Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
ABGB §138Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler sowie den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des X Y in Z, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 2020, W103 2160752-3/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I., soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
1 Das (damals zuständige) Bundesasylamt erkannte der Mutter des (im Juli 2013 geborenen) Revisionswerbers - beide sind Staatsangehörige der Russischen Föderation - mit Bescheid vom 2. Juli 2012 den Status der Asylberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zu. Mit Schreiben vom 14. August 2013 gab sie dem Bundesasylamt die Geburt des Revisionswerbers bekannt. Sie stellte für ihn als seine gesetzliche Vertreterin den Antrag, ihm den gleichen Schutzstatus zuzuerkennen. Eigene Fluchtgründe wurden für den Revisionswerber nicht geltend gemacht.
2 Mit Bescheid vom 3. September 2013 wurde dem Revisionswerber - gegründet auf seine Eigenschaft als Familienangehöriger einer Fremden, der der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden war - gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
3 In der Folge erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Bescheid vom 17. Mai 2017, womit dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Weiters sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt, ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwies darauf, dass der Mutter des Revisionswerbers der Status der Asylberechtigten aberkannt worden sei, weil sie sich freiwillig wieder unter den Schutz des Herkunftsstaates gestellt habe. Sie habe sich im Herkunftsstaat einen Reisepass ausstellen lassen. Sie sei auch mit dem Revisionswerber mehrmals in den „Verfolgerstaat“ gereist, wo sich beide längere Zeit aufgehalten hätten. Der Revisionswerber habe den Status des Asylberechtigten im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 zuerkannt erhalten. Für ihn seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden. Im Aberkennungsverfahren seien keine Gründe hervorgekommen, aus denen auf eine asylrelevante Verfolgung des Revisionswerbers in seinem Heimatland zu schließen wäre. Somit sei auch dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten abzuerkennen.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 28. Dezember 2018 als unbegründet ab.
6 Das Bundesverwaltungsgericht stützte sich beim Ausspruch über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten - wie bereits zuvor die Behörde - darauf, dass der Mutter des Revisionswerbers der Status der Asylberechtigten aberkannt worden sei. Die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses müsse in der Regel als eine der Formen angesehen werden, mit denen ein Staat seinen Angehörigen Schutz gewähre. Die Mutter des Revisionswerbers habe sich nach der in Österreich erfolgten Asylgewährung in Russland bei der zuständigen russischen Behörde einen Auslandsreisepass ausstellen lassen. Sie sei damit mehrfach in den Herkunftsstaat zurückgekehrt. Es sei somit auch die tatsächliche Schutzgewährung durch den Herkunftsstaat gegeben. Weiters liege die Freiwilligkeit ihres Verhaltens sowie die Unterschutzstellungsabsicht vor. Zudem sei auch für den Revisionswerber ein russischer Auslandsreisepass ausgestellt worden. Somit lägen bei der Mutter des Revisionswerbers und auch bei ihm die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten vor. Weiters verwies das Bundesverwaltungsgericht noch darauf, dass infolge dessen auch der für die im Jänner 2018 geborene Schwester des Revisionswerbers - auch sie verfüge über keine eigenen Fluchtgründe - gestellte Antrag auf internationalen Schutz im Instanzenzug abgewiesen worden sei.
7 Sämtliche Familienmitglieder erhoben Revision gegen jene Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, womit der Status von Asylberechtigten aberkannt (Revisionswerber und seine Mutter) sowie nicht zuerkannt (Schwester des Revisionswerbers) wurde.
8 Der Verwaltungsgerichtshof wies die von der Mutter des Revisionswerbers eingebrachte Revision mit Erkenntnis vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0046, als unbegründet ab und die Revision der Schwester des Revisionswerbers mit Beschluss vom 19. November 2019, Ra 2019/18/0413, zurück. Die vom Revisionswerber erhobene Revision wurde in der Folge vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Dezember 2019, Ra 2019/14/0492, gleichfalls zurückgewiesen.
