Entscheidungsdatum
14.08.2020Norm
BFA-VG §9Spruch
I414 2232758-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. SERBIEN, vertreten durch RA Mag. Werner TOMANEK gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 29.05.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2020, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der 22-jährige Beschwerdeführer (in der Folge als BF bezeichnet), ist serbischer Staatsbürger. Der BF ist in Österreich geboren und aufgewachsen, er hat in Wien die Volksschule, anschließend die Hauptschule, sowie die Polytechnische Schule absolviert. Der BF lebt mit seiner Lebensgefährtin, eine österreichische Staatsangehörige, und seinen vier leiblichen Kindern im Alter von 1 bis 6 Jahren in einem gemeinsamen Haushalt. Die Eltern sowie die Verwandten des BF leben in Österreich, er verfügt in Serbien über kein soziales Netzwerk. Der BF verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“. Derzeit ist der BF als Grünanlagenbetreuer beschäftigt und befindet sich derzeit in der Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests.
Mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 26.03.2019, Zl. XXXX , wurde der BF mit weiteren Mittätern wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 12., erster, zweiter und dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, erster Fall und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB, des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 erster Fall, StGB und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 (vierundzwanzig) Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt.
Mit Schreiben des BFA vom 07.05.2019 wurde dem BF eine Ermahnung zur Kenntnis gebracht, worin er Informiert wurde, dass bei einer neuerlichen Verurteilung ein Verfahren hinsichtlich einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbotes eingeleitet werde.
Binnen offener Probezeit wurde der BF mit Urteil des Landesgerichtes Wien vom 16.01.2020, Zl. XXXX , wegen das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 (achtzehn) Monaten verurteilt.
In der Folge stellte der BF einen Antrag auf elektronisch überwachten Hausarrest. Der Antrag wurde seitens der Anstaltsleitung für positiv befunden. Der BF befindet sich derzeit im überwachten Hausarrest.
Der BF wurde im Rahmen, eines ihm am 25.04.2020 zugestellten Schreibens des BFA, über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot in Kenntnis gesetzt. Zugleich wurde er aufgefordert, unter Darlegung seiner persönlichen und finanziellen Verhältnisse Stellung zu beziehen.
Mit Stellungnahme vom 15.05.2020 teilte der BF durch seinen gewillkürten Vertreter zusammengefasst mit, dass der BF in Österreich geboren sei und seit seiner Geburt in Österreich lebe. Der BF habe in Österreich die Pflichtschule absolviert. Er lebe mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen Kindern in einem gemeinsamen Haushalt. Es treffe zu, dass der BF zwei Mal rechtskräftig verurteilt wurde, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht haben. Er hat sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen jeweils von Beginn an umfassend geständig verantwortet und in vorbildlicher Weise mit den Ermittlungsbehörden kooperiert.
Die Verfehlungen bereue er aufrichtig. Die umfassende geständige Verantwortung des BF in beiden Strafverfahren lassen keine Zweifel an dessen reumütiger Gesinnung bestehen. Er habe das Unrecht seiner Taten eingesehen, und es reiche das Übel der Verurteilungen aus, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Der BF versichere, fortan einen einwandfreien und respektablen Lebenswandel zu führen, die Normen für das zwischenmenschliche Zusammenleben zu achten und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darzustellen.
Die Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot sei im Lichte der persönlichen Verhältnisse des BF nicht verhältnismäßig, sowie in Hinblick auf das Gebot der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK.
Mit gegenständlich bekämpften Bescheid des BFA vom 29.05.2020, wurde gemäß § 52 Abs 5 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs 9 PFG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig ist (Spruchpunkt II.), gemäß § 55 eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG gegen den BF ein auf 5 Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.).
