TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/23 G314 2204551-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.09.2020
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Entscheidungsdatum

23.09.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2204551-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des ungarischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 08.2018, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A)             Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)              Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

megengedett.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am 09.05.2018 in Ungarn festgenommen, am Folgetag den österreichischen Behörden übergeben und in die Justizanstalt XXXX eingeliefert. In der Folge wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , wurde er zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.07.2018 wurde er aufgefordert, sich zu der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern und Fragen zu seinem Aufenthalt in Österreich und zu seinem Privat- und Familienleben zu beantworten. Am 26.07.2018 langte beim BFA eine entsprechende Stellungnahme des BF ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein vierjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Er habe entgegen seiner Stellungnahme keine familiären oder persönlichen Bindungen im Inland. Sein Interesse an einem Aufenthalt in Österreich trete hinter das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit zurück.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen auf Behebung des angefochtenen Bescheids, in eventu Verkürzung des Aufenthaltsverbotes, in eventu Aufhebung und Zurückverweisung. Begründet wird die Beschwerde zusammengefasst damit, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft und die Entscheidung unzureichend begründet worden sei. Dem BF sei nicht bekannt gewesen, dass er in seiner Stellungnahme Details zu seinem Aufenthalt in Österreich und seinem Privat- und Familienleben hier hätte machen müssen. Er sei 2016 nach Österreich gekommen und habe als Tagelöhner in XXXX gearbeitet. Seit 2017 sei er mit der am XXXX geborenen XXXX verheiratet, die österreichische und slowakische Staatsangehörige sei, in XXXX lebe und arbeite und das gemeinsame Kind erwarte. Er sei erstmals strafgerichtlich verurteilt worden, sodass die Interessenabwägung zu seinen Gunsten hätte ausgehen müssen. Das BFA habe keine konkreten Feststellungen zu den seiner Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten getroffen. Aufgrund seines persönlichen Verhaltens sei eine positive Zukunftsprognose zu erstellen. Ein vierjähriges Aufenthaltsverbot sei unverhältnismäßig.

Am XXXX 08.2018 wurde der BF nach dem Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe nach Ungarn abgeschoben.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, den angefochtenen Bescheid zu bestätigen.

Am 13.09.2018 informierte die Justizanstalt XXXX das BVwG telefonisch darüber, dass der BF während der Haft nicht besucht worden sei. Am 21.09.2018 übermittelte das Landesgericht XXXX dem BVwG den ECRIS-Auszug des BF.

Die Rechtsvertretung des BF kam der Aufforderung des BVwG, diverse Unterlagen (Heiratsurkunde, Geburtsurkunde oder Mutter-Kind-Pass, Nachweise für Wohnsitz, Erwerbstätigkeit und Krankenversicherung in Österreich) nicht nach und gab bekannt, dass keine Kontaktaufnahme mit ihm möglich sei.

Feststellungen:

Der BF ist ungarischer Staatsangehöriger und kam am XXXX in der ungarischen Stadt XXXX zur Welt. Seine Eltern starben, als er noch ein Kleinkind war, und er wuchs in einem Kinderheim auf. Seine Muttersprache ist Ungarisch; er verfügt zumindest über rudimentäre Deutschkenntnisse. Er besuchte in Ungarn acht Jahre lang die Volksschule und vier Jahre ein Gymnasium; im Anschluss daran absolvierte er ein zweijähriges Praktikum als XXXX und war danach in seinem Herkunftsstaat als Hilfsarbeiter erwerbstätig. (Vollzugsinformation AS 97; Stellungnahme AS 35 f).

Der BF hielt sich ab 2016 immer wieder ohne Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf, wo er in XXXX stunden- bzw. tageweise als XXXX oder XXXX geringfügig beschäftigt war. Eine Sozialversicherung in Österreich bestand nicht. Ihm wurde auch nie eine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Er lebte mit einer slowakischen Staatsangehörigen zusammen, die zeitweise in Österreich berufstätig war, sich aber mittlerweile nicht mehr hier aufhält (Stellungnahme AS 35 f, ZMR-Auszug, Versicherungsdatenauszug, IZR-Auszug).

Der BF verfügt über eine bis Jänner 2022 gültige ungarische ID-Card (Ausweiskopie AS 19). Er ist gesund und arbeitsfähig. In Ungarn wurde er drei Mal wegen diverser Vermögensdelikte strafgerichtlich verurteilt, und zwar 2012 zu einer einjährigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe und 2013 sowie 2016 jeweils zu einer sechsmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe (ECRIS-Auszug OZ 7).