9 In der die Mutter des Revisionswerbers betreffenden Entscheidung hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass immer dann, wenn ein Asylberechtigter die Ausstellung eines Reisepasses des Heimatstaates beantragt und ihm ein solcher ausgefolgt wird, es ihm obliegt, im konkreten Einzelfall Umstände aufzuzeigen, die der rechtlichen Annahme einer bei ihm bestehenden Unterschutzstellungsabsicht entgegenstehen (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0046, Rn. 25). Es sei der Mutter des Revisionswerbers nicht gelungen, solche Umstände darzutun (Rn. 26 bis 34).
10 Soweit sich die Mutter auch gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gewendet hatte, hielt der Verwaltungsgerichtshof im bereits erwähnten Erkenntnis Ra 2019/19/0046 fest, in der Revision sei nicht dargelegt worden, dass die vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung vorgenommene Interessenabwägung rechtswidrig gewesen wäre. Das Vorbringen zur Entwicklungsverzögerung ihres Kindes (also des Revisionswerbers) und zu der sich aus dieser ergebenden erhöhten Betreuungsbedürftigkeit vermöge eine Verletzung des Amtswegigkeitsgrundsatzes nicht darzutun.
11 Unter Hinweis auf diese (und die die Schwester des Revisionswerbers betreffende) Entscheidung wurde sodann vom Verwaltungsgerichtshof auch die damals vom Revisionswerber eingebrachte und ein identes Vorbringen enthaltende Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zurückgewiesen (vgl. VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0492, Rn. 17 und 18).
12 Zwischenzeitig waren im Jänner 2019 beim Bundesverwaltungsgericht vom Revisionswerber gestellte Anträge auf Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolglos geblieben; diese waren mit den Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2018 (richtig offenkundig: 9. April 2019) abgewiesen (Antrag auf Wiedereinsetzung) und zurückgewiesen (Antrag auf Wiederaufnahme) worden.
13 Am 16. Jänner 2020 stellte die Mutter des Revisionswerbers für sich und ihre Kinder neuerlich Anträge auf internationalen Schutz. Sie brachte vor, immer noch dieselben „Probleme“ in Russland zu haben und dort keine ausreichende medizinische Versorgung für den Revisionswerber zu erhalten. Es gebe zudem im Februar 2020 einen wichtigen Termin betreffend dessen weitere medizinische Behandlung.
14 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sprach mit den Bescheiden je vom 11. Februar 2020 aus, dass die im Jänner 2020 gestellten Anträge auf internationalen Schutz des Revisionswerbers, seiner Mutter und seiner Schwester sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (jeweils Spruchpunkte I. und II.), ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (jeweils Spruchpunkte III.), gegen sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (jeweils Spruchpunkte IV. und VII.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (jeweils Spruchpunkte V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde ihnen nach § 55 Abs. la FPG nicht gewährt (jeweils Spruchpunkte VI.). Weiters wurde ihnen gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen, ab dem 16. Jänner 2020 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (jeweils Spruchpunkte VIII.).
15 Der Revisionswerber und seine Familienangehörigen erhoben Beschwerden, die sich allerdings nicht gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. und III. richteten.
16 Mit den (sowohl im Spruch als auch in der Begründung gleichlautenden und in einer Urteilsurkunde ausgefertigten) Erkenntnissen je vom 11. März 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die vom Revisionswerber, seiner Mutter und seiner Schwester erhobenen Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte II., IV., V., VI., VII. und VIII. der Bescheide vom 11. Februar 2020 als unbegründet ab [Spruchpunkt A) I.]. Weiters wies es die von ihnen gestellten Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unzulässig zurück [Spruchpunkt A) II.]. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.
