Entscheidungsdatum
12.08.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
I412 1403066-4/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX und weitere Aliasgeburtsdaten, StA. ALGERIEN alias Tunesien alias Marokko alias Libyen, vertreten durch Diakonie Volkshilfe Flüchtlings- und Migrantinnenbetreuung pA. ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, RD NÖ Außenstelle St. Pölten vom 04.06.2020, Zl. XXXX , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 22.07.2020, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer reiste illegal und ohne gültige Dokumente bereits im Jahr 1992 ins Bundesgebiet ein. Bereits im Jahr 1994 wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Alle Versuche, Ersatzreisedokumente für den Beschwerdeführer zu erwirken, scheiterten an den Falschangaben über Identität und Herkunft des Beschwerdeführers. Er stellte dann 2001 zwei Anträge auf internationalen Schutz. Diese Verfahren wurden letztlich eingestellt.
In der Zeit bis zur weiteren Asylantragstellung am 12.01.2005 beging der Beschwerdeführer zahlreiche Diebstähle und Suchtmitteldelikte sowie Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt und wurde bis dahin sieben Mal von einem österreichischen Strafgericht verurteilt. Insgesamt wurden Freiheitsstrafen in der Dauer von sechseinhalb Jahren verhängt, alle bedingt verhängten Freiheitsstrafen, bedingten Entlassungen und bedingten Nachsichten widerrufen und Probenzeiten jeweils verlängert.
Der Antrag auf internationalen Schutz vom 12.01.2005 wurde rechtskräftig negativ entschieden, ein weiterer Antrag vom 05.11.2008 wegen entschiedener Sache rechtskräftig am 08.01.2009 zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, wurde dafür auch mehrmals wegen Verwaltungsübertretungen gemäß § 120 Abs 1 Z 2 FPG bzw. dem nunmehrigen § 120 Abs 1a FPG bestraft und verübte er weitere Straftaten. Seither wurde er jeweils vom Landesgericht für Strafsachen Wien wie folgt strafgerichtlich verurteilt:
-am 09.05.2006 wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren,
-am 10.11.2009 wegen mehrerer Suchtgiftdelinquenzen und Vorbereitung von Suchtgifthandel zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren,
-am 07.06.2014 wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Monaten und zuletzt
-am 19.12.2019 neuerlich wegen unerlaubten Umganges mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Monaten.
Es wurden wiederrum alle bedingten Nachsichten widerrufen. Die letzte Freiheitsstrafe wurde am 03.07.2020 vollzogen.
Mit Bescheid vom 02.04.2019 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.). Die Zulässigkeit der Abschiebung nach Algerien wurde festgestellt (spruchpunkt II.) und für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.). Von der Erlassung eines Einreiseverbotes wurde Abstand genommen. Nach Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde der Bescheid mit Beschluss vom 22.05.2019, GZ I412 1403066-3/2E, aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen. Das Bundesamt hat jegliche Ermittlung zum aktuellen Aufenthalt, dem Privat- und Familienleben und zum Herkunftsstaat unterlassen und den Beschwerdeführer trotz ladungsfähiger Adresse nicht einvernommen.
Zwischenzeitlich stellte der Beschwerdeführer am 24.05.2019 einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete. Er halte sich seit über 27 Jahren in Österreich auf und sei es der belangten Behörde bislang nicht gelungen, ein Ersatzreisedokument für den Beschwerdeführer zu erlangen. Er sei seiner Mitwirkungspflicht stets nachgekommen und sei daher eine Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen, unmöglich.
Am 20.05.2020 wurde der Beschwerdeführer in der Justizanstalt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er, algerischer Staatsangehöriger zu sein und die im Spruch erstgenannte Identität zu haben. Bislang sei er unter diversen Aliasnamen aufgetreten, gebe nunmehr aber seine wahren Daten an. Er habe keine Angehörigen in Österreich, auch kein Kind, aber viele Freunde und eine Freundin. Ein Bruder halte sich in Italien auf, eine Schwester in Algerien. Er lebe von Unterstützung durch die Freunde, habe aber auch als Maler in Österreich gearbeitet. Nach Algerien könne er mangels Anknüpfungspunkte nicht zurückkehren, einer Abschiebung werde er sich widersetzen.
