TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/17 I415 2125929-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.08.2020
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Entscheidungsdatum

17.08.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I415 2125929-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. NIGERIA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2016, Zl. XXXX, nach Durchführung zweier mündlichen Verhandlungen am 28.11.2016 und am 08.08.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zu seinen Fluchtgründen an: „Ich bin homosexuell, das ist ein Problem in Nigeria. Ich hatte sogar dort jemanden, den ich mochte. Ich wollte eigentlich gar nicht nach Europa.“ Als Rückkehrbefürchtung gab er an, dass aufgrund seiner sexuelle Orientierung sein Leben im Herkunftsstaat gefährdet wäre.

3.       Am 21.01.2016 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Der Beschwerdeführer erklärte – auf das Wesentlichste zusammengefasst – seine Heimat verlassen zu haben, weil er homosexuell sei. Er stamme aus einer strenggläubigen christlichen Familie und sein Vater habe ihn nachdem er die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers erfahren habe, beinahe getötet, woraufhin er Nigeria verlassen habe. Fluchtkausal sei die Angst vor sein seiner Familie gewesen, dass auch die Auslebung seiner sexuellen Orientierung in Nigeria unter Strafe stehe habe er erst in Libyen in Erfahrung gebracht. In Österreich führe der Beschwerdeführer eine Beziehung zu einem Mann namens P.D.

4.       Mit Schreiben vom 23.01.2016 übermittelte der Beschwerdeführer über eine Vertrauensperson private Bilder und Videos zur Bekräftigung seines Fluchtvorbringens, welche der Entscheidungsfindung dienen soll. Weiters gab er die vollständigen Kontaktdaten seines Freundes bekannt.

5.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 07.04.2016, Zl. XXXX, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde führte begründend zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer persönlich unglaubwürdig und sein Fluchtvorbringen nicht glaubhaft sei.

6.       Mit Verfahrensanordnung vom 07.04.2016 wurde dem Beschwerdeführer der Verein Menschenrechte Österreich für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

7.       Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 09.05.2016 fristgerecht Beschwerde. Die belangte Behörde habe ihm zu Unrecht die Glaubwürdigkeit abgesprochen und es verabsäumt, sich mit seinem Fluchtvorbringen ausreichend auseinanderzusetzen. Aufgrund seiner sexuellen Orientierung sei der Beschwerdeführer in Nigeria asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Angesichts der fehlenden familiären Anknüpfungspunkte würde er auf Schwierigkeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art stoßen und es bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, zumal Homosexualität in ganz Nigeria verboten sei. Der Beschwerdeführer stellte die Anträge, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass seinem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und ihm der Status des Asylberechtigten, in eventu der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde; in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt III. betreffend die gegen ihn gefällte Rückkehrentscheidung aufgehoben werde; in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt III. betreffend die gegen ihn festgestellte Abschiebung aufgehoben werde; in eventu ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG erteilen; in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen; sowie eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumen.

8.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 11.05.2016 vorgelegt und der Gerichtsabteilung I411 zugewiesen. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 26.09.2016 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung I411 abgenommen und der Gerichtsabteilung I415 neu zugewiesen.

9.       Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 25.10.2016 wurden dem Beschwerdeführer die Länderfeststellungen zur Lage in seinem Herkunftsstaat übermittelt und ihm die Möglichkeit der Erstattung einer Stellungnahme eingeräumt. Eine Stellungnahme zu seinen persönlichen Verhältnissen langte am 16.11.2016 ein. Beigefügt waren auch eine Stellungnahme des Vereines Queer Base vom 13.10.2016, sowie diverse Bestätigungen betreffend die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers.

10.      Am 28.11.2016 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, eines Dolmetschers und einer Vertrauensperson und in entschuldigter Abwesenheit der belangten Behörde statt. Im Zuge der Verhandlung wurde der damalige Freund des Beschwerdeführers P.D. als Zeuge einvernommen und der Beschwerdeführer legte eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt Nigeria vor.

11.      Mit Schriftsatz vom 15.12.2016 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine weitere Stellungnahme zu einer in der mündlichen Verhandlung übermittelten Analyse der Staatendokumentation zur Lage sexueller Minderheiten in Nigeria.

