Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
ÄrzteG 1998 §136 Abs1 Z2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hotz, über die Revision des Disziplinaranwalts der Österreichischen Ärztekammer in Wien, vertreten durch Dr. Daniela Altendorfer-Eberl, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Brucknerstraße 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 30. Jänner 2020, LVwG-AV-913/001-2018, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Disziplinarsache nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, 1010 Wien, Wipplingerstraße 2; mitbeteiligte Partei: A B in C, vertreten durch Mag. Markus Lechner, Rechtsanwalt in 6911 Lochau, Althaus 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der 1962 geborene Mitbeteiligte ist niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin mit einer Kassenordination in Niederösterreich.
2 Nach einer in seinem Beisein von der Disziplinarkommission für Niederösterreich des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer (der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde) durchgeführten mündlichen Disziplinarverhandlung wurde der Mitbeteiligte mit dem am 5. April 2018 in der Disziplinarverhandlung mündlich verkündeten Disziplinarerkenntnis nach der Niederschrift über diese Verhandlung wie folgt schuldig gesprochen:
„[Der Mitbeteiligte] ist schuldig.
Er hat im Zeitraum 01.09.2013 bis 31.08.2016 nicht 150 DFP-Punkte nachgewiesen und damit seine Berufspflicht gemäß § 49 Abs. 2c ÄrzteG in Verbindung mit der Verordnung über die ärztliche Fortbildung verletzt.
Er hat dadurch das Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG begangen und wird hierfür gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG zu einer Geldstrafe von
Euro 4.000,00
verurteilt.
Gemäß § 163 Abs. 1 ÄrzteG hat der Disziplinarbeschuldigte die mit Euro 1.000,00 bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen.“
3 In der schriftlichen Ausfertigung vom 4. Mai 2018 wurde der Spruch des verkündeten Disziplinarerkenntnisses wie folgt wiedergegeben:
„Der Disziplinarbeschuldigte ist schuldig.
Er hat im Zeitraum vom 1.9.2013 bis 31.8.2016 keine 150 DFP-Punkte auf seinem Fortbildungskonto und auch kein am 1.9.2016 gültiges Fortbildungsdiplom erworben und damit seine Berufspflicht gemäß § 49 Abs. 2c ÄrzteG in Verbindung mit § 28 Abs. 3 der Verordnung über ärztliche Fortbildung idF der 1. Novelle vom 1.7.2013 verletzt.
Er hat dadurch das Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG begangen und wird hiefür gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG zu einer
Geldstrafe von € 4.000,-
verurteilt.
Gemäß § 163 Abs. 1 ÄrzteG hat er die mit € 1.000,- bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.“
4 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30. Jänner 2020 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde „gegen die auf 4. Mai 2018 datierte und als Erkenntnis des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich, bezeichnete schriftliche Erledigung“ „mangels Vorliegens eines tauglichen Anfechtungsobjektes“ als unzulässig zurück. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.
5 Das Landesverwaltungsgericht stellte begründend zusammengefasst fest, dass das vom Vorsitzenden der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde in der Disziplinarverhandlung am 5. April 2018 verkündete Disziplinarerkenntnis nur den wiedergegebenen Spruch, aber keine Begründung (Feststellungen, Beweiswürdigung, rechtliche Beurteilung) enthalten habe und auf einer kollegialen Beschlussfassung in der der Verkündung vorangegangenen Sitzung beruhe. Ein darüber hinausgehender Beschluss sei nicht gefasst und insbesondere sei eine Begründung nicht einmal in Grundzügen einer Beschlussfassung unterzogen worden. Die schriftliche Erledigung vom 4. Mai 2018 enthalte demgegenüber neben dem oben wiedergegebenen Spruch auch eine aus Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung bestehende ausführliche Begründung. Diese Erledigung sei keiner Beschlussfassung durch den Disziplinarrat bzw. die Disziplinarkommission unterzogen worden. Ihre Formulierung sei durch den Vorsitzenden erfolgt. Auch deren Unterfertigung habe ausschließlich dieser vorgenommen.
