Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem ***** 2014 verstorbenen J***** S*****, zuletzt *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Pflichtteilsberechtigten 1. M***** S*****, 2. E***** S*****, 3. C***** S*****, alle vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 28. Jänner 2020, GZ 1 R 208/19z-249, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Wegen des den Gerichten in § 11 AnerbenG ausdrücklich eingeräumten Ermessens, dessen Ausübung von den Umständen des Einzelfalls abhängt, begründet die Festsetzung des Übernahmspreises in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RS0050409 [T1]). Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht seinen insofern bestehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten:
[2] 1. Bei der Festlegung des Übernahmspreises ist der Ertragswert der entscheidende Orientierungspunkt (RS0050409). Dabei kommt es nicht auf die konkrete Bewirtschaftung, sondern auf die objektive Nutzungsmöglichkeit an (6 Ob 106/00g; 6 Ob 156/13d). Weshalb bei der Ermittlung des objektiv erzielbaren Reinertrags nur der Sachaufwand, nicht aber andere Kosten der Bewirtschaftung, insbesondere jene des Einsatzes von betriebsnotwendigen Arbeitskräften, berücksichtigt werden sollten, legt der Revisionsrekurs nicht nachvollziehbar dar. Die Notwendigkeit eines solchen Einsatzes ergibt sich aus den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Vorinstanzen. Dass für die Ermittlung des Ertragswerts jedenfalls ein Bewirtschaftungszeitraum von 25 Jahren heranzuziehen wäre, lässt sich aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zwingend ableiten (vgl 2 Ob 220/16s).
[3] 2. Entgegen der Auffassung der Rechtsmittelwerber ergibt sich aus der Entscheidung 1 Ob 55/72 nicht, dass zur Betriebsführung erforderliche Investitionen bei der Festlegung des Übernahmspreises nicht zu berücksichtigen wären. Der Übernahmspreis wurde vielmehr auch in diesem Fall unter Bedachtnahme auf den Investitionsbedarf bestimmt. Ebenso wurde in anderen Verfahren vorgegangen (6 Ob 272/07d; 6 Ob 53/03t; 6 Ob 108/97v). Wird der Ertragswert – wie hier – auf der Basis eines sanierten Hofes ermittelt, sind die zur Herstellung dieses Zustands erforderlichen Investitionen bei der am Verkehrswert anknüpfenden Bestimmung des Übernahmspreises zu berücksichtigen (vgl 6 Ob 53/03t).
[4] 3. Richtig ist, dass bei der Festsetzung des Übernahmspreises unter Umständen auch auf den Verkehrswert Bedacht zu nehmen ist.
[5] 3.1. Das gilt jedenfalls dann, wenn der in der Erhaltung eines lebensfähigen Bauernstandes liegende Zweck des Höferechts im konkreten Fall ohnehin nicht erreicht würde, weil dieses zwar aufgrund formaler Kriterien anwendbar ist (§ 1 THG [Eintragung in der Höfeabteilung des Grundbuchs]; § 2 Abs 1 KrntErbhöfeG [Betriebsfläche]), ein lebensfähiger und daher zu erhaltender Betrieb aber nicht oder nur in sehr eingeschränktem Ausmaß vorliegt (so die Fallgestaltungen in 6 Ob 181/00m = RS0063847 [T4]; 6 Ob 121/10b; 6 Ob 227/10s; 2 Ob 148/17d [alle THG]; 6 Ob 121/12f [KrntErbhöfeG]; vgl auch 6 Ob 292/03i und 6 Ob 156/13d: umso größere Berücksichtigung des Verkehrswerts, je kleiner der Betrieb im Vergleich zum [damaligen] Normbetrieb iSv § 3 THG idF vor Tir LGBl 2016/96 [Erhaltung einer fünfköpfigen Familie] war). Ein solcher Fall kann im Anwendungsbereich des Anerbengesetzes regelmäßig nicht vorkommen, da dessen Anwendbarkeit von vornherein von der Lebensfähigkeit des Hofes abhängt (§ 1 Abs 1 AnerbenG: angemessene Erhaltung von zwei erwachsenen Personen).
[6] 3.2. Zwar hat der Oberste Gerichtshof zuletzt auch außerhalb dieser Fallgestaltung ausgesprochen, dass der Verkehrswert nicht „unberücksichtigt“ bleiben dürfe, wenn Ertragswert und Verkehrswert „weit auseinanderklaffen“ (6 Ob 109/11i = RS0063847 [T7]; 2 Ob 129/16h; 2 Ob 220/16s). Diese Fälle unterscheiden sich aber grundlegend von den zuvor genannten: Wegen des Vorliegens eines lebensfähigen Hofes entspricht die Anwendung des Anerben- oder Höferechts hier dem Gesetzeszweck. Die dem Grundsatz des Wohlbestehenkönnens zuwiderlaufende Berücksichtigung des Verkehrswerts kann daher ausschließlich mit den Interessen der weichenden Erben oder Pflichtteilsberechtigten begründet werden. Diese Interessen sind aber ohnehin durch die Vorschriften über die Nachtragserbteilung geschützt (§ 18 AnerbenG). Der Verkehrswert ist daher in diesen Fällen jedenfalls in geringerem Umfang zu berücksichtigen als dann, wenn der Gesetzeszweck wegen des Fehlens eines lebensfähigen Betriebs ohnehin verfehlt wird (vgl 2 Ob 129/16h: Berücksichtigung von Ertrags- und Verkehrswert im Verhältnis 4 : 1). Auch insofern liegt nur dann eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung vor, wenn das Rekursgericht seinen Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat (6 Ob 109/11i; 2 Ob 220/16s).
[7] 3.3. Im vorliegenden Fall sind die Vorinstanzen bei der Festsetzung des Übernahmspreises durch Ansatz einer längeren Nutzungsdauer über jenen Ertragswert hinausgegangen, den die Sachverständigen aufgrund der von ihnen als angemessen angesehenen Nutzungsdauer ermittelt hatten. Aus der Begründung des Erstgerichts ergibt sich, dass dadurch der Abstand des Übernahmspreises zum Verkehrswert verringert werden sollte. Damit haben die Vorinstanzen bei der Festsetzung des Übernahmspreises zumindest mittelbar auf den Verkehrswert Bedacht genommen. Da ein jedenfalls lebensfähiger und daher in seiner Gesamtheit erhaltungsbedürftiger Betrieb vorliegt, haben sie damit ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
Textnummer
E129452European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00038.20G.0806.000Im RIS seit
05.11.2020Zuletzt aktualisiert am
05.11.2020