12.      Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.07.2019 die aktuellen Länderfeststellungen zu Nigeria. Am 07.08.2019 langte eine schriftliche Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers dazu ein. Der Beschwerdeführer habe bereits in der Verhandlung vom 28.11.2016 vor dem Bundesverwaltungsgericht widerspruchsfrei sein Fluchtvorbringen erläutern können. Er lebe seine Homosexualität in Österreich offen aus und habe seit der Verhandlung auch an zahlreichen Veranstaltungen der LGBT-Szene teilgenommen. Bei den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingebrachten aktualisierten Länderberichten sei zu berücksichtigen, dass diese vor dem Hintergrund verfasst worden seien, dass Homosexuelle ihre sexuelle Orientierung nicht offen ausleben würden und diese verheimlichen bzw. verstecken würden. Dahingehend sei die Verfolgungsintensität und die Verfolgungswahrscheinlichkeit auch geringer. Berichte über Homosexuelle, welche ihre Sexualität offen ausleben würden, würde es nicht geben, da die Angst der Betroffenen vor Verfolgung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure sowie die gesellschaftliche Stigmatisierung zur groß sei.

13.      Am 08.08.2019 erfolgte eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters, eines Dolmetschers, der belangten Behörde und des Freundes des Beschwerdeführers T.Z., welcher zeugenschaftlich einvernommen wurde.

14. Mit Stellungnahme vom 12.02.2020 legte der Beschwerdeführer eine vom Arbeitsmarkt-service XXXX ausgestellte Beschäftigungsbewilligung, einen aktuellen Lohnzettel, einen Auszug der Vorsorgekasse und ein Auszug des Sozialversicherungsträger vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b Asylgesetz 2005. Er verließ Nigeria im Februar 2014 und reiste über Libyen nach Österreich ein, wo er am 05.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz stelle. In Nigeria leben seine Eltern und weitere Verwandte; Kontakt besteht nicht.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig und kinderlos. Seine Identität steht nicht fest. Bis zu seiner Flucht lebte er in Agbor, Delta State, wo er als XXXX tätig war.

In Österreich besuchte der Beschwerdeführer mehrere Deutschkurse, engagierte sich ehrenamtlich und war der Beschwerdeführer vom 05.07.2019 bis zum 15.04.2020 als XXXX erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig. Derzeit bestreitet der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt durch die staatliche Grundversorgung.

Er war von Dezember 2015 bis Januar 2019 in einer Beziehung mit dem nigerianischen Staatsangehörigen P.D., seit Februar 2019 führt er eine Beziehung mit dem österreichischen Staatsbürger T. Z. und lebt mit diesem und dessen Partner J.H. im gemeinsamen Haushalt.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist homosexuell und ist aufgrund der untenstehenden Berichte über die Situation von Homosexueller in Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, sofern er seine sexuelle Orientierung nicht verleugnet bzw. äußerst gut verbirgt, Opfer von schweren Eingriffen in seine körperliche Integrität und in seine Person werden würde.

Der Beschwerdeführer wäre aufgrund seiner sexuellen Orientierung im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung und einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt.

1.3 Zur Situation in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

Im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria vom 20.05.2020 finden sich zur Lage Homosexueller folgende Feststellungen:

Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht (AA 16.1.2020; vgl. GIZ 3.2020b) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). § 214 des Strafgesetzbuchs sieht 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (ÖB 10.2019). Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht zudem vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor (ÖB 10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, GIZ 3.2020b). Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB 10.2019). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020).

In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden. Im Jahr 2019 wurden von Scharia-Gerichten keine solchen Urteile verhängt. In den vergangenen Jahren kam es zu Verurteilungen zu Stockschlägen (USDOS 11.3.2020).

