TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/15 G305 2155787-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.09.2020
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Entscheidungsdatum

15.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2155787-2/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , StA: Irak, vertreten durch durch Mag.a Nadja LORENZ, Rechtsanwältin in Wien, gegen den zum XXXX .01.2018 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.01.2019, zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.

II.      Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX , geboren am XXXX , der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX , geboren am XXXX , eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

IV.      In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Am 23.08.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte irakische Staatsangehörige XXXX , geboren am XXXX , zeitgleich mit seinem gesondert zu behandelnden Vater und seinem zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen Bruder ( XXXX , geboren am XXXX und XXXX , geboren am XXXX , GZ G305 2155795-2; G305 2155790-2) vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 23.08.2015 wurde der BF von Organen der Polizeiinspektion XXXX niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF an, dass er bereits einige Jahre vor der Ausreise den Entschluss zur Ausreise gefasst hätte. Zu seinen Fluchtgründen selbst gab er an, Sunnit zu sein und in einem Sunnitischen Viertel gewohnt zu haben. Sein Vater sei von einer Miliz bedroht worden und habe Angst um sich und das Leben seiner Söhne gehabt. Er selbst habe Angst davor gehabt, von einer schiitischen Miliz entführt zu werden.

Die Reiseroute wurde im Protokoll wortgleich aus der Erstbefragung des Vaters übernommen. Dieser gab an, am XXXX .08.2015 von XXXX ausgehend mit dem Flugzeug nach Antalya (Türkei) geflogen zu sein. Von dort aus sei er mit einem Reisebus nach Bodrum gefahren und habe mittels Schlauchboot auf die Insel Kos übergesetzt. Mit einer Fähre habe er Athen erreicht und sei von dort teils zu Fuß, teils mit Bus und Van bis nach Österreich gelangt. Ein Schlepper habe ihn jedoch nach Deutschland gebracht. Da der Onkel des BF in Wien ausgestiegen sei, habe sich sein Vater entschlossen, nach Österreich zurückzukehren. Über eine Brücke seien sie ins Bundesgebiet gelangt und dort von der Polizei aufgegriffen worden, da die Kommunikation mit einem Taxifahrer und eine Weiterreise nach Wien nicht möglich gewesen sei. Zielland sei ursprünglich Finnland gewesen, da ihnen mitgeteilt worden sei, dass Österreich keine Flüchtlinge mehr aufnehme.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ.

1.3. Am 23.05.2016 wurde der BF ab 11:00 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.

Bei dieser Einvernahme wiederholte er die Fluchtgründe seines Vaters und gab an, dass dieser bereits Angaben vor dem BFA gemacht hätte. Man habe gedroht, ihn (den Vater) und die Söhne zu töten. Alle hätten Angst um ihr Leben gehabt. Auch der Leiter des Sportclubs des BF sei bedroht worden. Dieser habe die Drohung jedoch nicht ernst genommen und sei angeschossen worden. Wer genau die Schützen waren, könne er nicht sagen. Zeitungen hätten jedoch Milizen genannt, ohne genauer auf diese einzugehen. Eine persönliche Drohung gegen den BF sein zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

1.4. Mit jeweils zum XXXX .04.2017 datierten Bescheiden der belangten Behörde in Bezug auf den BF sowie dessen Vater und Bruder, wies das BFA die Anträge der beschwerdeführenden Parteien (in der Folge auch: Beschwerdeführer oder kurz: bfP) hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom 23.08.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt werde, dass gemäß § 53 Abs 9 FPG die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass den bfP im Heimatstaat keine aslyrelevante Verfolgung drohe und der Vater des BF unglaubwürdige Angaben gemacht hätte.

