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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BStMG 2002 §19Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schreiber BA, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 12. Juli 2018, LVwG-2018/16/1477-1, betreffend Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (mitbeteiligte Partei: C H in M (Deutschland)), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (LVwG) vom 12. Juli 2018 wurde einer Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (Amtsrevisionswerberin) Folge gegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren (betreffend eine Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (BStMG) wegen der Verwendung einer ungültigen Vignette) gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.
2 Das LVwG hielt unter anderem fest, die mitbeteiligte Partei habe noch im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens die Ersatzmaut durch Überweisung von € 120,-- an die Amtsrevisionswerberin bezahlt. Dadurch sei die Strafbarkeit (nachträglich) wieder entfallen, weil der mitbeteiligten Partei der Strafaufhebungsgrund des § 20 Abs. 5 BStMG zugutekomme.
3 Dabei ging das LVwG davon aus, dass eine Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut zwar hinterlegt, von der (in Deutschland wohnhaften) mitbeteiligten Partei aber nicht abgeholt worden sei. Es sei im Zweifel davon auszugehen, dass - wie unter Heranziehung der maßgeblichen Rechtsvorschriften näher begründet wurde - keine ordnungsgemäße bzw. wirksame Zustellung der Aufforderung der Ersatzmaut erfolgt sei. Die mitbeteiligte Partei habe von dieser Zahlungsaufforderung erst im Zuge einer Akteneinsicht und durch die Strafverfügung Kenntnis erlangt. Ein tatsächliches Zukommen des zuzustellenden Schriftstückes setze stets voraus, dass der Empfänger tatsächlich auch in dessen Besitz komme. Die bloße Kenntnisnahme des Inhaltes des Schriftstückes etwa durch Übermittlung einer Ablichtung oder im Wege einer Akteneinsicht sei dafür nicht ausreichend.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Zu ihrer Zulässigkeit wird in der Amtsrevision vorgebracht, die vom LVwG zitierte Rechtsprechung gehe nicht auf eine mangelnde Zustellung der Ersatzmaut-Aufforderung, sondern nur darauf ein, dass ein „Unterbleiben“ dieser Aufforderung die Zahlungsfrist nicht in Gang setze. Im vorliegenden Fall existiere aber nachweislich diese Ersatzmaut-Aufforderung. Zu dieser Sachlage fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
9 Die Amtsrevisionswerberin vertritt in diesem Zusammenhang die Ansicht, § 19 Abs. 4 BStMG sei gesetzeskonform dahingehend auszulegen, dass mit dem „Unterbleiben der Aufforderung“ nicht das Unterbleiben einer (rechtswirksamen) Zustellung, sondern das Unterbleiben „einer Ausfertigung“ der Aufforderung gemeint sei. Eine solche Ausfertigung der Ersatzmaut-Aufforderung der ASFINAG liege mit jener vom 9. Jänner 2018, aufgrund des Einschreibens und der Rückübermittlung der Sendung als „Nicht abgeholt“, nachweislich vor.
10 Die Entrichtung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut gemäß § 20 Abs. 5 BStMG stellt einen Strafaufhebungsgrund dar. Die Tat wird dann nicht straflos, wenn die in § 20 Abs. 5 BStMG angeführten Beträge nicht entrichtet werden, mag auch die Aufforderung aus welchen Gründen immer unterblieben sein. Das Unterbleiben einer Aufforderung gemäß § 19 BStMG hat die Folge, dass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt wird, womit die Möglichkeit besteht, gegebenenfalls die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens „fristgerecht“ zu bezahlen, um damit die Straflosigkeit im Sinne des § 20 Abs. 5 BStMG in der Fassung BGBl. I Nr. 99/2013 zu bewirken (vgl. z.B. VwGH 25.1.2018, Ra 2016/06/0025, mwN; vgl. dazu auch bereits VwGH 28.11.2006, 2005/06/0156).
11 Die Wortfolge in § 19 Abs. 4 BStMG „binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung“ bezieht sich nur auf die Zahlungsfrist, bedeutet aber nicht, dass eine nicht rechtswirksame Zustellung keinen Fall des Unterbleibens der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstellen würde.
12 Die bloße Kenntnisnahme der Aufforderung (etwa durch Akteneinsicht) kann nicht mit deren rechtswirksamen Zustellung gleichgesetzt werden (vgl. zum tatsächlichen Zukommen eines Bescheides oder eines Schriftstückes die im angefochtenen Erkenntnis zitierte und auch hier maßgebliche Rechtsprechung: VwGH 29.8.1996, 95/06/0128; VwGH 31.3.2004, 2004/18/0013; VwGH 16.9.2009, 2006/05/0080; vgl. auch VwGH 11.11.2013, 2012/22/0120).
13 Im Übrigen vermag das von der Amtsrevisionswerberin für ihre Ansicht, es sei auf die „Ausfertigung“ abzustellen, vorgetragene Argument, ein Adressat könnte ansonsten (insbesondere im Ausland) immer behaupten, die Ersatzmautaufforderung sei ihm nicht zugekommen, an der dargelegten Auslegung der Rechtslage nichts zu ändern. Es besteht weder ein Grund, hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an Zustellungen im In- und Ausland zu differenzieren, noch rechtfertigen allfällige praktische Schwierigkeiten der Zustellung im Ausland ein generelles Abgehen von allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Es liefe auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Fälle hinaus, in denen einem Fahrzeuglenker keine Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut wirksam zugestellt wird, würde jenen Lenkern, bei denen immerhin der Versuch der Zustellung unternommen wurde, das Recht abgesprochen, in gleicher Weise wie die anderen Lenker bis zum Abschluss des Verfahrens die Ersatzmaut zu entrichten.
14 Vor dem Hintergrund der klaren Rechtslage und der erwähnten Rechtsprechung zeigt das Vorbringen, dass die bisherige Rechtsprechung „nicht auf eine mangelnde Zustellung der Ersatzmaut-Aufforderung ein(geht)“, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
15 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 12. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018060167.L00Im RIS seit
23.11.2020Zuletzt aktualisiert am
23.11.2020