Entscheidungsdatum
02.09.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G304 2227723-10/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , auch XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, in Schubhaft zu Recht erkannt:
A) Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 03.10.2019 wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
2. Der BF befindet sich nunmehr seit 03.10.2019, 11:10 Uhr, in Schubhaft.
3. Am 22.01.2020 erfolgte bereits erstmals eine Aktenvorlage vor das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) – zur amtswegigen Schubhaftprüfung.
Es wurde
? im Verfahren zu Zl. G302 2227723-1 mit Erkenntnis des BVwG vom 24.01.2020 (gekürzte Ausfertigung des am 24.01.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses),
? im Verfahren zu Zl. G304 2227723-2 mit Erkenntnis vom 11.02.2020,
? im Verfahren zu Zl. G304 2227723-3 mit Erkenntnis des BVwG vom 23.03.2020 (gekürzte Ausfertigung des am 09.03.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses)
? im Verfahren zu Zl. G314 2227723-4 mit Erkenntnis vom 07.04.2020
? im Verfahren zu Zl. G304 2227723-5 mit Erkenntnis vom 05.05.2020
? im Verfahren zu Zl. G314 2227723-6 mit Erkenntnis vom 28.05.2020
? im Verfahren zu Zl. G304 2227723-7 mit Erkenntnis vom 22.06.2020
? im Verfahren zu Zl. G304 2227723-8 mit Erkenntnis vom 21.07.2020
? im Verfahren zu Zl. G304 2227723-9 mit Erkenntnis vom 27.08.2020
(gekürzte Ausfertigung des am 12.08.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses)
jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
4. Am 26.08.2020 erfolgte die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage zur amtswegigen Überprüfung der andauernden Anhaltung des BF in Schubhaft.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Indien.
1.2. Er wurde im Bundesgebiet am 01.10.2019 von der Polizei festgenommen und von Polizeibeamten zu seinem illegalen Aufenthalt im Bundesgebiet befragt.
1.3. Da eine Zurückschiebung des BF nach Slowenien nicht möglich war, wurde der BF am 02.10.2019 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen, um ihn vor das BFA vorzuführen, und im Hinblick auf die beabsichtigte Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und eine mögliche Schubhaftverhängung zu seinem illegalen Aufenthalt und seinen individuellen Verhältnissen befragt. Im Zuge seiner Einvernahme brachte der BF unter anderem zusammengefasst vor, aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa gekommen zu sein und vorzugsweise in Italien arbeiten wollen zu haben, um seine Familie in Indien unterstützen zu können.
1.4. Mit Mandatsbescheid des BFA vom 03.10.2019 wurde über den BF zwecks Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt.
Daraufhin kam der BF am 03.10.2019 um 11:10 Uhr in Schubhaft.
Seit 03.10.2019 läuft ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates (HRZ) für den BF.
1.5. Am 04.11.2019 wurde gegen den BF eine durchsetzbare, rechtskräftige Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen.
1.6. Der BF stellte am 26.11.2019 aus dem Stand der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des BFA vom 26.12.2019 wurde der Antrag des BF sowohl hinsichtlich des Status des Asyl- als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der BF erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Mit Erkenntnis des BVwG vom 14.01.2020, rechtkräftig mit 15.01.2020, wurde diese Beschwerde vollumfänglich abgewiesen.
1.7. Mit im Zuge der mündlichen Verhandlung am 24.01.2020 mündlich verkündetem Erkenntnis des BVwG wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
1.8. Mit Akten- bzw. Beschwerdevorlage teilte das BFA unter anderem mit:
„- Auch kann vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht unerwähnt bleiben, dass der Fremde grundsätzlich, abgesehen von der derzeitigen Coronavirus-Lage, die Möglichkeit hätte, aus dem Stande der Schubhaft freiwillig in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, er jedoch nach wie vor jegliche Kooperation verweigert.