Homosexuelle versuchen aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen (AA 16.1.2020). Der SSMPA hat zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt, sowie von der Bevölkerung gemobbt oder mittels Selbstjustiz verfolgt (GIZ 3.2020b). Gewalt seitens der Gesellschaft tritt häufig auf, öfter als seitens des Staates. Die meisten Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle gehen von nicht-staatlichen Akteuren aus (EMB B 9./10.2019). Das Ausmaß der physischen Gewalt ist allerdings zurückgegangen (LNGO C 9./10.2020). Der Staat ist in solchen Fällen nicht schutzfähig oder schutzwillig (EMB B 9./10.2019; vgl. LNGO C 9./10.2019; WHER 9./10.2019). Seit der Verabschiedung des SSMPA im Jahr 2014 ist es vorerst zu einem leichten Rückgang der Gewalt gegen Homosexuelle gekommen, aber zugleich zu einer Zunahme von Erpressungen (TIERS 12.2019; vgl. LNGO C 9./10.2019), Eindringen in die Privatsphäre und willkürlichen Verhaftungen. Im Jahr 2019 ist es zu einer sprunghaften Zunahme von illegalen Anhaltungen und Durchsuchungen, zielgerichtetem Missbrauch sowie ungesetzlichen Verhaftungen gekommen (TIERS 12.2019).

Im Rahmen der Verabschiedung des SSMPA 2014 kam es zu einer Zunahme an Fällen von Belästigung und Drohung. Es wurde von zahlreichen Verhaftungen berichtetet (USDOS 11.3.2020; vgl. WHER 9./10.2019). Im August 2018 wurden 57 Personen bei einer Hotelparty verhaftet, wo die Polizei „homosexuelle Aktivitäten“ feststellte. Ende 2019 lief das Verfahren noch (USDOS 11.3.2020). Eine generelle bzw. systematische „staatliche Verfolgung“ ist derzeit nicht gegeben (ÖB 10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019). Die Rechtsänderung hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 16.1.2020). Allerdings dient der SSMPA zur Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, willkürlicher Haft, Erpressung von Geld sowie Verletzung von Prozessrechten (USDOS 11.3.2020).

Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020). Die Community wird nicht überwacht (EMB A 9./10.2019). Die Polizei wird nicht aus eigenem Antrieb aktiv oder sucht gezielt nach Homosexuellen (EMB B 9./10.2019; vgl. WHER 9./10.2019). Sie verhaftet Verdächtige in erster Linie mit dem Ziel, Geld zu erpressen (EMB A 9./10.2019; vgl EMB B 9./10.2019; LNGO C 9./10.2019; LHRL 9./10.2019). Grundsätzlich kommen Verdächtige nach der Zahlung einer „Kaution“ wieder frei (LNGO C 9./10.2019; vgl. LHRL 9./10.2019).

Auch für betroffene Homosexuellen-NGOs hatte der SSMPA kaum Auswirkungen, keine der Organisationen musste die Arbeit einstellen. Kurzfristig hatten einige Organisationen den Eindruck, von der Bildfläche verschwinden zu müssen. Das taten sie teilweise kurz, und als nichts passierte, tauchten sie wieder auf. Derzeit sieht man eine Professionalisierung bei den Organisationen. Zusammengefasst hatte das Gesetz kurz Auswirkungen auf NGOs, diese ist jedoch vorübergegangen. Eine Bedrohung ist allerdings immer noch spürbar (EMB B 9./10.2019). Der SSMPA hat neben einer Steigerung der Belästigungen von Homosexuellen auch zu einer erhöhten Sichtbarkeit der homosexuellen Community geführt, und zu dem Bewusstsein in der Bevölkerung, das Homosexualität in Nigeria existiert (WHER 9./10.2019).

Verschiedene NGOs bieten Angehörigen sexueller Minderheiten rechtliche Beratung und Schulungen in Meinungsbildung, Medienarbeit und Bewusstseinsbildung in Bezug auf HIV an (USDOS 11.3.2020). Gemäß zweier Quellen organisieren die Menschenrechtsgruppen im Bereich MSM und WSW (männliche und weibliche Angehörige sexueller Minderheiten) nach Anruf Anwälte, die im Falle einer Verhaftung tätig werden. Diese Gruppen kooperieren fallweise miteinander (NJA 9/10.2019; vgl. EMB B 9/10.2019). Manchmal werden solche Organisationen auch direkt seitens der Polizei kontaktiert (EMB B 9/10.2019). Die Organisation WHER organisiert bei betroffenen WSW eine Freilassung auf Kaution (WHER 9/10.2019).