Dagegen richtet sich die erhobene Beschwerde. Dabei wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet keine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft darstelle, zumal die verhängte Strafe ausreiche, um den BF von der Begehung künftiger Straftaten abzuhalten. Der BF sei bei seinen Verurteilungen in Ansehung der höchstmöglichen Strafdrohung verhältnismäßig milde bestraft worden. Darin ist zum einen eine Wertung des Gerichtes hinsichtlich der von der Person des BF ausgehenden Gefahr als eben eine geringe zu erblicken, und zum anderen eben auch die Ansicht des Gerichtes, dass diese Strafe bzw spezialpräventive Wirkung ausreichen würde, um künftige Delinquenz durch den BF vorzubeugen. Die behauptete Gefahr sei sohin weder erheblich, noch sei sie gegenwärtig.
Der BF lebe mit seiner Lebensgefährtin und zeugte mit dieser vier Kinder. Das jüngste Kind sei gerade 3 Monate alt. Gerade in den ersten Lebensjahren sei die Betreuung durch beide Elternteile unumgänglich und für die Entwicklung des Kindes ausschlaggebend. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung verbunden mit einem auf fünf Jahre befristeten Einreiseverbot wäre sohin mit der Aufrechterhaltung des Familienlebens unvereinbar und schon aus diesem Grund unzumutbar.
Die Lebensgefährtin des BF wäre gezwungen, sich alleine der Erziehung der vier minderjährigen Kinder zu widmen. Neben der Tatsache, dass die alleinige Betreuung von vier Kindern eine massive körperliche und psychische Belastung für die Kindesmutter darstellen würde, wäre auch die finanzielle Herausforderung nach Wegfall des Verdienstes des BF nicht zu bewältigen.
Wie vom BFA richtig dargetan, habe der BF in Österreich ein ausgeprägtes Familienleben, da der Großteil seiner Familie seit langer Zeit in Österreich lebe. Darüber hinaus wurde der BF in Österreich geboren. Dass er neben der deutschen, auch die serbische Sprache erlernt habe, sei lediglich dem Umstand geschuldet, dass sich ein Teil seiner Angehörigen innerfamiliär auf Serbisch austausche. Der BF habe sich seit seiner Geburt zu keiner Zeit im serbischen Staatsgebiet aufgehalten bzw niedergelassen. Ein wie auch immer gearteter Bezug zum serbischen Staat bestehe nicht.
Entgegen der Ansicht des BFA müsse bei entsprechender Würdigung aller relevanten Umstände im Lichte der durch Art 8 EMRK gewährten Garantien zu dem Ergebnis gelangen, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen den BF unzulässig sei.
Das BVwG führte am 12.08.2020 in Anwesenheit des BF und seiner Rechtsvertretung (über Videokonferenz), sowie einer Vertreterin des BFA eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Darüber hinaus wurde die Lebensgefährtin des BF einvernommen.
Mit Urkundenvorlage vom 13.08.2020 legte der BF eine Dienstgeberbestätigung, Gehaltsabrechnung, Mitteilung über den Leistungsanspruch nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz, sowie eine Mitteilung über die Beihilfe zum Kinderbetreuungsgeld vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der 22-jährige BF ist serbischer Staatsbürger sowie der serbischen Sprache mächtig.
Der BF ist in Österreich geboren und lebt seither durchgehend im Bundegebiet. Er spricht qualifiziert Deutsch.
Der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet ist und war bisher rechtmäßig. Der BF ist im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“.
Der BF hat in Österreich die Pflichtschule absolviert. Beruf hat er keinen erlernt, ging jedoch, immer wieder unterbrochen durch Zeiten der Bezüge von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung, wiederholt Erwerbstätigkeiten nach. Seit Februar 2020 ist der BF als Hausbetreuer durchgehend beschäftigt und bringt dabei monatlich netto EUR 1.067,30 in Verdienst. Nach Ablauf des elektronisch überwachten Hausarrests verfügt der BF über eine weitergehende Beschäftigungszusage bei dieser Firma.
Der BF lebt seit acht Jahren mit einer österreichischen Staatsangehörigen im gemeinsamen Haushalt. Der BF hat mit seiner Lebensgefährtin vier minderjährige Kinder im Alter zwischen 3 Monate und 6 Jahren. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern im gemeinsamen Haushalt.
