Entscheidungsdatum
17.09.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G306 2218101-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA.: Rumänien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.03.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird s t a t t g e g e b e n und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), vom 14.02.2019, der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) zugestellt am 19.02.2019, wurde die BF über die in Aussicht genommene Erlassung einer Ausweisung aufgrund fehlender unionsrechtlicher Aufenthaltsvoraussetzungen in Kenntnis gesetzt und zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen aufgefordert.
Eine Stellungnahme langte bis dato bei der belangten Behörde nicht ein.
2. Mit dem oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, der BF zugestellt am 20.03.2019, wurde die BF gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm. § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.), sowie dieser gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).
3. Mit am 16.04.2019 beim BFA eingelangtem Schriftsatz erhob die BF Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Darin wurde die Beendigung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung aufgrund des Bestehens eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes beantragt.
4. Die gegenständliche Beschwerde sowie die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA dem BVwG am 24.04.2019 vorgelegt und langten am 29.04.2019 ein.
5. Am 05.11.2019 fand eine mündliche Verhandlung in der Grazer Außenstelle des BVwG statt, an jener die BF unentschuldigt fernblieb, weshalb diese letztlich vertagt wurde.
6. Für den 18.02.2020 wurde neuerlich eine mündliche Verhandlung anberaumt. Mit Schreiben vom 17.02.2020 teilte die BF jedoch unter Vorlage einer ärztlichen Bestätigung mit, dass sie aus medizinischen Gründen an der Verhandlung nicht teilnehmen könne. Daher wurde die besagte Verhandlung wieder abberaumt.
7. Mit verfahrensleitendem Beschluss, GZ.: G306 2218101-1/14Z, vom 19.02.2020, der BF zugestellt am 27.02.2020, wurde die BF über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt und zur Vorlage von konkreten Beweismitteln sowie zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert.
8. Mit am 30.03.20120 beim BVwG eingelangtem Schreiben gab die Tochter der BF eine Stellungnahme ab. Die BF ist bis dato der Aufforderung des BVwG eine Stellungnahme abzugeben und Beweismittel in Vorlage zu bringen nicht nachgekommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Die BF führt die im Spruch angeführte Identität (Name und Geburtsdatum) und ist Staatsangehörige der Republik Rumänien.
Die BF hält sich seit August 2011 durchgehend im Bundesgebiet auf, weist seit 30.08.2011 eine durchgehende Wohnsitzmeldung in Österreich auf und wurde ihr am 22.12.2015 eine Anmeldebescheinigung „Verwandte in absteigender Linie gemäß § 52 ABS. 1 Z 3 NAG“ ausgestellt.
Ein Antrag der BF auf Ausstellung einer Bescheinigung des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes wurde mit Bescheid des Amtes der XXXX Landesregierung, Magistratsabteilung 35, Zl.: XXXX , vom 05.12.2018, in Ermangelung des Erfüllens der Voraussetzungen abgewiesen.
Die Tochter der BF, XXXX , geb. XXXX , StA: Rumänien, lebt in Österreich, war zuletzt von 13.04.2019 bis 17.03.2020 Vollzeit beschäftigt, bezieht jedoch seit 28.03.2020 Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung in der Höhe von monatlich EUR 1.398,-, und geht zudem seit 01.06.2020 einer geringfügigen Beschäftigung, wofür sie monatlich EUR 394,30 verdient. Der Tochter der BF wurde am 18.09.2012 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt.
Die BF geht keiner Erwerbstätigkeit in Österreich nach, bezieht jedoch eine Pension aus Rumänien in Höhe von LEU 553,- (= EUR 114,38,-) und ist seit 09.02.2017 sozialversichert. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen hat.
Die BF leidet an reduz. Allgemeinzustand, st.p. Implantation einer Totalprothese des Kniegelenks und ausgeprägter Gonathrose bds.
Die BF lebt mit ihrer Tochter, XXXX , und deren minderjährigen Tochter, XXXX , geb. XXXX , StA.: Rumänien, im gemeinsamen Haushalt in Österreich. Für Miete inkl. Betriebskosten in Höhe EUR 745,-, für Stromkosten in Höhe EUR 130,- sowie für den sonstigen Unterhalt der BF kommt die Tochter der BF auf.
Die BF erweist sich in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
Die oben getroffenen Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum), zur Staatsbürgerschaft sowie zum Aufenthalt der BF in Österreich beruhen auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, jenen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.
Die Wohnsitzmeldungen der BF sowie der gemeinsame Haushalt zwischen derselben und ihrer Tochter und deren Tochter, konnten durch Abfrage des Zentralen Melderegisters erhoben werden. Zudem wurde der besagte gemeinsame Haushalt von der Tochter der BF (siehe OZ 16) sowie von der BF in der gegenständlichen Beschwerde selbst vorgebracht.
Die Höhe der Miete inkl. Betriebskosten und die Stromkosten, sowie die Übernahme dieser Kosten sowie der Unterhaltskosten der BF durch die Tochter der BF, beruhen auf den Angaben der Tochter der BF vor dem BVwG (siehe OZ 16). Die behauptete Übernahme der Unterhalts- und Mietkosten durch die Tochter der BF erweist sich vor dem Hintergrund, dass die BF einzig über ein geringes monatliches Einkommen von EUR 114,38 verfügt, welches keineswegs zur Sicherung ihres Unterhaltes in Österreich genügt, mit ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt lebt und zudem bis dato keine Sozialleistungen in Anspruch genommen hat, als plausibel und nachvollziehbar. Für den Fall, dass die Tochter der BF nicht für den Unterhalt der BF aufkäme, wäre nämlich davon auszugehen, dass die BF jedenfalls auf Sozialleistungen angewiesen wäre. Darüber hinaus lassen sich die besagten Miet- und Betriebskosten aus der in Vorlage gebrachten Kopie des Mietvertrages entnehmen (siehe AS 61)
Die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung an die BF und deren Tochter beruht auf einer Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister. Zudem hat die BF eine Ablichtung ihrer Anmeldebescheinigung in Vorlage gebracht (siehe AS 65).
