TE Bvwg Beschluss 2020/9/30 G314 2235325-1

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Veröffentlicht am 30.09.2020
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Entscheidungsdatum

30.09.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G314 2235325-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Wolfgang VACARESCU, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .08.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots samt Nebenentscheidungen:

A)       Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)       Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wird.

C)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger von Rumänien, wurde in den Jahren XXXX und XXXX in Österreich wegen Vermögensdelikten zu Freiheitstrafen verurteilt. Im XXXX wurde vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG vorläufig abgesehen, weil gegen ihn ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden war.

Am XXXX .06.2020 wurde der BF verhaftet, als er entgegen dem noch aufrechten Aufenthaltsverbot aus Italien kommend nach Österreich einreiste. Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag wurde er aufgefordert, sich zu der deshalb beabsichtigten Erlassung eines (weiteren) Aufenthaltsverbots zu äußern. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

Der BF wurde am XXXX .06.2020 zum Vollzug der offenen Reststrafe in die Justizanstalt XXXX eingeliefert. Seit XXXX .06.2020 wird er in der Justizanstalt XXXX angehalten. Das voraussichtliche Strafende ist am XXXX .01.2021.

Dem BF wird vorgeworfen, am XXXX .06.2020 einen gefälschten, eigenmächtig um die Lenkberechtigung für die Klassen C und E erweiterten, rumänischen Führerschein besessen zu haben. Er verantwortet sich dazu nicht geständig. Gegen ihn wurde Anklage wegen § 224a StGB erhoben; eine gerichtliche Entscheidung darüber ist noch nicht erfolgt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erließ das BFA gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein vierjähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm gemäß § 70 Abs 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Es begründet diese Entscheidung mit der rechtswidrigen Einreise des BF entgegen dem bestehenden Aufenthaltsverbot, berief sich zur Verdeutlichung von dessen „negativen Einstellung zur Rechtsordnung“ aber auch (disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung) auf den Besitz des gefälschten Führerscheins. Der BF habe keine maßgeblichen familiären oder privaten Bindungen zu Österreich.

Dagegen richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, mit der der BF primär den Entfall des Aufenthaltsverbots anstrebt. Hilfsweise werden die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots und die Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs beantragt und auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Dies wird unter anderem damit begründet, dass dem BF ein Fehler bei der Ermittlung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots unterlaufen sei. Er habe am XXXX .06.2020 angenommen, dass es nicht mehr aufrecht sei, und sei ohne Vorsatz wieder eingereist. Über die Anklage wegen des gefälschten Führerscheins sei noch nicht entschieden worden. Das Ermittlungsverfahren sei mangelhaft, weil das BFA den der BF nicht persönlich (z.B. dazu, dass er angenommen habe, dass das Aufenthaltsverbot nicht mehr aufrecht sei, und zu dem Führerschein) einvernommen und keine nachvollziehbare Gefährdungsprognose erstellt habe. Dem BFA seien in Bezug auf alle drei Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids Begründungsmängel, insbesondere eine antizipierende Beweiswürdigung, anzulasten. Es sei nicht konkret begründet worden, warum (über die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbots hinaus) die sofortige Ausreise des BF aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei.

Das BFA legte die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG (Abfragen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister IZR, im Zentralen Melderegister ZMR und im Strafregister). Der BF bestreitet nicht, dass gegen ihn 2011 ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot erlassen wurde, dass bei seiner Einreise am XXXX .06.2020 noch aufrecht war. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen somit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

§ 28 VwGVG normiert einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte (siehe z.B. VwGH 19.06.2020, Ra 2019/06/0060). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nur dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Solche gravierenden Ermittlungslücken liegen hier vor.

Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Die Tatsache der Einreise entgegen einem Aufenthaltsverbot führt für sich genommen noch nicht ohne weiteres dazu, dass gegen den BF neuerlich ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, zumal das BFA keine Erhebungen zu einer allfälligen Bestrafung des BF wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 120 Abs 1c Z 1 FPG vorgenommen hat. Außerdem hätte der Ausgang des anhängigen Strafverfahrens wegen des Verdachts des Besitzes einer verfälschten besonders geschützten Urkunde abgewartet werden müssen, zumal der BF sich nach dem derzeitigen Stand des Ermittlungsverfahrens dazu nicht geständig verantwortete und Informationen zur subjektiven Tatseite des § 224a StGB, insbesondere zum erweiterten Vorsatz, gänzlich fehlen. Vor der Erlassung einer weiteren aufenthaltsbeendenden Maßnahme ist daher jedenfalls der Ausgang des Strafverfahrens abzuwarten und das Strafurteil (samt allfälligen Rechtsmittelentscheidungen) einzuholen. Zur Beurteilung des für die Gefährdungsprognose relevanten Wohlverhaltenzeitraums in Freiheit nach den Verurteilungen in den Jahren 2010 und 2011 wird der ECRIS-Auszug des BF aus Rumänien beizuschaffen sein. Dem BVwG wurde das 2011 erlassene Aufenthaltsverbot nicht vorgelegt, sodass weder die konkreten Gründe dafür noch die Gültigkeitsdauer nachvollzogen werden können. Sollte ein Aufenthaltsverbot (auch) auf strafgerichtliche Verurteilungen des BF nach 2011 gestützt werden, wird ihm auch neuerlich Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (nunmehr im Licht der weiteren Verurteilung[en]) zu geben sein.

Das bisherige Ermittlungsverfahren bietet somit noch keine geeignete Grundlage für die vorzunehmende Gefährdungsprognose, sondern ist in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig. Aufgrund des Fehlens zentraler Entscheidungsgrundlagen sind die relevanten Ermittlungsergebnisse nur ansatzweise vorhanden, sodass die Voraussetzungen für die Zurückverweisung der Sache an das BFA gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG erfüllt sind. Die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erreicht ein solches Ausmaß, dass ihre Nachholung durch das BVwG weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Da das BFA nur ansatzweise ermittelt hat, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF neuerlich ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist und wenn ja, für wie lange. Der angefochtene Bescheid ist daher - dem Eventualantrag in der Beschwerde entsprechend - gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids nach Verfahrensergänzung an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil C):

Die Revision ist mangels einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG, in Bezug auf Spruchteil B) insbesondere wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG, die im Allgemeinen keine solche Rechtsfrage begründet (siehe z.B. VwGH 31.01.2019, Ra 2018/07/0486), nicht zuzulassen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2235325.1.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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