Die Eltern und die Geschwister sowie weitere Verwandte des BF leben in Österreich.
Der BF verfügt in Serbien über kein soziales Netzwerk.
Der BF wurde mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 26.03.2019, Zl. XXXX , mit weiteren Mittätern wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 12., erster, zweiter und dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, erster Fall und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB, des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 erster Fall, StGB und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 (vierundzwanzig) Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt.
Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der BF und weitere Mittäter allein bzw im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter bzw als Bestimmungstäter im Zeitraum von zumindest 23. November 2017 bis 9. August 2018 in Attnang-Puchheim, Eisenstadt, Neunkirchen, Wien und anderen Orten des Bundesgebiets mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verfügungsberechtigte Unternehmen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die wahrheitswidrige Vorgabe, zahlungsfähiger und/oder zahlungswilliger Kunde/Kreditnehmer zu sein, teils unter Verwendung falscher und/oder verfälschter Urkunden, nämlich falscher und/oder verfälschter Melde- und/oder Lohnbestätigungen, zu Handlungen, nämlich zur Herausgabe von Geld bzw zur Finanzierung/Ausfolgung PKWs teils verleitet, teils zu verleiten versucht, Verfügungsberechtigte von Versicherungsunternehmen durch Täuschung über Tatsachen, nämlich Vorgabe eines tatsächlich stattgefundenen Verkehrsunfalls, obwohl es sich um eine gestellte Kollision handelte, zur Auszahlung der Versicherungsleistung teils verleitet, teils zu verleiten versucht, die diese oder andere – in einem EUR 5000,00 übersteigenden Betrag – am Vermögen schädigten oder schädigen sollten, wobei der BF und weitere Täter die Tat gewerbsmäßig, also in Absicht begangen haben, sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen.
Beim BF konnte mildernd die bisherige Unbescholtenheit, das alter unter 21 Jahren, der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, die teilweise Schadensgutmachung durch Sicherstellung der Fahrzeuge und die geständige Verantwortung gewertet werden, als erschwerend wurde das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen gewertet.
Binnen offener Probezeit wurde der BF mit Urteil des Landesgerichtes Wien vom 16.01.2020, Zl. XXXX , wegen das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 (achtzehn) Monaten verurteilt.
Dem Urteil liegt zugrunde, dass der BF gewerbsmäßig mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, der Geschädigten durch Täuschung über Tatsachen, durch die wahrheitswidrige Vorgabe, ein lieferbereiter Verkäufer eines PKW zu sein und diesen am 06.10.2019 zu übergeben, sowie durch Vorspiegelung einer falschen Identität, unter Benützung einer falschen Urkunde, nämlich eines von ihm aufgesetzten Kaufvertrags, der Geschädigten zur Anzahlung von EUR 900,--, somit zu einer Handlung verleitet, welche die Geschädigte im genannten Betrag am Vermögen schädigte.
Beim BF konnte mildernd die Schadensgutmachung und erschwerend die Begehung während offener Probezeit gewertet werden.
Der BF befindet sich gegenwärtig im elektronisch überwachten Hausarrest.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten und einer abgehaltenen mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahren und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, zur Staatsangehörigkeit, zum Familienstand, zur Vaterschaft sowie zu seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen. Zudem brachte der BF seinen Reisepass, seinen Aufenthaltstitel, Reisepässe und Staatsbürgerschaftsnachweise seiner Lebensgefährtin und seiner Kinder, Erklärung der gemeinsamen Obsorge, Mietvertrag und Beurkundung der Vaterschaftserklärung in Vorlage, welche die obigen Feststellungen stützen.
Die Feststellung, wonach der BF seit seiner Geburt durchgehend in Österreich lebt und qualifiziert Deutsch spricht, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt und den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellung, wonach der Aufenthalt des BF in Österreich durchgehend rechtmäßig ist und er über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ verfügt, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt, insbesondere aus dem vorliegenden Aufenthaltstitel sowie aus der Abfrage des Fremdenregisters.