17 Gegen jenes Erkenntnis vom 11. März 2020, das den im Juli 2013 geborenen Revisionswerber betrifft, richtet sich die vorliegende Revision. Über die von seiner Mutter und seiner Schwester erhobenen Revisionen wird (zu den Zlen. Ra 2020/14/0172 und 0173) vom Verwaltungsgerichtshof gesondert entschieden werden.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Revision und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
20 Die Revision erweist sich im Hinblick auf das Vorbringen zu ihrer Zulässigkeit als teilweise zulässig und berechtigt.
21 Zur Zurückweisung der Revision
22 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
23 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.
24 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
25 Rechtsprechung zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache
26 Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt. Auf dem Boden der Rechtsprechung hat auch das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid nach den vorstehenden Grundsätzen zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
27 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.
28 In jenem Fall, in dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist insoweit „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. zum Ganzen VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255, mwN).
29 Rechtsprechung zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005
30 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK - nur eine solche wird im Zusammenhang mit der Frage des subsidiären Schutzes vom Revisionswerber ins Treffen geführt - eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.
31 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.
32 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen.
33 Weiters hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. auch zu diesem gesamten Themenkomplex VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255, mwN).
34 Fallbezogene Beurteilung
35 Der Revisionswerber verweist auf seine Entwicklungsstörung, die seine Ursache in einer „Fütterungsstörung“ und Schluckstörung habe, und den daraus resultierenden Betreuungs-, Erziehungs- und Fürsorgebedarf. Er benötige langfristig eine spezifische Ernährung, was auch finanzielle Aufwendungen nach sich ziehe. Weiters sei es notwendig, dass seine alleinerziehende Mutter bei ihm bleibe. Im Heimatland drohe ihm die Änderung der Fürsorge-, Erziehungs- und Obsorgeverhältnisse durch willkürliche Übernahme derselben durch den Vater, von dem seine Mutter geschieden sei. Das werde sich für den Revisionswerber besonders nachteilig und „entwicklungsgefährdend“ auswirken.
36 Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber nicht auf, dass jene - oben dargestellte - hohe Schwelle überschritten werden könnte, die nach der Rechtsprechung zu einer Verletzung des mit Art. 3 EMRK geschützten Rechts führen könnte. Es wird in der Revision weder behauptet, dass der Revisionswerber lebensbedrohlich erkrankt wäre und durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, noch werden stichhaltige Gründe dargelegt, infolge derer der Revisionswerber mit einem realen Risiko konfrontiert sein würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde.
37 Schon deshalb ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gekommen ist, es liege in Bezug auf das nunmehrige Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Vergleich zum zuvor ergangenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem dem Revisionswerber bereits die Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtskräftig versagt worden war, keine wesentliche Änderung in den für die Entscheidung maßgeblichen Umständen vor und eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages sei von vornherein ausgeschlossen.
38 Vor diesem Hintergrund war auf das übrige, sich auf die Frage des subsidiären Schutzes beziehende - in erster Linie eine dem Unionsrecht entsprechende Beurteilung einfordernde - Revisionsvorbringen nicht näher einzugehen (vgl. allerdings dazu, dass nicht von einem Akteur oder Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt ausgehende Verletzungen des Art. 3 EMRK nicht von den Bestimmungen der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie] erfasst sind, VwGH 6.11.2018, Ra 2018/01/0106; weshalb insoweit - ungeachtet dessen, dass § 8 Abs. 1 AsylG 2005, die Vorgaben der Statusrichtlinie fehlerhaft umsetzend, auch für unionsrechtlich nicht zugelassene Konstellationen die Gewährung von subsidiären Schutz vorsieht, vgl. dazu VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006 - auch die auf diese Richtlinie Bezug habende Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] nicht anwendbar ist [sh. deren Art. 1: „Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes gemäß der Richtlinie 2011/95/EU eingeführt.“], wenn nicht im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie vom jeweiligen Mitgliedstaat beschlossen wurde, die Bestimmungen der Verfahrensrichtlinie auch in Verfahren anzuwenden, in denen außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2011/95/EU über Anträge auf Schutz jedweder Form entschieden wird).
