bestehen. Eine Rückkehrentscheidung würde einen Eingriff in sein Recht auf Privat- und Familienleben bedeuten. Zum Einreiseverbot habe die Behörde sich primär auf die strafrechtlichen Verurteilungen des BF gestützt und keine ausreichende Einzelfallprüfung vorgenommen. Es sei jedoch verpflichtend eine Prognoseentscheidung anzustellen und dabei das gesamte Verhalten des BF einzubeziehen. Auch eine nachvollziehbare Begründung, warum genau ein Einreiseverbot in der Dauer von 8 Jahren erforderlich sei, fehle.

15. Am 12.03.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, wobei der BF vom erkennenden Gericht nochmals ergänzend zu den begangenen Straftaten, zu den Ereignissen vor ihrer Ausreise aus Tschetschenien, den Asylgründen des Vaters, zu den aktuellen Rückkehrbefürchtungen betreffend die Russische Föderation bzw. Tschetschenien, zu seinem in Österreich aufhältigen Cousin, zu den in der Russischen Föderation aufhältigen Verwandten sowie zu seiner Integration in Österreich befragt wurde.

Dem Rechtsvertreter des BF wurde eine Kopie der niederschriftlichen Einvernahme des Vaters ausgefolgt und zudem das aktuelle LIB zur Russischen Föderation (Stand 03.12.2019) erörtert. Dem Rechtsvertreter des BF wurde eine Frist von drei Wochen eingeräumt, um zum Verfahren eine abschließende Stellungnahme zu erstatten.

16. Es wurde bis dato keine Stellungnahme des BF eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Er wuchs in Tschetschenien ( XXXX ) auf, wo er gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Zum Zeitpunkt der Ausreise aus Tschetschenien war der BF ca. 12,5 Jahre alt. Im September 2003 reiste die Familie ins österreichische Bundesgebiet ein, wo sie Asyl- bzw. Asylerstreckungsanträge stellten.

Dem Asylerstreckungsantrag des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2003 stattgegeben und dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Der BF wurde dreimal in Österreich rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und zwar:

1.)      LG XXXX vom XXXX (RK 20.05.2011)

PAR 15 105/1 StGB

Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Zusatz: Junge(r) Erwachsene(r)

Vollzugsdatum: 20.05.2011

Nachtrag: zu LG XXXX RK 20.05.2011

(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig

Vollzugsdatum 20.05.2011

ausgesprochen durch: LG WR.NEUSTADT 046 HV 44/2011k vom 14.01.2019

2.)      BG XXXX vom XXXX (RK 07.09.2015)

§ 27 (2) SMG

§ 27 (1) Z 1 SMG

Datum der (letzten) Tat: 02.09.2015

Freiheitsstrafe 4 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Nachtrag: zu BG XXXX RK 07.09.2015

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

ausgesprochen durch: LG XXXX

3.)      LG XXXX (RK XXXX )

§ 15 StGB §§ 127, 129 (1) Z 3 StGB

§ 125 StGB

§ 134 (1) StGB

§ 229 (1) StGB

Datum der (letzten) Tat: 23.06.2017

Freiheitsstrafe 8 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe

Nachtrag: zu LG XXXX RK XXXX

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 18.04.2019

ausgesprochen durch: LG XXXX vom 18.04.2019

Festgestellt wird, dass der in Art. 1 Abschnitt C Z 5 der GFK angeführte Endigungsgrund eingetreten ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF oder seinem Vater (von welchem der BF seinen Asylstatus seinerseits abgleitet hat) im Falle der Rückkehr eine aktuelle Verfolgung aus asylrelevanten Gründen drohen würde.

Der BF ist gesund und nimmt keine Medikamente ein.

Die Eltern sowie die Geschwister (eine Schwester, eine Halbschwester und ein Bruder) des BF leben in Österreich und sind zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich berechtigt. Die Eltern des BF sind mittlerweile geschieden und leben getrennt. Die Mutter des BF besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft. Ein Bruder des BF ( XXXX ) wurde – wie der BF selbst – mehrmals straffällig. Er befindet sich derzeit (bis voraussichtlich 2022) in Strafhaft und wurde XXXX mit Bescheid des BFA bereits der Status des Asylberechtigten aberkannt und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Der Aberkennungsbescheid des XXXX wird mit heutigem Tag vom erkennenden Gericht bestätigt, weshalb XXXX - nach Beendigung der Strafhaft - das österreichische Bundesgebiet verlassen und in die Russische Föderation zurückkehren wird.