Die Feststellung zur Schulausbildung des BF ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellung zur Erwerbstätigkeit des BF ergibt sich aus dem Sozialversicherungsdatenauszug und der vom BF am 13.08.2020 übermittelten Gehaltsabrechnung.
Die Feststellung zur weitergehenden Beschäftigungszusage des BF nach Beendigung des elektronisch überwachten Hausarrests ergibt sich aus der vom BF am 13.08.2020 übermittelten Dienstgeberzusage und den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellung, wonach der BF seit acht Jahren mit seiner Lebensgefährtin und den Kindern in einem gemeinsamen Haushalt leben, ergibt sich aus den Angaben des BF und seiner Lebensgefährtin in der mündlichen Verhandlung, sowie aus dem Melderegisterauszug.
Die Feststellung, wonach die Eltern, die Geschwister des BF und weitere Verwandte des BF in Österreich leben, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt und aus den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellung, wonach der BF über kein soziales Netzwerk in Serbien verfügt, ergibt sich aus den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung.
Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
Die den Verurteilungen zugrundeliegenden Handlungen und Strafzumessungsgründe können anhand der im Akt vorliegenden Strafurteile festgestellt werden.
Die Feststellung, wonach sich der BF gegenwärtig in der Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests befindet, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt, sowie aus den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung. Sohin erfüllt der BF nachfolgende Kriterien, insbesondere: Die zu verbüßende oder noch zu verbüßende Strafzeit übersteigt zwölf Monate nicht oder wird voraussichtlich 12 Monate nicht übersteigen; geeignete Unterkunft im Inland; geeignete Beschäftigung; Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts; Kranken- und Unfallversicherungsschutz; schriftliche Einwilligung der im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen und Prognose, dass nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren sowie bei Einhaltung der aufzuerlegenden Bedingungen diese Vollzugsform nicht missbraucht wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Der BF ist als Staatsangehöriger von Serbien Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Da er über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, kommt ihm nach § 20 Abs. 3 NAG in Österreich - unbeschadet der befristeten Gültigkeitsdauer des diesem Aufenthaltstitel entsprechenden Dokuments - ein unbefristetes Niederlassungsrecht zu. Die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist daher am Maßstab des § 52 Abs. 5 FPG zu prüfen, wobei sich Einschränkungen der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung auch noch aus § 9 BFA-VG ergeben (siehe VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).
Gemäß § 52 Abs. 5 FPG setzt eine Rückkehrentscheidung gegen den BF zunächst voraus, dass die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass sein weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Dies ist (soweit hier relevant) gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG dann der Fall, wenn er von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt wurde.
Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, vgl § 53 Abs. 3 erster Satz FPG) gerechtfertigt ist. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101).
Für den Wegfall oder eine maßgebliche Minderung der von ihm ausgehenden, durch die strafgerichtlichen Verurteilungen indizierten Gefährlichkeit bedarf es daher noch eines weiteren, entsprechend langen Zeitraums des Wohlverhaltens in Freiheit (siehe VwGH 08.11.2018, Ra 2017/22/0207). Dieser Zeitraum ist umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (siehe zuletzt etwa VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0169).
Der BF befindet sich gegenwärtig in der Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests. Er verfügt über eine geeignete Unterkunft, er lebt mit seiner Lebensgefährtin und den vier minderjährigen Kindern in Wien. Er geht seit Februar 2020 einer Beschäftigung nach und bezieht ein Einkommen, mit dem er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und er verfügt über einen Kranken- und Unfallversicherungsschutz. Zudem verfügt der BF über eine weitergehende Beschäftigungszusage nach Beendung des Vollzugs. Darüber hinaus kam die Leitung der Justizanstalt nach Prüfung der Wohnverhältnisse, des sozialen Umfelds und allfälliger Risikofaktoren in der Prognoseentscheidung zu dem Schluss, dass der BF die Einhaltung der auferlegten Bedingungen dieser Vollzugsform nicht missbrauchen wird.