1.5. Gegen den zum XXXX .04.2017 datierten Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, dass er den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ und „Verletzung von Verfahrensvorschriften“ - vollumfänglich anfechte und die Beschwerde mit den Anträgen verbinde, 1.) den Bescheid zur Gänze zu beheben und ihm den Status eines Asylberechtigten zuzusprechen, in eventu 2.) den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens an das Bundesamt zurückzuverweisen, in eventu 3.) ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzusprechen und 4.) feststellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung plus vorliegen würden und ihm eine solche von Amts wegen zu erteilen sei, in eventu 5.) feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz vorliegen sowie jedenfalls 6.) jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen. In der Beschwerde brachte er erstmalig vor, seit seinem zehnten Lebensjahr homosexuelle Neigungen zu haben und in einer aufrechten Beziehung zu einem österreichischen Staatsbürger zu sein. Aus diesem Grund sei er in seiner Heimat einer aktuellen Verfolgung ausgesetzt.

1.6. Mit Beschluss vom 20.11.2017, L521 2155787-1/5E wurde die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG in Verbindung mit § 18 Abs. 3 AVG als unzulässig zurückgewiesen. Da das damalige Schriftstück nicht mit der Unterschrift des Genehmigenden versehen wurde, richtete sich die Beschwerde folglich gegen einen Nichtbescheid. Das Verfahren war somit nach wie vor beim BFA anhängig. Dieses habe vor einer neuerlichen Bescheiderlassung das Vorbringen in der Beschwerde und die Beschwerdeergänzung zu berücksichtigen.

1.7. Mit zum XXXX .01.2018 datiertem Bescheid der belangten Behörde, wies das BFA den Antrag, den BF hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom 23.08.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und festgestellt werde, dass gemäß § 53 Abs 9 FPG die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Begründet wurde dies wiederholt im Wesentlichen damit, dass den bfP im Heimatstaat keine aslyrelevante Verfolgung drohe und der Vater des BF unglaubwürdige Angaben gemacht hätte. Eine Einbeziehung des Vorbringens in der Beschwerde erfolgte nicht.

1.8. Gegen den zuletzt erlassenen Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, dass er den Bescheid vollumfänglich anfechte und die Beschwerde mit den Anträgen verbinde, 1.) eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, 2.) alle zu seinen Lasten gehenden Rechtswidrigkeiten amtswegig aufzugreifen bzw. ihm allenfalls Verbesserungsaufträge zu erteilen, um die nicht mit der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte ausführen zu können, 3.) der Beschwerde stattzugeben, in der Sache selbst zu entscheiden und ihm Asyl zu gewähren, in eventu 4.) die angefochtenen Bescheide bezüglich des Spruchpunktes II. abzuändern und ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu 5.) den Bescheid bezüglich des Spruchpunktes III.) aufzuheben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erklärt werde und ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde sowie festzustellen, dass seine Abschiebung in den Irak unzulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise ersatzlos behoben werde und in eventu 6.) den Bescheid beheben und an das BFA zurückzuverweisen. In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass sich die belangte Behörde zu keinem Zeitpunkt mit seiner vorgebrachten Homosexualität auseinandergesetzt hätte. Zudem habe sich die belangte Behörde entgegen den Vorgaben des Bundesveraltungsgerichts im Beschluss vom 20.11.2017, L521 2155787-1/5E nicht mit den bereits vorgebrachten Beschwerdepunkten auseinandergesetzt.

1.9. Am 09.03.2018 legte die belangte Behörde die gegenständliche Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsakten dem BVwG vor.

1.10. Anlässlich der am 16.01.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache und seiner Rechtsvertreterin einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität XXXX , geboren am XXXX , und ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an und bekennt sich zur sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft. Seine Muttersprache ist arabisch; er spricht zudem Englisch und Deutsch. Er ist ledig und kinderlos [Erstbefragung AS 21; Reisepasskopie AS 73].

Er hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX .09.2015 im Bundesgebiet (seit dem XXXX .09.2019 an der Anschrift XXXX ) und ist strafrechtlich unbescholten [Auszug aus dem Zentralen Melderegister - ZMR; Strafregisterauszug].