39 Der gegenständliche Fall ist im Übrigen aber auch - schon weil ein Sachverhalt, der zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen könnte, nicht zu sehen ist - vom Verfahren des Gerichtshofes der Europäischen Union über das vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Dezember 2019, EU 2019/0008 (Ro 2019/14/0006), eingereichte Vorabentscheidungsersuchen nicht berührt.
40 In der Revision werden sohin in Bezug auf die Frage der Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Das gilt auch für jene in der Folge nicht weiter behandelten Aussprüche, zu denen die Revision ein Vorbringen zu ihrer Zulässigkeit gänzlich vermissen lässt. Insoweit war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.
41 Zur Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit
42 Die Revision vermag allerdings mit ihrem Vorbringen durchzudringen, soweit sie sich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (und die davon rechtlich abhängenden Aussprüche) wendet.
43 Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts besteht beim Revisionswerber (der im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung das siebente Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt hatte) eine sprachliche und motorische Entwicklungsstörung (Dystrophie) sowie eine Mikrozephalie (Entwicklungsbesonderheit, bei der der Kopf eine vergleichsweise geringe Größe aufweist), weiters der Verdacht auf eine Schluckstörung.
44 Im Rahmen der Erwägungen zur Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme führte das Bundesverwaltungsgericht zur Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG aus, es liege kein Eingriff in das Familienleben vor, weil gegen alle Familienmitglieder eine Rückkehrentscheidung erlassen werde. Es seien aber auch keine Umstände erkennbar, welche auf eine „seit dem Zeitpunkt der in den erst kürzlich abgeschlossenen vorangegangenen Verfahren erlassenen Rückkehrentscheidungen geänderte private Situation hinweisen“. Es sei im neuen Verfahren auch kein Vorbringen zu seither erfolgten Integrationsschritten erstattet worden. Auch mit dem Verweis auf die gesundheitliche Situation des Revisionswerbers und der „Maßgeblichkeit der Berücksichtigung des Kindeswohles“ seien keine konkreten Sachverhalte aufgezeigt worden, die eine inhaltliche Änderung gegenüber dem Zeitpunkt des Ausspruches der „vormaligen“ Rückkehrentscheidungen gebildet hätten. Es sei im nunmehrigen Verfahren nicht dargelegt worden, inwiefern von der „rechtskräftigen Einschätzung“ im vorangegangen Verfahren abgewichen werden müsste. Sodann führte das Bundesverwaltungsgericht wörtlich aus:
„ [...]. Es ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Erstbeschwerdeführerin unverändert zur Teilnahme am Erwerbsleben im Herkunftsstaat in der Lage ist und dort, sowohl in Tschetschenien, als auch in Moskau, Möglichkeiten der Unterstützung durch ein verwandtschaftliches Netz vorfinden würde. Da es der Erstbeschwerdeführerin alternativ zu einer Rückkehr in ihre Heimatregion Tschetschenien offen stünde, sich mit ihren Kindern in Moskau, wo ein Onkel von ihr lebt, niederzulassen, dort eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und allenfalls zusätzliche finanzielle Unterstützung durch ihre in Tschetschenien lebenden Angehören sowie das russische Sozialleistungssystem zu empfangen, kann auch unter Berücksichtigung der laut Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Jahr 2019 erfolgten Trennung vom Kindesvater und der für den Fall einer Rückkehr nach Tschetschenien geäußerten Befürchtung einer Wegnahme der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien durch denselben, keine maßgebliche Änderung der familiären und privaten Situation der beschwerdeführenden Parteien, welche nunmehr die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung begründen würde, erkannt werden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Erstbeschwerdeführerin nicht, wie auch zahlreiche andere Frauen innerhalb der Russischen Föderation, als alleinerziehende Mutter für sich und ihre Kinder durch eigene Erwerbstätigkeit, Unterstützung ihrer zahlr[ei]chen Angehörigen, sowie Rückgriff auf Leistungen des russischen Sozialsystems, das Auslangen finden sollte. Wie an anderer Stelle dargelegt, hat sich im Falle des Zweitbeschwerdeführers, wenn auch der angesichts des Entwicklungsrückstandes bestehende erhöhte Betreuungs- und Förderungsbedarf nicht verkannt wird, kein Hinweis auf das aktuelle Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung, einer im Bundesgebiet durchlaufenen medizinischen Behandlung ergeben und es wird der Erstbeschwerdeführerin auch nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat im Rahmen des dortigen Gesundheitssystems möglich sei, Therapie und Förderung für den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer zu erhalten und dessen gesundheitliche Situation einer weiteren medizinischen Abklärung zuzuführen.