Da der Lebensmittelpunkt des BF seit seiner Geburt in Österreich liegt, greift die Rückkehrentscheidung massiv in sein Privat- und Familienleben ein, sodass ihre Verhältnismäßigkeit unter dem Gesichtspunkt von Art 8 EMRK am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen ist. Nach § 9 Abs. 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).
Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob sie auf Dauer unzulässig ist, also wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.
Grundsätzlich ist aufgrund der Verurteilungen des BF § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt.
In die vorzunehmende Interessensabwägung ist aber auch miteinzubeziehen, dass der BF seit seiner Geburt in Österreich niedergelassen ist, sich seither rechtmäßig hier aufhält und daueraufenthaltsberechtigt ist. Er hat in Österreich die Schule absolviert, verfügt über entsprechende Deutschkenntnisse und hat sein ganzes Berufsleben hier verbracht, obwohl es ihm nicht nachhaltig gelungen ist, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, gleichwohl er seit Februar 2020 als Hausbetreuer beschäftigt ist und er über eine weitergehende – nach dem Vollzug – Beschäftigungszusage verfügt. Der BF ist gegenwärtig in der Vollzugsform des elektronisch überwachten Hausarrests und lebt mit seiner Lebensgefährtin und den vier minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt. Der erkennende Richter verkennt nicht, dass der BF nach seiner ersten Verurteilung vom BFA eine Ermahnung zu Kenntnis gebracht und er binnen offener Probezeit neuerlich straffällig wurde. In der mündlichen Verhandlung brachte der BF vor, dass sein Freundeskreis einen schlechten Einfluss auf ihn gehabt hätten und er sich nunmehr von diesem Freundeskreis losgesagt habe. Darüber hinaus zeigte sich der BF einsichtig und reumütig.
Aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts des BF in Österreich und seiner Sozialkontakte, insbesondere zu seiner hier lebenden Lebensgefährtin und den vier Kindern, die ihn unterstützen, hat er ein erhebliches familiäres und privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Durch seine Deutschkenntnisse ist er hier auch sprachlich verankert. Die Rückkehrentscheidung greift daher trotz der fehlenden Unbescholtenheit, der Wirkungslosigkeit strafgerichtlicher Sanktionen unverhältnismäßig in seine Rechte nach Art 8 EMRK ein, dies auch aufgrund der gelockerten Bindung zu seinem Herkunftsstaat, in dem er nie länger gelebt und wo er keine nahen Bezugspersonen hat.
Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Vermögenskriminalität sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist angesichts der familiären, privaten und sozialen Integration des BF während seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen. Sein familiäres und privates Interesse an einem Verbleib überwiegt, auch unter Bedachtnahme auf die wiederholte strafgerichtliche Verurteilung, gerade noch das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist.
Im Verfahren nach § 52 Abs. 5 FPG haben jedoch die entbehrlichen Aussprüche über die Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu unterbleiben; die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG kommt nicht in Betracht. Erweist sich demnach eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG - aus welchem Grund auch immer - als unzulässig, besteht das Aufenthaltsrecht aufgrund des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" weiter. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG kommt aber jedenfalls nicht in Betracht und es hat somit auch eine Feststellung nach § 9 Abs. 3 BFA-VG über die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung, die hierfür die Grundlage bilden sollte, zu unterbleiben (siehe VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).
In der Folge wird allenfalls die Niederlassungsbehörde zur Prüfung einer allfälligen "Rückstufung" gemäß § 28 Abs. 1 NAG zu befassen sein, zumal der BF nach Ausstellung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" zweimal straffällig wurde.
Sollte der BF neuerlich straffällig werden, wird das BFA die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.
Zu Spruchteil B):
Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer des Einreiseverbots (VwGH 29.05.2018, Ra 2018/20/0259). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Abschiebung Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Einreiseverbot aufgehoben freiwillige Ausreise Frist Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gewerbsmäßigkeit Haft Haftstrafe Interessenabwägung Kassation Kindeswohl mündliche Verhandlung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat VerbrechenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2232758.1.00Im RIS seit
05.11.2020Zuletzt aktualisiert am
05.11.2020