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Parteien in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Der BF stammt aus XXXX und ist gemeinsam mit seinem Vater, XXXX , geboren am XXXX und seinem jüngeren Bruder XXXX , geboren am XXXX (GZ: G305 2155795-2 und G305 2155790-1) am XXXX .08.2015 von XXXX ausgehend mit dem Flugzeug nach Antalya (Türkei) ausgereist. Von dort gelangten sie mit einem Reisebus nach Bodrum und mittels Schlauchboot auf die Insel Kos. Mit einer Fähre setzten die Genannten nach Athen über und gelangten von dort, teils zu Fuß, teils mit dem Bus oder einem Van bis nach Österreich. Ein Schlepper brachte die Familie nach Deutschland. Da der Onkel des BF zu diesem Zeitpunkt in Wien war, entschloss sich der Vater des BF, nach Österreich zurückzukehren. Über eine nicht feststellbare Brücke bzw. einen nicht feststellbaren Grenzübergang gelangten sie ins Bundesgebiet und wurden dort von der Polizei aufgegriffen, da die Kommunikation mit einem Taxifahrer und eine Weiterreise nach Wien nicht möglich war. Zielland war ursprünglich Finnland, da ihnen mitgeteilt wurde, dass Österreich keine Flüchtlinge mehr aufnehme [Erstbefragung des Beschwerdeführers, AS 27. Damit übereinstimmend die Erstbefragung im Akt zu G305 2155795-2, AS 24].

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ [EURODAC-Abfrage AS 43].

1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

Im Herkunftsstaat besuchte der BF sechs Jahre lang die Grundschule und zwei Jahre lang die Mittelschule in XXXX . Weitere Ausbildungen belegte der BF nicht [VH-Niederschrift S. 5].

Er verfügt über keine Berufsausbildung, arbeitete im Herkunftsstaat nach eigenen Angaben in einem Geschäft neben dem Wohnhaus der Familie, welches Herrentextilien verkaufte. Er war dort als Verkäufer angestellt [VH-Niederschrift S. 5]. In seiner Heimat ging er auch sportlichen Aktivitäten nach, unter anderem als XXXX und war in diesem Sport seit dem Jahr 2005 bis eine Woche vor der Ausreise aus dem Irak engagiert. Der BF nahm zudem an nationalen Meisterschaften teil [VH-Niederschrift S. 8 und S. 12].

Die Kernfamilie des BF lebte zuletzt in einem Einfamilienhaus im Bezirk XXXX , Stadtteil XXXX , einem vorwiegend von Sunniten bewohnten Stadtteil (https://en.wikipedia.org/wiki/ XXXX , letzter Zugriff: 10.09.2020). Die Kernfamilie des BF bestand bis zur Ausreise aus dem Vater des BF, XXXX , geboren am XXXX und seinem jüngeren Bruder XXXX , geboren am XXXX (GZ: G305 2155795-2 und G305 2155790-1), der Mutter, XXXX , geboren XXXX und den in Bagdad aufhältigen Brüdern XXXX , geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX . Die Mutter und die beiden Brüder (letztere mit deren Familien) leben noch immer unbehelligt in Bagdad [Erstbefragung AS 25; VH-Niederschrift S. 6].

1.4. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der BF hatte weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde zu keinem Zeitpunkt von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Sunniten bzw. zur (Mehrheits-)ethnie der Araber oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt [Niederschrift-BFA AS 67f; VH-Niederschrift S. 6f].

Das Fluchtvorbringen des BF, welches sich ursprünglich auf jenes seines Vaters stützt, erweist sich als nicht glaubwürdig [Niederschrift-BFA AS 63f].

Festgestellt wird, dass der BF aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort seinen Herkunftsstaat verlassen hat.

Weitere Fluchtgründe brachte er bis zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht vor.

Erst in der Beschwerde vom 21.04.2017 brachte er erstmals vor, dass er homosexuell sei.