Die belangte Behörde erteilte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 04.06.2020, Zl. XXXX , keinen Aufenthaltstitel aus Gründen des § 57 AsylG 2005 (Spruchunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Sein Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete wurde außerdem abgewiesen (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 4 FPG nicht gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Nach Einbringen einer Beschwerde erließ das Bundesamt eine Beschwerdevorentscheidung (22.07.2020) und wiederholte die genannten Spruchpunkte wortgleich. Die Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht wurde am 05.08.2020 beantragt.
Mit Bescheid vom 02.07.2020, Zl. XXXX , wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt und mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.07.2020, GZ W117 2233013-1/7E, die Beschwerde dagegen als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird der oben dargestellte Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt.
1.2. Zur Person des Beschwerdeführers sind folgende Feststellungen zu treffen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer trat unter zahlreichen Aliasidentitäten auf, derzeit wird er unter der im Spruch erstgenannten mit Staatsangehörigkeit Algerien geführt. Durch die zugestandene Verwendung unzähliger Aliasidentitäten hat der Beschwerdeführer die Verzögerung seiner Rückführung zu verantworten. Derzeit ist ein weiteres Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates laufend. Die Abschiebung ist nicht unmöglich.
Beim Beschwerdeführer bestand zumindest bis Anfang des Jahres 2019 eine Abhängigkeit von Sedativa/Hypnotika, er hat sich Suchtgifttherapien unterzogen und wurde von der Suchtgifthilfe Wien betreut. Es besteht keine lebensbedrohliche Erkrankung und ist der Beschwerdeführer auch derzeit nicht in ärztlicher oder therapeutischer Behandlung. Er ist soweit gesund, als dass er arbeitsfähig ist.
Der Beschwerdeführer reiste illegal im Jahr 1992 aus Algerien kommend nach Österreich ein und hält sich seither im Bundesgebiet auf, wobei er nicht durchgehend über eine Wohnadresse verfügte. Sei langjähriger Aufenthalt resultiert aus der Weigerung, seinen Ausreiseverpflichtungen nachzukommen (siehe die angeführten Asylverfahren, Aufenthaltsverbote und Rückkehrentscheidungen im Verfahrensgang) und den langjährigen Aufenthalten in Justizanstalten nach insgesamt 11 strafgerichtlichen Verurteilungen:
01) JGH WIEN XXXX vom 27.01.1994 RK 27.01.1994
PAR 12/1 U 2 SGG
PAR 15 StGB
PAR 14 A SGG
Freiheitsstrafe 1 Jahr
Vollzugsdatum 23.09.1997
zu JGH WIEN XXXX RK 27.01.1994
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 07.08.1994, bedingt, Probezeit 2 Jahre
LG WELS XXXX vom 07.07.1994
zu JGH WIEN XXXX RK 27.01.1994
Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre
LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 27.06.1995
zu JGH WIEN XXXX RK 27.01.1994
Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 23.09.1996
02) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 27.06.1995 RK 30.06.1995
PAR 127 129/1 15 269/1 StGB
Freiheitsstrafe 9 Monate
Vollzugsdatum 23.05.1997
zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 30.06.1995
Rest der Freiheitsstrafe nachgesehen, bedingt, Probezeit 3 Jahre, Beginn der Probezeit 14.12.1995
gemäß Entschließung des Bundespräsidenten vom 14.12.1995 Erlass des BMVRDJ Zahl 4723/100-IV 5/95
JUSTIZANSTALT WELS 264/95 vom 14.12.1995
zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 30.06.1995
Der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 23.09.1996
03) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 23.09.1996 RK 23.09.1996
PAR 14 A 16/1 SGG
Freiheitsstrafe 1 Jahr
Vollzugsdatum 26.04.1997
04) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 07.12.1999 RK 07.12.1999
PAR 83/1 127 StGB
Freiheitsstrafe 4 Monate
Vollzugsdatum 12.03.2000
05) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 13.12.1999 RK 16.12.1999
PAR 27/2 SMG
PAR 15 127 StGB
Freiheitsstrafe 5 Monate
Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS.WIEN XXXX
RK 07.12.1999
IN DER FASSUNG LG WIEN XXXX VOM 28.04.2000
Vollzugsdatum 28.05.2004
zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 16.12.1999
Unbedingter Teil der Strafe vollzogen am 12.08.2000
LG F.STRAFS.WIEN 4 B E VR 10030/99 vom 05.12.2000
zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 16.12.1999
Der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 18.04.2002
06) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 06.03.2000 RK 06.03.2000
PAR 127 129/1 StGB
Freiheitsstrafe 8 Monate
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS.WIEN XXXX
RK 07.12.1999
Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 16.12.1999
IN DER FASSUNG LG WIEN XXXX VOM 08.05.2000
Vollzugsdatum 29.03.2001
07) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 18.04.2002 RK 18.04.2002
PAR 15 127 129/1 StGB
Freiheitsstrafe 18 Monate