Es existieren Netzwerke von Menschenrechtsanwälten, welche – im Falle der Verhaftung eines Homosexuellen – unmittelbar kontaktiert werden und die Person gegen „Kaution“ freizukaufen versuchen (IO1 20.11.2015). Allerdings gibt es nicht sehr viele Anwälte, die in diesem Bereich arbeiten wollen, da sie sich nicht exponieren wollen (NJA 9./10.2019) Homosexuellen-Netzwerke verschiedener Landesteile bzw. Städte stehen miteinander in Kontakt (LHRL 9./10.2019). Die Netzwerke und Organisationen bieten auch Unterstützung und Zufluchtsmöglichkeiten an (USDOS 11.3.2020). Es gibt einige Safe Houses aber die Finanzierung derselben ist nicht ausreichend (LNGO D 9/10.2019). Die NGO WHER betreibt etwa ein Safe House für Frauen, die etwa durch Familie oder Polizei einem unmittelbaren Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind (WHER 9/10.2019).

Es gibt viele Fälle, in denen die Betroffenen nicht wissen, an wen sie sich wenden können (NJA 9./10.2019). Nach Angaben einer anderen Quelle sind die Homosexuellen-NGOs den Betroffenen üblicherweise zumindest in größeren Städten wie Lagos bekannt, in ländlichen Gegenden allerdings oftmals nicht. Dort wissen Betroffene nicht, an wen sie sich im Fall einer Verhaftung wenden können (EMB B 9./10.2019).

Die Situation von homosexuellen Frauen ist einerseits besser als jene von homosexuellen Männern, da von einem Teil der Männer Homosexualität bei Frauen eher toleriert wird, andererseits sind Frauen in Nigeria generell mit Schwierigkeiten konfrontiert. Für homosexuelle Frauen ist es schwer denkbar, sich gegenüber Familie oder Freunden zu outen. Frauen – wie Männer – heiraten manchmal als Deckmantel für ihre Homosexualität, z.B. eine homosexuelle Frau einen homosexuellen Mann, um sozialen Normen zu genügen. Der SSMPA gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Im Strafrecht (penal code) und Scharia-Recht des Nordens sowie im Strafrecht (criminal code) im Süden gibt es eigene Passagen, die sich mit weiblicher Homosexualität befassen (WHER 9./10.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        EMB A - westliche Botschaft A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        EMB B - westliche Botschaft B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 23.4.2020

-        LHRL - Lokaler Menschenrechtsanwalt (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        LNGO C - Repräsentantin der lokalen NGO C (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

- LNGO D - Repräsentant der lokalen NGO D (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        IO1 - International Health and Development Research Organisation (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-        NJA - Nigerianischer Journalist und Aktivist (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

-        TIERS - The Initiative for Equal Rights (12.2019): 2019 Human Rights Violations Report, https://theinitiativeforequalrights.org/wp-content/uploads/2019/12/2019-Human-Rights-Violations-Reports-Based-on-SOGI.pdf, Zugriff 23.4.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 20.4.2020