6 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht nach Wiedergabe maßgeblicher Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 aus, beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer bzw. der Disziplinarkommission für Niederösterreich handle es sich um eine Kollegialbehörde. Eine solche könne ihren Willen nur durch Beschluss bilden, der durch Abgabe der Stimmen der Mitglieder zustande komme. Im Allgemeinen erfolge die Willensbildung einer Kollegialbehörde durch den Gesamtakt einer sich an die gemeinsame Erörterung der zu entscheidenden Angelegenheiten anschließenden Abstimmung. Die Willensbildung durch die Kollegialbehörde umfasse nicht nur den Spruch, sondern auch den Inhalt und damit die wesentliche Begründung einer Erledigung. Werde nicht sowohl Spruch als auch Begründung (zumindest in den Grundsätzen) der Beschlussfassung unterzogen, sei eine Erledigung, die eine (eingehende) Begründung enthalte durch den Beschluss des Kollegialorgans nicht gedeckt (Hinweis auf VwGH 25.10.2017, Ra 2017/12/0097).
7 Die hier angefochtene schriftliche Erledigung weise nach den Feststellungen keine kollegiale Beschlussdeckung in diesem Sinne auf. Das mündlich verkündete Disziplinarerkenntnis, das nur den Spruch, aber keine Begründung enthalte, beruhe auf einer kollegialen Beschlussfassung. Die angefochtene schriftliche Erledigung vom 4. Mai 2018 enthalte hingegen neben dem Spruch auch eine ausführliche Begründung. Diese Erledigung sei jedoch keiner Beschlussfassung durch den Disziplinarrat bzw. die Disziplinarkommission unterzogen worden. Die Formulierung der Erledigung sei durch den Vorsitzenden erfolgt.
8 Davon abgesehen weiche auch der Spruch der angefochtenen Erledigung vom verkündeten Disziplinarerkenntnis ab, weil die schriftliche Erledigung insbesondere die nicht verkündete Wortfolge „auch kein am 1.9.2016 gültiges Fortbildungsdiplom erworben“ enthalte. Dem Verweis der belangten Behörde auf die Vorgehensweise in Verfahren nach der ZPO und der StPO hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass es auch im Bereich der ZPO auf den Entscheidungswillen der dazu Berufenen ankomme und ebenso im Bereich der StPO der Vorsitzende bei der Ausfertigung eines Urteils inhaltlich an das gebunden sei, was vom Gericht beschlossen worden sei. Das Unterzeichnen der Ausfertigung durch den Vorsitzenden ersetze nicht den erforderlichen kollegialen Beschluss. Die angefochtene Erledigung sei somit nicht von der erforderlichen kollegialen Willensbildung getragen. Sie sei damit - der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Kollegialbehörde „Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds“ nach dem Ärztegesetz 1998 folgend - als Nichtbescheid zu qualifizieren (Hinweis auf VwGH 27.4.2015, 2012/11/0082, u.a.). Die Beschwerde gegen die genannte Erledigung sei daher mangels Vorliegens eines tauglichen Anfechtungsobjekts als unzulässig zurückzuweisen gewesen.
9 Die Zulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Rechtsfrage, ob die im vorliegenden Fall angefochtene Erledigung tatsächlich als Nichtbescheid zu qualifizieren sei im Hinblick auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur bloßen Vernichtbarkeit von Erledigungen, welche nach ihrem Erscheinungsbild intendierten einem Kollegialorgan zuzurechnen zu sein, ohne dass ihnen ein entsprechender Beschluss dieses Organs zugrunde liege (Hinweis u.a. auf VwGH 5.11.2015, 2013/06/0086), nicht abschließend geklärt sei.
10 Gegen diesen Beschluss richtet sich die Revision des Disziplinaranwalts der Österreichischen Ärztekammer wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde und der Mitbeteiligte erstatteten Revisionsbeantwortungen.
11 Die revisionswerbende Partei führt zur Zulässigkeit der Revision ergänzend aus, vorliegendenfalls sei die grundsätzliche Rechtsfrage zu klären, ob eine im Rahmen einer mündlichen Verhandlung unmittelbar nach Beratung und Abstimmung durch ein Kollegialorgan gefasste und mündlich verkündete Entscheidung, die anschließend schriftlich ausgefertigt worden sei, deshalb rechtswidrig sei, weil der Text der schriftlichen Begründung keiner Abstimmung unterzogen worden sei.
