TE Bvwg Beschluss 2020/8/31 G303 2234462-1

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Veröffentlicht am 31.08.2020
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Entscheidungsdatum

31.08.2020

Norm

AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G303 2234462-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , Staatsangehörigkeit: Chile, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 28.07.2020, IFA-Zahl/Verfahrenszahl XXXX , betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde gegen die beschwerdeführende Partei (im Folgenden: BF) ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z1 FPG erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Chile zulässig ist. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG wurde ein fünfjähriges Einreiseverbot gegen den BF verhängt. Zudem wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aberkannt.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich der BF seit zumindest 16.06.2016 im Bundesgebiet befinde. Im Zeitraum vom 01.12.2014 bis 13.05.2019 verfügte der BF über einen Aufenthaltstitel. Zudem wurden die im Strafregister enthaltenen rechtskräftigen Verurteilungen des BF angeführt.

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 25.08.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 27.08.2020 einlangten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.06.2018, Ra 2017/09/0031, insbesondere Rz 13 und 14 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

„13 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 14.12.2015, Ra 2015/09/0057, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN).

14 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa das zit. Erkenntnis Ra 2017/20/0498, mwN).“

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln.

Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen.

In der gegenständlichen Rechtssache wurden keine Ermittlungen seitens des BFA durchgeführt, ob der BF im Bundesgebiet bzw. in einem anderen vom Einreiseverbot umfassten Staat über ein Familienleben verfügt bzw. wie sich dieses gestaltet. Es wurde nicht erhoben, welches Privatleben der BF führt, noch ob der BF Integrationsschritte in Österreich gesetzt hat.

Des Weiteren ist bei Erlassung eines Einreiseverbotes eine Gefährdungsprognose durchzuführen. Im Rahmen einer Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl etwa VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437 mwN).

Diesbezüglich wurden im angefochtenen Bescheid lediglich die Daten des Strafregisters wiedergegeben. Feststellungen zu den einzelnen Verurteilungen wurden keinerlei getroffen. Das BFA hat sich auch nicht mit dem konkreten straffälligen Verhalten des BF auseineindergesetzt. Es wurden auch keine Ermittlungen durchgeführt, um eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose treffen zu können.

Im gegenständlichen Fall ist die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung und das diesem zugrunde liegende Verfahren hinsichtlich einer möglichen Verletzung von Art. 8 EMRK im Ergebnis so mangelhaft, dass in diesem Umfang die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint.

Weder erweist sich diesbezüglich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, ob der BF in Österreich ein schutzwürdiges Privat- und Familienleben entwickelt hat. Im Gegenteil ist das Verfahren der belangten Behörde mit den oben dargestellten schweren Mängeln behaftet.

Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen zum Privat- und Familienleben des BF durchführen müssen. Dazu wird eine persönliche Einvernahme des BF jedenfalls erforderlich sein.

Auch wird das BFA sich mit dem konkreten strafrechtlichen Verhalten des BF auseinanderzusetzen haben und eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu treffen haben. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass die Ausführungen in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides zum Einreiseverbot nicht plausibel sind und im Widerspruch zum Spruch des angefochtenen Bescheides stehen, da hier ausgeführt wurde, dass der BF einer illegalen Beschäftigung nachgegangen sei und daher ein zweijähriges Einreiseverbot erlassen worden wäre.

Es hat sich insgesamt nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2234462.1.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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