TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 G305 2192994-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2192994-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX geboren am XXXX , vertreten die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den zum XXXX .03.2018 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.03.2020, zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG iVm. § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am 09.10.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte Beschwerdeführer (in der Folge so oder kurz: BF) vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 03.11.2015 wurde er von Organen der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, er sei von einer Schiiten-Miliz bedroht worden da er nicht mit ihnen habe kämpfen wollen. Er sei von dieser auch verletzt worden und habe deshalb das Land verlassen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

Zur Reiseroute befragt, gab er an, dass er am XXXX .10.2015 legal mit dem Flugzeug in die Türkei geflogen sei. Dort habe er einen Schlepper organisiert und sei mit einem Schlauchboot auf eine ihm unbekannt griechische Insel gefahren, wo er einen Tag geblieben sei. In der Folge habe er einen Landesverweis bekommen und sei daraufhin mit einer Fähre nach Athen gefahren und mit verschiedenen Verkehrsmitteln über die Balkanroute nach Österreich gelangt. Am XXXX .10.2015 sei er mit dem Bus ins Bundesgebiet eingereist. Die Reise habe acht Tage gedauert, etwa USD 1.200 gekostet und sei teilweise unter Mithilfe von Schleppern organisiert worden.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ.

3. Am 20.02.2018 wurde der BF ab 09:45 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.

Im Zuge dieser Einvernahme wurde der BF nicht zu seiner Reiseroute befragt.

Als Fluchtgrund gab der BF an, im Jahr 2014 im Stadtteil XXXX in einem Hotel wohnhaft gewesen zu sein und dort in einem Restaurant gearbeitet zu haben. Dieser Stadtteil sei von einflussreichen Milizen, wie der „Badr-Miliz“ kontrolliert worden. Er will von Mitgliedern dieser Miliz aufgesucht worden sein, da diesen bekannt gewesen sein soll, dass er keine Verwandten mehr habe. Die sogenannte Touristenpolizei habe täglich Listen der Hotelgäste geholt. Er solle sich ihnen anschließen und es würde ihm alles zur Verfügung gestellt werden. Daraufhin habe er sich geweigert und die Männer sollen den Betreiber des Restaurants, in welchem der BF zu diesem Zeitpunkt gearbeitet habe, aufgefordert haben, den BF zu kündigen. Nach seinem Arbeitstag will der BF von zwei Personen zu einem Geistlichen gebracht und von diesem aufgefordert worden sein, sich der Miliz anzuschließen. Der BF habe das ausgeschlossen, da er sich dazu psychisch nicht in der Lage gesehen habe. Am nächsten Tag soll ihm an seiner Arbeitsstätte mitgeteilt worden sein, dass er hier nicht mehr arbeiten könne, da der Restaurantbetreiber Angst um seinen Betrieb gehabt haben sollen. Hinzu kommt, dass auch der Betreiber einer Arbeitsvermittlung ihn nicht habe vermitteln wollen, da er Angst um sein Büro gehabt haben soll. In der darauffolgenden Nacht sei der BF von zwei Männern aus seinem Hotelzimmer abgeholt und in der Folge geschlagen worden. Er habe hierbei mehrere Zähne verloren und sei ihm ein Finger gebrochen worden. Dies sei im Stadtteil XXXX passiert. Der Fahrer des Wagens habe zudem seine Zigarette auf seinem Bein ausgedämpft. Die Angreifer hätten ihn zurückgelassen. Das Hotel will er aus Furcht nicht mehr aufgesucht haben. In der Folge will er bei einem sunnitischen Freund in einem hauptsächlich von Sunniten bewohnten Viertel ( XXXX ) Unterschlupf genommen genommen. Dieser Freund habe ebenso ein Restaurant besessen und wäre mit ihm in Syrien gewesen. Er sei derzeit in diesem Stadtteil sicher gewesen, da schiitische Milizen einen sunnitischen Stadtteil nicht betreten hätten. Ein Angestellter dieses Freundes habe dem BF nach Kurzem seine Tasche und Dokumente aus dem von ihm ursprünglich bewohnten Hotel geholt. Der Vorfall mit den Männern und die Verletzungen seien im Mai 2015 gewesen, die Übergabe der Tasche, der Dokumente und von finanziellen Mitteln durch den Freund im Juli 2015. Bis zum Vorfall im Mai 2015 habe er seit seiner Ankunft im Stadtteil XXXX im Jahr 2014 keine Probleme gehabt.

