Entscheidungsdatum
10.08.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W232 2233823-1/3Z
Teilerkenntnis:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2020, Zl. 1115886700-191273546, zu Recht:
A)
Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 12.12.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 10.01.2020 wurde das Verfahren zugelassen und fand am 24.06.2020 seine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Der Beschwerdeführer legte unter anderem einen Asylbescheid aus Polen vom 29.01.2019 vor.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.), hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) und dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Absatz 1 Ziffer 5 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).
4. Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde in vollem Umfang erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
Gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG kann einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19) stammt,
2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,
3. der Asylwerber das Bundesamt über seine wahre Identität, seine Staatsangehörigkeit oder die Echtheit seiner Dokumente trotz Belehrung über die Folgen zu täuschen versucht hat,
4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.
Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.
Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.
Der Gesetzgeber novellierte § 18 BFA-VG zuletzt mit BGBl. I Nr. 145/2017 entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die zum Regelungsregime der aufschiebenden Wirkung in Asylrechtssachen gemäß dieser Bestimmung (in der vorangehenden Fassung) erging: In seinem Erkenntnis vom 20.09.2017, Ra 2017/19/0284 mwN, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 18 Abs. 5 erster Satz BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung unter den dort genannten Voraussetzungen zuzuerkennen habe. Ein gesonderter Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sei in § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht vorgesehen. Im Rahmen des § 18 BFA-VG könne sich ein Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen den Ausspruch des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 BFA-VG wenden. § 18 Abs. 5 BFA-VG sei – als lex specialis zu § 13 Abs. 5 VwGVG – nur so zu lesen, dass das Bundesverwaltungsgericht über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG (bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheids des Bundesamts) gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde zu entscheiden habe. Neben diesem Rechtsschutz im Beschwerdeverfahren sei ein eigenes Provisorialverfahren betreffend eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 5 BFA-VG allerdings gesetzlich nicht vorgesehen und es könne dem Gesetzgeber auch nicht unterstellt werden, er habe im Hinblick auf die Frage der aufschiebenden Wirkung einen doppelgleisigen Rechtsschutz schaffen wollen. Ein (zusätzlicher) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 5 BFA-VG sei somit unzulässig. Eine Entscheidung über den die aufschiebende Wirkung aberkennenden Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids habe in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu erfolgen (vgl. auch VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014). Nunmehr hat der Gesetzgeber entsprechend festgelegt, dass die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 5 BFA-VG binnen einer Woche von Amts wegen zu erfolgen hat; die Verfahrensparteien können eine Entscheidung aber nach Ablauf dieser Frist mittels eines Fristsetzungsantrags herbeiführen (vgl. § 18 Abs. 5 letzter Satz BFA-VG).
Der Beschwerdeführer stellte in seiner Beschwerde unter anderem den Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Aus den Ausführungen und dem Aufbau des Beschwerdeschriftsatzes geht jedoch klar hervor, dass es sich dabei nicht bloß um einen gesonderten Antrag handelt, der nach der dargestellten Rechtsprechungslinie des Verwaltungsgerichtshofes zurückzuweisen wäre, sondern wendet sich der Beschwerdeführer vielmehr gegen die Spruchpunkte I. bis VII. des angefochtenen Bescheides. Damit bekämpft er auch den die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung verfügenden Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheids unter Hinweis auf eine ihm drohende Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 und Art. 8 EMRK im Falle seiner Rückführung in die Russische Föderation.
Die belangte Behörde stützte die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf den Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG. Gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, wenn das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht. An das Vorliegen der Offensichtlichkeit ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen (Filzwieder/Frank/Kloiblmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, §18, K3). Eine Offensichtlichkeit ist nur gegeben, wenn der Asylantrag eindeutig jeder Grundlage entbehrt, es somit „unmittelbar einsichtig“ ist und sich das Urteil quasi „aufdrängt“ (Filzwieder/Frank/Kloiblmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, §18, E 1; VwGH vom 06.05.2004, 2002/20/0361). Es ist daher zwingend zwischen „schlichter“ und „offensichtlicher“ Unglaubwürdigkeit zu unterschieden und ist hierauf in der Begründung des Bescheides Bezug zu nehmen (Filzwieder/Frank/Kloiblmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, §18, E2). Bereits eine umfassende Beweiswürdigung, die ihrerseits im Ergebnis zur (bloßen) fehlenden Glaubhaftigkeit eines behaupteten Sachverhalts gelangt, liegt außerhalb dieses Maßstabs (vgl. zB VwGH 21.08.2001, 2000/01/0214). Bei einer (wie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellten) abweichenden Schilderung (vgl. Bescheid S. 16) sowie ausweichende Antworten (vgl. Bescheid S. 19) handelt es sich allenfalls um eine „schlichte“ Unglaubwürdigkeit. Dass die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers bereits in Polen festgestellt wurde, erweist sich als aktenwidrig zumal dem Akt keine Übersetzung des polnischen Bescheides beiliegt. Betreffend die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Teilnahmen an Demonstrationen und in diesem Zusammenhang stehende Polizeianhaltungen ist auszuführen, dass der Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht entnommen werden kann, dass dieses Vorbringen offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechen würde – im Gegenteil, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterzieht das Vorbringen einer rechtlichen Beurteilung (vgl. Bescheid S. 18f.). Für eine Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG war daher kein Raum.
Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides ist dementsprechend mittels vorliegenden Teilerkenntnisses ersatzlos aufzuheben. Der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die übrigen Spruchpunkte kommt damit aufschiebende Wirkung zu.
Über diese wird das Bundesverwaltungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt - allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - entscheiden; insbesondere ist mit dem vorliegenden Teilerkenntnis keine Entscheidung über die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers getroffen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte zur Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Regelungsregime der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 BFA-VG wurde durch den Verwaltungsgerichtshof in seiner angeführten Judikatur erläutert.
Schlagworte
aufschiebende WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W232.2233823.1.00Im RIS seit
04.11.2020Zuletzt aktualisiert am
04.11.2020