-        WHER - Repräsentantin der Women’s Health and Equal Rights Initiative (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1     Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria (siehe unter Punkt 1.2.) sowie durch persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers und zweier Zeugen im Rahmen der mündlichen Verhandlungen am 28.11.2016 und am 08.08.2019. Auskünfte aus dem Strafregister, dem zentralen Melderegister (ZMR), dem zentralen Fremdenregister (IZR), Sozialversicherungsauszug und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2      Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente nicht abschließend festgestellt werden. Hinsichtlich des Herkunftsstaates Nigeria und seiner Volljährigkeit wird den unbedenklichen Angaben des Beschwerdeführers, welche auch Grundlage des erstinstanzlichen Bescheides waren, gefolgt. Die Feststellung zu seiner Berufstätigkeit und dem Zeitpunkt seiner Flucht ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers in Nigeria beruhen auf seinen diesbezüglichen Angaben im verwaltungsbehördlichen Verfahren und im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände des Beschwerdeführers in Österreich beruht ebenfalls auf dessen Aussagen vor der belangten Behörde und in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in Österreich zeitweise einer Erwerbstätigkeit als XXXX nachgegangen ist, ergibt sich aus einer im Akt einliegenden Abfrage im Hauptverband des österreichischen Sozialversicherungsträger.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.3      Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte, auf das Wesentlichste zusammengefasst, vorgebracht, dass er im Alter von 14 Jahren festgestellt habe homosexuell zu sein. Er habe seine sexuelle Orientierung stets verheimlicht, jedoch habe sein strenggläubiger Vater aufgrund eines Disputes mit einem Mann, welcher vom Beschwerdeführer zurückgewiesen worden war, von dieser erfahren. Dieser habe daraufhin versucht den - wehrlos im Bett schlafenden - Beschwerdeführer mit Hilfe eines Gegenstandes zu töten. Dem Beschwerdeführer sei es gelungen aus dieser Situation zu flüchten und habe er daraufhin seinen Herkunftsstaat verlassen.

Diesem Vorbringen war von der belangten Behörde zur Gänze die Glaubwürdigkeit versagt worden. Nach Durchführung zweier mündlichen Verhandlungen ist allerdings von Seiten des erkennenden Richters festzustellen, dass trotz einzelner Unstimmigkeiten der Kern des Fluchtvorbringens gleichbleibend und plausibel geschildert wurde.

Insbesondere kommt das Bundesverwaltungsgericht bei der zentralen Frage der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers zu einem anderen Ergebnis als die belangte Behörde. Für das Bundesverwaltungsgericht steht es ohne Zweifel fest, dass der Beschwerdeführer, wie von ihm angegeben, homosexuell ist. Dies wurde im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen mit dem Argument verneint, dass der Beschwerdeführer angegeben habe mit P.D. in Österreich eine Beziehung zu führen und dass aus dessen Asylunterlagen hervorgehe, dass dieser aufgrund von Familienstreitigkeiten mit seiner damaligen Frau, welche bei einer missglückten Abtreibung gestorben sei, Nigeria verlassen habe. Die Vorlage der Fotos und der Videos sowie die behauptete Beziehung, sei eine reine Gefälligkeit von P.D. und nicht ausreichend um eine Homosexualität zu beweisen. Nun ist zunächst davon auszugehen, dass es nachvollziehbar ist, wenn sich ein offener Umgang mit der eigenen Homosexualität gegenüber Behörden für Personen, welche den Großteil ihres Lebens in einem Land verbracht haben, in dem diese sexuelle Orientierung stark tabuisiert und diskriminiert wird, schwer gestaltet. Auch der Europäische Gerichtshof (C-148/13 bis C-150/13, A, B und C gg Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie vom 2. Dezember 2014) stellte diesbezüglich fest: „Angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die persönliche Sphäre einer Person, insbesondere ihre Sexualität betreffen, kann nicht allein daraus, dass diese Person, weil sie zögert, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren, ihre Homosexualität nicht sofort angegeben hat, geschlossen werden, dass sie unglaubwürdig ist." Fernerhin verwies der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 26.06.2020, E 902/2020-10, auf die von der UNHCR herausgegebenen Richtlinien „Guidelines on International Protection No. 9: Claims to Refugee Status based on Sexual Orientation and/or Gender Identity within the context of Article 1A(2) of the 1951 Convention and/or its 1967 Protocol relating to the Status of Refugees" vom 23. Oktober 2012 (kurz: SOGI-Richtlinien“ aus denen hervorgeht, dass allein die Tatsache leibliche Kinder zu haben und eine heterosexuelle Beziehung zu führen, für sich genommen noch nicht gegen die behauptete Homosexualität eines Antragstellers spreche, weil dies durch Schuld- und Schamgefühle und den sozialen Druck, nur anerkannte Beziehungsformen zu leben, motiviert sein kann und dass diese Schamgefühle dazu führen, dass Antragsteller nur schwer Auskunft über ihre Sexualität und damit ihren Fluchtgrund geben können. Unabhängig davon, dass zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Beschwerdeführers bzw. Antragstellers von der belangten Behörde nicht alleinig die Angaben eines anderen Asylwerbers herangezogen werden kann, können die unterschiedlichen und zum Teil vagen Vorbringen des Beschwerdeführers und seines damaligen Freundes P.D. im Einklang der vorher genannten Richtlinie plausibel erklärt werden.

Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer die ersten sieben Jahre nach Erkennen seiner Homosexualität ein problemloses Leben bei seiner Familie führen konnte und ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er bei der Auslebung seiner sexuellen Orientierung einen Straftatbestand erfülle, konnte der Beschwerdeführer schlüssig erklären. So gab er an, dass er seit seinem zwölften Lebensjahr kein sonderlich gutes Verhältnis zu seiner strenggläubigen Familie habe und er seine Homosexualität vor der Familie geheim gehalten habe. Auch wenn der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt seiner Flucht der genauen gesetzlichen Lage in Nigeria noch nicht bewusst war, scheint ihm sehr wohl die grundsätzliche Einstellung der nigerianischen Gesellschaft gegenüber Homosexuellen bekannt gewesen zu sein. So gab er bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 21.06.2016 zu den ihm vorgelegten Länderfeststellungen zu Protokoll: „Ich kann nur etwas aufgrund meiner Erfahrung erzählen. Ich versuche jetzt viel zu lernen. Ich hatte früher keine Ahnung, dass Nigeria Homosexualität nicht akzeptiert. Ich habe aber gewusst, dass nicht alle Leute schwule Leute mögen. Nachdem ich selbst meine Probleme damit hatte, wurde mir erst dann bewusst, dass Nigeria Homosexualität ablehnt. Deshalb habe ich verstanden, warum mein Vater so durchgedreht hat. Da habe ich erst alles verstanden (…) Als ich in Nigeria war, bin ich vor meiner Familie geflüchtet. Ich habe damals noch nicht gewusst, dass ich damals auch vor dem nigerianischen Gesetz auf der Flucht gewesen bin. Jetzt bin ich auf der Flucht vor beiden. Erst in Libyen habe ich erfahren, dass Nigeria Homosexualität verbietet.“ Der Vollständigkeit halber ist dazu auch anzumerken, dass der in Nigeria gültige Same Sex Marriage Prohibition Act laut getroffenen Länderfeststellungen erst im Januar 2014, somit nur wenige Wochen vor der Flucht des Beschwerdeführers, verabschiedet wurde. Erst ab diesem Zeitpunkt war jegliches öffentliche homosexuelle Verhalten zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren kriminalisiert und mit erheblichen Haftstrafen bedroht, was in weiterer Folge zu einer Verschlechterung der Situation für Homosexuelle in Nigeria führte. Die konkreten Auswirkungen der neuen Gesetzeslage dürften sich wohl erst nach der Ausreise des Beschwerdeführers in ihrer vollen Reichweite bemerkbar gemacht haben.

Fernerhin ist festzuhalten, dass die Behauptung, homosexuell zu sein, kaum einer objektiven Überprüfung zugänglich ist und die Frage der Glaubwürdigkeit primär nur aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers bewertet werden kann. In diesem Zusammenhang hält der erkennende Richter fest, dass der Beschwerdeführer während seines gesamten Asylverfahrens, welches sich über einen Zeitraum von rund sechs Jahren erstreckte, durchgehend widerspruchsfreie und schlüssige Angaben hinsichtlich seiner behaupteten sexuellen Orientierung getätigt hat und sich durch seine Fluchtgeschichte seit seiner ersten Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ein roter Faden zieht. Insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen seiner Homosexualität hinterließ der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht durchwegs einen persönlichen glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck und wurden dessen Angaben durch die Aussagen der Zeugen in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher nach Durchführung zweier mündlichen Verhandlungen aufgrund der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und seines persönlichen Eindrucks davon aus, dass dieser homosexuell orientiert ist und es ihm unzumutbar wäre, seine - in den letzten Jahren zunehmend bekannte - sexuelle Neigung im Falle einer Rückkehr nach Nigeria erneut zu unterdrücken.

