Entscheidungsdatum
23.09.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G314 2233041-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .06.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu Recht:
A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass Spruchpunkt III. zu lauten hat: „Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wegen Suchtgiftdelikten zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 28.02.2020 wurde er aufgefordert, zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots Stellung zu nehmen, und erstattete eine entsprechende Stellungnahme.
Daraufhin wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gegen den BF gemäß § 52 Abs 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina festgestellt (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF und seiner fehlenden Integration am Arbeitsmarkt begründet. Ein fünfjähriges Einreiseverbot sei notwendig, um die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hintanzuhalten.
Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, die Rückkehrentscheidung zu beheben, die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina für unzulässig zu erklären sowie das Einreiseverbot zu beheben, in eventu die Dauer des Einreiseverbots herabzusetzen. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er sich seit 2013 rechtmäßig in Österreich aufhalte und ihm ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ ausgestellt worden sei. Seine Eltern und sein Bruder hätten sich schon länger hier aufgehalten. Da er selbst erst als Jugendlicher nach Österreich gekommen sei, habe er nur schwer gesellschaftlichen Anschluss gefunden und sei an die falschen Personen geraten. Nach seiner Haftentlassung wolle er eine Drogentherapie machen und eine bereits begonnene Ausbildung fortsetzen, um sein Leben in geregelte Bahnen zu bringen. Sein früherer Versuch, eine Lehre zu machen, sei aufgrund fehlender Sprachkenntnisse gescheitert; mittlerweile spreche er aber sehr gut Deutsch. Er sei mit einer in Österreich daueraufenthaltsberechtigten serbischen Staatsangehörigen liiert und konsumiere seit ca. sechs Monaten kein Suchtgift mehr. Am XXXX .07.2020 werde er voraussichtlich bedingt entlassen. Er habe (abgesehen von einer hochbetagten Großmutter) keine familiären Verbindungen mehr zu seinem Herkunftsstaat und würde dort vor dem Nichts stehen.
Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.
Feststellungen:
Der BF kam am XXXX in der bosnisch-herzegowinischen Stadt XXXX (Republika Srpska) zur Welt und ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina. Er lebte bis 2013 in seinem Herkunftsstaat, wo er bei seinen Großeltern aufwuchs. Seine Muttersprache ist Bosnisch, er beherrscht aber auch die deutsche Sprache, wobei kein konkretes Sprachniveau festgestellt werden kann. Er ist ledig und ohne Sorgepflichten. Er ist mit der serbischen Staatsangehörigen XXXX liiert, wobei kein gemeinsamer Haushalt besteht. XXXX lebt in Österreich und hat eine Daueraufenthaltskarte als Angehörige eines EWR- oder Schweizer Bürgers (Anlassbericht AS 10; Strafurteil AS 69; Stellungnahme AS 67; Beschwerde AS 203; ZMR-Auszüge, IZR-Auszüge).
Im Juni 2013 zog der damals 14-jährige BF zu seinen Eltern und seinem XXXX in XXXX (Bosnien und Herzegowina) geborenen Bruder, die wie er Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina sind und sich damals bereits in Österreich aufhielten. Seither hält er sich kontinuierlich im Bundesgebiet auf. Der Vater des BF hat seit März 2013 einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ (zuletzt verlängert bis XXXX .02.2021), seine Mutter seit April 2013 (zuletzt verlängert bis XXXX .02.2021) und sein Bruder seit Juli 2013 (zuletzt verlängert bis XXXX .01.2022). Die Eltern des BF hatten sich schon ab 2002 immer wieder vorübergehend im Bundesgebiet aufgehalten. Dem BF wurde erstmals im Juli 2013 ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ erteilt, der seither mehrfach verlängert wurde, zuletzt mit Gültigkeit von XXXX .07.2018 bis XXXX .07.2021 (ZMR-Auszüge, IZR-Auszüge).
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er besuchte in Österreich zunächst die Polytechnische Schule und begann danach eine Lehre, wobei er beides nicht abschloss. In der Folge war er sporadisch unselbständig erwerbstätig (von XXXX .04. bis XXXX .05.2017, von XXXX .09. bis XXXX .09.2017, am XXXX .11.2017, am XXXX .12.2017, am XXXX .12.2017, von XXXX .01. bis XXXX .02.2018, von XXXX .03. bis XXXX .03.2018, am XXXX .06.2018 und von XXXX .05. bis XXXX .05.2019) und bezog dazwischen wiederholt Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe, zuletzt bis XXXX .02.2020 (Stellungnahme AS 67, Versicherungsdatenauszug AS 95 ff). Ansonsten kamen seine Eltern für seinen Lebensunterhalt auf. Der BF konsumierte ab 2014 gelegentlich Suchtgift (Cannabis und Amphetamin) und begann 2018 damit, seinen Lebensunterhalt durch den gewinnbringenden Handel mit Suchtgift zu finanzieren (Anklage AS 61 ff; Strafurteil AS 69 ff). XXXX , die ebenfalls Drogen konsumierte, wusste von seinen Suchtmittelaktivitäten (Anlassbericht AS 8).
