TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/5 G305 2231796-2

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Veröffentlicht am 05.10.2020
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Entscheidungsdatum

05.10.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G305 2231796-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 1046358907-200454403, über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan , vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Sarah KUMAR, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Mit Mandatsbescheid vom XXXX .06.2020, Zl. XXXX , ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX (in der Folge kurz: BFA) gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 iVm. § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft über XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan (in der Folge: betroffener Fremder oder kurz: BF) zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens und der Sicherung der Abschiebung an.

2. Über seine gegen diesen Bescheid am 09.06.2020 erhobene Beschwerde sprach das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2020 mit dort verkündetem Erkenntnis dahingehend ab, dass die Beschwerde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) und feststellt werde, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen hätten (Spruchpunkt II.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die beschwerdeführende Partei dem Bund (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) Aufwendungen in Höhe von EUR 887,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen habe.

3. Am 30.06.2020 erließ das Bundesverwaltungsgericht eine gekürzte Ausfertigung des am 15.06.2020 mündlich verkündeten, in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnisses.

4. Am 28.09.2020 brachte das BFA den Akt zur Überprüfung der Anhaltung des BF in Schubhaft zur Vorlage.

5. Am 02.10.2020 übermittelte die ausgewiesene Rechtsvertretung des BF einen als „Vertreterinnenbekanntgabe“ und „Vorbringen“ titulierten Schriftsatz.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres XXXX aus dem Dorf XXXX , geborene XXXX (in der Folge: betroffener Fremder oder kurz: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er ist im Herkunftsstaat mit einer afghanischen Staatsangehörigen verheiratet und ist diese Ehe kinderlos geblieben.

Seit dem XXXX .06.2020, 15:00 Uhr, befindet er sich zur Sicherstellung seiner Abschiebung in den Herkunftsstaat in Schubhaft, wobei diese im Anhaltezentrum XXXX vollzogen wird.

1.2. Er ist zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal ins Bundesgebiet eingereist und stellte hier am 25.11.2014 einen Asylantrag, den er mit einer im Herkunftsstaat angeblich gegen ihn bestehenden Verfolgungsgefahr begründete.

Mit Bescheid vom XXXX .07.2016, Zl.: XXXX , wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz: BFA) diesen auf die Gewährung von internationalem Schutz gerichteten Antrag des BF in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) und in Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt II.) in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Zudem sprach das BFA aus, dass dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt werde, erließ gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG eine Rückkehrentscheidung gegen ihn und sprach aus, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gem. § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Die, diesen Bescheid vollumfänglich bekämpfende Beschwerde des BF wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.02.2020, GZ: W163 2130555-1/13E, in allen Beschwerdepunkten als unbegründet abgewiesen.

Damit liegt eine vollstreckbare Rückkehrentscheidung gegen ihn vor, der er bis dato keine Folge leistete.

1.3. Am 27.02.2020 leitete das BFA ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ-Verfahren) ein.

1.4. Seit dem abweisenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes hält er sich illegal im Bundesgebiet auf.

In der Folge tauchte er unter, indem er sich am XXXX .03.2020 von seiner Hauptwohnsitzadresse in XXXX , abmeldete und sich nirgendwo mehr meldebehördlich anmeldete. Damit war er für die Fremdenbehörde auch nicht mehr greifbar. Am Verfahren über die Erlangung eines Heimreisezertifikats (in der Folge: so oder kurz: HRZ) wirkte er ebenfalls nicht mit.

1.5. Aus den angeführten Gründen erließ das BFA einen Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG.

1.6. Am XXXX .06.2020 wurde der BF im Rahmen einer Schutzzonen-Kontrolle in XXXX , durch die LPD/PI XXXX aufgegriffen und kam es zum Vollzug des Festnahmeauftrages und - zur Sicherung des Abschiebeverfahrens - zur Überstellung des BF ins Polizeianhaltezentrum XXXX .

1.7. Nach erfolgter niederschriftlicher Einvernahme durch die Organe des BFA wurde mit Bescheid vom XXXX .06.2020, Zl. XXXX , gem. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm. § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens und der Sicherung der Abschiebung über den Beschwerdeführer angeordnet.

1.8. Der BF hat im Bundesgebiet keine nahen Angehörigen bzw. keine Familienangehörigen, die hier leben würden. Er ist zwar mit einer weiblichen österreichischen Staatsangehörigen befreundet, die er ab einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Juli 2019 über Facebook kontaktierte. Seit einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des September 2019 kam es zu ersten Besuchskontakten, indem er sie besuchte.

Von gelegentlichen Übernachtungen abgesehen, ist er bei ihr nicht eingezogen. An der Anschrift der Freundin an der Anschrift XXXX , war er auch nie gemeldet (Verhandlungsniederschrift vom 15.06.2020, S. 3 unten).

