TE Vwgh Beschluss 2020/9/29 Ra 2020/21/0305

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z4
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S C in P, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. April 2020, L524 2227902-1/17E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der 1990 geborene Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, schloss in seinem Heimatland den Gymnasiumsbesuch mit Matura ab und absolvierte auch die Aufnahmeprüfung für ein Studium. Nachdem er seinen Angaben zufolge im Jahr 2009 die Türkei verlassen hatte, lebte er bis zu seiner Übersiedelung nach Österreich Mitte Mai 2016 in Italien. Am 13. Mai 2016 heiratete der Revisionswerber eine aus der Türkei stammende österreichische Staatsbürgerin; der Ehe entstammt der am 28. April 2018 geborene Sohn, der ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Die Ehefrau des Revisionswerbers ist derzeit wieder schwanger; der errechnete Geburtstermin ist am 13. Oktober 2020. Der Revisionswerber verfügte ab 15. Juni 2016 über Aufenthaltstitel als Familienangehöriger einer Österreicherin; vor Ablauf des letzten Gültigkeitszeitraums stellte er fristgerecht einen Verlängerungsantrag.

2        Der Revisionswerber wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. September 2019 wegen des mehrfach und qualifiziert begangenen Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1 und 3 Z 1 und 2 sowie Abs. 4 erster Fall FPG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren (davon zwei Jahre bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt. Diesem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im Zeitraum von zumindest 12. Mai 2018 bis 21. November 2018 gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, der auch seine Ehefrau angehört habe, zumindest zwölf Schlepperfahrten organisiert und dabei auch als Fahrer fungiert, wodurch die rechtswidrige Ein- bzw. Durchreise von Fremden von Italien über Österreich weiter nach Deutschland mit Bereicherungsvorsatz gefördert worden sei. Beim überwiegenden Teil der Fahrten seien zumindest drei Fremde - in der Regel türkische Staatsangehörige - geschleppt worden; in einem Fall sogar siebzehn türkische Staatsangehörige. Für die Organisation der Schlepperfahrten habe der Revisionswerber ein auf seine Ehefrau registriertes Mobiltelefon verwendet; für deren Durchführung habe seine Ehefrau einen auf sie zugelassenen PKW zur Verfügung gestellt.

Der Revisionswerber befand sich vom 27. März 2019 bis zu seiner bedingten Entlassung am 27. November 2019 in gerichtlicher Haft.

3        Im Hinblick auf diese Straftaten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 20. Dezember 2019 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFAG eine Rückkehrentscheidung und verband damit ein auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 4 FPG gegründetes, mit vier Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, die Abschiebung des Revisionswerbers in die Türkei sei zulässig.

4        Über die dagegen erhobene Beschwerde führte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) antragsgemäß am 12. März 2020 eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen der Revisionswerber und seine Ehefrau befragt wurden. Mit Erkenntnis vom 20. April 2020 wies das BVwG dann die Beschwerde - mit einer hier nicht weiter relevanten Maßgabe - als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

7        In der nach Ablehnung ihrer Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (VfGH 26.6.2020, E 1366/2020) fristgerecht ausgeführten Revision wird - so lassen sich die Ausführungen zusammenfassen - die vom BVwG nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung kritisiert und in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, die mit der Trennung der Familienangehörigen verbundenen Auswirkungen, insbesondere die Beeinträchtigung des Kindeswohls, könnten mit der aus der Straffälligkeit des Revisionswerbers resultierenden Gefährdung öffentlicher Interessen nicht gerechtfertigt werden. Da der Revisionswerber die letzte Tat im November 2018 verübt habe, wäre im Hinblick auf das seither bestehende Wohlverhalten von etwa eineinhalb Jahren zum Entscheidungszeitpunkt im April 2020 nicht mehr von einer hohen Wiederholungsgefahr auszugehen gewesen.

8        Letzterem ist die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen zu halten, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat; für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (siehe zum Ganzen etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12, mwN). Von einer solchen nachdrücklichen Manifestierung der Gefährlichkeit durfte das BVwG der Sache nach im vorliegenden Fall wegen der qualifizierenden Umstände bei den vom Revisionswerber begangenen Delikten ausgehen, sodass es angesichts eines Zeitraums von erst etwa fünf Monaten seit der Haftentlassung jedenfalls nicht den Wegfall oder eine entscheidende Minderung der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen annehmen musste.

9        Im Übrigen ist es ebenfalls ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. neuerlich VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12, mwN). Daher geht auch der weitere Einwand in der Revision ins Leere, bei der Gefährdungsprognose wären die im Strafurteil vorgenommene Verhängung einer Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens, deren teilweise bedingte Nachsicht und die bedingte Entlassung, aus denen sich jeweils eine günstige spezialpräventive Sicht ergebe, zu berücksichtigen gewesen.

10       Entgegen der Meinung in der Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof bei Delikten der hier in Rede stehenden Art schon wiederholt die Meinung gebilligt, dass die Auswirkungen einer durch den Vollzug von aufenthaltsbeenden Maßnahmen bewirkten Trennung auf die Beziehung auch zu Kindern im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Schlepperei hinzunehmen seien (siehe beispielsweise aus der letzten Zeit noch einmal VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 13, sowie auch VwGH 24.1.2013, 2010/21/0523, VwGH 20.12.2012, 2012/23/0011, VwGH 29.2.2012, 2009/21/0103, und VwGH 16.2.2012, 2008/18/0727; vgl. schließlich noch VwGH 18.10.2012, 2011/23/0322). Das gilt auch für den vorliegenden Fall, in dem die nach mündlicher Verhandlung vorgenommene Interessenabwägung wegen der gravierend gegen das große öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen verstoßenden, mehrfach qualifizierten Straffälligkeit des Revisionswerbers jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden kann, zumal auch noch - vom BVwG näher festgestellte - aufrechte Bindungen zur Türkei bestehen.

11       Davon ausgehend wird in der Revision in Bezug auf die bekämpfte Interessenabwägung keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt (vgl. dazu beispielsweise VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, Rn. 12, mwN). Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 29. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210305.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten