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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in Stinatz, vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. April 1996, Zl. 4.348.925/1-III/13/96, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste am 12. Februar 1996 in das Bundesgebiet ein und stellte am 14. Februar 1996 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren.
Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am selben Tag gab er seine Flüchtgründe wie folgt an:
"Ich habe Syrien deshalb verlassen, da ich vor den Drohungen eines Verwandten eines Mitschülers meines Sohnes Angst hatte. Mein Sohn besuchte die 9. Klasse der Mittelschule in Tal Tamir. Vor ca. 1 1/2 Monaten wurde in der Schule die Machtübernahme des derzeitigen Präsidenten Hafez Assad gefeiert. Vor Beginn des Schulfestes stellte der syr. Geheimdienst, welcher dieses Schulfest überwachte, fest, daß unbekannte Schüler Schimpfworte gegen den Präsidenten unter das Bild geschmiert hatten. Aufgrund dieses Vorfalles wurden alle Schüler befragt. Mein Sohn Paul hatte diesen Vorfall (Schreiben der Schimpfwörter unter das Bild) beobachtet. Aufgrund der Drohungen der Geheimdienstleute gab er die Namen der Schüler bekannt, die diese Schimpfwörter unter das Bild des Präsidenten geschrieben haben. Aufgrund seiner Aussage wurden die Mitschüler festgenommen und befinden sich vermutlich derzeit noch in Haft. Dies kann ich jedoch nicht angeben. Ab diesem Zeitpunkt wurden mein Sohn und auch ich von Verwandten der Festgenommenen mit dem Umbringen bedroht. Mein Sohn konnte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Schule besuchen und auch nicht mehr das Haus verlassen. Da ich seit Oktober 1994 keine Arbeit mehr in Syrien finden konnte und auch Angst hatte, daß die Verwandten der Mitschüler ihre Drohungen wahrmachen konnten, habe ich mich entschlossen, mit meiner Familie Syrien zu verlassen und nach Deutschland zu reisen, um mit meiner Familie ein neues Leben dort aufzubauen.
Frage: Waren dies die Gründe, warum Sie Syrien verlassen
haben?
Antwort: Ja, dies waren die Gründe, warum ich Syrien mit
meiner Familie verlassen habe.
Frage: Waren Sie bis zu Ihrer Ausreise konkreten
Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt oder waren Sie in Haft oder wurden Sie festgenommen?
Antwort: Nein, ich war bis zu meiner Ausreise keinen der
vorangeführten Verfolgungen ausgesetzt. Auch war ich niemals in Haft oder wurde ich festgenommen.
Frage: Weshalb haben Sie die Drohungen der Verwandten von
Mitschülern Ihres Sohnes nicht der Polizei angezeigt?
Antwort: Ich habe diese Drohungen bei der Polizei gemeldet,
jedoch wurde mir von der Polizei mitgeteilt, daß ich diese Drohungen nicht ernst zu nehmen bräuchte. Da ich jedoch diese Drohungen gegen meinen Sohn und auch mich sehr ernst nahm und auch nicht mehr in Syrien bleiben wollte, habe ich mit meiner Familie das Land verlassen.
Frage: Warum sind Sie nicht in einen anderen Teil von
Syrien gezogen und haben sich dort ein neues Leben aufgebaut?
Antwort: Da ich nicht mehr in Syrien bleiben wollte, bin
ich auch in keinen anderen Landesteil gezogen.
Frage: Weshalb sind Sie nicht in der Türkei oder in einem
der durchreisten Länder geblieben und haben dort einen Asylantrag gestellt?
Antwort: Da ich mit meiner Familie in die BRD reisen
wollte, bin ich in diesen Ländern nicht geblieben und habe auch keinen Asylantrag gestellt.
Frage: Was wollen Sie in Österreich?
Antwort: Ich möchte mir in Österreich mit meiner Familie
ein neues Leben aufbauen und eine Beschäftigung aufbauen."
Mit Bescheid vom 20. März 1996 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Asyl ab, wobei ein Begründungselement darin bestand, daß der Beschwerdeführer nach Ansicht des Bundesasylamtes "in einem anderen Teil von Syrien ein neues Leben beginnen" hätte können, wo er nicht von den Verwandten der festgenommenen Mitschüler seines Sohnes bedroht worden wäre.