- Auch zum jetzigen Zeitpunkt geht die Behörde davon aus, dass aus der Situation rund um die zwar schon weitläufig zurückgenommenen, jedoch nicht völlig aufgehobenen Beschränkungen und Einschränkung um COVID19 noch immer eine Außerlandesbringung des Fremden innerhalb der rechtlich vorgesehenen Fristen jedenfalls möglich ist, zumal die österreichische Bundesregierung bereits weitere Lockerungen der aktuell aufrechten Maßnahmen kommuniziert hat (vgl. https://www.oesterreich.gv.at/public.html, Abgerufen am 26.08.2020).“
Das BFA setzte mit Aktenvorlage ihre Mitteilung „fettgedruckt“, wie folgt, fort:
„Die Behörde geht davon aus, dass das HRZ Verfahren zeitnah abgeschlossen und in weiterer Folge eine Ausstellung eines Ersatzreisedokuments mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolgen kann. Dies auch auf Grund der bereits erläuterten Lockerungen der COVID19 Maßnahmen in Österreich. Dies würde eine Außerlandesbringung des Fremden weiterhin ermöglichen. Durch das BFA wurden vor den COVID19 Einschränkungen laufend unbegleitete und auch begleitete Abschiebungen nach Indien durchgeführt. Es deutet auch bei der Beurteilung der weltweiten COVID19 Lage bzw. im speziellen der Lage in Indien nichts darauf hin, dass nicht auch in Indien die Einschränkungen zeitnah gelockert werden. (vgl. https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019, Stand 24.08.2020) Des Weiteren ist das BFA auf Grund der Unzuverlässigkeit und der versuchten Verzögerung bzw. Vereitelung der fremdenrechtlichen Maßnahmen durch die Asylantragstellung bzw. den Hungerstreik bzw. die ständig differierenden Angaben des Fremden davon überzeugt, dass zur Sicherstellung der Abschiebung der Fremde weiterhin in Schubhaft angehalten werden muss.“
1.9. Fest steht, dass der BF in Österreich keine familiäre, soziale oder berufliche Bindung, keinen ordentlichen Wohnsitz hat und bei seiner Festnahme im Bundesgebiet am 01.10.2019 über einen geringfügigen Bargeldbetrag verfügte. Eine familiäre, soziale oder berufliche Bindung des BF zu einem anderen europäischen Staat besteht auch nicht.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt samt den vom BFA mit gegenständlicher Akten- bzw. Beschwerdevorlage bekannt gegebenen Informationen.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Zuständigkeit:
Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:
„§ 22a. (...)
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(...).“
Mit Vorlage des Verwaltungsaktes beim BVwG am 26.08.2020 gilt die gegenständliche Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen BF eingebracht. Das BVwG hat nunmehr festzustellen, ob zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
3.2. Relevante Rechtsvorschriften und Judikatur:
3.2.1. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),
lautet:
„§ 76. (...).
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. (…),
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
(...).
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
(…);
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
(…);
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.“
Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),
lautet:
„§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. (2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“
3.2.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist oder wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO vorliegen (§ 76 Abs. 2 FPG). Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
3.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Mit Bescheid des BFA vom 03.10.2019 wurde über den illegal im Bundesgebiet aufhältigen BF zwecks Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und Sicherung der Abschiebung des BF die Schubhaft angeordnet, nachdem gegen ihn am 02.10.2019 ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung eingeleitet und der BF im Hinblick auf die beabsichtigte Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und eine mögliche Schubhaftverhängung einvernommen worden war. Der BF kam folglich am 03.10.2019 um 11:10 Uhr in Schubhaft.
Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG darf die Schubhaft nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.
? Fest steht im gegenständlichen Fall, dass der BF im Bundesgebiet keine familiären, sozialen oder beruflichen Bindungen, keine hinreichenden Existenzmittel und keine Möglichkeit hat, um bei irgendjemandem unterzukommen. Seine unbestimmte Antwort auf die ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 24.01.2020 gestellte Frage, wo er sich in Österreich aufhalten könne, „“in Wien“, und weiter befragt, „wo in Wien“, „dort, wo die Jungs wohnen; irgendwo“, bestätigt die mangelnde Unterkunftsmöglichkeit des BF, zumal er in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG von Freunden in Wien sprach, ohne ihren genauen Aufenthaltsort anführen können zu haben, während er in seiner Einvernahme am 02.10.2019 befragt danach, ob er in Österreich familiäre, soziale oder berufliche Bindungen oder eine Unterkunftsmöglichkeit habe, ausdrücklich angab, in Österreich niemanden zu haben.
Der Fluchtgefahr-Tatbestand nach § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG ist daher jedenfalls erfüllt.
