TE OGH 2020/9/16 7Ob124/20s

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. U***** B***** B*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Mag. Cathrina Rieder, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 110.166,69 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Mai 2020, GZ 4 R 27/20g-39, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 27. Dezember 2019, GZ 66 Cg 53/18y-35, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Teil- und Zwischenurteil des Berufungsgerichts, das hinsichtlich eines Zuspruchs von 62.500 EUR sA (Punkt 1. lit a) bestätigt wird, wird hinsichtlich des Zwischenurteils nach § 393a ZPO betreffend einen Teilbetrag von 14.984,22 EUR sA (Punkt 1. lit b) dahin abgeändert, dass dieses als Teilurteil wie folgt zu lauten hat:

„b) Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von 14.984,22 EUR samt 4 % Zinsen seit 3. 12. 2019 zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat bei der Beklagten eine Betriebsunterbrechungsversicherung mit einem Versicherungswert von 180.000 EUR abgeschlossen. Diesem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungs-Versicherung für freiberuflich und selbständig Tätige (ABFT 2005) zugrunde, die (ua) wie folgt lauten:

[…]

Artikel 2

Versicherte Gefahren

Als versicherte Gefahren gelten:

5.1. Krankheit ist ein nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft anormaler körperlicher oder geistiger Zustand. […]

[… ]

Artikel 3

Sachschaden/Personenschaden

[…]

3. Als Personenschaden gilt die völlige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit der … den Betrieb verantwortlich leitenden Person wegen Krankheit … . Die völlige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit beginnt, wenn die den Betrieb verantwortlich leitende Person ihre berufliche Tätigkeit nach objektivem ärztlichen Urteil in keiner Weise ausüben kann und auch nicht ausübt; sie endet, wenn diese Person nach medizinischem Befund wieder arbeitsfähig ist oder ihre berufliche Tätigkeit wieder ausübt.

[…]

Artikel 4

Betriebsunterbrechung

1. Als Betriebsunterbrechung gilt die völlige oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes durch einen Sach- oder Personenschaden.

[…]

Artikel 5

Deckungsbeitrag

1. Als Deckungsbeitrag im Sinne der Betriebsunterbrechungsversicherung gilt die Differenz zwischen den betrieblichen Erträgen und den variablen Kosten des versicherten Betriebes.

[…]

Artikel 6

Versicherungswert, Haftungszeit, Haftungssumme

1. Als Versicherungswert im Sinne des § 52 Versicherungsvertragsgesetzes (VersVG) gilt der Deckungsbeitrag, der im versicherten Betrieb während der auf den Zeitpunkt des Eintrittes des Sachschadens folgenden 12 Monate ohne Betriebsunterbrechung erwirtschaftet worden wäre.

[…]

Artikel 9

Unterbrechungsschaden, Entschädigung

1. Unterbrechungsschaden

1.1. Als Unterbrechungsschaden gilt der durch die Betriebsunterbrechung tatsächlich entgangene Deckungsbeitrag, abzüglich der ersparten versicherten Kosten, zuzüglich Schadenminderungskosten […].

[…]

Nach den Kämpfen in S***** und im I***** in den Jahren 2014 und 2015 wollte der Kläger in dieser Region, der er sich wegen seiner von dort stammenden Mutter besonders verbunden fühlt, Hilfe leisten. Er startete eine Spendenaktion und organisierte eine Hilfslieferung an Medikamenten. Es stellte sich als schwierig heraus, die Hilfslieferung vor Ort zu bringen. Nach mehrmonatiger Anstrengung gelang es dem Kläger im Sommer 2015 die Lieferung durch die T***** bis an die Grenze zu bringen, wobei er (ua) von offiziellem Personal und Soldaten erniedrigt und beschimpft wurde. Nach Durchführung der Hilfslieferung fühlte sich der Kläger völlig erschöpft, ausgelaugt und müde, weshalb er am 2. 10. 2015 die psychiatrische Universitätsklinik in I***** aufsuchte. Dort wurde er aufgrund einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F 32.2) stationär aufgenommen. Anschließend kam er ab 14. 10. 2015 bis 15. 11. 2015 in stationäre Behandlung nach S*****. Danach erfolgte von 14. 1. 2015 bis 11. 2. 2016 eine Anschlussbehandlung in einer Klinik in B*****. Aufgrund seiner schweren depressiven Episode war der Kläger ab 2. 10. 2015 bis zumindest Ende März 2016 vollkommen arbeitsunfähig.