12 Zur Begründung der Revision führt die revisionswerbende Partei ferner im Wesentlichen aus, dass das Disziplinarerkenntnis - wie im gerichtlichen Strafverfahren - sogleich mündlich zu verkünden sei. Die vom Landesverwaltungsgericht angeführte Rechtsprechung betreffe sämtliche schriftlich konzipierte und schriftlich erlassene Bescheide. Zudem habe bereits der Spruch des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Erkenntnisses die wesentliche Begründung der Verurteilung enthalten. Der Mitbeteiligte habe nicht die geforderte Zahl an DFP-Punkten erlangt und sei daher nach den angeführten Bestimmungen mit einer Geldstrafe zu sanktionieren gewesen. Die Begründung des Erkenntnisses habe sich im Wesentlichen in den - bereits im Einleitungsbeschluss enthaltenen - Rechtsausführungen erschöpft. Das Kollegialorgan habe daher neben dem Spruch auch über die wesentlichen Grundsätze der Begründung abgestimmt.
13 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
14 Die maßgeblichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 (ÄrzteG 1998), BGBl. I Nr. 169/1998, in der hier noch maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 105/2019, lauten (auszugsweise):
„5. Abschnitt
Disziplinarrat und Disziplinaranwalt
§ 140. (1) Über Disziplinarvergehen erkennt der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer.
(2) Im Rahmen des Disziplinarrates ist zur Durchführung der Disziplinarverfahren für den Bereich eines jeden Oberlandesgerichtssprengels zumindest eine Disziplinarkommission einzurichten. (...)
(3) Jede Disziplinarkommission besteht aus dem Vorsitzenden, der rechtskundig sein muss und auf Vorschlag des Vorstandes der Österreichischen Ärztekammer vom Bundesminister für Gesundheit und Frauen bestellt wird, sowie aus zwei ärztlichen Beisitzern, die vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer bestellt werden. (...)
§ 141. Die Vertretung der Anzeigen beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer sowie beim Verwaltungsgericht des Landes obliegt dem Disziplinaranwalt, der in diesen Verfahren Parteistellung im Sinne des § 8 AVG sowie das Recht der Revision gemäß Art. 133 Abs. 8 B-VG hat. Auf Weisung des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer ist der Disziplinaranwalt zur Disziplinarverfolgung und zur Ergreifung von Rechtsmitteln verpflichtet. Der Disziplinaranwalt und ein Stellvertreter für jede Disziplinarkommission sind vom Vorstand der Österreichischen Ärztekammer zu bestellen und müssen rechtskundig sein.
(...)
6. Abschnitt
Verfahren vor dem Disziplinarrat
(...)
§ 150. (1) Alle beim Disziplinarrat, bei den Ärztekammern in den Bundesländern oder bei der Österreichischen Ärztekammer einlangenden Anzeigen wegen eines Disziplinarvergehens sind zunächst dem Disziplinaranwalt zuzuleiten.
(2) ...
(3) Ist der Disziplinaranwalt der Ansicht, daß die Voraussetzungen für eine Disziplinarverfolgung vorliegen oder wird ihm diese vom Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer aufgetragen, so hat er unter Vorlage der Akten beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, die Einleitung des Verfahrens zu beantragen.
(...)
§ 151. (1) Tritt der Vorsitzende des Disziplinarrates dem Antrag des Disziplinaranwaltes auf Durchführung von Erhebungen bei, so hat er den Untersuchungsführer mit der Durchführung der von ihm erforderlich erachteten Erhebungen zu beauftragen. An den Inhalt der Erhebungsanträge des Disziplinaranwaltes ist der Vorsitzende hiebei nicht gebunden. Hält der Vorsitzende der Disziplinarkommission dafür, daß Grund zur Zurücklegung der Anzeige besteht, so hat er die Disziplinarkommission einzuberufen.