Nach der Festnahme des BF am XXXX .05.2018 und der anschließenden Verhängung der Untersuchungshaft wurde er mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , wegen des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs 1 Z 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt, wobei ein zwölfmonatiger Strafteil unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Es handelt sich um seine bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung in Österreich. Ihr lag zu Grunde, dass er gemeinsam mit zwei Mittätern zwischen XXXX 05.2017 und XXXX 07.2017 über ein Fenster in ein Gebäude einstieg und dort Gegenstände im Gesamtwert von ca. EUR 3.700 stahl. Als mildernd wurden der Beitrag zur Wahrheitsfindung und die Sicherstellung eines Teils des Diebesguts gewertet, als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen (Strafurteil AS 47 ff).

Der BF verbüßte den unbedingten Strafteil bis XXXX 08.2018 in der Justizanstalt XXXX (Vollzugsinformation AS 97 f; Strafregister). Er ist in Österreich weder privat noch beruflich integriert.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Der Bericht über die Abschiebung des BF nach Ungarn ist aktenkundig.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln. Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit des BF ergeben sich aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil sowie aus seinem (dem BVwG in Kopie vorliegenden) Ausweis. Seine Ausbildung und Erwerbstätigkeit werden anhand seiner Stellungnahme festgestellt.

Kenntnisse der ungarischen Sprache sind aufgrund der Herkunft des BF sowie der in Ungarn absolvierten Schulbildung naheliegend und gehen auch aus der Vollzugsinformation hervor; zumindest rudimentäre Deutschkenntnisse sind ob der auf Deutsch verfassten Stellungnahme plausibel.

Aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) geht lediglich eine Wohnsitzmeldung des BF in der Justizanstalt XXXX hervor, sodass davon auszugehen ist, dass er bei vorangegangenen Aufenthalten im Bundesgebiet keine Wohnsitzmeldung vornahm. Damit deckt sich der Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX (AS 9 ff), in dem die Verhängung der Untersuchungshaft unter anderem mit dem Fehlen einer sozialen und wirtschaftlichen Integration und eines geregelten Aufenthalts im Inland begründet wurde. Im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) ist weder eine dem BF ausgestellte Anmeldebescheinigung noch ein entsprechender Antrag ersichtlich. Laut Versichungsdatenauszug bestehen keine Zeiten der Sozialversicherung in Österreich. Trotzdem kann der Schilderung des BF betreffend seine Tätigkeit für die XXXX insoweit gefolgt werden, als nachvollziehbar ist, dass er gelegentlich in XXXX als XXXX bzw. XXXX arbeitete, zumal die XXXX tageweise eine geringfügige Beschäftigung in diesem Bereich im Rahmen von Gelegenheitsarbeit anbietet (vgl. XXXX ; Zugriff am 15.09.2020). Eine legale Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet über einen längeren Zeitraum hin ist demgegenüber nicht anzunehmen, weil damit eine Anmeldung zur Sozialversicherung einhergegangen wäre. Für eine regelmäßige legale Erwerbstätigkeit des BF in Österreich in den Jahren 2016 bis 2018 gibt es keine Beweisergebnisse.

Der BF ist laut Strafurteil verheiratet. Eine Heiratsurkunde wurde trotz Aufforderung nicht vorgelegt, was nicht schadet, weil eine eheähnliche Lebensgemeinschaft ebenso im Rahmen des Familienlebens zu berücksichtigen wäre. Seine Ehefrau scheint aber unter den in der Beschwerde angeführten Daten ( XXXX , geboren am XXXX ) weder im ZMR noch im IZR noch beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger auf. Die am XXXX geborene slowakische Staatsangehörige XXXX war dagegen laut ZMR immer wieder mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet, zuletzt von XXXX 10.2014 bis XXXX 07.2015 an der Adresse XXXX (ähnlich der in der Beschwerde angegebenen Anschrift XXXX ). Seither besteht keine Wohnsitzmeldung mehr. Im IZR scheint sie nicht auf, sodass davon auszugehen ist, dass ihr keine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Laut Versicherungsdatenauszug war sie im April 2015, von Oktober 2015 bis September 2016 und von Juni bis September 2019 im Bundesgebiet als Arbeiterin erwerbstätig, wobei zuletzt eine geringfügige Beschäftigung bestand. Andere Personen mit ähnlichen Namen wie dem vom BF angegebenen scheinen in öffentlichen Registern nicht auf. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass sich aktuell weder die Ehefrau oder Lebensgefährtin des BF noch ein allfälliges gemeinsames Kind (zu dem mangels Vorlage der Geburtsurkunde oder anderer Beweismittel keine Feststellungen getroffen werden können) im Bundesgebiet aufhalten.