Am XXXX .02.2020 wurde der BF festgenommen und anschließend in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten (Anlassbericht AS 3 ff, Vollzugsinformation AS 21).
Am XXXX .04.2020 wurden gegen ihn wegen mehrerer Verkehrsdelikte und einer Übertretung des AWG Verwaltungsstrafen verhängt; er hatte unter anderem Anfang 2020 ohne Lenkberechtigung ein nicht zum Verkehr zugelassenes Auto auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr verwendet (Verwaltungsstrafvormerkungen AS 123).
Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde der BF wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall und nach §28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 3 Z 3 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG als junger Erwachsener nach dem Strafmaß des § 28a Abs 2 SMG iVm § 19 JGG (bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe) zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ein sechzehnmonatiger Strafteil unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass er einerseits im Zeitraum September 2019 bis Jänner 2020 in wiederholten Angriffen gemeinsam mit einem Mittäter Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 850 g Cannabiskraut (mit ca. 10 % THCA und ca. 1 % Delta-9-THC) und 1.290 g Amphetamin (Reinheitsgehalt 8,08 +/- 0,15 %) von Deutschland aus- und nach Österreich einführte und andererseits anderen Suchtgift in einer das 15-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge überließ, indem er im Jahr 2018 insgesamt 670 g Cannabiskraut (mit ca. 10 % THCA und ca. 1 % Delta-9-THC) an diverse Abnehmer verkaufte, Mitte Jänner 2020 einem Bunkerhalter etwa 1 kg Amphetamin (Reinheitsgehalt 8,08 +/- 0,15 %) zum Zweck der Zwischenlagerung übergab, gemeinsam mit seinem Mittäter in der Zeit von September 2019 bis zu seiner Festnahme insgesamt 650 g Cannabiskraut (mit ca. 10 % THCA und ca. 1 % Delta-9-THC) sowie 850 g Amphetamin (Reinheitsgehalt 8,08 +/- 0,15 %) an diverse Abnehmer verkaufte und Anfang Februar 2020 510,8 g Pulver mit geringen Amphetaminspuren um EUR 4.000 an eine verdeckte Ermittlerin verkaufte. Zusätzlich hat der BF von 2014 bis zu seiner Festnahme in wiederholten Angriffen Suchtgift (Cannabiskraut und Amphetamin) erworben und besessen. Ein Betrag von EUR 7.400 wurde für verfallen erklärt. Bei der Strafbemessung wurde als mildernd die Unbescholtenheit, das reumütige und umfassende Geständnis und das Alter unter 21 Jahren gewertet, als erschwerend dagegen das Zusammentreffen von Verbrechen mit Vergehen, die mehrfache Grenzmengenüberschreitung und der lange Tatzeitraum. Für die Dauer der Probezeit wurde die Bewährungshilfe angeordnet und dem BF die Weisung erteilt, sich einer Drogenberatung zu unterziehen (Strafurteil AS 69 ff). Es handelt sich um seine erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung (Strafregister).
Der BF verbüßte den achtmonatigen unbedingten Strafteil zunächst in der Justizanstalt XXXX . Am XXXX .07.2020 wurde er unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt entlassen (Beschluss AS 79 ff; Strafregister; ZMR-Auszug).
Der BF lebt seither wieder (wie vor seiner Inhaftierung) in XXXX in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seinem Bruder (Stellungnahme AS 67; ZMR-Auszug). Er hat vor, eine Lehre zum XXXX zu machen. Er hat keine wesentlichen finanziellen Rücklagen und (abgesehen von dem für verfallen erklärten Betrag) keine Schulden (Strafurteil AS 69 ff; Stellungnahme AS 67; Beschwerde AS 205).
In Bosnien und Herzegowina hat der BF außer seiner 89-jährigen Großmutter keine ihm nahestehenden Bezugspersonen (Beschwerde AS 205). Neben seinen Eltern und seinem Bruder hat er in Österreich keine Familienangehörigen. Zu anderen EWR-Staaten bestehen keine maßgeblichen Bindungen. Der BF ist in Österreich weder in einem Verein aktiv noch ehrenamtlich engagiert; über die Feststellungen hinausgehende Integrationsbemühungen liegen nicht vor (Stellungnahme AS 67).