(2) Erachtet die Disziplinarkommission anläßlich der Beratung darüber, ob eine bestimmte Verfolgungshandlung vorzunehmen oder ein Einleitungsbeschluß zu fassen ist, daß ein Disziplinarvergehen nicht vorliegt oder daß die Verfolgung aus einem der in diesem Bundesgesetz genannten Gründe ausgeschlossen ist, so hat sie einen Rücklegungsbeschluß zu fassen. Findet die Disziplinarkommission Grund zur Verfolgung des Beschuldigten, so hat sie die Durchführung von Erhebungen oder, wenn solche nicht erforderlich sind, sogleich die Einleitung des Disziplinarverfahrens zu beschließen.
(...)
§ 154. (1) Nach Abschluß der Untersuchung hat der Untersuchungsführer die Akten dem Disziplinaranwalt zur Stellung weiterer Anträge zuzuleiten. Der Disziplinaranwalt kann sodann beim Untersuchungsführer weitere Erhebungen beantragen oder beim Vorsitzenden der Disziplinarkommission entweder die Fassung eines Einstellungsbeschlusses oder die Einleitung des Verfahrens beantragen. Über einen solchen Antrag des Disziplinaranwaltes hat die Disziplinarkommission durch Beschluß zu erkennen, ob Grund zu einer Disziplinarbehandlung des Beschuldigten in mündlicher Verhandlung vorliegt.
(2) Der Beschluß, daß Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung vorliegt (Einleitungsbeschluß), hat die Beschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen. Eine Ausfertigung des Beschlusses ist dem Beschuldigten, seinem Verteidiger, dem Disziplinaranwalt sowie der für den Disziplinarbeschuldigten zuständigen Ärztekammer und der Österreichischen Ärztekammer zuzustellen.
(3) ...
§ 155. (1) Wurde ein Einleitungsbeschluß gefaßt, so hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission die zur Durchführung der mündlichen Verhandlung erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Insbesondere hat er Ort, Tag und Stunde der mündlichen Verhandlung zu bestimmen, den Beschuldigten, seinen Verteidiger und die Zeugen zu laden sowie den Disziplinaranwalt zu verständigen. Dem Beschuldigten sind mit der Ladung zur Disziplinarverhandlung die Namen der Mitglieder der Disziplinarkommission mitzuteilen. Dem Beschuldigten sind 14 Tage Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu gewähren.
(...)
§ 158. Die mündliche Verhandlung ist nicht öffentlich. Auf Verlangen des Beschuldigten dürfen jedoch drei Personen seines Vertrauens anwesend sein. Zeugen sind als Vertrauenspersonen ausgeschlossen. § 194 erster Satz gilt auch für die vom Beschuldigten beigezogenen Vertrauenspersonen.
§ 159. (1) Zu Beginn der mündlichen Verhandlung trägt der Vorsitzende der Disziplinarkommission den Einleitungsbeschluß vor und begründet ihn, soweit dies zum Verständnis erforderlich ist. Der Disziplinaranwalt und der Beschuldigte oder sein Vertreter haben das Recht, hierauf mit einer Gegenäußerung zu erwidern. Sodann werden die erforderlichen Beweise aufgenommen.
(2) Mit Zustimmung des Beschuldigten und des Disziplinaranwaltes kann die Verhandlung auch auf Tathandlungen, die vom Einleitungsbeschluß nicht erfaßt sind, ausgedehnt werden.
(3) Sind weitere Erhebungen und Beweisaufnahmen außerhalb der Verhandlung notwendig, so hat die Disziplinarkommission das Erforderliche vorzukehren. Sie kann mit der Durchführung einzelner Erhebungen den Untersuchungsführer beauftragen, aber auch den Akt zur ergänzenden Untersuchung an den Untersuchungsführer zurückleiten.
(4) Die Bestimmungen über die Beweisaufnahme gelten sinngemäß.
(5) Nach Abschluß des Beweisverfahrens folgen die Schlußvorträge des Disziplinaranwaltes, des Verteidigers des Beschuldigten und des Beschuldigten. Das Schlußwort gebührt jedenfalls dem Beschuldigten.
§ 160. (1) Die Beratungen und Abstimmungen der Disziplinarkommission erfolgen in geheimer Sitzung. Bei der Beratung und Abstimmung dürfen der Disziplinaranwalt, der Beschuldigte, sein Verteidiger und die Vertrauenspersonen nicht anwesend sein.