Befunde oder Bestätigungen für seine Verletzungen könne er hierfür nicht vorlegen, er sei auch in Österreich diesbezüglich behandelt worden.

Eine Rückkehr schließe er aus, da die Badr-Miliz auch im irakischen Parlament stark vertreten sei und man wisse, dass er ausgereist sei.

Im Zuge der Aufnahme der Niederschrift legte der BF mehrere irakische Ausweise, einen Märtyrerausweis seines Bruders, eine syrische Versorgungskarte sowie eine Anmeldebestätigung eines Deutschkurses vor.

4. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Ihre Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen kurz zusammengefasst damit, dass der BF keine asylrelevanten Bedrohungen glaubhaft machen konnte.

5. Gegen den zum XXXX .03.2018 datierten Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ und „Verletzung von Verfahrensvorschriften“ - vollumfänglich anfechten zu wollen und verband die Beschwerde mit den Anträgen 1.) den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und dass ihm der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkannt werden möge, 2.) eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, 3.) alle zu seinen Lasten gehenden Rechtswidrigkeiten amtswegig aufzugreifen, 4.) in eventu Spruchpunkt II. zu beheben und ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzusprechen, 5.) in eventu dass Spruchpunkt III. behoben und festgestellt werde, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, 6.) in eventu der angefochtene Bescheid zur Gänze behoben werde und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen werden möge. Er brachte in der Beschwerde vor, dass die belangte Behörde die eigenen Länderberichte missachtet habe, nicht genau auf die Herkunftsstadt des BF eingegangen sei und nicht berücksichtigt habe, dass der BF ob seiner illegalen Ausreise Probleme bekommen werde.

6. Am 19.04.2018 wurde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem BVwG vorgelegt.

7. Anlässlich einer am 02.03.2020 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF im Beisein seines Rechtsvertreters (im Folgenden: RV) und einer Dolmetscherin für die arabische Sprache einvernommen. Bei dieser Verhandlung kam ein sonografischer Befund zur Vorlage.

8. Mit Eingabe vom 17.06.2020 langte das ihm Rahmen der Verhandlung vom 02.03.2020 vom Bundesverwaltungsgericht in Auftrag gegebene medizinische Sachverständigengutachten XXXX ein, das dem BF zur Kenntnis gebracht und ihm im Rahmen des Parteiengehörs die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. De BF ließ jedoch die ihm gesetzte Frist zur Äußerung verstreichen und kam es zu keiner Stellungnahme des BF.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität XXXX , geboren am XXXX und ist irakischer Staatsangehöriger. Er ist ledig und ohne Sorgepflichten. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an. Er ist Moslem schiitischer Glaubensrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch, er verfügt über Englisch- und Deutschkenntnisse [Reisepasskopie AS 108; Niederschrift-BFA AS 93].

Der BF hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX .12.2015 im Bundesgebiet (seit dem XXXX .11.2018 an der Anschrift XXXX ) [Auszug aus dem Zentralen Melderegister-ZMR].

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Der BF lebte bis zu seiner Ausreise aus dem Irak in XXXX [Niederschrift-BFA AS 92].

Er ist am am XXXX .10.2015 legal mit dem Flugzeug in die Türkei geflogen. Dort setzte unter Mithilfe eines Schleppers auf eine ihm unbekannt griechische Insel über, wo er einen Tag blieb. Nachdem gegen ihn ein Landesverweis ausgesprochen wurde, fuhr er mit einer Fähre nach Athen und mit verschiedenen Verkehrsmitteln über die Balkanroute nach Österreich. Er reiste am XXXX .10.2015 mit dem Bus ins Bundesgebiet ein. Die Reise dauerte acht Tage, kostete etwa USD 1.200 und wurde teilweise unter Mithilfe von Schleppern organisiert. Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ [Erstbefragung AS. 11; Ergebnisbericht zum EURODAC-Abgleich AS 33f].