Insgesamt vermochte der BF jedoch nicht glaubhaft zu machen, dass er oder sein Vater oder sein mitbeschwerdeführender Bruder im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch eine (schiitische) Miliz oder von staatlicher Seite ausgesetzt gewesen wären.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Der BF hat nachweislich an einer öffentlichen Schule den Gegenstand Deutsch als Fremdsprache besucht und half als Sprachvermittler zwischen Asylwerbern. Für ihn liegt eine Teilnahmebestätigung eines Deutschkurses für Asylwerber und ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Niveau B1 vor [Zertifikat AS 197; Unterstützungsschreiben AS 199ff; Zeugnis in OZ 15]. Er besuchte den Übergangslehrgang des Bundesoberstufenrealgymnasiums in XXXX und ist seit September 2018 Schüler einer „ XXXX “ Schule in XXXX [Bestätigungen in OZ 2 und OZ 24; Zeugnisse in OZ 19 und OZ 25.]. Die weitere Integration des BF kann durch die dem Akt beiliegenden Unterstützungsschreiben [Konvolut in OZ 13] sowie die Fotodokumentation über die Teilnahme an diversen XXXX wie der XXXX sowie der XXXX in XXXX und XXXX festgestellt werden [Fotokonvolut in OZ 13 und OZ 23].

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste des früheren Herrschaftsgebiets dieser Organisation im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Der Beschwerdeführer war weder durch die im Herkunftsstaat tätigen Milizen noch durch die Polizei des Herkunftsstaates einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt.

1.6.1. Die Asa’ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz’ali-Netzwerk, League of the Righteous, kurz: AAH) ist eine der unter der PMF zusammengefassten schiitischen Milizen. Diese Miliz wurde 2006 von Qais al-Khaz’ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Ausgegangen wird von einer Truppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist, wie die Badr-Organisation und Kata’ib Hizbullah, vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Seitens der Regierung wurde 2016 der Versuch unternommen, Teile der PMF in die staatliche Sicherheitsstruktur einzugliedern und unter die Kontrolle des Premierministers zu stellen - ein Projekt, dessen Ausgang noch immer unklar ist.

1.6.2 Bei der von vom BF genannten Mahdi Miliz handelt es sich um die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades), eine der unter der PMF zusammengefassten schiitischen Milizen. Diese Miliz wurde 2014 von Muqtada as-Sadr gegründet und kann als Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee (Jaish al-Mahdi; https://de.wikipedia.org/wiki/Mahdi-Armee, Stand Dezember 2019, Zugriff am: 09.09.2020) bezeichnet werden. Einige Quellen sprechen von 50.000 bis zu 100.000 Kämpfern. Ihre Schlagkraft ist mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt, was an der gewahrten politischen Distanz zu Teheran und damit einhergehend reduzierten Mitteln von Seiten des Iran liegt. Ihr Haupteinsatzgebiet liegt im vorgeblichen Schutz heiliger schiitischer Stätten. Seitens der Regierung wurde 2016 der Versuch unternommen, Teile der PMF in die staatliche Sicherheitsstruktur einzugliedern und unter die Kontrolle des Premierministers zu stellen - ein Projekt, dessen Ausgang noch immer unklar ist.

Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft durch diese Milizen besteht nicht. Anlassbezogen ist nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Bedrohung durch schiitische Milizen oder durch die Polizei des Herkunftsstaates ausgesetzt gewesen wäre.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 09.09.2020

-        - ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 09.09.2020

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 09.09.2020

-        - GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 09.09.2020

-        - FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 09.09.2020

-        - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 09.09.2020

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 09.09.2020

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 09.09.2020

-        - Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 09.09.2020

1.6.3. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat des BF geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).

Der BF war laut eigenen Angaben zuletzt bis 2012 Schüler und arbeitete zudem als Verkäufer in einem Geschäft für Herrentextilien [VH-Niederschrift S. 5]. Auf Grund dieser Angaben lässt sich feststellen, dass er keiner der in den Länderberichten erwähnten Gruppen zuordenbar ist und mit der von ihm ausgeübten Berufstätigkeit keiner als gefährdet anzusehenden Berufsgruppe angehört.