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.
Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen. Die Feststellungen beruhen vorwiegend auf den Angaben des BF in seiner Stellungnahme und in der Beschwerde sowie auf den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) sowie Strafregister und den Sozialversicherungsdaten.
Name und Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit des BF sowie sein Familienstand und das Fehlen von Sorgepflichten ergeben sich aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil sowie den entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen die Beschwerde nicht entgegentritt. Kenntnisse der bosnischen Sprache sind aufgrund seiner Herkunft und der in Bosnien und Herzegowina verbrachten Kinder- und Jugendzeit naheliegend. Deutschkenntnisse werden vom BF (angesichts seines Aufenthalts in Österreich seit 2013 und der wiederholten Verlängerung seines Aufenthaltstitels glaubhaft) behauptet, wobei mangels Vorlage von Kursbestätigungen oder Prüfungszeugnissen kein konkretes Sprachniveau festgestellt werden kann.
Die Beziehung des BF zu XXXX wird in der Beschwerde behauptet und geht auch aus den vorliegenden Polizeiberichten hervor. Ein gemeinsamer Haushalt wird weder konkret behauptet noch ist er angesichts unterschiedlicher Meldeadressen anzunehmen. Der Aufenthaltsstatus von XXXX ergibt sich aus dem IZR.
Die Feststellungen zum Aufenthalt des BF und seiner Familienangehörigen im Bundesgebiet basieren ebenfalls auf dem IZR und dem ZMR. Seinen Eltern und seinem (laut IZR und ZMR in Bosnien und Herzegowina geborenen) Bruder wurden demnach (wie dem BF) erstmals 2013 Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt. Aus den Wohnsitzmeldungen der Eltern des BF laut ZMR ergibt sich, dass sie ab 2002 immer wieder für mehrere Monate im Bundesgebiet gemeldet waren (wahrscheinlich als Saisonarbeitskräfte).
Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF beruhen seiner Stellungnahme, in der er sich als gesund bezeichnet, sowie darauf, dass er in einem erwerbsfähigen Alter ist, vor seiner Verhaftung zumindest sporadisch erwerbstätig war und keine Hinweise auf schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder Probleme hervorgekommen sind.
Die vom BF im Bundesgebiet begonnenen Ausbildungen werden anhand seiner Stellungnahme festgestellt. Im Strafurteil wird er als beschäftigungslos bezeichnet. Damit übereinstimmend gibt er in der Stellungnahme an, dass seine Eltern für seinen Lebensunterhalt aufgekommen seien und er manchmal Sozialhilfe bezogen habe. Die Zeiten seiner Erwerbstätigkeit im Inland sowie der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug.
Die Suchtgiftaktivitäten des BF gehen aus dem Strafurteil in Übereinstimmung mit den Polizeiberichten und der Anklage hervor. Die Feststellungen zum Suchtgiftkonsum von XXXX und ihrem Wissen vom Suchtgifthandel des BF ergeben sich aus ihren im Anlassbericht vom XXXX .02.2020 dokumentierten Angaben gegenüber der Polizei (AS 8).
Die Festnahme des BF und seine Anhaltung in der Justizanstalt XXXX gehen aus dem Anlassbericht vom XXXX .02.2020, der Vollzugsinformation, dem ZMR und der Vorhaftanrechnung laut Strafurteil hervor, die Verwaltungsstrafen aus den von der Bezirkshauptmannschaft XXXX mitgeteilten Vormerkungen und dem Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom XXXX .03.2020 (AS 113 ff).
Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf dem Strafurteil. Die Rechtskraft der Verurteilung wird durch den entsprechenden Eintrag im Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen aufscheinen. Damit übereinstimmend wird im Strafurteil die Unbescholtenheit des BF als Milderungsgrund berücksichtigt. Es gibt keine Indizien für eine strafrechtliche Verurteilung des BF in anderen Staaten. Die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe ergibt sich aus dem aktenkundigen Beschluss des LG XXXX und dem Strafregister.
Der gemeinsame Haushalt des BF mit Eltern und Bruder ergibt sich aus seiner Stellungnahme und wird durch übereinstimmende Wohnsitzmeldungen laut ZMR erhärtet. Die in Aussicht genommene Ausbildung zum XXXX wird ebenfalls in der Stellungnahme angegeben. Seine finanzielle Situation geht aus dem Strafurteil und der Stellungnahme hervor. Seine Bindungen zu Österreich und Bosnien und Herzegowina werden anhand der Stellungnahme und des Beschwerdevorbringens festgestellt. Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich, sodass deren Fehlen festzustellen ist. Ebenso fehlen – abgesehen von der Großmutter – Beweisergebnisse für in Bosnien und Herzegowina lebende Bezugspersonen.