Der Kläger hatte als selbständiger Unternehmer aufgrund seiner schweren Erkrankung von Dezember 2015 bis Ende März 2016 einen Umsatzentgang von 122.142,38 EUR, was nach den Versicherungsbedingungen einem Deckungsbeitragsentgang von 114.264,20 EUR entspricht. Der Deckungsbeitrag würde fiktiv für 12 Monate nach dem Schadenereignis 283.731,78 EUR betragen. Ausgehend von der Haftungssumme von 180.000 EUR errechnet sich eine Versicherungsdichte von 67,81 %. Bei einem Deckungsbeitragsentgang von 114.264,20 EUR ergibt sich für den Zeitraum Oktober 2015 bis Ende März 2016 für den Kläger aufgrund der von ihm erlittenen schweren depressiven Episode bei der Versicherungsdichte von 67,81 % ein Betriebsunterbrechungsschaden von 77.484,22 EUR. Dies gilt für den Fall, dass der Kläger die Versicherungsleistung bereits in den Jahren 2015 und 2016 erhalten hätte. Wenn der Kläger die Zahlungen aus der Betriebsunterbrechungsversicherung im Jahr 2020 erhält, wird der Bruttoschaden 110.166,69 EUR betragen, weil der Kläger dadurch in eine andere steuerliche Progression gerät.

Der Kläger hat im Oktober 2015 eine Schadensmeldung an die Beklagte erstattet. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 23. 12. 2015 (E-Mail) einen Anspruch des Klägers begründet abgelehnt.

Der Kläger begehrte von der Beklagten mit seiner am 1. 10. 2018 eingebrachten Mahnklage zunächst die Zahlung von 62.500 EUR sA. Er sei ab 2. 10. 2015 krankheitsbedingt vollkommen arbeitsunfähig gewesen und habe seinen Betrieb für 125 Werktage unterbrechen müssen. Die betrieblichen Erträge abzüglich der variablen Kosten hätten pro Tag 500 EUR betragen, womit sich ein Gesamtbetrag von 62.500 EUR (500 x 125) ergebe. Nach Erörterung des eingeholten Buchsachverständigengutachtens dehnte der Kläger in der Tagsatzung am 2. 12. 2019 sein Begehren auf Zahlung eines „Bruttoschadens“ von insgesamt 110.166,69 EUR sA (einschließlich einer steuerlichen Mehrbelastung von 47.666,69 EUR infolge verspäteter Zahlung der Beklagten) aus.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, dass der Kläger an keiner eine Betriebsunterbrechung rechtfertigenden Krankheit gelitten habe. Das Klagebegehren sei unschlüssig. Der vom Kläger behauptete Deckungsbeitrag sei nicht nachvollziehbar. Der mit Klagsausdehnung geltend gemachte Anspruch sei verjährt.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung (des gesamten ausgedehnten) Klagebegehrens von 110.166,69 EUR sA. Es ging rechtlich vom Vorliegen einer deckungspflichtigen Betriebsunterbrechung aus. Der Kläger habe keine der von der Beklagten behaupteten Obliegenheitsverletzungen zu vertreten. Da die Versicherungsleistung dem Kläger erst im Jahr 2020 zufließen werde, habe die Beklagte den durch die steuerliche Progression vergrößerten Schaden zu leisten. Der Anspruch im Umfang des ausgedehnten Betrags sei nicht verjährt, weil dieser dem Kläger erst mit Vorliegen des Gutachtens bekannt und bezifferbar geworden sei.