2.4      Zu den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Diesen Berichten wurde im Beschwerdeverfahren auch nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1      Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids):

3.1.1   Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Statusrichtlinie] verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Im gegenständlichen Fall bringt der Beschwerdeführer vor, in Nigeria von Privatpersonen, aber auch von staatlicher Seite wegen seiner homosexuellen Orientierung verfolgt zu werden.

Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung (Homosexualität) ist schon nach den eindeutigen ErläutRV zum AsylG 1991 unter den Tatbestand der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu subsumieren. (270 Blg Nr.18. GP11, Putzer-Rohrböck, Asylrecht, S. 43). Auch die Qualifikationsrichtlinie (Rl 2011/95/EU) präzisiert, dass das bei der Definition der sozialen Gruppe geforderte gemeinsame Mittel auch die sexuelle Orientierung sein kann (Wiebke, Die "bestimmte soziale Gruppe" "queer" gelesen - eine kritische Analyse der unionsrechtlichen Definition, ZAR 11-12, 2014).

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte in seinem Urteil vom 7. November 2013, C-199/12 bis C-201/12, klar, dass Homosexuelle eine bestimmte soziale Gruppe gemäß Artikel 10 Absatz 1 litera d der Statusrichtlinie darstellen. Der EuGH wies darauf hin, dass die sexuelle Ausrichtung ein Merkmal darstellt, das so bedeutsam für die Identität ist, dass die Betreffenden nicht gezwungen werden können, darauf zu verzichten. Das erste Kriterium der Definition einer sozialen Gruppe sei daher bei Homosexuellen grundsätzlich erfüllt. Das zweite Kriterium, die wahrgenommene Andersartigkeit und abgegrenzte Identität, sei zu bejahen, wenn Homosexualität im Herkunftsland durch strafrechtliche Bestimmungen kanalisiert sei. Das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen erfülle jedoch für sich genommen nicht die von Artikel 9 Absatz 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen. Eine Verfolgungshandlung sei vielmehr erst dann zu bejahen, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt werde und sie dadurch zu einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung gemäß Artikel 9 Absatz 2 litera c der Statusrichtlinie werde. Es sei allerdings unerheblich, ob ein Antragsteller die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er seine Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt.

Der Beschwerdeführer hat glaubhaft vorgebracht homosexuell zu sein und in Nigeria bereits einen schweren Übergriff in seine körperliche Integrität - Gewaltanwendung seines Vaters - erlebt zu haben. Es steht fest, dass es bereits zu einem schwerwiegenden Eingriff in seine zu schützende persönliche Sphäre gekommen ist. Es steht zudem unbestritten fest, dass homosexuelle Kontakte in Nigeria strafrechtlich verboten sind. Laut EuGH erfüllt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen jedoch für sich genommen nicht die von Artikel 9 Absatz 1 der Statusrichtlinie geforderte Schwere der Menschenrechtsverletzungen - dies ist erst der Fall, wenn die angedrohte Freiheitsstrafe in der Praxis auch tatsächlich verhängt wird. In Nigeria wird zwar immer wieder von Verhaftungen berichtet, allerdings gelangen kaum Berichte über Verurteilungen aufgrund der sexuellen Orientierung an die Öffentlichkeit. Es stellt sich daher die Frage, ob daraus geschlossen werden kann, dass von keiner Verfolgung Homosexueller in Nigeria auszugehen ist.

Artikel 9 der Statusrichtlinie definiert Verfolgungshandlungen im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention. Entscheidend für das Vorliegen einer Verfolgung ist die Schwere der Handlung, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein muss, dass sie eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellt. Alternativ kann die geforderte Schwere durch eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden. Verfolgungshandlungen sind etwa die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung.