Vollzugsdatum 28.07.2003
08) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 03.05.2006 RK 09.05.2006
PAR 127 129/1 131 (1. SATZ) StGB
Freiheitsstrafe 3 Jahre
Vollzugsdatum 22.10.2012
zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 09.05.2006
Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 21.10.2008, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Anordnung der Bewährungshilfe
LG RIED IM INNKREIS XXXX vom 01.09.2008
zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 09.05.2006
Bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe wird widerrufen
LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 10.11.2009
09) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 10.11.2009 RK 10.11.2009
PAR 27 ABS 1/1 (1.2. FALL) 27/2 28/1 SMG
PAR 15/1 StGB
PAR 27 ABS 1/1 (8. FALL) 27/3 SMG
Datum der (letzten) Tat 22.07.2009
Freiheitsstrafe 3 Jahre
Vollzugsdatum 22.07.2012
10) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 03.06.2014 RK 07.06.2014
§§ 127, 130 1. Fall StGB § 15 StGB
Datum der (letzten) Tat 03.05.2014
Freiheitsstrafe 14 Monate
Vollzugsdatum 03.07.2015
11) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 19.12.2019 RK 19.12.2019
§ 27 (2a) SMG § 15 StGB
Datum der (letzten) Tat 03.11.2019
Freiheitsstrafe 8 Monate
Vollzugsdatum 03.07.2020
In Algerien lebt eine Schwester des Beschwerdeführers, ein Bruder hält sich in Italien auf. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.
Der Beschwerdeführer besuchte in Algerien eine Grundschule und verließ den Herkunftsstaat noch vor Beginn der Berufstätigkeit. In Österreich arbeitete er laut eigenen Angaben als Maler und bei Leihfirmen und auch in der Haftanstalt in der Wäscherei, einer der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Tätigkeit ging er nie nach. Seinen Lebensunterhalt bestritt er aus Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, Versorgung in Haftanstalten oder durch Unterstützung von Bekannten. Die Mittel für seinen Unterhalt kann er nicht nachweisen.
Aufgrund seiner Arbeitserfahrung hat er eine Chance auch hinkünftig am Arbeitsmarkt unterzukommen.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:
Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 22.07.2020 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ mit Stand 14.06.2019 zu Algerien vollständig zitiert. Die letzte Kurzinformation wurde am 26.06.2020 eingefügt und ergeben sich daraus keine entscheidungswesentlichen Änderungen gegenüber der Vorgängerversion mit Kurzinformation vom 18.03.2020. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine weitere Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich den aktuellen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.
Fallbezogen werden nachstehende Punkte samt Quellenangaben aus dem Länderinformationsblatt hervorgehoben:
Politische Lage:
Letzte Änderung am 26.6.2020
Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 20.6.2019). Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region (KAS 27.2.2019). Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 20.6.2019). Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret (BS 29.4.2020). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 20.6.2019).
Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die algerischen Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstrierenden den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas, bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. RLS 7.4.2020, HRW 14.1.2020, AA 17.4.2019, BAMF 18.2.2019). Die Proteste ungemindert weiter (RLS 7.4.2020 vgl. Standard 18.2.2020, Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019) und verliefen meist friedlich (IPB 12.6.2020; vgl. BAMF 25.2.2019 Standard 13.12.2019, DF 9.12.2019), dennoch setzte die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen (BAMF 25.2.2019; vgl. TB 22.2.2019, AI 18.2.2020). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die Hirak-Märsche ab Ende März 2020 ausgesetzt, der Aktivismus wurde ins Internet verlagert (IPB 12.6.2020; vgl. ARI 7.4.2020, RLS 7.4.2020).
Während die Staatsführung mit behutsamen Konzessionen und vom Hirak misstrauisch beäugten Reformversprechen versuchte, die Bewegung auszubremsen, geht der Sicherheitsapparat weiter mit Repressalien gegen Demonstranten und Oppositionelle vor (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020, IPB 12.6.2020). Fast 1.400 Hirak-Aktivisten müssen sich mittlerweile vor Gericht verantworten, mehrere hundert sitzen schon hinter Gittern (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020). Der konsequent friedlich agierende Hirak war führungslos und nur partiell strukturiert. Das Regime verfolgte die Strategie des Aussitzens (Standard 18.2.2020). Versuche der Regierung, Teile der Bewegung zu kooptieren oder untereinander aufzuspalten (IPB 12.6.2020), oder die friedlichen Proteste in offene Gewalt umschlagen zu lassen, waren nicht erfolgreich (Standard 13.12.2019).