Die oben genannten Erwerbstätigkeiten samt deren Umfänge, der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung sowie die jeweiligen monatlichen Geldmittel der Tochter der BF, beruhen auf einem aktuellen Sozialversicherungsauszug. Ferner lässt sich einem aktuellen Sozialversicherungszug der BF deren aufrechte Sozialversicherung sowie deren Erwerblosigkeit entnehmen. Zudem vermochte die BF den Bezug einer rumänischen Pension sowie deren Höhe durch die Vorlage einer Bestätigung belegen (sieh AS 63).
Die oben genannten gesundheitlichen Einschränkungen der BF beruhen auf einer in Vorlage gebrachten ärztlichen Bestätigung und beruht die Abweisung des Antrages der BF auf Ausstellung einer Bescheinigung des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechtes auf einer Ausfertigung des oben zitierten Bescheides des Amtes der Wiener Landesregierung (siehe AS).
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF beruht auf einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich und kann einem Sozialversicherungsauszug keine Anhaltspunkte für den Bezug von Sozialleistungen durch die BF entnommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:
3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.
Die BF als Staatsangehörige von Rumänien ist sohin EWR-Bürgerin iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
3.1.2. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:
„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“
Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:
„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“
Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:
„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.
(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“
Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:
„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;
Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.
(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.
(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“
Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:
„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“
Gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind.
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:
Die Tochter der BF ist im Besitz einer Anmeldebescheinigung und ist aktuell geringfügig beschäftigt. Zudem bezieht diese Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung (siehe VwGH 22.03.2011, 2009/18/0402: wonach Arbeitslosengeld keine Sozial- sondern eine Versicherungsleistung und bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens zu berücksichtigen ist.) Dieser kommt somit jedenfalls gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 – allenfalls auch nach Z 2 – NAG ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu (vgl. EuGH 26.01.1992, C-357/89, wonach die Höhe der Vergütung, das Ausmaß der Arbeitszeit sowie die Dauer des Dienstverhältnisses nicht von Bedeutung ist; VwGH 23.02.2012, 2010/22/0011, 26.06.2012, 2010/22/0035: wonach unter den Arbeitnehmerbegriff auch EWR-Bürger die in einem anderen Staat eine Beschäftigung suchen fallen.) Darüber hinaus übernimmt die Tochter der BF die Miet- und Betriebskosten der gemeinsam bewohnten Wohnung und kommt diese zudem für die Unterhaltskosten der BF auf.
Mit Blick auf die in § 293 Abs. 1 ASVG genannten Richtsätze, insbesondere auf jene für einen Zweipersonenhaushalt mit einem Kind gemäß § 293 Abs 1 lit a sub lit aa (EUR 1472,-) und Abs. 1 letzter Satz (EUR 143,97) ASVG in Gesamthöhe von EUR 1615,97, kann zudem nicht gesagt werden, dass die der Tochter der BF monatlich zur Verfügung stehenden – die besagten Richtwerte übersteigenden – finanziellen Mittel von EUR 1792,30 unter Berücksichtigung der der BF monatlich zur Verfügung stehenden Pensionszahlungen von ca. EUR 114.- und deren bestehender Sozialversicherung, nicht genügen, um ihren eigenen Unterhalt, sowie jenen ihrer Tochter und der BF zu sichern.
Die Tochter der BF gewährt der BF sohin tatsächlich Unterhalt (vgl. VwGH 23.01.2013, 2011/10/0195: Unterhaltsleistungen müssen tatsächlich geleistet werden; VwGH 13.11.2007, 2007/18/0558: Der Unterstützungsbeitrag sollte es möglich machen, dass der Fremde bei in Österreich gegebenen Lebensverhältnissen die wesentlichen Unterhaltsbedingungen bestreiten kann.) und kommt der BF sohin ebenfalls ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd. § 52 Abs. 1 Z 3 NAG zu. Die ebenfalls voraussetzungsnotwendige Bedürftigkeit der BF im Herkunftsstaat (vgl. EuGH 16.01.2014, C-423/12) wurde ferner bereits durch die seinerzeitige Ausstellung einer Anmeldebescheinigung unter Verweis auf § 52 Abs. 1 Z 3 NAG seitens der zuständigen NAG-Behörde bestätigt.
Vor dem Hintergrund, eines bisher unterlassenen Sozialleistungsbezuges sowie der strafgerichtlichen Unbescholtenheit der BF, kann zudem keine von der BF ausgehende maßgebliche Gefährdung öffentlicher Interessen iSd. § 55 Abs. 3 NAG festgestellt werden.
Im Ergebnis erweist sich eine Ausweisungsentscheidung gegen die BF gemäß § 66 FPG iVm. § 55 Abs. 3 NAG sohin als unzulässig und war der gegenständlichen Beschwerde sohin stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze zu beheben.
3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und von der BF die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zudem auch nicht beantragt wurde, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG letztlich eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Ausweisung Behebung der Entscheidung Interessenabwägung Unbescholtenheit Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2218101.1.00Im RIS seit
03.11.2020Zuletzt aktualisiert am
03.11.2020