Mit seinem infolge Berufung der Beklagten ergangenen Teil- und Zwischenurteil bestätigte das Berufungsgericht den Zuspruch von 62.500 EUR sA, sprach nach § 393a ZPO aus, dass die Einrede der Verjährung hinsichtlich eines (ausgedehnten) Teilbetrags (an Betriebsunterbrechungsschaden) von 14.984,22 EUR sA verworfen werde und hob das Ersturteil im Umfang eines Teilbetrags von 32.682,47 EUR sA zur weiteren Verhandlung und neuerlichen Entscheidung auf. Es vertrat die Rechtsansicht, dass dem Kläger vom festgestellten Betriebsunterbrechungsschaden in der Höhe von 77.484,22 EUR jedenfalls der ursprünglich eingeklagte Betrag von 62.500 EUR sA zustehe. Hinsichtlich des weiteren Betriebsunterbrechungsschadens von 14.984,22 EUR sA sei die zu § 12 Abs 3 VersVG entwickelte Rechtsprechung zur fristwahrenden Wirkung einer Klage auch für eine nachfolgende Ausdehnung anzuwenden. Für den Versicherer sei nämlich deutlich erkennbar gewesen, dass der Versicherungsnehmer den gesamten Anspruch habe geltend machen wollen, weshalb der Versicherer durch entsprechende Rückstellung Vorsorge habe treffen können. Der Teilbetrag an Betriebsunterbrechungsschaden von 14.984,22 EUR sA sei daher nicht verjährt. Im Übrigen sei allerdings der über 62.500 EUR sA hinausgehende (ausgedehnte) Anspruch nicht entscheidungsreif, weil er auf unterschiedlichen Sachverhalten und Rechtsgrundlagen (Versicherungsleistung und Schadenersatz wegen verspäteter Zahlung) beruhe, was zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung vom Erstgericht insbesondere zu einem allfälligen von der Beklagten zu vertretenden schuldhaften Zahlungsverzug noch zu erörtern sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen sein Teil- und Zwischenurteil nicht zulässig sei, weil insoweit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen gewesen sei.

Gegen das Teil- und Zwischenurteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen „Mangelhaftigkeit“ und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Klagebegehren „vollinhaltlich“ (gemeint offenbar: im Umfang von 77.484,22 EUR sA) abgewiesen werde. Hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger erstattete eine ihm freigestellte Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise dieser nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur hier zu beurteilenden, über den Einzelfall hinaus erheblichen Verjährungsfrage noch keine klarstellende Rechtsprechung des Fachsenats vorliegt. Die Revision ist auch teilweise berechtigt.

A. Zum Teilurteil:

1. Der Oberste Gerichtshof hat die behauptete „Mangelhaftigkeit“ der Entscheidung des Berufungsgerichts in ihrem klagsstattgebenden Teil geprüft; sie liegt nicht vor. Die Beklagte hat in ihrer Berufung zu einzelnen Tatfragen betreffend die Ursächlichkeit der beim Kläger vorgelegenen Erkrankung für die eingetretene Betriebsunterbrechung (zumindest ansatzweise) eine Beweisrüge ausgeführt. Die damit im Zusammenhang stehenden Einwände der Beklagten hat das Berufungsgericht inhaltlich nachvollziehbar behandelt, sodass insoweit kein Begründungsmangel vorliegt. Die dazu in der Revision wiederholten Ausführungen bekämpfen – im Revisionsverfahren unzulässig (RS0043144 [T3]; RS0043371) – den genannten Tatsachenkomplex.

2.1. Das Erstgericht hat im Ergebnis festgestellt, dass der Kläger aufgrund einer deckungspflichtigen Erkrankung von 2. 10. 2015 bis zumindest Ende März 2016 vollkommen arbeitsunfähig war und dadurch in diesem Zeitraum einen Betriebsunterbrechungsschaden von 77.484,22 EUR erlitten hat.

2.2. Der Kläger hat im Oktober 2015 eine Schadensmeldung an die Beklagte erstattet. Die Beklage hat mit ihrem – inhaltlich unstrittigen – Schreiben (E-Mail) vom 23. 12. 2015 Ansprüche des Klägers im Sinn des § 12 Abs 2 VersVG begründet abgelehnt. Eine qualifizierte Ablehnung gemäß § 12 Abs 3 VersVG ist mit diesem Schreiben nicht erfolgt und eine solche wird von der Beklagen auch nicht behauptet.

2.3. Die Fälligkeit des Geldleistungsanspruchs des versicherten Klägers ist grundsätzlich mit Zugang des Ablehnungsschreibens an diesen am 23. 12. 2015 eingetreten (RS0114507; vgl dazu auch Punkt B.3.2.). Die Klage wurde am 1. 10. 2018 eingebracht. Der mit dieser Klage (ursprünglich) geltend gemachte Anspruch von 62.500 EUR sA ist daher – offenbar unstrittig – nicht verjährt. Angebliche Obliegenheitsverletzungen des Klägers greift die Beklagte in ihrer Revision nicht (mehr) auf. Damit erweist sich der Zuspruch von 62.500 EUR sA jedenfalls als zutreffend und die Revision, soweit sich diese gegen den bestätigenden Teil des Berufungsurteils richtet, als nicht berechtigt.