Dass sich in Österreich keine dem BF nahestehenden Personen aufhalten, ergibt sich auch daraus, dass er während seiner Haft laut der telefonischen Auskunft der Justizanstalt keine Besuche erhielt. Gegen einen Lebensmittelpunkt in Österreich spricht, dass er in Ungarn verhaftet wurde und in der Vollzugsinformation eine ungarische Aufnahme- und Entlassungsadresse aufscheinen. Dieses Ergebnis wird zusätzlich dadurch gestützt, dass der Rechtsvertretung des BF keine Kontaktaufnahme mit ihm möglich war. Bei einem Inlandsaufenthalt von Ehefrau und Kind wäre nicht nachvollziehbar, warum er der Rechtsvertretung keine Kontaktinformationen zukommen ließ.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister, dem Strafurteil des Landesgerichts Wiener Neustadt sowie einem Auszug aus dem Europäischen Strafregister-Informationssystem (ECRIS). Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auf der Vollzugsinformation, den Wohnsitzmeldungen in Justizanstalten laut ZMR, dem Strafregister sowie der Vorhaftanrechnung laut Strafurteil. Die Abschiebung ergibt sich aus dem IZR-Auszug und dem damit korrespondierenden Abschiebebericht.

Mangels anderslautender aktenkundiger Informationen ist davon auszugehen, dass beim BF keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, der zuletzt ausgeübten Erwerbstätigkeit und seinem erwerbsfähigen Alter.

Es liegen keine Anhaltspunkte für Anknüpfungen des BF im Bundesgebiet vor, die über die Feststellungen hinausgehen, sodass davon auszugehen ist, dass er hier weder privat noch beruflich integriert ist.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das einen zumindest fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 53a NAG). Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Die wiederholte strafgerichtliche Verurteilung wegen Vermögensdelikten führt dazu, dass für den BF noch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann, zumal die mehrfache Verhängung bedingter Freiheitsstrafen einen einschlägigen Rückfall nicht verhindern konnte und der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Der BF hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte. Es ist auch davon auszugehen, dass er während seiner Aufenthalte im Bundesgebiet keine signifikanten Sozialkontakte geknüpft hat, zumal weder Wohnsitzmeldung noch Anmeldebescheinigung vorliegen und er nur tageweise Gelegenheitsarbeiten verrichtete. Demgegenüber bestehen starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat Ungarn, wo er den Großteil seines Lebens, insbesondere die prägenden Jahre der Kindheit und Jugend, verbrachte, sprachkundig ist und in der Vergangenheit erwerbstätig war. Eine gemäß § 9 BFA-VG vorzunehmende Abwägung des (aufgrund der Straffälligkeit besonders hohen) öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit allfälligen gegenläufigen privaten und familiären Interessen des BF an Aufenthalten im Bundesgebiet ergibt, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene, vergleichsweise geringe Eingriff in sein Privatleben verhältnismäßig ist.

Aufgrund der mehrfachen Straffälligkeit des BF und der (aufgrund der Begehung eines Einbruchsdiebstahls gemeinsam mit Mittätern) zuletzt schwerwiegenderen Kriminalität ist auch keine Herabsetzung der Dauer des mit vier Jahren adäquat bemessenen Aufenthaltsverbots möglich. Ein auf vier Jahre befristetes Aufenthaltsverbot ist notwendig, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wirksam zu begegnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit nicht korrekturbedürftig.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das BVwG einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom BFA aberkannt wurde, diese binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, wobei in der Beschwerde die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit stützt, genau zu bezeichnen sind.

Aufgrund der wiederholten Straffälligkeit des BF und seiner fehlenden Verankerung im Inland ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich war. Daher ist weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG zu beanstanden. Die Beschwerde ist somit auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt eine Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, deren Durchführung dementsprechend auch von keiner Partei beantragt wurde.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Interessenabwägung öffentliche Interessen strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2204551.1.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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