Eine neue Präsidentschaftswahl wurde für den 4.7.2019 angesetzt und wegen der Proteste verschoben (HRW 14.1.2020; vgl. FAZ 12.12.2019). Schließlich wurde am 12.12.2019 Abdelmadjid Tebboune mit 58,15% der Stimmen zum neuen Präsidenten der Republik gewählt (TSA 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, Spiegel 13.12.2019, BBC 13.12.2019). Von den fünf zugelassenen Kandidaten waren drei in früheren Regierungen unter dem ehemaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika vertreten (Spiegel 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, ARTE 14.12.2019). Auch der Wahlsieger Tebboune war unter Bouteflika mehrfach Minister und im Jahr 2017 drei Monate lang Ministerpräsident (DF 14.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019).
Etwa 24 Millionen Menschen waren wahlberechtigt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019). Viele Menschen boykottierten den Urnengang, weil die zugelassenen Kandidaten in ihren Augen Marionetten des alten Bouteflika-Regimes waren (ARTE 14.12.2019; vgl. Guardian 13.12.2019). Mehrere Oppositionsparteien wollten einen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellen - konnten sich allerdings nicht einigen (TB 22.2.2019; vgl. TS 26.3.2019). Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 40 Prozent (TSA 13.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019, ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung, die je bei einer Präsidentschaftswahl in Algerien verzeichnet wurde (Guardian 13.12.2019). Die Wahlbehörde zeigte sich mit dem Verlauf des Wahltages zunächst zufrieden; in 95 Prozent der Wahllokale sei der Betrieb reibungslos angelaufen (FAZ 12.12.2019). Es waren keine ausländischen Wahlbeobachtermissionen zugelassen (Reuters 12.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).
Der Wahltag selbst wurde durch Proteste und Aufrufe zum Boykott der Wahlen beeinträchtigt (BBC 13.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Lokale Medien berichteten von zahlreichen Zwischenfällen. In der Hauptstadt Algier waren Tausende Menschen auf den Straßen, um gegen die Wahl zu protestieren (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019). Zentrum des Widerstandes gegen die Abstimmung war die Berberregion Kabylei im Osten des Landes (Standard 13.12.2019), wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Wahllokale wurden mit Backsteinen und Zement verschlossen, Wahlunterlagen in Brand gesetzt. Laut Medienberichten griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Die Polizei setzte Tränengas ein. Vertreter der sogenannten Hirak-Protestbewegung beklagten Hunderte verhaftete und verletzte Menschen (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019; BBC 13.12.2019).
In Tizi Ouzou und Bejaia sind die Wahlbüros aus Sicherheitsgründen geschlossen worden (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019, TSA 13.12.2019). Der Wahlvorgang wurde auch in Boumerdès, Bouira, Bordj Bou Arreridj, Sétif und Jijel unterbrochen (TSA 13.12.2019). In Bouira hatten Demonstranten das Büro der Wahlkommission in Brand gesetzt (Spiegel 13.12.2019). In Béjaïa wurde ein Wahllokal überfallen und die Urnen zerstört (Reuters 12.12.2019; vgl. Standard 13.12.2019). Die Staatsführung um Armeechef Gaïd Salah sah die Wahlen als Mittel, die politische Krise zu beenden und die Legitimität der politischen Führung zu erneuern (Standard 12.12.2019; vgl. Reuters 12.12.2019, Guardian 13.12.2019).