B. Zum Zwischenurteil nach § 393a ZPO:

1. Die Ausdehnung des Klagebegehrens hat der Kläger in der Tagsatzung am 2. 12. 2019 und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 12 Abs 1 iVm Abs 2 VersVG vorgenommen. Der Grund für die Ausdehnung war (offenbar allein) das für den Kläger erfreuliche Buchsachverständigengutachten. Dass dieses Gutachten auf Beurteilungsgrundlagen beruhte, die erst nach Klageerhebung entstanden wären, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Die Beklagte hat sich zur Klagsausdehnung zwar nicht erkennbar auf § 12 VersVG berufen, allerdings unter Hinweis auf die vermeintliche Notwendigkeit eines Feststellungsbegehrens insoweit Verjährung eingewandt.

2.1. Das Berufungsgericht hat die Verjährung gestützt auf den zu § 12 Abs 3 VersVG ausgewiesenen RS0122118 verneint. Dieser lautet: „Kann der Versicherer nach den spezifischen Umständen des Falles erkennen, dass vom Versicherungsnehmer nur eine Teilforderung geltend gemacht wurde und kann er sich mit seinen Rückstellungen auf den Gesamtanspruch einstellen, besteht kein Grund, die fristwahrende Wirkung einer Klage nicht auch für eine nachfolgende entsprechende Ausdehnung anzunehmen. Insbesondere ist die Klagefrist des § 12 Abs 3 VersVG auch gewahrt, wenn für den Versicherer deutlich erkennbar ist, dass der Versicherungsnehmer den gesamten Anspruch einklagen wollte, versehentlich aber nur einen Teil geltend gemacht hat.“

2.2. Das Berufungsgericht war der Ansicht, diese Rechtsprechung könne auch für den vorliegenden Fall fruchtbar gemacht werden. Der Kläger habe das Leistungsbegehren in Höhe von 62.500 EUR sA zwar nicht ausdrücklich als Teilforderung geltend gemacht. Seinem Vorbringen sei jedoch zu entnehmen gewesen, dass er die maximal mögliche Versicherungsleistung anstrebe und zur Höhe ein buchhalterisches Gutachten anbiete. Daraus sei für die Beklagte ausreichend erschließbar gewesen, dass der Kläger sein Klagebegehren selbstverständlich ausdehnen werde, wenn das Gutachten – nach umfangreichen Berechnungen – einen höheren Betrag ergeben sollte. Nach Vorliegen des Gutachtens habe der Kläger sein Klagebegehren rechtzeitig ausgedehnt, weshalb Verjährung nicht eingetreten sei. Dazu ist Folgendes zu erwägen:

3.1. Die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verjähren nach § 12 Abs 1 Satz 1 VersVG in drei Jahren. Ist ein Anspruch des Versicherungsnehmers beim Versicherer angemeldet worden, so ist nach § 12 Abs 2 Satz 1 VersVG die Verjährung bis zum Einlangen einer in geschriebener Form übermittelten Entscheidung des Versicherers gehemmt, die zumindest mit der Anführung einer der Ablehnung derzeit zugrunde gelegten Tatsache und gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmung begründet ist. Der Versicherer ist gemäß § 12 Abs 3 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Anspruch auf die Leistung nicht innerhalb eines Jahres gerichtlich geltend gemacht wird. Diese Frist beginnt erst, nachdem der Versicherer dem Versicherungsnehmer gegenüber den erhobenen Anspruch in einer dem Abs 2 entsprechenden Weise sowie unter Angabe der mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolge abgelehnt hat.

3.2. § 12 Abs 1 VersVG enthält eine die Verjährung von Versicherungsansprüchen regelnde Sonderbestimmung (RS0080075). Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt mit jenem Zeitpunkt, zu dem die Fälligkeit der geforderten Leistung eintritt (RS0080324; RS0080075 [T2]). Die Frist des § 12 Abs 3 VersVG ist dagegen eine Ausschlussfrist. Sie wird durch die endgültige und qualifizierte Ablehnung in Lauf gesetzt (vgl RS0080317).

3.3. In dem vom Berufungsgericht herangezogenen RS0122118 sind zwei Entscheidungen indiziert, die beide keinen Fall zur allgemeinen Verjährungsregel des § 12 Abs 1 iVm Abs 2 VersVG, sondern Konstellationen betrafen, die nach § 12 Abs 3 VersVG zu beurteilen waren.