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
Der BF ist als Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina Fremder iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehöriger § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Er hält sich gemäß § 31 Abs 1 FPG aufgrund des ihm erteilten Aufenthaltstitels nach dem NAG rechtmäßig in Österreich auf.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn setzt daher gemäß § 52 Abs 4 FPG voraus, dass nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, entgegengestanden wäre (Z 1) oder dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs 1 und 2 NAG) entgegensteht (Z 4). Fallbezogen kommt dafür gemäß § 11 Abs 2 Z 1 iVm Abs 4 Z 1 NAG in Betracht, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet.
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil der BF nach der letzten Verlängerung seines Aufenthaltstitels wegen qualifizierter Suchtgiftdelikte strafgerichtlich verurteilt wurde und die vorzunehmende Gefährdungsprognose zu seinen Lasten ausfällt. Suchtgiftkriminalität ist nach der Rechtsprechung des VwGH ein besonders verpöntes Fehlverhalten, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (siehe z.B. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249). Der BF begann 2014 (und damit vergleichsweise kurz nach seiner Einreise in das Bundesgebiet) mit Suchtgiftaktivitäten und steigerte diese ab 2018 von bloßem Konsum zu Handel mit großen Suchtgiftmengen und schließlich 2019 zur Einfuhr aus dem Ausland. Die mehrfachen Verstöße gegen das SMG über mehrere Jahre hinweg indizieren gemeinsam mit dem Fehlen einer nachhaltigen Integration am österreichischen Arbeitsmarkt, dass von ihm auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehen wird, zumal er seinen Lebensunterhalt seit 2018 durch Suchtgifthandel und -schmuggel finanzierte. Er wird einen nachhaltigen Gesinnungswandel hin zu einem rechtstreuen Verhalten erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit (nach dem Strafvollzug) unter Beweis stellen müssen (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/20/0399). Aktuell kann ihm daher (trotz einer privat und familiär relativ stabilen Situation) keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.
Bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist weiters unter dem Gesichtspunkt des Art 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach dessen Abs 1 ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele (nationale Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung, wirtschaftliches Wohl des Landes, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).
Hier greift die Rückkehrentscheidung erheblich in das Privat- und Familienleben des BF ein, der seit 2013 aufgrund eines Aufenthaltstitels in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seinem Bruder lebt und mit einer daueraufenthaltsberechtigten serbischen Staatsangehörigen liiert ist. Das Gewicht der Beziehung mit XXXX wird allerdings dadurch relativiert, dass diese ebenfalls Suchtgift konsumierte und Mitwisserin seiner diesbezüglichen Aktivitäten war.
Der BF hat mittlerweile Deutsch gelernt, in Österreich (kurz) die Schule besucht und eine Lehre begonnen; eine nachhaltige Integration am Arbeitsmarkt ist ihm jedoch nicht gelungen. Es liegen auch keine weiteren Integrationsbemühungen (wie z.B. aktive Teilnahme an einem Vereinsleben oder ehrenamtliches Engagement) vor. Dagegen hat der BF trotz der mehrjährigen Abwesenheit nach wie vor ausreichende Bindungen zu seinem Heimatstaat, wo er bis zu seinem 14. Lebensjahr aufwuchs und den Großteil der Schulzeit verbrachte. Er beherrscht eine dort übliche Sprache und ist mit den Gepflogenheiten vertraut. Da er volljährig, gesund und arbeitsfähig ist, wird es ihm möglich sein, sich ohne größere Probleme wieder in die dortige Gesellschaft zu integrieren, obwohl er außer seiner betagten Großmutter keine Bezugspersonen hat, zumal ihn seine Eltern (jedenfalls in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr) auch dort weiterhin finanziell unterstützen können. Der Behörde anzulastende überlange Verfahrensverzögerungen liegen nicht vor.
Bei der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG wirken sich die vom BF begangenen Straftaten entscheidend zu seinem Nachteil aus, zumal kein einmaliger Vorfall, sondern ab 2014 Verstöße gegen das SMG vorliegen. Dies führt zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung, obwohl der BF nur einmal strafgerichtlich verurteilt wurde und die über ihn verhängte Freiheitsstrafe zu einem Teil bedingt nachgesehen werden konnte. Dieses gerichtlich strafbare Fehlverhalten des BF bewirkt in Zusammenschau mit der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit und der mangelnden Integration am Arbeitsmarkt eine so gravierende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, dass seine stark ausgeprägten privaten und familiären Interessen an einem Verbleib in Österreich zurücktreten müssen. Die dadurch bewirkte Trennung von Familienangehörigen ist im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0270), zumal der BF über einen langen Zeitraum mit beträchtlichen Suchtgiftmengen handelte und Suchtgifthandel nach § 28a SMG grundsätzlich ein besonders schweres Verbrechen darstellt.
Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das BFA bei Abwägung der gegenläufigen Interessen zu dem Ergebnis kam, dass das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib überwiegt. Allfällige damit verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse, die infolge der Rückkehr in den Herkunftsstaat auftreten können, sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, an der Verhinderung von Vermögenskriminalität und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen. Die Rückkehrentscheidung führt auch nicht zwingend zu einem Abbruch der Beziehungen des BF zu seinen in Österreich lebenden Bezugspersonen, die durch diverse Kommunikationsmittel (z.B. Telefon, Internet, E-Mail) und Besuche in Bosnien und Herzegowina (oder in anderen Staaten, für die das Einreiseverbot nicht gilt) aufrecht bleiben können. Daher ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids als rechtskonform zu bestätigen.
Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:
Gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs 9 FPG grundsätzlich festzustellen, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Für diese Feststellung gilt der Maßstab des § 50 FPG (vgl. VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157).
Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für den Betreffenden als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Abschiebung des BF in seinen Herkunftsstaat zulässig. Es liegen unter Berücksichtigung der stabilen Situation in Bosnien und Herzegowina, das als sicherer Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs 5 Z 2 BFA-VG iVm § 1 Z 1 HStV gilt, und der Lebensumstände des BF, bei dem keine besondere Vulnerabilität besteht, keine konkreten Gründe vor, die eine Abschiebung dorthin unzulässig machen würden. Daher erweist sich auch die Beschwerde gegen den zweiten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids als unbegründet.
Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 53 Abs 1 und Abs 3 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn der Drittstaatsangehörige die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig von seinem bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. § 53 Abs 3 FPG enthält eine demonstrative Aufzählung von Tatbeständen, deren Vorliegen eine schwerwiegende Gefährdung der Ordnung oder Sicherheit indiziert. Dies ist demnach z.B. dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 53 Abs 3 Z 1 zweiter Fall FPG). Daher kann hier ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu verbinden (vgl VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0207). Es ist dann zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung der Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es ist weiters in Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen des Betroffenen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl auch VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).
Da der BF über einen längeren Zeitraum mit großen Suchtgiftmengen handelte und dabei die Schädigung der Gesundheit anderer Personen in Kauf nahm, stellt sein Aufenthalt auch bei Berücksichtigung sämtlicher Milderungsgründe und seines Alters unter 21 bei der Begehung der Straftaten eine so schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, dass ein Einreiseverbot erlassen werden muss. Da er erst vor kurzer Zeit aus der Haft entlassen wurde, kann noch nicht von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit ausgegangen werden. Dazu bedarf es grundsätzlich eines längeren Zeitraums des Wohlverhaltens, wobei in erster Linie das gezeigte Wohlverhalten in Freiheit nach dem Vollzug der Haftstrafe maßgeblich ist.
In Stattgebung des entsprechenden Eventualantrags in der Beschwerde ist die Dauer aufgrund der starken privaten und familiären Anknüpfungen des BF im Bundesgebiet auf vier Jahre zu reduzieren. Eine weitere Reduktion scheitert an der Schwere seiner Verstöße gegen das SMG und dem langen Tatzeitraum.
Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids:
Zugleich mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wird gemäß § 55 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt, die grundsätzlich 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheids beträgt, wenn nicht der Betroffene besondere Umstände nachweist, die eine längere Frist erforderlich machen.
Da hier keine besonderen Umstände nachgewiesen wurden, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, ist ihm eine Frist von 14 Tagen für seine freiwillige Ausreise einzuräumen. Vor diesem Hintergrund ist Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden.
Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Eine von keiner Partei beantragte Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und die mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt, zumal den Angaben des BF zu seinem Privat- und Familienleben in seiner Stellungnahme und in der Beschwerde gefolgt werden konnte. Aufgrund der schwerwiegenden Suchtgiftkriminalität des BF liegt ein eindeutiger Fall vor, sodass auch bei einem positiven persönlichen Eindruck von ihm keine Behebung des angefochtenen Bescheids und auch keine weitere Reduktion der Dauer des Einreiseverbots möglich wäre.
Zu Spruchteil B.:
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Einreiseverbot Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2233041.1.00Im RIS seit
03.11.2020Zuletzt aktualisiert am
03.11.2020