Viele Demonstranten kündigten an, die offiziellen Ergebnisse nicht anzuerkennen (Reuters 12.12.2019). Der Wahlsieg von Tebboune löste erneut Massenproteste aus (ARTE 14.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019). Der neue Präsident ist bei den vielen Demonstranten genauso verhasst wie seine vier Kontrahenten bei der Präsidentschaftswahl. Die Protestbewegung will weitermachen, bis das Regime aus Vertrauten des ehemaligen Machthabers Bouteflika tatsächlich fällt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (20.6.2019): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 17.6.2020
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020
- ARI - Arab Reform Initiative (7.4.2020): The Future of the Algerian Hirak Following the COVID-19 Pandemic, https://www.arab-reform.net/publication/the-future-of-the-algerian-hirak-following-the-covid-19-pandemic/, Zugriff 27.4.2020
- ARTE - Association Relative à la Télévision Européenne (14.12.2019): Algerien: Massenproteste gegen neuen Präsidenten, https://www.arte.tv/de/videos/094394-000-A/algerien-massenproteste-gegen-neuen-praesidenten/, Zugriff 16.12.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (18.2.2019): Briefing Notes 18 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003659/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_18.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (25.2.2019): Briefing Notes 25 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003661/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_25.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019
- BBC - British Broadcasting Corporation (13.12.2019): Algeria election: Fresh protests as Tebboune replaces Bouteflika, https://www.bbc.com/news/world-africa-50782676, Zugriff 16.12.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- DF - Deutschlandfunk (14.12.2019): Demonstranten halten die Wahlen für manipuliert, https://www.deutschlandfunk.de/protestfreitag-in-algerien-demonstranten-halten-die-wahlen.799.de.html?dram:article_id=465858, Zugriff 16.12.2019
- DF -Deutschlandfunk Kultur (9.12.2019): Das algerische Volk verdient den Friedensnobelpreis, https://www.deutschlandfunkkultur.de/gewaltfreie-massenproteste-das-algerische-volk-verdient-den.1005.de.html?dram:article_id=465199, Zugriff 16.12.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine (12.12.2019): Massenproteste und Sturm auf Wahlbüros, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wahl-in-algerien-massenproteste-und-sturm-auf-wahlbueros-16532460.html, Zugriff 16.12.2019
- Guardian, the (13.12.2019): Thousands march in Algeria after controversial election result, https://www.theguardian.com/world/2019/dec/13/algeria-braced-for-protests-as-former-pm-wins-presidential-election, Zugriff 16.12.2019
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- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020
- IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020
- KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (27.2.2019): Algerien vor der Präsidentschaftswahl, https://www.kas.de/laenderberichte/detail/-/content/algerien-vor-der-praesidentschaftswahl, Zugriff 28.5.2019
- Reuters (12.12.2019): Election présidentielle sur fond de boycott en Algérie, https://fr.reuters.com/article/topNews/idFRKBN1YG0J0, Zugriff 16.12.2019
- RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politischer-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9, Zugriff 17.6.2020
- Spiegel Online, der (13.12.2019): Algerien wählt früheren Regierungschef Tebboune zum Präsidenten, https://www.spiegel.de/politik/ausland/algerien-waehlt-frueheren-regierungschef-zum-praesidenten-abdelmadjid-tebboune-a-1301180.html, Zugriff 16.12.2019
- Standard, der (12.12.2019): Umstrittene Präsidentenwahl in Algerien, https://www.derstandard.at/story/2000112165637/umstrittener-urnengang-in-algerien?ref=article, Zugriff 16.12.2019
- Standard, der (13.12.2019): Algerische Proteste gegen eine Wahl als Farce, https://www.derstandard.at/story/2000112265488/algerische-proteste-gegen-eine-wahl-als-farce, Zugriff 16.12.2019
- Standard, der (18.2.2020): Zuckerbrot und Peitsche für Algeriens Protestbewegung, https://www.derstandard.at/story/2000114681764/zuckerbrot-und-peitsche-fuer-algeriens-protestbewegung, Zugriff 26.2.2020
- TB - Tagesblatt (22.2.2019): Tausende protestieren in Algerien: Polizei löst Demonstration auf, https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/tausende-protestieren-in-algerien-polizei-lost-demonstration-auf-ld.1096496, Zugriff 28.2.2019
- TS - Tagesschau.de (26.3.2019): Protest gegen Bouteflikas fünfte Kandidatur, https://www.tagesschau.de/ausland/algerien-proteste-101.html, Zugriff 28.5.2019
- TSA - Tout sur l’Algérie (13.12.2019): Abdelmadjid Tebboune élu président de la République, https://www.tsa-algerie.com/abdelmadjid-tebboune-elu-president-de-la-republique/, Zugriff 16.12.2019,
- ZO - Zeit Online (11.4.2019): Algerien: Präsidentschaftswahl soll im Juli stattfinden, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/algerien-wahl-praesident-abdelaziz-bouteflika-proteste, Zugriff 28.5.2019
Sicherheitslage:
Letzte Änderung am 26.6.2020
Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 5.5.2020; vgl. Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019, IPB 12.6.2020). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2019; vgl. BS 29.4.2020). Es gibt nach wie vor bewaffnete Splittergruppen, und es herrscht nach wie vor eine Sicherheitswarnung, insbesondere für die Süd- und Ostgrenze, für den Süden und die Berberregionen des Landes. Seit 2014 hat es keine Entführungen mehr gegeben (BS 29.4.2020; vgl. BMEIA 8.5.2020, AA 5.5.2020), In den vergangenen zwei Jahren gab es keine größeren terroristischen Vorfälle (BS 29.4.2020).
Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des „Islamischen Staates“ (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2019).
Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).
Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali. Es kommt mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 11.2019).
Nach Angaben der offiziellen Armeepublikation „El Djeich“ (andere Quellen sind nicht öffentlich zugänglich) wurden 2018 32 Terroristen getötet, 25 festgenommen, 132 ergaben sich, weiters wurden 170 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2019; vgl. ÖB 12.2019). Dieselbe Quelle gibt für das Jahr 2019 an, dass 15 Terroristen getötet und 25 festgenommen wurden, 44 ergaben sich; weiters wurden 245 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2020). Wie in den Vorjahren kam es auch 2019 zu bewaffneten Vorfällen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen, bei denen inoffiziellen Angaben zufolge auch aufseiten der Armee Tote verzeichnet wurden, was jedoch nicht öffentlich gemacht wird (ÖB 11.2019).
Spezifische regionale Risiken
Von Terroranschlägen und Entführungen besonders betroffen ist die algerische Sahararegion, aber auch der Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). Die Gefahr durch den Terrorismus, der sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte richtet, besteht fort (AA 5.5.2020). 2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret (ÖB 11.2019).
Vor Reisen in die Grenzgebiete zu Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Marokko sowie in die sonstigen Saharagebiete, in ländliche Gebiete, Bergregionen (insbesondere Kabylei) und Gebirgsausläufer (Nord-Westen von Algier und Wilaya de Batna) wird gewarnt (BMEIA 8.5.2020; vgl. AA 5.5.2020, FD 20.5.2020). Ausgenommen davon sind nur die Städte Algier, Annaba, Constantine, Tlemcen und Oran (BMEIA 8.5.2020). Im Rest des Landes besteht weiterhin hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 8.5.2020). Praktisch nicht mehr existent sind die früher häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei von wohlhabenden Einheimischen mit kriminellem Hintergrund (Lösegeldforderung). In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Es wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 11.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.5.2020): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/algeriensicherheit/219044, Zugriff 17.6.2020
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.5.2020): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 17.6.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- FD - France Diplomatie (20.5.2020): Conseils aux Voyageurs - Algérie - Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/algerie/, Zugriff 17.6.2020
- Guardian, the (13.12.2019): Thousands march in Algeria after controversial election result, https://www.theguardian.com/world/2019/dec/13/algeria-braced-for-protests-as-former-pm-wins-presidential-election, Zugriff 16.12.2019
- IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020
- MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2019): Bilan opérationnel 2018 - Résultats probants dans la lutte antiterroriste, in: El Djeich N°666 (Janvier 2019) S 19-20, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2019Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020
- MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2020): Lutte contre le terrorisme et le crime organisé - Bilan opérationnel 2019, in: El Djeich N°678 (Janvier 2020) S 75, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2020Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien
- Standard, der (12.12.2019): Umstrittene Präsidentenwahl in Algerien, https://www.derstandard.at/story/2000112165637/umstrittener-urnengang-in-algerien?ref=article, Zugriff 16.12.2019
Grundversorgung:
Letzte Änderung am 26.6.2020
Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund des sinkenden Öl- und Gaspreises drastisch zurückgegangen (RLS 17.12.2019; vgl. BS 29.4.2020).
Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2019).
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 25.6.2019).