3.3.1. Der Entscheidung 7 Ob 61/07g lag zugrunde, dass der Kläger seiner fristgerechten Klage aufgrund des Übersehens einer Nachtragspolizze irrtümlich eine niedrigere Anspruchshöhe angenommen hatte als dies nach den aktuellen Versicherungssummen richtig gewesen wäre. Es lag nach der dortigen Verfahrensgestion des beklagten Versicherers auf der Hand, dass diesem der Irrtum des Klägers schon bei Klagseinbringung auffallen musste. Unter diesen Umständen erachtete der Fachsenat die Frist des § 12 Abs 3 VersVG durch die rechtzeitige Klageerhebung auf Basis der „alten“ Versicherungssummen auch für die später ausgedehnte Forderung des Klägers auf Basis der aktuellen Versicherungssummen als gewahrt. Der Fachsenat betonte, dass der Zweck der Ausschlussfrist (RS0080317) des § 12 Abs 3 VersVG darin bestehe, eine möglichst rasche Klärung der Berechtigung einer Deckungsablehnung herbeizuführen. Dies liege im Interesse des Versicherers, weil durch jede Verzögerung in der Erledigung zweifelhafter Ansprüche die zuverlässige Feststellung der maßgebenden Tatsachen erschwert werde. Könne der Versicherer nach Lage der Dinge erkennen, dass der Versicherungsnehmer nur eine Teilforderung geltend gemacht habe und könne sich der Versicherer mit seinen Rückstellungen auf den Gesamtanspruch einstellen, dann bestehe kein Grund, die fristwahrende Wirkung einer Klage nicht auch für eine nachfolgende Ausdehnung anzunehmen. Nach Sinn und Zweck des § 12 Abs 3 VersVG sei nämlich am Grundsatz, dass eine Leistungsklage des Versicherungsnehmers die betreffende Frist nur in Höhe des Klagsbetrags wahre (RS0038945 und RS0080350), in Ausnahmefällen wie dem dortigen nicht festzuhalten.

3.3.2. Der Entscheidung 7 Ob 176/18k lag zugrunde, dass sich der dortige Kläger hinsichtlich eines Anspruchs aus einer Unfallversicherung die Ausdehnung seines Klagebegehrens nach Vorliegen eines Sachverständigengutachtens zur Höhe des Invaliditätsgrades ausdrücklich vorbehalten hatte. Der Fachsenat leitete damals aus der mehrfach veröffentlichten und nicht kritisierten Vorentscheidung 7 Ob 61/07g eine gesicherte Rechtsprechung dahin ab, dass dann, wenn der Versicherer nach den spezifischen Umständen des Falls erkennen könne, dass vom Versicherungsnehmer nur eine Teilforderung geltend gemacht werde, und er sich mit seinen Rückstellungen auf den Gesamtanspruch einstellen könne, kein Grund bestehe, die die Frist des § 12 Abs 3 VersVG wahrende Wirkung einer Klage nicht auch für eine nachfolgende – weniger als drei Jahre nach dem Unfall (vgl § 12 Abs 1 VersVG) – nachfolgende Ausdehnung anzunehmen.

4. Es bleibt nunmehr die Frage zu klären, ob diese Rechtsprechung zu § 12 Abs 3 VersVG auch auf die Verjährungsfrist nach § 12 Abs 1 VersVG übertragbar ist. Diese Frage ist – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – zu verneinen:

4.1. Verjährungs- und Ausschlussfristen dienen beide dem Zweck möglichst rascher Klärung der Rechtslage und der Vermeidung mit fortschreitender Zeit verbundener Beweisschwierigkeiten (vgl 7 Ob 31/86; 7 Ob 186/99z; 7 Ob 79/09g). Deshalb werden jene Konstellationen, in denen trotz einer nur teilweisen oder fehlerhaften Rechtsverfolgung dennoch Fristwahrung nach § 12 Abs 3 VersVG angenommen wird, als enge Ausnahmefälle angesehen. Als Regel gilt dagegen auch im Anwendungsbereich des § 12 Abs 3 VersVG mit der gegenüber § 12 Abs 1 VersVG noch kürzeren Frist, dass man im Fall der Ausdehnung eines Leistungsbegehrens die Wahrung der Frist nur für jenen Teil des Begehrens annehmen wird können, der bereits im ursprünglichen Klagebegehren enthalten gewesen ist (7 Ob 61/07g; 7 Ob 176/18k; RS0080350).