Trotz des bereits mehrjährigen Aufenthaltes hat die Erstbeschwerdeführerin mit Ausnahme von beginnenden Deutschkenntnissen und der Knüpfung von Bekanntschaften keine maßgeblichen Bindungen zum österreichischen Bundesgebiet begründet, wohingegen sie im Herkunftsstaat ein enges verwandtschaftliches Netz hat und sowohl Russisch als auch Tschetschenisch beherrscht.
Der sechsjährige Zweitbeschwerdeführer und die dreijährige Drittbeschwerdeführerin befinden sich in einem mit einer hohen Lern- und Anpassungsfähigkeit verbundenen Alter, sie haben noch keinen Schulbesuch begonnen und ihre persönlichen Beziehungen beschränken sich primär auf die Person ihrer Mutter, deren Obsorge sie benötigen. Eine Rückkehr in den Herkunftsstaat in Obhut ihrer Mutter, wo zahlreiche weitere Verwandte leben, begründet demnach auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie ihr bisheriges Leben in Österreich verbracht haben, keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der minderjährigen beschwerdeführenden Parteien.
Eine maßgebliche Änderung der privaten und familiären Lebensumstände, welche nunmehr eine anderslautende Bewertung hinsichtlich der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung geboten erscheinen ließe, wurde von den beschwerdeführenden Parteien demnach nicht vorgebracht.
Nochmals zu betonen bleibt, dass den beschwerdeführenden Parteien ihr nunmehriger Aufenthalt lediglich aufgrund der Stellung unbegründeter Folgeanträge möglich ist und eine Änderung ihrer integrativen Situation seit rechtskräftigem Abschluss ihrer vorangegangenen Verfahren im mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.12.2018 bzw. mit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.10.2019, 19.11.2019 und 18.12.2019 nicht ersichtlich ist.“
45 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 19. November 2015, Ra 2015/20/0082 bis 0087, ausführlich mit der Frage befasst, ob nach dem Gesetz auch in jenem Fall, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird, diese Entscheidung mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu verbinden ist. Dies wurde insbesondere im Hinblick auf den Inhalt der dort näher angeführten Gesetzesmaterialien bejaht. Demnach war es Ziel des Gesetzgebers, eine „Verschränkung der Prozesse“ zu erreichen, um eine „Entscheidung in Einem“ zu erzielen, den Wegfall von parallelen als auch nachfolgenden Verfahren zu erreichen und ablauforientiert ein einheitliches Gesamtverfahren entstehen zu lassen. Im Sinn der angestrebten Verfahrensökonomie ist der in § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 angeführte Tatbestand dahingehend zu interpretieren, dass er auch Entscheidungen nach § 68 AVG umfasst. Nur damit wird der angestrebte Zweck der „Entscheidung in Einem“ und Verhinderung nachfolgender Verfahren erreicht. Offenkundig war die Vermeidung paralleler oder nachfolgender Verfahrensführung gewollt.
46 Weiters ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach (sofern sich aus dem Gesetz nicht anderes ergibt) das Verwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten hat (vgl. etwa VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192, mwN).