1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

Im Herkunftsstaat besuchte der BF zwölf Jahre die Schule in XXXX , die er mit Matura abschloss und zwei Jahre eine Fachschule im Verwaltungswesen in XXXX . Er ist zudem Shawerma-Meister (Kebapkoch). Nach Beendigung seiner Ausbildung absolvierte er seinen Militärdienst und arbeitete mangels Anstellung von 1993 bis 2003 als Shawerma-Meister in seinem Heimatstaat. In den Jahren 2003 bis 2005 ging er ob der Unruhen nach dem Sturz Saddam HUSSEINS keiner Beschäftigung nach. 2005 emigrierte er nach Syrien, wo er wie in seiner Heimat als Shawerma-Meister arbeitete. Im Jahr 2012 kehrte er nach Bagdad zurück und hielt sich dort bis zu seiner Flucht auf. Bis zu seiner Ausreise lebte er in einem Hotel in der Nähe seines Arbeitsplatzes und brachte etwa EUR 20 täglich als Shawerma-Meister ins Verdienen [VH-Niederschrift S. 6ff; NS-BFA AS 95f].

Die im Herkunftsstaat lebende Kernfamilie des BF besteht aus seinen beiden Schwestern XXXX , geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX . Die Eltern des BF sowie einer seiner beiden Brüder verstarben eines natürlichen Todes, ein weiterer Bruder wurde zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt aus nicht feststellbaren Gründen zu Beginn der 1990er Jahre hingerichtet. Die Schwestern des BF sind mit Männern schiitischer Glaubensrichtung verheiratet, die als Tagelöhner am Bau und als Taxifahrer arbeiten. Die Schwestern sind Hausfrauen. Die Kinder der noch lebenden Geschwister gehen, sofern schulpflichtig, in Schulen in XXXX . Beide Familien leben in der im Bezirk XXXX gelegenen Ortschaft XXXX . Der BF hat über Facebook oder Telefon Kontakt zu seiner älteren Schwester [Niederschrift-BFA AS 94; VH-Niederschrift S. 9ff].

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

Der BF war nie Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates. Er hatte weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde zu keinem Zeitpunkt von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Schiiten oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt oder bedroht [VH-Niederschrift S. 8].

Der BF ist nicht, wie behauptet, wegen einer Bedrohung durch die „Badr-Miliz“ aus dem Herkunftsstaat ausgereist.

Er war im Herkunftsstaat zu keiner Zeit einer asylrelevanten Bedrohungs- oder Verfolgungssituation ausgesetzt.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Der BF hat an einem Deutschkurs A1, einem Deutschkurs A2 und an einem Kurs „ XXXX “ teilgenommen [Anmeldebestätigung AS 137; Teilnahmebestätigungen AS 281 und in OZ 14].

Er ist strafrechtlich unbescholten und weist eine Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf und er lebt von Leistungen aus der Grundversorgung [Strafregisterauszug; ZMR-Auszug; Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister-IZR; GVS-Auszug].

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste des früheren Herrschaftsgebiets dieser Organisation im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Der Beschwerdeführer war weder durch die im Herkunftsstaat tätigen Milizen noch durch die Polizei des Herkunftsstaates einer asylrelevanten Bedrohung oder gar Verfolgung ausgesetzt.

1.6.1. Die Badr-Organisation (Al-Badr Miliz) ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des „Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak“ gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der „Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak“ wurde später zum „Obersten Islamischen Rat im Irak“ (OIRI), siehe Abschnitt „Politische Lage“]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie die Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen (Süß 21.8.2017). Die Badr-Organisation besteht offiziell aus elf Brigaden, kontrolliert aber auch einige weitere Einheiten (FPRI 19.8.2019). Zu Badr und seinen Mitgliedsorganisationen gehören Berichten zufolge die 1., 3., 4., 5., 9., 10., 16., 21., 22., 23., 24., 27., 30., 52., 55. und 110. PMF-Brigade (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018). Bei den Wahlen 2018 bildete die Badr-Organisation gemeinsam mit Asa‘ib Ahl al-Haqq und Kata‘ib Hizbullah die Fatah-Koalition (Wilson Center 27.4.2018), die 48 Sitze gewann (FPRI 19.8.2019), 22 davon gewann die Badr-Organisation (Wilson Center 27.4.2018). Viele Badr-Mitglieder waren Teil der offiziellen Staatssicherheitsapparate, insbesondere des Innenministeriums und der Bundespolizei (FPRI 19.8.2019). Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen (Wilson Center 27.4.2018).

Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft, von Frauen oder Kindern durch diese Miliz besteht nicht. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass Angehörige der „Badr-Miliz“ versucht hätten, ihn dazu zu bewegen, für sie zu kämpfen. Dass er einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung durch diese Miliz oder durch Angehörige dieser Miliz ausgesetzt gewesen wäre, kam anlassbezogen nicht hervor, zumal er der mehrheitlich vertretenen Glaubensrichtung der Schiiten angehört.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 26.08.2020

-        - ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 26.08.2020

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 26.08.2020

-        - GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 26.08.2020

-        - FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 26.08.2020

-        - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 26.08.2020

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 26.08.2020

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 26.08.2020

-        - Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 26.08.2020

1.6.2. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat des BF geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).

Der BF war laut eigenen Angaben zuletzt als Shawerma-Meister, sohin als Koch, tätig. Köche zählen nach den Länderberichten zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers nicht zu den als gefährdet angesehenen Berufsgruppen. Unter diesem Gesichtspunkt ist bei ihm selbst eine theoretische Gefahr, auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Köche verfolgt zu werden, nicht gegeben.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 26.08.2020

-        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff am 26.08.2020

1.6.3. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Der BF leidet unter Schilddrüsenproblemen, welche zum Verhandlungszeitpunkt medikamentös mit Pantropracil 30 mg, Seractil forte 400 mg und Paracetamol 500 mg behandelt wurden. Diese Erkrankung trat erst in Österreich auf und ist aus der Sicht des vom Bundesverwaltungsgericht dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren beigezogenen ärztlichen Sachverständigen, XXXX , nicht als lebensbedrohlich anzusehen. Bereits im Heimatstaat litt der BF unter einer Hand- und Fußverletzung, die derzeit mit Physiotherapie und Bandagen behandelt werden. Aufgrund des vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens steht fest, dass der BF unter keinen Krankheiten oder Gebrechen leidet, die in seinem Herkunftsstaat nicht (weiter) behandelt werden könnten. Die vom BF genannten Schilddrüsenprobleme beeinträchtigen auch seine grundsätzliche Reisefähigkeit im Fall seiner Rückschiebung in den Irak nicht [VH-Niederschrift S. 4; Befund XXXX ; ärztliches Attest in OZ 13; SV-Gutachten OZ 17].

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 26.08.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff am 26.08.2020

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff am 26.08.2020

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff am 26.08.2020

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff am 26.08.2020

1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahingehend entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates - etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber oder aus politischen Gründen - Probleme gehabt hätte.

Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass er oder die Angehörigen seiner Kernfamilie jemals politisch aktiv gewesen wären oder die Genannten einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates als Mitglieder angehört hätten.

Er hatte mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung bzw. mit den Angehörigen einer anderen im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtung keine Probleme.

Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird der Beschwerdeführer keiner - aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort - realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt sein.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden, sowie auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten persönlichen Dokumente und Urkunden.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben.

Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der BF angegeben, von einer Schiiten-Miliz bedroht worden zu sein, da er nicht mit ihnen habe kämpfen wollen. Er sei von dieser auch verletzt worden und habe deshalb das Land verlassen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