(2) Die Disziplinarkommission hat bei Fällung ihres Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist; sie entscheidet nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller Beweismittel gewonnenen Überzeugung.
(3) Die Entscheidungen der Disziplinarkommission (Erkenntnisse, Beschlüsse) werden mit einfacher Stimmenmehrheit gefaßt. Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Die Reihenfolge der Abstimmung bestimmt sich, beginnend bei dem an Lebensjahren ältesten Mitglied, nach dem Lebensalter der Mitglieder des Disziplinarrates. Der Vorsitzende stimmt zuletzt ab.
§ 161. (1) Mit dem Erkenntnis ist der Beschuldigte freizusprechen oder des ihm zur Last gelegten Disziplinarvergehens schuldig zu erkennen.
(2) Wird der Beschuldigte eines Disziplinarvergehens schuldig erkannt, so ist im Erkenntnis ausdrücklich auszusprechen, welche Rechtspflichten er verletzt oder welche Beeinträchtigung des Standesansehens er durch sein Verhalten begangen hat. Außerdem hat ein solches Erkenntnis auszusprechen, welche Disziplinarstrafe verhängt wird.
§ 162. Das Erkenntnis ist samt dessen wesentlichen Gründen sogleich zu verkünden; je eine Ausfertigung samt Entscheidungsgründen sowie je eine Abschrift des Verhandlungsprotokolls sind ehestens dem Beschuldigten, dem Disziplinaranwalt, der für den Disziplinarbeschuldigten zuständigen Ärztekammer und der Österreichischen Ärztekammer zuzustellen.
§ 163. (1) Im Falle eines Schuldspruchs ist in der Entscheidung zugleich auszudrücken, daß der Disziplinarbeschuldigte auch die Kosten des Disziplinarverfahrens - einschließlich der Kosten der Veröffentlichung des Disziplinarerkenntnisses (§ 139 Abs. 10) - zu tragen hat. (...)
§ 164. (1) Über die mündliche Verhandlung ist eine Niederschrift aufzunehmen, der die Namen der Mitglieder der Disziplinarkommission, des Schriftführers, des Disziplinaranwaltes, des Beschuldigten, seines Verteidigers und seiner Vertrauenspersonen sowie der wesentliche Verlauf der Verhandlung zu entnehmen sind. Die Verwendung von Schallträgern ist zulässig.
(2) Die Niederschrift ist vom Vorsitzenden und vom Schriftführer zu unterzeichnen.
(...)
Sinngemäße Anwendung von anderen gesetzlichen Bestimmungen
§ 167d. (1) Für die Berechnung von Fristen, die Beratung und Abstimmung sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozessordnung, soweit sich aus den Bestimmungen des dritten Hauptstückes dieses Bundesgesetz nicht anderes ergibt.
(2) Für die Wiedereinsetzung gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozessordnung mit der Maßgabe, dass die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung aller Fristen zulässig ist und dass sie durch einen minderen Grad des Versehens nicht verhindert wird. Über einen Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet der Disziplinarrat.
(3) Im Übrigen sind die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 2 bis 4, 12, 42 Abs. 1 und 2, 51, 57, 63 Abs. 1 und 5 erster und zweiter Satz zweiter Halbsatz, 64 Abs. 2, 64a, 68 Abs. 2 und 3 und 75 bis 80, sowie die Bestimmungen des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982, insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus den Bestimmungen des dritten Hauptstückes dieses Bundesgesetzes nichts anderes ergibt.“
15 Im vorliegenden Fall wurde über Antrag des Disziplinaranwalts durch die Disziplinarkommission am 11. Jänner 2018 antragsgemäß ein Einleitungsbeschluss gefasst und damit das Disziplinarverfahren gegen den Mitbeteiligten eingeleitet und die mündliche Disziplinarverhandlung angeordnet. Nach dem Protokoll über die Disziplinarverhandlung vom 5. April 2018 wurde, nachdem der Vorsitzende zu Beginn der Verhandlung den Einleitungsbeschluss vorgetragen hatte, nach Durchführung der Verhandlung in Anwesenheit des Mitbeteiligten und nachdem sich die Disziplinarkommission zuvor zur Beratung zurückgezogen hatte, durch den Vorsitzenden das oben wiedergegebene, den Mitbeteiligten verurteilende Erkenntnis verkündet. In der Folge wurde eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zugestellt.