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 09.09.2020

-        - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff am 09.09.2020

1.6.4. Medizinische Versorgung:

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Anlassbezogen konnte festgestellt werden, dass es sich beim BF um einen gesunden jungen Mann handelt, der keiner Medikamenteneinnahme bedarf und unter keinen gesundheitlichen Einschränkungen leidet.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 12.10.2018

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767. Zugriff 20.11.2018

-        IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl de.pdf:isessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1 cid294?blob=publicationFile. Zugriff 16.10.2018

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq:   Primary Health Care,

-        http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html. Zugriff 16.10.2018

1.6.5. Sexuelle Minderheiten:

Das Strafgesetzbuch des Irak verbietet gleichgeschlechtliche Intimität nicht (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Es gibt keine Gesetze, die gleichgeschlechtliches Verhalten (same-sex conduct) direkt kriminalisieren würden. Nach Artikel 394 ist jedoch das Eingehen einer außerehelichen sexuellen Beziehung strafbar (HRW 14.1.2020). Die Behörden stützen sich aber auf Anklagen wegen Sittlichkeitsvergehen oder Prostitution, um gleichgeschlechtliche - aber auch außereheliche heterosexuelle - Aktivität strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 11.3.2020). Herangezogen wird Artikel 401 bezüglich unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit (bis zu sechs Monate Haft). Es handelt sich dabei um eine vage Bestimmung, die zur Verfolgung sexueller und gleichgeschlechtlicher Minderheiten herangezogen werden kann, auch wenn kein derartiger Fall dokumentiert ist (HRW 14.1.2020).

Auch wenn sensible Themen zunehmend öffentlich diskutiert werden, wird Homosexualität weitgehend tabuisiert und von großen Teilen der Bevölkerung als unvereinbar mit Religion und Kultur abgelehnt. Homosexuelle leben ihre Sexualität meist gar nicht oder nur heimlich aus und sehen sich Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Es besteht ein hohes Risiko sozialer Ächtung (AA 12.1.2019) und Gewalt (FH 4.3.2020), bis hin zu Ehrenmorden durch Familienangehörige (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 11.3.2020). Angehörige sexueller Minderheiten sind häufig Misshandlungen und Gewalt durch staatliche und nicht-staatliche Akteure ausgesetzt, die von der Regierung nicht wirksam untersucht werden. Die Polizei wird mitunter eher als Bedrohung, denn als Schutz empfunden (AA 12.1.2019). Trotz wiederholter Drohungen und Gewalttaten gegen Angehörige sexueller Minderheiten versäumt es die Regierung, Angreifer zu identifizieren, festzunehmen oder strafrechtlich zu verfolgen bzw. mögliche Opfer zu schützen (USDOS 11.3.2020). Staatliche Rückzugsorte für Angehörige sexueller Minderheiten gibt es nicht, die Anzahl privater Schutzinitiativen ist sehr beschränkt (AA 12.1.2019).

Im gegenständlichen Verfahren brachte der BF keine eigenen Fluchtgründe vor, sondern bestätigte grundsätzlich nur die Aussagen seines Vaters, wonach dieser in seiner Funktion als XXXX bedroht worden sein will. Angriffe ob seiner sexuellen Orientierung, die von öffentlicher Seite herrührten, konnte der BF nicht substantiiert vorbringen, sodass eine Verfolgung nicht festgestellt werden konnte.