Bezüglich seines Fluchtgrundes gab er vor dem Einvernahmeorgan der belangten Behörde an, von Mitgliedern der „Badr-Miliz“ aufgesucht worden zu sein, da diesen bekannt gewesen sei, dass er keine Verwandten mehr habe und in einem Hotel im Stadtteil XXXX (Anm.: gemeint ist hier der schiitische Stadtteil XXXX , https://de.wikipedia.org/wiki/ XXXX , Zugriff: 26.08.2020) wohne. Er solle sich ihnen anschließen und es würde ihm alles zur Verfügung gestellt werden. Daraufhin habe er sich geweigert und die Männer hätten dem Betreiber des Restaurants, in welchem der BF zu diesem Zeitpunkt gearbeitet habe, aufgefordert, ihn zu kündigen. Nach seinem Arbeitstag will er zu einem Geistlichen gebracht und von diesem aufgefordert worden sein, sich ihnen anzuschließen. Der BF will das aus psychischen Gründen abgelehnt haben. Am nächsten Tag soll ihm an seiner Arbeitsstätte mitgeteilt worden sein, dass er hier nicht mehr arbeiten könne, da der Restaurantbetreiber Angst um seinen Betrieb habe, auch der Betreiber einer Arbeitsvermittlung soll sich geweigert haben, ihn zu vermitteln, da auch er Angst um sein Büro gehabt haben soll. In der darauffolgenden Nacht sei der BF von zwei Männern aus seinem Hotelzimmer abgeholt und in der Folge geschlagen worden. Dabei will er mehrere Zähne verloren haben. Auch ein Finger soll ihm gebrochen worden sein. Dies soll im Stadtteil XXXX passiert sein. Der Fahrer des Wagens soll zudem seine Zigarette auf seinem Bein ausgedämpft haben. Die Angreifer hätten ihn zurückgelassen, er habe jedoch aus Furcht sein Hotel nicht mehr aufgesucht. Er will daraufhin bei einem sunnitischen Freund in einem hauptsächlich von Sunniten bewohnten Viertel ( XXXX . Anm.: gemeint ist hier das sunnitische Viertel XXXX , https://en.wikipedia.org/wiki/ XXXX , Zugriff: 26.08.2020) Unterschlupf genommen haben. Auch dieser Freund soll ein Restaurant besessen haben und mit dem in Syrien gewesen sein. Er sei derzeit in diesem Stadtteil sicher, da schiitische Milizen einen sunnitischen Stadtteil nicht betreten würden. Ein Angestellter dieses Freundes habe dem BF nach Kurzem seine Tasche und Dokumente aus dem Hotel geholt. Der Vorfall mit den Männern und Verletzungen sei im Mai 2015 gewesen, die Übergabe der Tasche, der Dokumente und von finanziellen Mitteln durch den Freund im Juli 2015. Bis zum Vorfall im Mai 2015 habe er keine Probleme gehabt.

Insgesamt gelang es dem Beschwerdeführer nicht, die von ihm behaupteten Fluchtgründe dem Verwaltungsgericht glaubhaft zu machen.

So vermochte er insbesondere schon die ausschließlich gegen ihn gerichtete Bedrohung durch die Miliz im Laufe des behördlichen Ermittlungsverfahrens und des vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig gemachten Beschwerdeverfahrens nicht glaubhaft zu machen. Erste Widersprüche ergaben sich in den vom BF angegebenen Daten des Angriffes. Während er vor dem BFA noch angab, dass die angebliche Misshandlung im Mai 2015 geschehen sein soll (AS 95ff), sprach er im Rahmen der hg. mündlichen Verhandlung davon, dass er im Juli 2014 bedroht worden sein soll (S.7 der VH-Niederschrift). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er zudem an, nach diesem Vorfall nicht behandelt worden zu sein, da Milizen dies verhindert hätten. Später gab der BF an, er habe die Verletzungen nicht angezeigt, sei jedoch von dem Chef des Restaurants, in welchem er gearbeitet habe, zum Arzt gebracht und in Summe dreimal versorgt worden (S. 4 und S. 14f der VH-Niederschrift) während er vor dem BFA angegeben hatte, nach der Flucht in ein sunnitisches Viertel von einem Freund in ein Krankenhaus zur Versorgung gebracht worden zu sein (AS 96). Zudem konnte der BF nur vage Angaben zu jenen Personen machen, die ihn angeblich geschlagen haben sollen; weitere Vorfälle ähnlicher Art schloss der BF aus, da er sich versteckt haben wollte (VH-Niederschrift S. 16). Auch gab er an, dass er in den zwei Monaten zischen dem Vorfall und seiner Ausreise keinen weiteren Kontakt zu Milizen hatte und dass nicht nur er rekrutiert hätte werden sollen, sondern dass es überall Rekrutierungsversuche gegeben habe, die alle Männer betroffen hätten. Eine zielgerichtete Aktion gegen ihn ist sohin auszuschließen.