4.2. In eben diesem Sinn gilt nach einhelliger Rechtsprechung auch nach allgemeinem Verjährungsrecht, dass die Verjährung bei einer Teileinklagung nur hinsichtlich des eingeklagten Teilbetrags unterbrochen wird, dagegen für den nicht eingeklagten Betrag weiterläuft. Dies gilt selbst im Fall des Vorbehalts einer späteren Ausdehnung des Klagebegehrens (RS0019184 [insb T5 und T8]). Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann daher eine Ausdehnung des Klagebegehrens auf einen höheren Betrag nicht mehr mit Erfolg vorgenommen werden (3 Ob 170/10m).

4.3. Der BGH hat zum (vergleichbaren) § 12 Abs 3 VVG aF eine dem RS0122118 durchaus ähnliche Rechtsprechungslinie verfolgt und zuletzt die Ansicht vertreten, dass die Klagefrist nach dieser Bestimmung durch eine Teilklage für den gesamten Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers gewahrt werden kann, wenn der Versicherungsnehmer die eingeklagte Forderung ausdrücklich als Teilforderung bezeichnet hat, oder sich zumindest aus den Gesamtumständen ergibt, dass der Versicherungsnehmer eine Teilklage erheben wollte (IV ZR 19/99 = NJW 2000, 132). Demgegenüber hat der BGH die Anwendung dieses zur Klagefrist des § 12 Abs 3 VVG aF entwickelten Grundsatzes („Fristwahrung des gesamten Anspruchs durch Teilklage”) für die Verjährungshemmung ausdrücklich abgelehnt (IV ZR 224/07 = r + s 2009, 292).

4.4. Der Fachsenat sieht keine sachliche Rechtfertigung dafür, von den allgemeinen Grundsätzen zur bloß eingeschränkten Wirkung einer Teileinklagung im Verjährungsrecht gerade im Anwendungsbereich § 12 Abs 1 VersVG abzuweichen:

Die referierte Judikatur zu RS0122118 bildet selbst bei der gegenüber der Verjährungsfrist nach § 12 Abs 1 VersVG noch kürzeren Frist eine enge Ausnahme unter den besonderen dort beschriebenen Voraussetzungen. Selbst im Anwendungsbereich des § 12 Abs 3 VersVG gilt dagegen im Allgemeinen, dass die Wahrung der Frist nur für jenen Teil des Begehrens anzunehmen ist, der bereits Gegenstand des ursprünglichen Klagebegehrens war. Bei der vergleichsweise ohnehin längeren Verjährungsfrist des § 12 Abs 1 VersVG besteht dann noch weniger Anlass die Wirkung der Verjährung einzuschränken.

Die gegenteilige, vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht hätte zur Folge, dass dem Gläubiger entgegen der mit der Verjährung für den Schuldner, hier den Versicherer, bezweckten Rechtssicherheit, die Möglichkeit eröffnet würde, mit einer kostengünstigen Klage über einen geringen Anspruchsteil aufgrund eines Jahres nach Ablauf der Verjährungsfrist erzielten günstigen Verfahrensergebnisses sein Begehren praktisch ohne Kostenrisiko ausdehnen zu können. Schließlich geht es im Verjährungsrecht – von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – auch zu Lasten des Gläubigers, wenn dieser unverschuldet von einem ihm zustehenden Anspruch allenfalls erst erfährt, nachdem dieser bereits verjährt ist (RS0034292) oder wenn dem Gläubiger ausreichende Beweismittel fehlen, um seinen Anspruch innerhalb der Verjährungsfrist erfolgreich geltend machen zu können. Von diesen Grundsätzen ist auch im Anwendungsbereich des § 12 Abs 1 VersVG nicht abzuweichen.

C. Ergebnis:

1. Der mit der ursprünglichen Klage geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines Unterbrechungsschadens von 62.500 EUR sA ist nicht verjährt und sonstige begründete Einwände werden dagegen in der Revision nicht erhoben. Der Zuspruch ist in diesem Umfang gerechtfertigt und die dagegen erhobene Revision nicht berechtigt.

2. Die Verjährungsfrist für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch hat mit dem Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 23. 12. 2015 zu laufen begonnen. Der mit Klagsausdehnung in der Tagsatzung am 2. 12. 2019 geltend gemachte Anspruch auf einen weiteren Unterbrechungsschaden von 14.984,22 EUR sA ist daher verjährt. In diesem Umfang erweist sich die Revision als berechtigt. Insoweit war mit einer Abänderung im Sinn eines abweislichen Teilurteils vorzugehen.

3. Das auf die steuerliche Progression beruhende Begehren des Klägers (Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts) ist nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 4 ZPO.

Textnummer

E129551

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00124.20S.0916.000

Im RIS seit

05.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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