47 Das hat im Besonderen auch bei Beurteilung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die mit der Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 Abs. 1 AVG einhergeht, zu gelten. Nur dann, wenn sich diese Entscheidung über die Aufenthaltsbeendigung auf die aktuelle Sach- und Rechtslage bezieht, ist nämlich gewährleistet, dass der oben genannte Zweck zur Vermeidung weiterer nachfolgender Verfahren (samt der diesbezüglich in Betracht kommenden Rechtsmittelverfahren) - hier: ein allfälliges weiteres Verfahren zur Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 - erreicht werden kann.
48 Diesen Anforderungen wird die vorliegende die aufenthaltsbeendende Maßnahme betreffende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht gerecht.
49 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 30.7.2020, Ra 2020/20/0130, mwN).
50 In diesem Zusammenhang haben die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. etwa VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0362, mwN).
51 Im Hinblick auf den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Gesundheitszustand des Revisionswerbers wäre es daher geboten gewesen, eingehender auf Aspekte des Kindeswohls Bedacht zu nehmen. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen ist, dienten die in § 138 ABGB genannten Kriterien als Orientierungsmaßstab (vgl. nochmals VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0362, dort insbesondere auch mit Hinweis auf VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274, Rn. 30).
52 In Verkennung dieser Rechtslage hat das Bundesverwaltungsgericht aber keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die eine solche Beurteilung ermöglicht hätten, sondern sich vielmehr darauf zurückgezogen, dass sich seiner Ansicht nach der - nicht näher festgestellte - Sachverhalt nicht anders präsentiere, als im Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Dezember 2018. Jene Gründe und medizinische Unterlagen, die vom Revisionswerber im Verfahren ins Treffen geführt wurden und die seiner Ansicht nach belegen sollen, dass zu seinem Gesundheitszustand neue Erkenntnisse vorhanden seien, die Einfluss auf seine weitere Behandlung und Lebensführung hätten, ließ das Verwaltungsgericht allerdings unberücksichtigt und infolgedessen auch ungeprüft. Soweit es die Ansicht vertritt, der - im Entscheidungszeitpunkt sechsjährige - Revisionswerber befinde sich in einem mit einer hohen Lern- und Anpassungsfähigkeit verbundenen Alter, bleibt es jegliche Begründung dafür schuldig, weshalb diese Annahme beim Revisionswerber im Hinblick auf seine gravierenden - vom Bundesverwaltungsgericht zwar nicht in Abrede gestellten, aber von ihm auch keiner näheren Betrachtung unterzogenen - Beeinträchtigungen (nach den im Verfahren vorgelegten Urkunden befinde sich der Revisionswerber körperlich auf dem Niveau eines dreijährigen Kindes) gerechtfertigt wäre. Auch enthält das angefochtene Erkenntnis keine näheren Feststellungen zu den - sich aus der Aktenlage und den vorherigen Entscheidungen - ergebenden Aufenthalten des Revisionswerbers (mit seiner Mutter) im Heimatland. Wie lange diese Aufenthalte gedauert und wie sich diese dort gestaltet hatten, wäre aber für das oben angesprochene Thema insofern von Relevanz gewesen, als dies zu wesentlichen Aufschlüssen für die Beurteilung, ob das Kindeswohl einer Rückführung des Revisionswerbers in sein Heimatland entgegenstehen könnte, hätte führen können.
53 Aus den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts geht demgegenüber erkennbar hervor, dass es auch bei der Prüfung, ob im Zeitpunkt seiner Entscheidung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber zulässig sei, jenen Maßstab angelegt hat, der bei der Prüfung, ob der Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen war, maßgeblich war.
54 Sohin entspricht die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber nicht dem Gesetz, weshalb das angefochtene Erkenntnis insoweit sowie in Bezug auf die rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche, die ihre Grundlage verlieren, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
55 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. September 2020
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140175.L00Im RIS seit
01.12.2020Zuletzt aktualisiert am
01.12.2020