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 10.09.2020

-        - CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women; IraQueer (Author), MADRE (Author), OutRight Action International (Author), OWFI - The Organization of Women's Freedom in Iraq (Author) (9.2019): Violence and Discrimination Based on Sexual Orientation and Gender Identity in Iraq, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37343_E.docx, Zugriff 10.09.2020

-        - FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 10.09.2020

-        - HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 10.09.2020

-        - USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 10.09.2020

-        - USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004254.html, Zugriff 10.09.2020

1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates insbesondere wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der schiitischen Araber, aus politischen Gründen oder wegen seiner sexuellen Orientierung Probleme gehabt hätte. Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass er oder die Angehörigen seiner Kernfamilie politisch aktiv gewesen wären oder als Mitglied einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten. Auch vermochte er nicht glaubhaft zu machen, dass er von seiner Familie oder öffentlicher Seite wegen seiner sexuellen Orientierung verstoßen worden wäre. Vielmehr gab der Vater des BF bei seiner hg. mündlichen Verhandlung an, bereits den Verdacht gehabt zu haben, dass der BF homosexuell sei, da er dies auf Grund seines Verhaltens und seiner Sprache angenommen hatte. Negative Auswirkungen hatte dies jedoch nicht [VH-Niederschrift im Akt zu G305 2155495-2, S. 27f].

Erst im Beschwerdeverfahren, das auch der Ermittlung seiner Lebensumstände vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat diente, kam erstmals seine sexuelle Orientierung hervor. Konkrete Bedrohungen im Heimatstaat wurden, mit Ausnahme von zwei Situationen in welchen er von einem Klassenlehrer und ihm fremden Männern angeblich erniedrigt worden sein soll, nicht vorgebracht. Dementsprechend ist nicht feststellbar, dass der BF ob seines Auftretens und seiner sexuellen Orientierung von staatlicher Seite einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt war, zumal er dies auch nicht behauptete, sondern sich auch vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die Fluchtgründe seines Vaters berief [VH-Niederschrift S. 7 und S. 15f].

Der BF hatte zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit Angehörigen einer Miliz, namentlich der Miliz „Saraya al-Salam/Jaish al-Mahdi“ oder der „Asa’ib Ahl al-Haqq“. Auch wurde kein Mitglied der Familie des BF je dazu angeworben, für diese oder eine andere (schiitische) Miliz zu kämpfen. Auch sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass der BF Berührungspunkte mit dieser oder einer anderen, im Herkunftsstaat aktiven Miliz gehabt hätten. Ihm gelang es nicht, gegen ihn gerichtete, asylrelevante Handlungen, glaubhaft zu machen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die auf den Angaben des BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden sowie den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten persönlichen Dokumente und Urkunden.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

Die Wohnsitznahme in XXXX , der Bezug staatlicher Leistungen durch die Grundversorgung sowie die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergeben sich zweifelsfrei aus den Abfragen des Zentralen Melderegisters, eines Auszugs aus dem Betreuungsinformationssystem-GVS und einem Strafregisterauszug.

2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf den Angaben seines Vaters, XXXX , geboren am XXXX (GZ: G305 2155795-2), sowie seinen eigenen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben.

Der Vater des BF gab vor den Organen der Sicherheitsbehörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie dem Bundesverwaltungsgericht durchgehend an, in seiner Rolle als XXXX bedroht worden zu sein. Kurz nach seiner Flucht habe eine weniger qualifizierte Person, die noch dazu einer schiitischen Miliz nahestehen soll, seinen Posten übernommen. Dies sei auch in anderen XXXX der Fall gewesen. Um diese Bedrohungslage zu verdeutlichen, wurden im Rahmen der hg. mündlichen Verhandlungen Foto- und Videodokumente vorgelegt, die die Ermordung und Bedrohung anderer hoher Funktionäre verdeutlichen sollten. In dem vor dem Bundesverwaltungsgericht gezeigten und durch den anwesenden Dolmetscher übersetzten Video wurde der Vater und dessen Fluch zwar namentlich erwähnt, eine zuvor gegen ihn bestehende Drohung konnte hier letztendlich nicht bestätigt werden.

Wenn der Vater des BF im Rahmen seiner mündlichen Verhandlung angibt, dass die von ihm verdächtigte Person geplant hatte, die XXXX als Deckmantel für Schlepperaktivitäten zu nutzen (S. 23ff der VH-Niederschrift im Akt zu GZ: G305 2155795-2) so ist hier anzuführen, dass hierfür keinerlei Beweise vorgelegt werden konnten, um diese Angaben zu untermauern.