Ein weiterer Widerspruch ergab sich zudem zum Ableben seines Bruders. Während der BF vor dem BFA angab, dass sich der Bruder geweigert habe 1991 in Kuwait einzumarschieren und deshalb hingerichtet worden sei (AS 94) gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dieser sei im Zuge des Iran Konfliktes 1990 erschossen worden (S. 9 der VH-Niederschrift).

Wenn in der Beschwerde weiterhin vorgebracht wird, dass der BF Probleme wegen seiner illegalen Ausreise befürchte so ist dem entgegenzuhalten, dass seinen Angaben folgend die Ausreise legal mittels Flugzeug in die Türkei erfolgte.

In Anbetracht der aufgezeigten Inkonsistenzen und Widersprüche und des in der mündlichen Verhandlung vermittelten unglaubwürdigen persönlichen Gesamteindrucks erweist sich die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers insgesamt als tatsachenwidriges Gedankenkonstrukt.

Die getroffenen Konstatierungen waren somit im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat des BF in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.

2.5. Zur Integration des BF in Österreich

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten (Deutschkursbesuche) ergaben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt. Dass der BF über Deutschkenntnisse verfügt, konnte zusätzlich im Rahmen der hg. mündlichen Verhandlung festgestellt werden, in welcher er einige Fragen auf Deutsch beantworten konnte. Der Bezug aus Leistungen der Grundversorgung ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des BF und einem GVS-Auszug, der Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und die bisherige Unbescholtenheit aus den jeweiligen Auszügen aus dem Melderegister und dem Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .03.2018 erhobene Beschwerde des BF ist rechtzeitig und brachte die belangte Behörde die Beschwerde und die Akten des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, der sich eignet, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH vom 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; vom 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318 und vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH vom 05.11.1992, Zl. 92/01/0792 und vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH vom 01.06.1994, Zl. 94/18/0263 und vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor einer konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH vom 08.09.1999, Zlen. 98/01/0503 und 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, Zl. 98/20/0399 und vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Eine gegen eine Person gerichtete Verfolgungsgefahr aus solchen Gründen wurde vom Beschwerdeführer weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht.

Die vom BF behauptete Bedrohung bzw. Verfolgung durch die „Badr-Miliz“ konnte er, wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, nicht glaubhaft machen und erweist sich diese als tatsachenwidriges Gedankenkonstrukt. Die Widersprüche in den von ihm genannten Bedrohungszeiträumen sowie der medizinischen Versorgung der Verletzungen lassen ein Bild erkennen, welches gegen eine durch eine Miliz erfolgte, sohin nichtstaatliche, Bedrohung sprechen. Speziell die Diskrepanzen in Bezug auf den Zeitraum nach der angeblichen Misshandlung waren geeignet, die Glaubhaftigkeit des BF in Frage zu ziehen.

Ob der bereits im Rahmen der Beweiswürdigung erfolgten Ausführungen, den Angaben des BF und der in der Folge unmöglichen Subsumption unter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention und des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ergibt sich, dass anlassbezogen eine gegenwärtige, asylrelevante Verfolgung nicht vorliegt. Aus diesen Gründen erübrigt sich daher auch das Prüfen einer Fluchtalternative.

3.2.3. Aus den angeführten Gründen war daher der gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gerichtete Teil der Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:

3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn der beschwerdeführenden Partei eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH vom 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; vom 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; vom 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; vom 26.06.1997, ZI. 95/18/1291 und vom 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH vom 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH vom 14.10.1998, Zl. 98/01/0122 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (z.B. VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; vom 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438 und vom 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH vom 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0203 und vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH vom 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; vom 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR vom 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; vom 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR vom 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; vom 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH vom 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (z.B. das Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR vom 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH vom 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; vom 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; vom 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; und vom 16.0

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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