16 Das Verwaltungsgericht argumentiert nun dahingehend, dass die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses oder die in dieser enthaltene Begründung keiner (gesonderten) Beschlussfassung durch die belangte Behörde unterzogen worden sei und es sich bei der schriftlichen Ausfertigung daher um einen „Nichtbescheid“ handle. Diese Argumentation ist schon aus den folgenden Gründen nicht tragfähig:
17 Anders als das Landesverwaltungsgericht offenbar annahm, richtete sich die Beschwerde des Mitbeteiligten keineswegs (weder ausdrücklich noch implizit) ausschließlich gegen die schriftliche Ausfertigung des ihn verurteilenden Disziplinarerkenntnisses. Der Mitbeteiligte erhob seine Beschwerde (zutreffend) vielmehr gegen das - durch Geschäftszahl und Disziplinarsache näher bezeichnete - Erkenntnis der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde.
18 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bildet nämlich die mündliche Verkündung eines Bescheides mit seiner schriftlichen Ausfertigung eine Einheit. Bereits mit der mündlichen Verkündung wird der Bescheid jedoch - unabhängig von der Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung - rechtlich existent. Auch das Fehlen der Wiedergabe der Begründung der Entscheidung im Protokoll hat auf die Rechtsgültigkeit der Erlassung durch mündliche Verkündung keinen Einfluss (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2019/09/0154, mwN). So handelt es sich bei einem verkündeten Bescheid und der daran anschließenden schriftlichen Ausfertigung nicht um zwei verschiedene Erledigungen, sondern um eine einheitlich zu betrachtende bescheidmäßige Erledigung der zu entscheidenden Sache (siehe etwa VwGH 29.5.1996, 93/13/0255).
19 Im vorliegenden Fall wurde das den Mitbeteiligten schuldig erkennende - auch nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts auf einer kollegialen Beschlussfassung beruhende - Erkenntnis sogleich nach Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung verkündet. Damit wurde das Disziplinarerkenntnis rechtlich existent. Die mündliche Verkündung bildet mit der schriftlichen Ausfertigung ein einheitliches Disziplinarerkenntnis.
20 Da das Verwaltungsgericht diese Rechtslage verkannte, indem es offenbar von zwei allenfalls anfechtbaren Rechtsakten ausging und die Beschwerde (überdies bloß gegen die schriftliche Ausfertigung des Disziplinarerkenntnisses) mangels eines Anfechtungsobjekts zurückwies, belastete es seinen Beschluss mit Rechtswidrigkeit, weshalb dieser bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war.
21 Ein Eingehen auf die vom Verwaltungsgericht in seiner Zulassungsbegründung angesprochene Rechtsfrage des Vorliegens eines „Nichtbescheids“ oder einer bloßen Vernichtbarkeit einer nicht (gänzlich) von einem Kollegialorgan gefassten Entscheidung konnte in dieser Revisionssache daher unterbleiben. Bereits an dieser Stelle ist zu den Erwägungen des Landesverwaltungsgerichts betreffend die Beschlussfassung über ein Disziplinarerkenntnis durch die Disziplinarkommission jedoch das Folgende noch auszuführen:
22 Nach § 162 ÄrzteG 1998 ist das Erkenntnis samt dessen wesentlichen Gründen in der mündlichen Verhandlung sogleich (nach Abschluss des Beweisverfahrens, den Schlussvorträgen und dem Schlusswort sowie der daran anschließenden Beratung und Abstimmung der Disziplinarkommission in geheimer Sitzung) zu verkünden. In einem den Beschuldigten eines Disziplinarvergehens schuldig sprechenden Erkenntnis sind ausdrücklich auszusprechen, welche Rechtspflichten er verletzt oder welche Beeinträchtigung des Standesansehens er durch sein Verhalten begangen hat. Außerdem hat ein solches Erkenntnis auszusprechen, welche Disziplinarstrafe verhängt wird (§ 161 Abs. 2 ÄrzteG 1998). Des Weiteren ist im Falle eines Schuldspruchs zugleich über die Kosten zu erkennen (§ 163 ÄrzteG 1998).