1.9. Der BF verfügt im Bundesgebiet weder über Immobilienbesitz, noch über nennenswerte Ersparnisse, die ihm einen legalen Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglichen würden. Er verfügt auch über keine eigene - gesicherte - Unterkunft. Abgesehen von der Meldung im PAZ XXXX , und seiner Meldung im AHZ XXXX bestand bei ihm seit seiner Abmeldung am XXXX .03.2020 bis zu seinem Aufgriff am XXXX .06.2020 im Rahmen der Schutzzonenkontrolle und zu seiner Verbringung ins Polizeianhaltezentrum XXXX keine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet.

1.10. Der BF ist im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit nachgegangen.

Damit steht fest, dass er zum Bundesgebiet weder nennenswerte soziale Anknüpfungspunkte von nennenswerter emotionaler Tiefe, noch wirtschaftliche Anknüpfungspunkte besitzt.

1.11. Der BF ist absolut rückkehrunwillig.

1.12. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch die Vertretungsbehörden von Afghanistan steht unmittelbar bevor.

1.13. Insgesamt ist der BF nicht gewillt, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten und ist er nicht vertrauenswürdig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes zur Zl. XXXX (Schubhaft) und den zitierten Akten des Bundesverwaltungsgerichtes.

1.2. Aufgrund seines Verhaltens, in dem er sich am XXXX .03.2020 abmeldete und nirgendwo mehr eine Unterkunft genommen hatte und sich dort melderechtlich angemeldet hätte, wodurch er für die österreichischen Fremdenbehörden nicht mehr greifbar war und erst im Zuge einer Schutzzonen-Kontrolle aufgegriffen werden konnte, kann ihm keine Vertrauenswürdigkeit attestiert werden.

1.3. Das Fehlen substanzieller sozialer, familiärer und beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet ergibt sich aus der Aktenlage. In seinem am 02.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachten Schriftsatz bezeichnete er seine Freundin, eine österreichische Staatsangehörige, als seine Lebensgefährtin und dass er sie heiraten wolle. Das erscheint dem erkennenden Bundesverwaltungsgericht als nicht glaubwürdig.

Anlässlich der am 15.06.2020 über seine Beschwerde gegen den Mandatsbescheid vom XXXX .06.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung gab er im Rahmen seiner Vernehmung als Partei (PV) an, dass sein Leben im Herkunftsstaat in Gefahr sei und er dorthin keinesfalls zurückwolle [Verhandlungsniederschrift vom 15.06.2020, S. 6 Mitte)] Später bekräftigte er, dass er in Österreich bleiben wolle [Verhandlungsniederschrift vom 15.06.2020, S. 9 unten]. Auch vor dem Bundesverwaltungsgericht versuchte er noch seinen Aufenthalt seit seiner meldebehördlichen Abmeldung am XXXX .03.2020 zu verschleiern, in dem er angab, dass er seit dem XXXX .02.2020 bei seiner Freundin gewohnt hätte [Verhandlungsniederschrift vom 15.06.2020, S. 6 unten]. Dem widersprach die schon in der mündlichen Verhandlung über die gegen den Mandatsbescheid erhobene Beschwerde des BF als Zeugin einvernommene Freundin des BF mit ihrer Angabe, dass dieser - abgesehen von gelegentlichen Übernachtungen - nicht bei ihr gewohnt hätte [Verhandlungsniederschrift vom 15.06.2020, S. 3 unten]. Wenn es in der Eingabe vom 02.10.2020 heißt, dass der Beschwerdeführer bei seiner Freundin Unterkunft nehmen könne und sich dort „für weitere Schritte der Behörde“ zur Verfügung“ halten würde, erscheint dies schon vor dem Hintergrund nicht glaubwürdig, dass sich der BF seit seiner Abmeldung im Bundesgebiet am XXXX .03.2020 bis zum Aufgriff am XXXX .06.2020 weder bei seiner Freundin eingezogen ist noch sich hier mit Hauptwohnsitz angemeldet hat.