Für das Bundesverwaltungsgericht steht aufgrund der oben zitierten Berichte fest, dass Homosexuelle in Nigeria neben den strafrechtlichen Bestimmungen - mit verschiedenen Eingriffen konfrontiert sind. Auch geht der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 25.Juni 2020, Ra 2019/18/0444-13 von einer problematischen Situation hinsichtlich homosexueller Personen in Nigeria aus. So wird in den verschiedenen Quellen von willkürlichen Schikanen, Misshandlungen und willkürlichen Verhaftung durch die Polizei berichtet. Die meisten Menschenrechtsverletzungen sind allerdings auf nicht staatlichen Akteuren die zurückzuführen, die sich etwa als Mob formieren. Vorbehalte gegenüber Homosexueller sind in der Bevölkerung weitverbreitet und wusste der Beschwerdeführer selbst glaubhaft von dem gewaltsamen Übergriff seines Vaters aufgrund seiner Vorbehalte zu berichten. Selbst wenn man daher davon ausgeht, dass die Anzahl von tatsächlichen Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen gering ist, muss aufgrund der Kumulierung der verschiedenen Übergriffe davon ausgegangen werden, dass in Nigeria eine Verfolgung homosexueller Personen, welche ihre sexuelle Orientierung nicht verbergen, erfolgt. Wie bereits ausgeführt kann nach der Judikatur des EuGH nicht verlangt werden, dass eine Person die Gefahr der Verfolgung dadurch vermeiden könnte, dass er/sie seine/ihre Homosexualität geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben der sexuellen Ausrichtung übt. Der Beschwerdeführer wäre zu seinem eigenen Schutz in Nigeria dazu gezwungen, seine sexuelle Orientierung wieder im Geheimen zu leben; angesichts des offenen Umgang mit der Beziehung zu T.Z. und J. H. erscheint ihm dies nicht zumutbar.

In diesem Sinne wies (in Bezug auf einen Asylwerber aus dem Iran) auch der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 21. Juni 2017, Zl. 3074/2016-9 darauf hin, dass eine Rückkehr des homosexuellen Asylwerbers in den Iran im Ergebnis dazu führen würde, dass der Beschwerdeführer gezwungen wäre, seine sexuelle Orientierung weiterhin im Geheimen - unter ständiger Angst entdeckt zu werden - zu leben, um sich nicht der Gefahr von Diskriminierung, strafgerichtlicher Verfolgung oder körperlicher Schädigung auszusetzen. Dies sei mit dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 7. November 2013 in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 (zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG), Minister voor Immigratie en Asiel gegen X ua., nicht vereinbar.

Soweit die Verfolgungshandlungen durch Private erfolgen ist davon auszugehen, dass in Nigeria kein staatlicher Schutz für Homosexuelle besteht. Wie aus den oben zitierten Länderberichten ersichtlich ist der nigerianische Staat in diesem Hinblick nicht schutzfähig und schutzwillig. Vielmehr ist eine staatliche Verfolgung zu erwarten.

Mag es auch kaum zu direkten Verurteilungen wegen Homosexualität in Nigeria kommen, so besteht bei einer Gesamtbetrachtung des vorliegenden individuellen Falles doch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Nigeria schwerwiegenden Eingriffen in seine zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre und zwar wegen seiner Homosexualität und daher wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Es ist daher im Sinne der oben zitierten Judikatur ein Zusammenhang zu den in der GFK taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen festzustellen und bestehen auch keinerlei Hinweise darauf, dass diese Verfolgungssituation nicht mehr aktuell wäre.

Auch ist es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar, sich solcher Übergriffe dadurch zu entziehen, indem er sich anderswo in Nigeria niederlässt, wo seine Homosexualität noch nicht bekannt ist. Denn es ist ihm nicht zumutbar, seine Homosexualität dauerhaft nicht auszuleben und so verborgen zu halten. In Anbetracht des Umstandes, dass es in Nigeria keinerlei Gebiete gibt, wo der Beschwerdeführer vor einer solchen Verfolgung sicher wäre, kommt auch keine innerstaatliche Fluchtalternative infrage.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes (Artikel 1 Abschnitt D, F der GFK und § 6 AsylG) oder eines Endigungsgrundes (Artikel 1 Abschnitt C der GFK) ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 05.09.2014 - und somit vor dem 15.11.2015 - gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 AsylG im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Homosexualität Menschenrechtsverletzungen mündliche Verhandlung sexuelle Orientierung soziale Gruppe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I415.2125929.1.00

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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