TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/29 Ra 2020/21/0230

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z1
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M R A S in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. April 2020, I413 2222859-1/13E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein ägyptischer Staatsangehöriger, reiste am 13. Dezember 1996 unter Verwendung eines Touristenvisums in das Bundesgebiet ein. Seither hält er sich mit kurzfristigen Unterbrechungen in Österreich auf. Am 1. März 2000 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin, von der er sich (während eines gemeinsamen Aufenthalts in den USA) im Jänner 2001 trennte. Die Ehe wurde am 1. März 2002 geschieden.

2        Dem Revisionswerber waren wiederholt Aufenthaltstitel, zunächst als Student, danach - aufgrund der erwähnten Ehe - eine Niederlassungsbewilligung „Familiengemeinschaft mit Österreicher“ (und zwar mit Wirkung vom 25. Februar 2002 unbefristet) erteilt worden. Ab 7. November 2007 verfügte er über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EG“ bzw. „Daueraufenthalt - EU“.

3        Nachdem der Revisionswerber bereits mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. Februar 2007 wegen eines Drogendeliktes zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden war, verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über ihn mit rechtskräftigem Urteil vom 6. Dezember 2013 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von zwei Jahren.

Er hatte zwischen Jänner 2007 und August 2010 sowie von Ende März 2011 bis 15. April 2013 in Wien anderen Personen (zur Finanzierung seiner Drogenabhängigkeit) wiederholt Cannabisharz und Cannabiskraut von zusammen mehr als 2.400 g durch gewinnbringenden Verkauf überlassen sowie weiters Cannabisharz und Cannabiskraut bis zum 15. April 2013 erworben und besessen.

4        Mit rechtskräftigem Urteil vom 15. Jänner 2018 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber wegen der Vergehen des (teils versuchten) Suchtgifthandels, des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften sowie nach § 50 Abs. 1 Z 1 Waffengesetz eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten (davon 14 Monate bedingt nachgesehen).

Er hatte zwischen Oktober 2016 und Oktober 2017 - wiederum zur Finanzierung seines Drogenkonsums - in Wien anderen Personen insgesamt mehr als 850 g Marihuana und 200 g Haschisch überlassen bzw. zu überlassen versucht. In diesem Zeitraum hatte er überdies zumindest 700 g Marihuana und 200 g Haschisch zum Eigenkonsum erworben und besessen. Weiters hatte er zwischen September 2017 und 6. Oktober 2017, wenn auch nur fahrlässig, unbefugt eine Pistole samt Munition besessen.

5        Mit Beschluss vom 14. Februar 2018 erteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien dem Revisionswerber gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 SMG hinsichtlich der letztgenannten Verurteilung vom 15. Jänner 2018 (unbedingter Strafteil von sieben Monaten) einen Strafaufschub, damit er sich insbesondere einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung unterziehe.

6        Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. Mai 2019 wurde (im Hinblick auf den Erfolg dieser Entwöhnungsbehandlung) auch der unbedingte Strafteil (von sieben Monaten) gemäß § 40 Abs. 1 SMG bedingt nachgesehen.

7        Mit Bescheid vom 23. Juli 2019 stellte der Landeshauptmann von Wien gemäß § 28 Abs. 1 NAG (mit Bezug auf die strafgerichtlichen Verurteilungen vom 6. Dezember 2013 und 15. Jänner 2018) fest, dass das unbefristete Niederlassungsrecht des Revisionswerbers (dokumentiert durch den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“) beendet sei. Ihm werde, so die Begründung dieses Bescheides, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. eventuellem Rechtsmittelverzicht eine „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ ausgestellt. [Die Ausstellung dieses Aufenthaltstitels erfolgte am 11. September 2019].

8        Mit Bescheid vom 17. Juli 2019 hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber (mit Bezug auf die in Rn. 3 und 4 erwähnten strafgerichtlichen Verurteilungen) gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei. Unter einem erließ das BFA gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot. Gemäß § 55 FPG bestimmte es eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise des Revisionswerbers.

9        Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung vom 20. Dezember 2019 erlassenen Erkenntnis vom 18. April 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

10       Über die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision erweist sich - wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt - infolge Abweichens des BVwG von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes als zulässig und berechtigt:

Vorauszuschicken ist, dass für die weiteren Überlegungen der Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses des BVwG vom 18. April 2020 - und nicht jener der Erlassung des Bescheides des BFA vom 17. Juli 2019 - maßgeblich ist.

12       Gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG ist gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Demnach ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen auf Grund eines gültigen Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen - und damit auch die Erlassung eines mit der Rückkehrentscheidung zu verbindenden Einreiseverbots nach § 53 FPG - aufgrund eines Sachverhaltes, der die Versagung des dem Drittstaatsangehörigen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gerechtfertigt hätte, nur zulässig, wenn dieser Sachverhalt erst nach Erteilung des Titels eingetreten oder zwar zuvor eingetreten, der Niederlassungsbehörde aber erst nachträglich bekannt geworden ist (vgl. dazu VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0403, Rn. 17, mwN).

13       Im vorliegenden Fall wurde dem Revisionswerber, wie von der Niederlassungsbehörde in dem in der Revision hervorgehobenen Bescheid vom 23. Juli 2019 (Rn. 7) angekündigt, am 11. September 2019 - also nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung vom 15. Jänner 2018 (Rn. 4) - der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ erteilt, wobei der Niederlassungsbehörde, wie sich aus den Feststellungen im genannten Bescheid ergibt, die zur Begründung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes herangezogenen Straftaten des Revisionswerbers bekannt waren.

14       Hieraus folgt die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und des mit ihr verbundenen Einreiseverbots, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

15       Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

16       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. September 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210230.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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