Substanzielle Deutschkenntnisse wurden in der Beschwerde nicht behauptet. Im Verfahren sind auch keine legalen Beschäftigungsverhältnisse oder Fähigkeiten hervorgekommen, die zu einer mittelfristigen Sicherung der eigenen Existenz in Österreich beitragen würde. Es waren daher entsprechend Feststellungen zu treffen. Die Konstatierung, dass er über ausreichenden Ersparnisse nicht verfügt, die ihm einen Aufenthalt im Bundesgebiet ermöglichen würden, ergibt sich aus der Auskunft des BMI, derzufolge dem BF ein Geldbetrag in Höhe von EUR 847,80 zur Verfügung steht. Die Konstatierung, dass er über Immobilienbesitz nicht verfügt, gründet auf seinen Angaben anlässlich seiner Einvernahme vor der belangten Behörde und seiner Einvernahme als Partei vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Dass der BF absolut rückkehrunwillig ist, wurde von ihm bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30.06.2020 dargetan. Seine Rückkehrunwilligkeit unterstreicht er einmal mehr mit seinen Angaben in der Eingabe vom 02.10.2020, wo es heißt, dass er seine Freundin „ehelichen und später einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger gemäß § 47 NAG beantragen möchte“ und dass er „seine Zukunft auf mittlere Sicht in Österreich zusammen mit seiner zukünftigen Ehegattin“ sehe.

1.4. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers wurden in der Beschwerde nicht behauptet und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 - FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 17.04.2020 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 - FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1.       dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2.       dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3.       die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1.       ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a.      ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2.       ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3.       ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4.       ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5.       ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6.       ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a.       der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b.       der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.       es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7.       ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8.       ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9.       der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete (Ziffern 1 und 9 des § 76 Abs. 1 FPG), haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Insbesondere hat der Beschwerdeführer das Kriterium der Ziffer 2 des § 76 Abs. 3 FPG durch sein Untertauchen nach Kenntnis der vollstreckbaren Rückkehrentscheidung erfüllt.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts deutlich reduzierter persönlicher Vertrauenswürdigkeit (der BF ist am XXXX .03.2020 untergetaucht und versuchte er auf diese Weise, sich dem Zugriff der Fremdenbehörde zu entziehen) kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. Hinzu kommt, dass er in der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2020 bekräftigte, nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren und in Österreich bleiben zu wollen. Hinzu kommt weiter, dass er in seiner Eingabe vom 02.10.2020 dargetan hat, seine Freundin ehelichen und später einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger gemäß § 47 NAG beantragen zu wollen und dass er „seine Zukunft auf mittlere Sicht in Österreich zusammen mit seiner zukünftigen Ehegattin“ sehe. Dies alles scheint vom Motiv getragen zu sein, sich der Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen und in Österreich bleiben zu wollen.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels scheidet aus, auch wenn die als Zeugin vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommene (österreichische) Freundin des BF angegeben hatte, dass er bei ihr wohnen könne. In der Eingabe vom 02.10.2020 bekräftigte sie dies noch ein weiteres Mal. Gegen ein gelinderes Mittel (hier: in Gestalt einer Wohnsitzauflage) spricht schon der Umstand, dass er nach seinem Auszug aus der Unterkunft an der Anschrift XXXX , am XXXX .03.2020 keine Unterkunft bei seiner Freundin genommen und sich an dieser Anschrift nicht mit Hauptwohnsitz angemeldet hatte. Abgesehen von gelegentlichen Übernachtungen bei ihr war er seit dem XXXX .03.2020 bis zu seinem Aufgriff durch die PI XXXX am XXXX .06.2020 unsteten Aufenthalts, der nicht einmal der vor dem Bundesverwaltungsgericht als Zeugin einvernommenen Freundin bekannt war. Seine hohe Mobilität des BF und sein Unwillen, in den Herkunftsstaat zurückkehren zu wollen sowie die Tatsache, dass ihm die Folgen der vollstreckbaren Rückkehrentscheidung bewusst sind, vermag an der vom Bundesverwaltungsgericht am 15.06.2020 angenommenen (erheblichen) Fluchtgefahr nichts zu ändern.

Der Umstand, dass er bei der Anordnung der Schubhaft haftfähig war, hat sich bis dato nicht geändert.

Die mit der Erlangung eines Heimreisezertifikats verbundene Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist vor dem dargestellten Hintergrund zumutbar. Verzögerungen, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, lassen sich nicht erkennen.

Aus den angeführten Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist. Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.

Die in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG grundsätzlich vorgesehene Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft im Ausmaß von sechs Monaten ist im Entscheidungszeitpunkt nicht überschritten.

Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass derzeit immer noch Reisebeschränkungen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie vorliegen, der Flugverkehr wird jedoch momentan wieder vermehrt aufgenommen. Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die für ihre Fortsetzung maßgeblichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da im gegenständlichen Fall der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der von Amts wegen gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VF erhobenen Beschwerde eindeutig geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, zu Mal auch der BF zuletzt am 15.06.2020 im Zuge einer mündlichen Verhandlung gehört wurde und sich aus dem Vorbringen des BF in der Eingabe vom 02.10.2020 nicht erkennen lässt, was sich seit der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2020 an der Ausgangssituation des BF geändert hätte.

Zu Spruchpunkt B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G305.2231796.2.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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