Weiters lebt noch ein Cousin des BF als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu den in Österreich aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen des BF aus gesundheitlichen oder anderen Gründen besteht nicht.

Der BF ist ledig, kinderlos und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Der BF spricht und versteht Deutsch einwandfrei. Zusätzlich spricht und versteht er Tschetschenisch (Muttersprache) sowie Russisch. Er spricht auch ein wenig Englisch. In Österreich besuchte der BF im Rahmen der Schulpflicht die Hauptschule sowie zwei Jahre ein Gymnasium, welches er dann aber abgebrochen hat. Er hat in Österreich Arbeitserfahrung in der Produktion und in der Lagerarbeit gesammelt. Bis Oktober 2018 hat er eine Hilfstätigkeit als Leiharbeiter ausgeübt (Bedienung von Maschinen), seitdem bezieht er Sozialleistungen.

Der BF stellt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Es kann nicht festgestellt werden, dass beim BF tatsächlich ein Lebenswandel stattfand.

Der BF ist erkennbar in der Lage, Hilfstätigkeiten auszuüben und ist auch arbeitswillig.

Eine Rückkehr des BF in die Russische Föderation stellt keine Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention dar. Im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation droht dem BF weder die Todesstrafe noch eine Haftstrafe unter unmenschlichen Bedingungen, Folter oder unmenschliche Behandlung.

Dem BF droht in der Russischen Föderation keine Doppelbestrafung und auch außerhalb der Strafverfolgung keine Verfolgung auf Grund des der Verurteilung in Österreich zugrundliegenden Verhaltens. Dem BF droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Folter oder unmenschliche Behandlung auf Grund seiner Verurteilung in Österreich und des dieser Verurteilung zugrundeliegenden Verhaltens. Ihm droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation keine Verfolgung wegen der Asylantragstellung oder wegen des langjährigen Aufenthaltes außerhalb der Russischen Föderation.

Es ist dem BF jedenfalls möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation, entweder in Tschetschenien selbst oder auch in anderen Landesteilen niederzulassen und anzumelden sowie durch eigene Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Viele russische Städte verfügen über eine große tschetschenische Diaspora und bieten die stärkeren Metropolen und Regionen Russlands bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch Chancen für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken. Der BF hat auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Zudem sind weiterhin Verwandte des BF (jedenfalls ein Onkel mütterlicherseits samt Familie sowie zwei Tanten väterlicherseits) im Heimatland bzw. Tschetschenien aufhältig und kann der BF den Kontakt zu diesen Personen (notfalls über seine in Österreich lebende Familie) wiederherstellen.

Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien:

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 3.12.2019 in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 12. Meinungs- und Pressefreiheit, Internet).

Ab sofort können in Russland auch Einzelpersonen, die für Medien arbeiten, als „ausländische Agenten“ eingestuft werden (Standard Online 3.12.2019). Präsident Putin erließ am 2.12.2019 einen entsprechenden Zusatzartikel zu dem Gesetz, mit dem ausländische Medien als Agenten eingestuft werden können. Der Zusatzartikel gilt für diejenigen Personen, deren Medium zuvor von den Behörden auf eine entsprechende Liste gesetzt wurden (Zeit Online 3.12.2019). Davon betroffen sein könnten beispielsweise Mitarbeiter des staatlichen US-Radiosenders Voice of America und Radio Free Europe, die bereits vom Justizministerium als "ausländische Agenten" erfasst worden sind (Zeit Online 3.12.2019, vgl. Dekoder 26.11.2019). Menschenrechtsorganisationen äußerten sich besorgt und bezeichneten das Gesetz als "weiteren Schritt zur Einschränkung freier und unabhängiger Medien" in Russland.

Quellen: - Dekoder (26.11.2019): Ausländische Agenten – Krieg in den Köpfen, https://www.dekoder.org/de/article/auslaendische-agenten-freund-feind, Originalartikel: ????????? (21.11.2019): «??????????? ??????» ??? ??????????? ???????? ????? (Wedomosti: „Ausländische Agenten“ zur Aufrechterhaltung des Belagerungssyndroms), https://www.vedomosti.ru/opinion/columns/2019/11/21/816910-inostrannie-agenti, Zugriff 3.12.2019 - Standard Online (3.12.2019): Putin billigt Gesetz zu Journalisten als "ausländische Agenten“, https://www.derstandard.at/story/2000111799282/putin-billigt-gesetz-zu-journalisten-alsauslaendische-agenten, Zugriff 3.12.2019 - Zeit Online (3.12.2019): Putin lässt Journalisten als "ausländische Agenten" einstufen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-12/russland-wladimir-putin-mediengesetz-journalistenueberwachung, Zugriff 3.12.20

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel. Wichtige Parteien sind: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die

Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern , die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 5.2019a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 14.2.2019b). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die Nicht-Systemopposition unterstützt zwar die parlamentarische Demokratie als Organisationsform der Politik, nimmt aber nicht an Wahlen teil, da ihnen die Teilnahme wegen der restriktiven Regeln oder vermeintlicher Formalfehler versagt wird (Dekoder 24.5.2016).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 8.2019a).

Bei den Regionalwahlen am 8.9.2019 in Russland hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu Protesten geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten alles wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall. Umfragen hatten der Partei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation – Außen- und Europapolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederationnode/russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019 - CIA – Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 6.8.2019 - EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 5.9.2019 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019 - Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-beiKundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019 - ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-201955603/, Zugriff 30.9.2019 - OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 6.8.2019 - Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019 - Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

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- Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019 - Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2019 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 24.1.2019), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert , teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2018). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen zu sein (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.2.2019, vgl. AA 13.2.2019).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019 - FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 6.8.2019 - GKS – Staatliches Statistikamt (24.1.2019): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2019, https://www.ppn2018.ru/novosti/naselenie-rossii-sokratilos-vpervye-za-10-let.html, Zugriff 6.8.2019 - ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019 - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 6.8.2019 - SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 6.8.2019

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019 - BmeiA (3.9.2019): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reiseaufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 3.9.2019 - Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018 - EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (3.9.2019): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 3.9.2019 - GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 3.9.2019 - SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin

zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine ‚Provinz Kaukasus‘, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sog. IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des AntiTerrorismuskomitees dem sog. IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2018). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In den vergangenen Jahren hat sich die Hauptkonfliktzone von Tschetschenien in die Nachbarrepublik Dagestan verlagert, die nunmehr als gewaltreichste Republik im Nordkaukasus gilt, mit der vergleichsweise höchsten Anzahl an extremistischen Kämpfern. Die Art des Aufstands hat sich jedoch geändert: aus großen kampferprobten Gruppierungen wurden kleinere, im Verborgenen agierende Gruppen (ÖB Moskau 12.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der

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muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2018).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan im vergangenen Jahr die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz. Im gesamten Nordkaukasus sind von Jänner bis Juni 2019 mindestens 31 Menschen dem Konflikt zum Opfer gefallen. Das ist fast die Hälfte gegenüber dem ersten Halbjahr 2018, als es mindestens 63 Opfer waren. In der ersten Jahreshälfte 2019 umfasste die Zahl der Konfliktopfer 23 Tote und acht Verletzte. Zu den Opfern gehören 22 mutmaßliche Aufständische und eine Exekutivkraft. Verwundet wurden sieben Exekutivkräfte und ein Zivilist. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 lag Kabardino-Balkarien mit der Zahl der erfassten Opfer, neun Tote und ein Verletzter, an der Spitze. Als nächstes folgt Dagestan mit mindestens neun Toten, danach Tschetschenien mit zwei getöteten Personen und vier Verletzten. In Inguschetien wurde eine Person getötet und drei verletzt; im Gebiet Stawropol wurden zwei Personen getötet. Dagestan ist führend in der Anzahl der bewaffneten Vorfälle - mindestens vier bewaffnete Zusammenstöße fanden in dieser Republik in den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 statt. Im gleichen Zeitraum wurden in KabardinoBalkarien drei bewaffnete Vorfälle registriert, zwei in Tschetschenien, einer in Inguschetien und im Gebiet Stawropol. Seit Anfang dieses Jahres gab es in Karatschai-Tscherkessien und in Nordossetien keine Konfliktopfer und bewaffneten Zwischenfälle mehr (Caucasian Knot 30.8.2019).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 3.9.2019 - Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019 - DW – Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt", https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 3.9.2019 - ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019 - SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019 - SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3%. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 wurden in Tschetschenien zwei Personen getötet und vier verletzt (Caucasian Knot 30.8.2019). Seit Jahren ist im Nordkaukasus nicht mehr Tschetschenien Hauptkonfliktzone, sondern Dagestan (ÖB Moskau 12.2018).

Quellen:

- Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 3.9.2019 - ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 3.9.2019 - SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 3.9.2019 - SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swpberlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2018). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.2.2019).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2018). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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