Personen, die Drohung ausgesprochen haben sollen, vermochten die beschwerdeführenden Parteien, hier vor allen der Vater des BF, nicht glaubhaft zu machen. Der Vater des BF äußerte lediglich den Verdacht, dass es sich hierbei um einen Arbeitskollegen gehandelt haben könnte, der den schiitischen Milizen und dem Netzwerk von Al Sadr nahestehen soll (S. 18f der Verhandlungsniederschrift im Akt zu GZ: G305 2155795-2). Seine Flucht stützte der Vater des BF darauf, dass bereits in den Wochen zuvor andere XXXX attackiert worden sein sollen. Er konnte jedoch nicht klar und nachvollziehbar darlegen, von welcher Seite die vermeintliche Drohung ausgesprochen wurde. Jenes Mobiltelefon, auf welchem der Vater des BF angerufen worden sein soll, befindet sich nicht mehr in dessen Besitz. Die Nummer, von welcher aus er angeblich angerufen worden sein soll, soll unmittelbar nach dem Anruf nicht mehr erreichbar gewesen sein.

Ungeachtet der Angaben des Vaters des BF, ein einziges Mal bedroht worden zu sein, wobei die Drohung telefonisch ausgesprochen worden sein soll, ist zu beachten, dass der BF selbst nie Adressat von gegen ihn gerichteten asylrechtlich relevanten Drohungen bzw. Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie oder Religionsgemeinschaft des Irak oder einer bestimmten politischen Überzeugung war und er diesbezüglich auch keine Behauptungen erhob. Selbst bei Wahrunterstellung einer gegen den Vater ausgesprochenen telefonischen Drohung durch eine unbekannte Person, ist doch zu berücksichtigen, dass die Drohung keinen asylrechtlich relevanten Hintergrund hatte und deshalb von einer persönlichen Motivation auszugehen wäre. Hiermit in Zusammenhang steht auch, dass die beim Bundesverwaltungsgericht eingelangte ACCORD-Anfragebeantwortung (OZ 14) und sich aus den aktuellen Länderberichten zum Herkunftsstaat des BF keine Anhaltspunkte dahin ergeben, dass hohe XXXX Opfer einer staatlichen Verfolgung geworden wären. Auch verschließt sich dem erkennenden Gericht, weshalb hohe XXXX , hier vor allen des Vaters des BF, Opfer einer staatlichen Verfolgung geworden sein sollten bzw. werden, wo doch ihr Wirken im Interesse des Staates stand bzw. steht. Unklar ist auch, warum der Vater des BF die angeblich wider ihn ausgesprochene Drohung nicht der Polizei bzw. den Strafverfolgungsbehörden des Herkunftsstaates angezeigt hat.

Aus den angeführten Gründen und der Tatsache, dass der Vater des BF im gesamten Verfahrensverlauf ausschließlich Mutmaßungen über jene Personen, die ihn angeblich bedroht haben sollen, aufstellte, gelang es den bfP in deren Verfahren zu GZ: G305 2155795-2 und G305 2155790-2 insgesamt nicht, einen asylrechtlich relevanten Verfolgungsgrund darzutun. Auch die ergänzenden Ausführungen des Beschwerdeführers konnten nicht dazu beitragen, die Glaubhaftigkeit des Vorbringens dahingehend zu heben, als daraus ein asylrelevanter Vorfall auf den BF ableitbar wäre.