In seiner fristgerecht erhobenen Berufung gab der Beschwerdeführer an, er habe der Dolmetscherin aufgrund deren syrischer Abstammung nicht getraut und habe deshalb nicht alles aussagen können. Daß er nach Deutschland habe weiterflüchten wollen, sei falsch übersetzt, er sei nach Österreich gekommen, um um Asyl anzusuchen. Aus Syrien sei er ausgewandert, um seine Familie in Sicherheit bringen zu können, weil er und seine Familie Angehörige der assyrischen Minderheit seien und in der assyrisch-demokratischen Organisation gearbeitet hätten; weiters seien sie Angehörige der christlichen Minderheit. Sein Sohn besuche eine arabische Schule und habe eines Tages eine Auseinandersetzung mit einem arabischen Schüler gehabt, von dem er "halb tot" zusammengeschlagen worden sei, dies wegen der Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensgemeinschaft. Der Beschwerdeführer habe die Polizei verständigt, der arabische Mitschüler sei für zwei Tage festgenommen, dann aber wieder freigelassen worden und bedrohe seither seinen Sohn ständig in der Schule. Die ganze Familie dieses Mitschülers habe seinen Sohn bedroht, wenn er von Syrien nicht flüchte, "dann schwören wir euch bei Muhamed, wir werden deine ganze Familie umbringen". Dreimal habe die Familie des Mitschülers seine Familie zu Hause mit Waffen bedroht, weil sie "noch da" seien. Der Beschwerdeführer und seine Familie hätten furchtbare Angst bekommen und sich gezwungen gesehen, auszureisen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab, was sie nach Ausführungen zur Rechtslage vor allem damit begründete, die von Privatpersonen ausgehenden Bedrohungen könnten nicht den staatlichen Behörden zugerechnet werden, eine etwaige Verfolgung bzw. die Fucht davor müsse "an sich" im gesamten Gebiet des Heimatstaates bestehen, der Beschwerdeführer sei jedoch von vornherein "nicht willens gewesen", in einen anderen Landesteil zu ziehen, die Einwände gegen die Dolmetscherin bzw. gegen die Fehlübersetzungen hätte er bereits im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme geltend machen können, weshalb die belangte Behörde keinerlei Mängel im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren erblicke und daher gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 auf das weitere Berufungsvorbringen nicht einzugehen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpfende Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Den weitwendigen Beschwerdeausführungen zur besonderen Rolle der Dolmetscherin im Asylverfahren kommt nur insofern Berechtigung zu, als dem Vorwurf einer unrichtigen Übersetzung nicht - wie das die belangte Behörde versucht - mit einem Hinweis auf die gerichtliche Beeidigung des Dolmetsch begegnet werden kann und auch keine Bestimmung, insbesondere nicht der § 14 AsylG 1991 es ausschließt, Bedenken gegen die Person des Dolmetsch in der Berufung (oder auch im Zuge des Berufungsverfahrens) statt schon im Zuge der Ersteinvernahme anzubringen.
Die Beschwerde versäumt es jedoch, die Wesentlichkeit dieses Verfahrensmangels darzutun: In einem wesentlichen Punkt, dem Personenkreis der Verfolger nämlich, hat der Beschwerdeführer weder in der Berufung noch auch in der nunmehrigen Beschwerde von der erstinstanzlichen Niederschrift abweichende Angaben gemacht. Auch nach den Berufungsausführungen erlitten der Beschwerdeführer und seine Familie daher ausschließlich durch die Familie des Mitschülers des Sohnes des Beschwerdeführers Verfolgung, sodaß nicht ersichtlich ist, warum diese befürchteten Verfolgungshandlungen dem Staat zuzurechnen sein sollten. Es bedarf jedoch keines weiteren Eingehens auf die in der Berufung überdies noch geltend gemachten Gründe, daß Angaben vom Beschwerdeführer in 1. Instanz deshalb nicht vorgebracht worden seien, weil er der beigezogenen Dolmetscherin aufgrund ihrer syrischen Abstammung nicht getraut habe. Es kann nämlich der ermittelnden Behörde nicht als Verfahrensmangel angelastet werden, wenn der Asylwerber aus inneren, nach außen in keiner Weise in Erscheinung tretenden Motiven keine vollständigen und richtigen Angaben anläßlich seiner Ersteinvernahme gemacht haben will (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 95/20/0691, mwN).
Im vorliegenden Fall hat überdies die Asylbehörde erster Instanz dem Beschwerdeführer entgegengehalten, er hätte in einem anderen Teil von Syrien, wo er nicht von den Verwandten des Mitschülers seines Sohnes bedroht worden wäre, ein neues Leben beginnen können, und ihm damit sinngemäß das Vorliegen einer sogenannten inländischen Fluchtalternative vorgehalten. Auch die belangte Behörde hat die Ansicht vertreten, daß eine asylrelevante Verfolgungsgefahr das gesamte Staatsgebiet des Heimatlandes des Asylwerbers betreffen müsse. Dieser Annahme ist der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren entgegengetreten, noch finden sich in der Beschwerde Ausführungen dagegen. Da es auch keineswegs unschlüssig erscheint, daß die ausschließlich von der Familie des Mitschülers ausgehenden Verfolgungshandlungen nicht im gesamten Gebiet des Heimatlandes aufrecht erhalten werden könnten, kann dieser Annahme ohne konkrete Gegendarstellung auch nicht von vornherein die Richtigkeit abgesprochen werden (vgl. auch zur Verfolgung durch einen Volksstamm mit immerhin ca. 1,2 Prozent Bevölkerungsanteil das hg. Erkenntis vom 31. August 1995, Zl. 94/19/1404; vgl. weiters zum Erfordernis, dem Vorhalt des Vorliegens einer inländischen Fluchtalternative substantiiert entgegenzutreten, die hg. Erkenntisse vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0850, vom 5. Juni 1996, Zl. 96/20/0323, vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0222, und vom 23. Jänner 1997, Zl. 95/20/0320).
Da somit selbst bei Annahme der in der Beschwerde behaupteten drohenden asylrelevanten Verfolgung und Zurechenbarkeit derselben an die Behörden des Heimatlandes sich diese Gefahr nicht auf dessen gesamtes Gebiet erstreckte, hätte die belangte Behörde auch bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensfehler nicht zu einem anders lautenden Bescheid gelangen können, weshalb der Beschwerdeführer auch dadurch nicht in seinen Rechten verletzt werden konnte. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtsmittelverfahren Berufung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996200424.X00Im RIS seit
20.11.2000