23 Anschließend sind eine Ausfertigung samt den Entscheidungsgründen sowie eine Abschrift des Verhandlungsprotokolls (deren Inhalt in § 164 ÄrzteG 1998 normiert ist) u.a. dem Beschuldigten „ehestens“ zuzustellen (§ 162 leg. cit.).
24 Die vom Verwaltungsgericht für seine Rechtsansicht, dass über die Begründung der schriftlichen Ausfertigung des mündlich bereits verkündeten Erkenntnisses ein (weiterer) Beschluss der Disziplinarkommission erforderlich wäre, herangezogenen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes sind - wie die revisionswerbende Partei zutreffend hervorhebt - schon deshalb nicht einschlägig, weil diese jeweils ausschließlich schriftlich erlassene Bescheide zum Gegenstand hatten.
25 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedürfen Erledigungen eines Kollegialorgans eines Beschlusses desselben. Üblicherweise erfolgt die Willensbildung einer Kollegialbehörde durch den Gesamtakt einer sich an die gemeinsame Erörterung der zu entscheidenden Angelegenheiten anschließenden Abstimmung. Die Willensbildung durch eine Kollegialbehörde umfasst dabei nicht nur den Spruch, sondern auch den Inhalt und damit die wesentliche Begründung einer Erledigung (siehe dazu u.a. VwGH 27.4.2015, 2012/11/0082, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes).
26 In dem dem zuletzt genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Fall wurden die Mitglieder des Kollegialorgans bloß über die Höhe des vorzuschreibenden Wohlfahrtsfondsbeitrags informiert, nicht aber über die weiteren zur Begründung erforderlichen Sachverhaltselemente; nur über ersteren stimmten sie daher ab. Eine solche Situation liegt hier jedoch nicht vor:
27 Die erforderliche Erörterung nicht nur des Spruches sondern auch der diesen tragenden Gründe erfolgt in Disziplinarverfahren - wie dem hier zu beurteilenden Fall - im Rahmen der durchzuführenden mündlichen Verhandlung. Bei Fällung ihres Erkenntnisses hat die Disziplinarkommission nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist. Die Kommissionsmitglieder entscheiden nach ihrer aus der gewissenhaften Prüfung aller Beweismittel gewonnenen Überzeugung (§ 160 Abs. 2 ÄrzteG 1998). Diese Vorschriften stellen sicher, dass den Kommissionsmitgliedern sämtliche die Entscheidung tragenden Umstände bekannt sind. Diese (wesentlichen) Begründungselemente fließen daher bei der Abstimmung über das Erkenntnis bereits ein.
28 Da den Kommissionsmitgliedern somit sämtliche das Disziplinarerkenntnis tragenden Begründungselemente aus der mündlichen Verhandlung bekannt sind und diese in ihre Entscheidung einfließen können, andererseits den Kommissionsmitgliedern aus der mündlichen Verhandlung nicht bekannte tragende Begründungselemente zur Begründung des Erkenntnisses ohnedies nicht herangezogen werden dürfen, bedarf es keiner neuerlichen Abstimmung über die schriftliche Ausfertigung eines bereits verkündeten Disziplinarerkenntnisses.
29 Zu dem vom Verwaltungsgericht schließlich angesprochenen Abweichen des ausgefertigten Spruchs vom verkündeten Erkenntnisses ist bereits an dieser Stelle auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. September 2009, 2008/09/0218, hinzuweisen. Bei Vorliegen einer nach dieser Judikatur als wesentlich zu beurteilenden Abweichung der schriftlichen Ausfertigung vom mündlich verkündeten Erkenntnis wäre die darin gelegene Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheids vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung in der Sache über die Beschwerde wahrzunehmen.
30 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hätte daher die Beschwerde nicht zurückzuweisen sondern diese inhaltlich zu behandeln gehabt.
Wien, am 12. Oktober 2020
Schlagworte
Allgemein Besondere Rechtsgebiete Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz) Spruch und Begründung Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020090009.J00Im RIS seit
09.11.2020Zuletzt aktualisiert am
09.11.2020