? Da der BF während aufrechter Schubhaft am 26.11.2019, zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits seit 04.11.2019 eine rechtskräftige, durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme (Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot) bestand, offensichtlich nur zur Verzögerung bzw. Vereitelung der ihm drohenden Abschiebung – einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, erfüllt er auch den Fluchtgefahr-Tatbestand nach § 76 Abs. 3 Z. 5 FPG.
? Der BF behindert die ihm aufgrund der durchsetzbar gewordenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme drohende Abschiebung zudem dadurch, dass er nicht am Verfahren zur Erlangung eines HRZ mitwirkt und, wie aus den Angaben des Behördenvertreters in der mündlichen Verhandlung am 24.01.2020 hervorgehend, nicht bereits auf dem entsprechenden Formblatt eine nähere Angabe zu seinem Heimatort gemacht, sondern erst im Zuge der mündlichen Verhandlung am 24.01.2020 seinen Heimatbezirk genannt hat.
Dadurch ist auch der Fluchtgefahr-Tatbestand nach § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG erfüllt.
Im gegenständlichen Fall besteht in Gesamtbetrachtung jedenfalls Fluchtgefahr iSv§ 76 Abs. 3 Z. 1, 5, 9 FPG.
Ein gelinderes Mittel iSv § 77 FPG kam für den BF jedenfalls nicht in Betracht, da der BF, wie auch der Behördenvertreter in der mündlichen Verhandlung am 24.01.2020 angab, nur durchreisen will und bei einer Freilassung weiterreisen würde.
Es wurde seit Eröffnung des HRZ-Verfahrens am 03.10.2019 seitens des BFA bereits achtmal, zuletzt am 21.01.2020, bei der indischen Botschaft in Wien urgiert, der BF der indischen Botschaft am 13.11.2019 persönlich zu einem Interview vorgeführt, wobei der Botschaft zufolge die Personendaten des BF zur Überprüfung an den Heimatstaat des BF übermittelt wurden. Fest steht, dass durch das BFA laufend sowohl unbegleitete als auch begleitete Abschiebungen nach Indien durchgeführt werden.
Der BF befindet sich nunmehr seit .2019, Uhr, und somit 11 Monate, in Schubhaft. Die gesetzliche höchstzulässige Schubhaftdauer iSv § 80 FPG ist demnach somit noch aufrecht.
Es ist zum gegenständlichen Zeitpunkt zudem jedenfalls zeitnah bzw. innerhalb der nach § 80 FPG noch offenen gesetzlichen höchstzulässigen Frist davon auszugehen, dass der BF nach Erhalt eines HRZ nach Indien abgeschoben werden kann, dies auch unter Bedachtnahme auf die bestehende Coronavirus-Krise und die derzeit nicht mögliche Außerlandesbringung auf Grund der Einschränkungen in Indien bzw. der Einschränkungen auf den internationalen Flugverkehr bzw. angesichts der seitens der österreichischen Bundesregierung geplanten bzw. kommunizierten Lockerungen der aktuell aufrechten Maßnahmen.
Der VwGH hat sich im Beschluss vom 01.04.2020, Ra 2020/21/0116, unter anderem mit den Auswirkungen der aktuellen weltweiten Flugreisebeschränkungen auf die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft auseinandergesetzt und festgehalten, dass die Annahme, es wäre mit einer Aufhebung dieser Maßnahmen binnen weniger Wochen zu rechnen, nicht unvertretbar sei.
Im vorliegenden Fall hat sich jedenfalls nicht ergeben, dass – zumindest in diesem Stadium – die Ausstellung eines Heimreisezertifikats und die Durchführung einer Abschiebung in den Herkunftsstaat tatsächlich unmöglich wäre, etwa weil die derzeitigen Reisebeschränkungen nicht bloß vorübergehender Natur wären, sondern längerfristig in Geltung stehen würden. Aufgrund mittlerweile bereits in zahlreichen Staaten getroffener Erleichterungen im Reiseverkehr und angekündigter weiterer Schritte zur Abschwächung oder Beseitigung der derzeit geltenden Reisebeschränkungen erscheint die Annahme der belangten Behörde durchaus begründet, dass auch zeitnah erfolgende Abschiebungen auf dem Luftweg weiterhin als nicht völlig ausgeschlossen gelten.
Es war folglich spruchgemäß zu entscheiden und festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da im gegenständlichen Fall der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde eindeutig geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
3.5. Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2227723.10.00Im RIS seit
04.11.2020Zuletzt aktualisiert am
04.11.2020