Erst im Zuge der erstmalig erhobenen Beschwerde wurde aktenkundig, dass der BF homosexuell ist. Wenn die Rechtsvertretung moniert, dass die belangte Behörde dies im erstmals am XXXX .04.2017 ausgestellten Bescheid nicht berücksichtigt habe, ist anzumerken, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Anhaltspunkte aus den einzelnen Akten ersichtlich sind, die Anhaltspunkte in Hinblick auf eine solche sexuelle Orientierung ergeben würden. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF erst im Beschwerdeverfahren seine sexuell Orientierung nach außen hin publik machte. Die in der Folge durch den BF eingereichten Beweismittel in Form von Unterstützungsschreiben einschlägiger Organisationen und Fotokonvoluten von XXXX sowie der XXXX und XXXX vermögen jedoch dahingehend zu überzeugen, dass der BF diese geschlechtliche Orientierung tatsächlich vorweist, obgleich sie zum Zeitpunkt der Antragstellung auf internationalen Schutz und in den ersten Verfahrensteilen noch nicht Teil seines Vorbringens waren. Auch die Erzählungen über erste homoerotische Erlebnisse in seiner Heimat vermochte der BF glaubhaft darzulegen. Eine allfällige staatliche Verfolgung im Herkunftsstaat aus Gründen seiner sexuellen Orientierung wurde weder behauptet noch vermochte der BF eine solche darzutun. Vielmehr schloss er bei seiner Einvernahme als Partei in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, von Seiten seines Vaters oder anderer offizieller Seite bedroht worden zu sein. Auch der Vater bestätigte im Rahmen seiner PV vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass er bereits seit längerem Verdachtsmomente über die sexuelle Orientierung seines Sohnes zumindest hatte (VH-Niederschrift S. 27f im Akt zu G305 2155795-2).

Die getroffenen Konstatierungen waren somit im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat der bfP in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen dem BF drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.

2.5. Zur Integration des BF in Österreich

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten (Deutschkursbesuch, Einbindung in den XXXX , Schulbesuche, Teilnahme an XXXX ) ergaben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt. Eine tiefergreifende Integration konnte anhand der dem Akt beiliegenden Unterstützungsschreiben festgestellt werden, die auch von Personen der LGBTI-Community stammen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .01.2018 erhobene Beschwerde des BF ist rechtzeitig und legte die belangte Behörde die Beschwerdesachen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, der sich eignet, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH vom 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; vom 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318 und vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH vom 05.11.1992, Zl. 92/01/0792 und vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH vom 01.06.1994, Zl. 94/18/0263 und vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor einer konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH vom 08.09.1999, Zlen. 98/01/0503 und 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, Zl. 98/20/0399 und vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Eine gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr von staatlicher Seite aus solchen Motiven konnte der Beschwerdeführer weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft machen.

Soweit er sich auf die Fluchtgründe seines Vaters beruft und in der dem Akt zu G305 2155795-2 beiligenden Beschwerde geltend gemacht wird, dass dieser von einer ihm unbekannten Person bedroht worden sei, seinen Arbeitsplatz zu verlassen, widrigenfalls er und seine Söhne getötet werden würden, hat er damit lediglich eine einzelne, auf den privaten bzw. persönlichen Bereich eingeschränkte Bedrohungssituation behauptet, die die beschwerdeführenden Parteien insgesamt jedoch nicht glaubhaft machen konnten. Eine staatliche Verfolgung wurde weder behauptet, noch glaubhaft gemacht. Selbst bei Wahrunterstellung der Behauptungen des Vaters des BF, dass dieser von einer unbekannten Person telefonisch bedroht bzw. verfolgt worden sei, ist zu berücksichtigen, dass es sich dabei nicht um eine Bedrohung bzw. Verfolgung von staatlicher Seite, sondern von unbekannt handelt. Mit seinem Vorbringen vermochte der Vater des BF keine staatliche Verfolgung seiner Person bzw. von Angehörigen seiner Kernfamilie glaubhaft machen, zumal es diesem nicht gelang, mit seinen diesbezüglich vollkommen unsubstantiiert gebliebenen Angaben einen Zusammenhang zwischen ihm und von staatlichen Stellen ausgehenden Handlungen herzustellen. Der Vater des BF konnte auch nicht glaubhaft machen, dass er (entgegen den vorliegenden Länderinformationen und ACCORD-Anfragebeantwortungen) bei einer Rückkehr in den Herkunft

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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