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12 bis 17%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30 bis 50% (WKO 10.2019 [jeweils niedrigerer Wert], RLS 17.12.2019 [jeweils höherer Wert]). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2019).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden an vulnerable Familien in isolierten und vom Lockdown besonders betroffenen Gebieten Lebensmittel und Hygieneprodukte verteilt (Gentilini et al 12.6.2020: 29f).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- Gentilini, Ugo; Mohamed Almenfi, Pamela Dale, Ana Veronica Lopez, Ingrid Veronica Mujica, Rodrigo Quintana, Usama Zafar (12.6.2020): Social Protection and Jobs Responses to COVID-19: A Real-Time Review of Country Measures - “Living paper” version 11 (June 12, 2020), http://documents.worldbank.org/curated/en/590531592231143435/pdf/Social-Protection-and-Jobs-Responses-to-COVID-19-A-Real-Time-Review-of-Country-Measures-June-12-2020.pdf, Zugriff 17.6.2020
- IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (17.12.2019): Algerien: Wahlen gegen Legitimität, https://www.rosalux.de/news/id/41412/algerien-wahlen-gegen-legitimitaet, Zugriff 17.6.2020
- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (10.2019): Länderprofil Algerien, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-algerien.pdf, Zugriff 18.3.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung am 26.6.2020
Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019, BS 29.4.2020) Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 25.6.2019).
Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2019).
Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier, entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten (ÖB 11.2019).
Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich (ÖB 11.2019).
In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 25.6.2019).
Die COVID-19-Pandemie traf Algerien hart, das öffentliche Gesundheitswesen im Land war nicht annähernd auf eine Krise solchen Ausmaßes vorbereitet (RLS 7.4.2020; vgl. GTAI 15.5.2020). Es gab Berichte von überfüllten Krankenhäusern in Algier und in Blida (GTAI 15.5.2020) und es gab einen Mangel an Ausrüstung und Medikamenten. Im März 2020 wurde Lokalbehörden untersagt, statistische Angaben zu COVID-19-Entwicklungen zu machen und die Öffentlichkeitsarbeit wurde bei den Ministerien in Algier gebündelt (RLS 7.4.2020). Die Regierung hat eilig Maßnahmen gesetzt, um mehr Intensivbetten anzubieten. Präsident Tebboune kündigte Anfang April 2020 an, nach der Pandemie den Gesundheitssektor umzustrukturieren. Mitte Mai war die Zahl der Erkrankten für die Krankenhäuser bewältigbar (GTAI 15.5.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020
- GTAI - German Trade & Invest (15.5.2020): Covid-19: Gesundheitswesen in Algerien, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/algerien/covid-19-gesundheitswesen-in-algerien-237622, Zugriff 17.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politischer-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9, Zugriff 17.6.2020
Rückkehr
Letzte Änderung am 26.6.2020
Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)
Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).
Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden am 17.3.2020 alle Luft-, See- und Landgrenzübergänge geschlossen. Über eine mögliche Aufhebung der Sperren soll im Juli 2020 entschieden werden (National 14.6.2020; vgl. USEMB 16.6.2020, IATA 17.4.2020/17.6.2020, Garda 13.6.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- Garda World (13.6.2020): Algeria: Authorities to further ease COVID-19 restrictions June 14 /update 19, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/350511/algeria-authorities-to-further-ease-covid-19-restrictions-june-14-update-19, Zugriff 17.6.2020
- IATA - International Air Transport Association (17.4.2020 / 17.6.2020): Interactive Coronavirus (Covid-19) Travel Regulations Map (powered by Timatic), https://www.iatatravelcentre.com/international-travel-document-news/1580226297.htm, Zugriff 17.6.2020
- National, the (13.6.2020): Algeria eases lockdown but borders remain closed, https://www.thenational.ae/world/mena/algeria-eases-lockdown-but-borders-remain-closed-1.1033231, Zugriff 17.6.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- USEMB - U.S. Embassy in Algeria (16.6.2020): COVID-19 Information, https://dz.usembassy.gov/covid-19-information/, Zugriff 17.6.2020
Eine nach Algerien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien. Dem erkennenden Gericht stehen auch die Gerichtsakten zu den bisherigen Asyl-, Rückkehrentscheidungs- und Schubhaftverfahren zu GZen. A4 403066-1/2008 (AsylGH), I412 1403066-3 und W117 2233013-1 zur Verfügung.
Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.
Die belangte Behörde hat nach Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2019 nunmehr ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid. Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen und Verwandten in Algerien und in Österreich, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubenszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (Protokoll vom 20.05.2020). Insbesondere gab er nunmehr an, die im Spruch genannte Identität zu haben und algerischer Staatsangehöriger zu sein. In der selben Einvernahme räumte er auch ein, unter zahlreichen Aliasidentitäten aufgetreten zu sein und konnte daraus festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die Erlangung eines Ersatzreisedokumentes vereitelt hat, indem er über Jahre wissentlich über seine Identität täuschte. Das aktuell laufende Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ist im Zentralen Fremdenregister ersichtlich. Dass er algerischer Staatsangehöriger ist, wurde zuletzt weder im Schubhaftverfahren, noch im gegenständlichen Beschwerdeverfahren bestritten.
Dass er soweit gesund und arbeitsfähig ist, gab er selbst zu Protokoll und wurden diese Feststellungen auch im Schubhaftverfahren getroffen. Dass eine Abhängigkeit von Suchtgiften zumindest bestand, ergibt sich aus einem Rezept und einer Ambulanzkarte (AS 113ff). Die Feststellungen zu Drogentherapien und Betreuung durch eine Suchteinrichtung ergibt sich aus dem Sozialbericht der Suchtgifthilfe vom 17.05.2019 (AS 177ff). Eine aktuelle Abhängigkeit oder einen Therapiebedarf wies er nicht nach und verneinte er diesen auch in der niederschriftlichen Einvernahme am 20.05.2020. Weil der Beschwerdeführer angab, zuletzt auch in der Haftanstalt gearbeitet zu haben und auch früher als Maler und bei Leiharbeiterfirmen tätig gewesen zu sein, konnte auf seine Arbeitsfähigkeit trotz Suchtmittelabhängigkeit geschlossen werden. Dass es sich dabei nie um angemeldete Tätigkeiten handelte, ergibt sich aus einer Abfrage des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger (AS 299ff).
Der Beschwerdeführer gab selbst an, bislang seinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen und Unterstützung von Freunden bestritten zu haben und ergibt sich der Bezug von staatlicher Leistung aus einer Abfrage des Betreuungsinformationssystems. Da er keiner der Sozialversicherungspflicht unterliegenden Erwerbstätigkeit nachgeht und nachging und auch sonst kein regelmäßiges Einkommen angeben konnte, war die Feststellung der Mittellosigkeit zu treffen.
Der Beschwerdeführer konnte sich auch sprachlich, kulturell oder in sonstiger Hinsicht in Österreich integrieren. Er war trotz seines über 27 Jahre andauernden Aufenthalts in Österreich in seiner Einvernahme am 20.05.2020 auf die Hilfe eines Dolmetschers angewiesen und konnte er keinerlei Erwerb von Deutschkenntnissen nachweisen. Außer „viele Freunde, die wie eine Familie für ihn sind“, konnte er auch keine soziale Integration ins Treffen führen und darf ihm bei einer derart langen Aufenthaltsdauer die Bekanntschaft zu einigen Leuten, die er nicht namentlich angab, durchaus zugestanden werden. Familiäre Bindungen verneinte er vor der belangten Behörde. So blieb es bei der bloßen Behauptung der Existenz eines Kindes samt Besuchsrecht in der Schubhaftbeschwerde und wurden in der Beschwerde im gegenständlichen Verfahren, in dem er von der selben Rechtsberatungsorganisation vertreten ist, Angehörige gänzlich negiert. Die vom Beschwerdeführer genannte Freundin konnte unter dem genannten Namen an der gemeinsamen Wohnadresse ermittelt werden, allerdings beschränkt sich ihre Wohnsitzmeldung dort auf sechs Monate. Weitere gemeinsame Wohnsitze bestanden nicht und erstattete der Beschwerdeführer keine weiteren Ausführungen zur Genannten, sodass von einer vorübergehenden Wohngemeinschaft ausgegangen wird, nicht aber von einer Lebensgemeinschaft.
Aus einer Abfrage des Zentralen Melderegisters sind die Wohnsitzmeldungen des Beschwerdeführers ersichtlich und ergibt sich in Zusammenschau mit dem Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich, dass der Beschwerdeführer seit 1994 insgesamt zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Jahren und 4 Monaten verurteilt wurde und er sich entsprechend lange in Haftanstalten aufgehalten hat. Zusammengefasst ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mehr als die Hälfte seiner Aufenthaltsdauer zu Freiheitsstrafen verurteilt war. In der verbleibenden Zeit außerhalb von Haftanstalten kam er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach und ergeben sich diese und die zugehörigen verwaltungsbehördlichen bzw. gerichtlichen Aufenthaltsverbote und Rückkehrentscheidungen aus dem unbestrittenen Inhalt des umfangreichen Verwaltungsaktes und dem Zentralen Fremdenregister.
2.3. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Algerien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen.
Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung ergeben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides)
Rechtslage
Gemäß § 58 Abs 1 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß