Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Mag. Gernot Steier, Rechtsanwalt in Neulengbach, gegen die beklagte Partei Verein p*****, vertreten durch Dr. Bernd Brunner, Rechtsanwalt in Tulln, wegen Einwilligung in die Förderung bzw Auszahlung einer Förderung von 8.714 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 4. März 2020, GZ 21 R 3/20d-17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Tulln vom 21. Oktober 2019, GZ 2 C 186/19p-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei in Entsprechung ihres Förderansuchens vom 22. Jänner 2018 eine Förderung von 32 % der Aufschließungsabgabe, das sind 8.714 EUR, binnen 14 Tagen zu zahlen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 1.959,08 EUR (darin 274,18 EUR USt und 314 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 1.301,97 EUR (darin 121,83 EUR USt und 571 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.216,91 EUR (darin 83,65 EUR USt und 715 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die zuvor in Wien wohnhafte Klägerin erwarb 2016 ein Grundstück in T*****, auf dem sie ein Wohnhaus errichtete. Mit Bescheid der Gemeinde T***** vom 16. 6. 2016 wurde ihr eine Aufschließungsabgabe von 27.231,25 EUR vorgeschrieben. Das Haus wurde im Jahr 2017 fertiggestellt. Am 22. 1. 2018 beantragte die Klägerin beim beklagten Verein die Rückerstattung eines Teils dieser Aufschließungsabgabe. Der beinahe zur Gänze von der Gemeinde T***** finanzierte Beklagte war im Jahr 2012 – in dem auch die Aufschließungs- bzw Ergänzungsabgabe der Gemeinde um rund 32 % erhöht worden war – gegründet worden und verfolgt unter anderem das Ziel, ins örtliche Gefüge integrierte Bürger durch Zuschüsse zu diesen Abgaben bei der Schaffung von Wohnraum zu fördern und so zum Verbleib in T***** zu bewegen; damit soll das lokale Leben gefördert werden. Der Klägerin wurde die beantragte Förderung vom Vorstand des Beklagten mangels Erfüllung der Förderungsrichtlinien nicht gewährt, weil keine Hauptwohnsitzmeldung durchgängig in den letzten drei Jahren oder innerhalb der letzten zehn Jahre mindestens fünf Jahre vorliege. Tatsächlich sehen die vom Beklagten festgelegten Förderungsrichtlinien ein entsprechendes Hauptwohnsitzkriterium vor. Mehrere Mitglieder des Beklagten sind bzw waren in der Vergangenheit in verschiedenen Funktionen für die Gemeinde T***** tätig. Laut Antragsformular sind Förderanträge an den Beklagten zu richten, allerdings an der Adresse der Gemeinde einzureichen.
Die Klägerin begehrt die Einwilligung des Beklagten in ihr Förderansuchen vom 22. 1. 2018 und Auszahlung einer Förderung von 32 % der Aufschließungsabgabe, also 8.714 EUR. Die Gemeinde T***** habe 2012 die Aufschließungsabgabe erhöht, um den Zuzug Ortsfremder zu verringern, gleichzeitig aber durch Gründung des beklagten Vereins ein maßgeschneidertes Fördersystem zur Unterstützung junger T***** etabliert: Die Förderungsrichtlinien der Gemeinde sähen eine Rückvergütung von 32 % der Aufschließungsabgabe vor, Voraussetzung sei allerdings ein Hauptwohnsitz in T***** in den letzten drei Jahren oder innerhalb der letzten zehn Jahre mindestens fünf Jahre. Nur wegen Nichterfüllung dieses Hauptwohnsitzkriteriums sei das Förderansuchen der Klägerin abgelehnt worden. Der Beklagte werde nicht nur zur Gänze aus Mitteln der Gemeinde finanziert und diene alleine dem Zweck, Gemeindegelder als Förderungen auszuzahlen; es bestünden auch personelle Verflechtungen zur Gemeinde. Er sei damit als ausgelagerter Rechtsträger der Gemeinde zu werten und als solcher der Fiskalgeltung der Grundrechte unterworfen. Das Hauptwohnsitzkriterium in den Förderungsrichtlinien verstoße mangels sachlicher Rechtfertigung gegen Art 14 EMRK und Art 2 StGG, aber auch gegen das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit nach Art 18 AEUV, sodass es unangewendet zu lassen sei. Die Grundrechtsbindung begründe einen klagbaren Leistungsanspruch. Auf die Vertragfreiheit könne der Beklagte sich nicht berufen; es bestehe ein Rechtsanspruch auf Abschluss eines Fördervertrags.
Der Beklagte wendet ein, die Erhöhung der Aufschließungsabgabe habe nicht bezweckt, den Zuzug Ortsfremder zu erschweren. Die Gemeinde T***** habe vielmehr die politische Entscheidung getroffen, Vereine zu fördern, die es zum Gegenstand haben, das lokale Leben zu fördern und jene Personen zu unterstützen, die in das örtliche Gefüge gut integriert seien. Die finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde orientiere sich am Fördervolumen des Beklagten. Solche mittelbare Subventionsvergaben im Wege der Unterstützung privatrechtlicher Institutionen seien zulässig. Die Konstruktion über privatrechtliche Vereine diene der Minimierung des Verwaltungsaufwandes. Nach dem entsprechenden Gemeinderatsbeschluss im Jahr 2012 über die Förderung des in Gründung befindlichen Beklagten aus Gemeindemitteln habe sich dieser konstituiert. Es bestehe zwar ein Naheverhältnis zur Gemeinde; der nicht weisungsgebundene Beklagte sei aber nicht als ausgelagerter Rechtsträger zu qualifizieren. Nach den – mit Gemeinderatsbeschluss aus dem Jahr 2015 geänderten – Förderungsrichtlinien des Beklagten werde nach Maßgabe der vorhandenen Mitteln eine Förderung von 32 % der Aufschließungsabgabe zuerkannt, dies bei Vorliegen unter anderem des in Rede stehenden Hauptwohnsitzkriteriums. Weder die für alle Antragsteller gleichermaßen geltenden Förderkriterien noch das im Gemeinschaftsinteresse liegende Förderungsziel bewirkten eine Diskriminierung potenzieller Förderungswerber.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für den Beklagten als juristische Person des Privatrechts gelte das Prinzip der Privatautonomie; er könne seine Vertragspartner grundsätzlich frei wählen. Ein Vertrag zwischen den Streitteilen sei aber nicht geschlossen worden, schon deshalb bestehe kein Anspruch auf die Förderung. Eine Grundrechtsbindung des Beklagten sei zu verneinen, weil dieser nicht im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätig werde. Weder sei er durch Gesetz errichtet, noch liege eine Kontrolle durch die Gemeinde vor, die den Beklagten zwar fördere, darüber hinaus aber keinen Einfluss auf seine Tätigkeit ausübe.
Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung die Abweisung der Klage und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ausgehend von der Annahme, dass den Erwägungen im Ersturteil zur fehlenden Kontrolle der Gemeinde T***** über den Beklagten Feststellungscharakter zukomme, führte es rechtlich aus, selbst bei Annahme einer den Beklagten treffenden Fiskalgeltung der Grundrechte sei für den Standpunkt der Klägerin nichts gewonnen. Diesfalls stünde die Förderungsvergabe zwar unter den Anforderungen des Gleichheitssatzes, insbesondere also des Sachlichkeitsgebots, mit der Folge, dass der Beklagte wohl grundsätzlich verpflichtet wäre, der Klägerin den beantragten Zuschuss bei Erfüllung aller Leistungsvoraussetzungen zu gewähren; Letzteres sei aber eben nicht der Fall. Weiters dürfe bei anzunehmender Grundrechtsbindung des Beklagten der Kreis der Förderungsempfänger wohl nur nach sachlichen Kriterien gezogen und niemand aus unsachlichen Gründen von der Förderung ausgeschlossen werden. Im Abstellen auf das in Rede stehende Wohnsitzkriterium sei aber keine Diskriminierung zu erblicken, weil für die Privilegierung länger Ortsansässiger jedenfalls sozialpolitische Gründe sprächen. Gerade Gemeinden mit einer größeren Infrastruktur hätten ein Interesse, den Wegzug der bei ihnen bereits in das örtliche Gefüge integrierten Personen zu verhindern. Da kein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege, seien im Übrigen die Bestimmungen des Primärrechts nicht anzuwenden.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob und inwieweit das Abstellen auf das Wohnsitzkriterium bei der Vergabe von Förderungen im Zusammenhang mit Aufschließungsabgaben sachlich gerechtfertigt ist.
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Die sogenannte „Fiskalgeltung der Grundrechte“ für Gebietskörperschaften ist allgemein anerkannt (7 Ob 119/09i; 3 Ob 104/10f; vgl RS0038110). Darunter versteht man, dass der Staat und die anderen Gebietskörperschaften auch dann an die Grundrechte und daher auch an das aus dem Gleichheitsgrundsatz abzuleitende Sachlichkeitsgebot (vgl RS0058455; RS0053981) gebunden sind, wenn sie nicht hoheitlich, sondern in der Rechtsform des Privatrechts handeln, agieren sie doch nur im öffentlichen Interesse; im Umfang der (unmittelbaren) Grundrechtsbindung ist daher die zur Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung (Art 17 B-VG) tätige öffentliche Hand in ihrer Privatautonomie beschränkt (vgl 7 Ob 299/00x mwN; zuletzt 3 Ob 83/18d).
2.1. Der Grundrechtsbindung via Fiskalgeltung unterliegen nach der Rechtsprechung nicht nur die Gebietskörperschaften selbst, sondern – schon wegen ihrer ausschließlich staatlichen Trägerstruktur – auch privatrechtlich agierende Körperschaften und Unternehmen öffentlichen Rechts (vgl zur Wirtschaftskammer 6 Ob 514/95; zur Ärztekammer 7 Ob 299/00x; zum AMS 1 Ob 218/14m; zur Agrargemeinschaft im Ergebnis auch VwGH 25. 6. 2001, 2000/07/0021).
2.2. Darüber hinaus wird vertreten, dass auch selbstständige Rechtsträger, die mit der Besorgung öffentlicher Aufgaben betraut sind, unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind, selbst wenn sie diese Aufgaben in privatrechtsförmiger Weise besorgen; der Staat soll sich nämlich nicht der Grundrechtsbindung entziehen können, indem er Handlungs- und Rechtsformen des Privatrechts wählt (umfassend Holoubek, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konsequenzen der Ausgliederung, Privatisierung und Beleihung, ÖZW 2000, 33 [3 ff]; vgl auch Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht. Allgemeines Verwaltungsrecht4 Rz 388; weitere Nachweise bei Meissel in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 16 ABGB Rz 30).
2.3. Der angesprochene Aspekt des Tätigwerdens im Gemeinschaftsinteresse auf Veranlassung der öffentlichen Hand und der daraus folgende funktionelle Zusammenhang zum Staat fällt gerade in jenen Fällen ins Gewicht, in denen der Staat sich zur Verteilung öffentlicher Fördergelder eines privaten Rechtsträgers als „Subventionsmittler“ bedient (Holoubek aaO): Es wäre nicht einzusehen, warum dieser Rechtsträger beim Verteilungsvorgang nur dann an die Grundrechte gebunden sein soll, wenn aufgrund seiner Organisationsstruktur ein entscheidender Einfluss der dahinterstehenden Gebietskörperschaft auf ihn sichergestellt ist. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits in mehreren Entscheidungen festgehalten, dass, wer immer – kraft Gesetzes, durch Bescheid oder rechtsgeschäftlichen Akt – berufen wurde, Geld oder geldwerte Leistungen aus Gemeinschaftsmitteln zur Förderung bestimmter Gemeinschaftsanliegen an Einzelrechtsträger zu deren förderungszielgerechten Verwendung zu verteilen, mit Beginn des Verteilungsvorganges gegenüber allen, die nach dem vorgegebenen Förderungsziel abstrakt als Empfänger in Betracht zu ziehen wären, in ein – der Art nach dem vorvertraglichen Schuldverhältnis vergleichbares – gesetzliches Schuldverhältnis tritt; dieses wird nach der Herkunft der Mittel und der im Gemeinschaftsinteresse gelegenen Zielsetzung durch ein Diskriminierungsverbot im Sinn des Gleichbehandlungsgrundsatzes bestimmt (6 Ob 514/95; RS0102013).
2.4. Die Bindung an den Gleichheitsgrundsatz bei privatrechtlicher Subventionsvergabe zwingt den mit der Verteilung betrauten Rechtsträger nicht nur dazu, die Subvention ohne unsachliche Differenzierung, also grundsätzlich bei Vorliegen bestimmter typischer Voraussetzungen zu gewähren (näher dazu 3 Ob 83/18d); auch die Festlegung des Förderungszwecks selbst und die nach dieser Zielsetzung erfolgte Eingrenzung des Berechtigtenkreises in den Förderungsrichtlinien muss dem Sachlichkeitsgebot entsprechen (6 Ob 563/92; 4 Ob 1529/96; idS zuletzt auch VfGH G 202/2020 ua, zu aus dem COVID-19-Krisenbewältigungsfonds und Härtefallfonds finanzierten Unterstützungsmaßnahmen).
3.1. Unter Bedachtnahme darauf, dass der Beklagte in seinem Prozessvorbringen selbst eingeräumt hat, dass die Gemeinde T***** die Konstruktion einer durch einen Verein abgewickelten Subventionsvergabe zur Minimierung des Verwaltungsaufwandes gewählt habe, der Beklagte sich erst nach dem Gemeinderatsbeschluss im Jahr 2012 über die Sicherstellung der Finanzierung konstituiert habe und schließlich die Gemeinde mit Gemeinderatsbeschluss 2015 inhaltlichen Einfluss auf die Förderungsrichtlinien genommen habe, liegt auf der Hand, dass die Gemeinde den Beklagten nicht bloß finanziell unterstützt, sondern auf diesen als „Subventionsmittler“ zur Umsetzung eines Förderungsregimes nach ihren Vorstellungen zurückgreift. Schon daraus ergibt sich, dass der Beklagte von der öffentlichen Hand im oben dargelegten Sinn mit der Besorgung öffentlicher Aufgaben betraut worden ist. Der Beklagte ist daher bei seiner Fördertätigkeit der Fiskalgeltung der Grundrechte unterworfen. Auf eine mangelnde Kontrolle der Tätigkeit des Beklagten durch die Gemeinde kommt es nicht an.
3.2. Im Ergebnis zutreffend macht die Klägerin weiters eine Verletzung des aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleiteten Sachlichkeitsgebots durch das Abstellen der Förderungsrichtlinien auf das Erfordernis eines mehrjährigen Hauptwohnsitzes in T***** geltend:
Zwar ist zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs dem Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Gleichheitsgrundsatz ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt, innerhalb dessen es ihm frei steht, verschiedene rechtspolitische Zielvorstellungen zu verfolgen; das gilt insbesondere auch für die Festlegung von Förderungszielen und den Kreis der Förderungsberechtigten (vgl nur VfGH B 859/10, VfSlg 19.261; G 31/2017, VfSlg 20.199 ua). Ein entsprechender Spielraum ist folglich auch dem Beklagten bzw der dahinterstehenden Gemeinde bei der Gestaltung der Voraussetzungen der in Frage stehenden Förderung zuzubilligen; dieser wurde jedoch im Anlassfall überschritten: Entgegen dem Standpunkt des Beklagten ist nämlich eine Korrelation zwischen einem bereits länger bestehenden Hauptwohnsitz einer Person und ihrer Bereitschaft, sich in das „örtliche Gefüge“ der Gemeinde zu integrieren, nicht ohne weiteres anzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum das lokale Leben durch den Verbleib bereits länger Ortsansässiger in der Gemeinde eher gefördert werden kann als durch den Zuzug bisher ortsfremder Personen, aber auch solcher, die nur zwischenzeitig, wenngleich über mehrere Jahre – etwa für die Dauer einer universitären Ausbildung –, ihren Hauptwohnsitz außerhalb der Gemeinde hatten. Die Überlegung des Beklagten gründet auf der nicht belegten Prämisse, dass bisher ortsfremde und erst vor kurzer Zeit (wieder) in die Gemeinde gezogene Personen tendenziell weniger Bereitschaft zeigen, am örtlichen Gemeinschaftsleben teilzuhaben. Die Unterstützung ausschließlich bereits länger Ortsansässiger bei der Wohnraumschaffung entbehrt daher einer sachlichen Begründung; als Mittel zur Verwirklichung der an sich vertretbaren Zielsetzung der Förderung des lokalen Lebens ist es völlig ungeeignet.
3.3. Ob das in den Förderungsrichtlinien aufgestellte Hauptwohnsitzkriterium zudem auch gegen das unionsrechtliche allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art 18 AEUV verstößt (vgl zur mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit durch Abstellen auf den Wohnsitz etwa Kucsko-Stadlmayer in Mayer/Stöger, EUV/AEUV Art 18 AEUV [Stand 1. 3. 2013, rdb.at] Rz 43 mwN), was aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts bei Sachverhalten mit Unionsbezug zu einer allenfalls sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung rein innerstaatlicher Sachverhalte führen würde (siehe etwa VfGH G 110/03 ua, VfSlg 17.150, zum Grundverkehr mit Baugrundstücken), muss hier nicht abschließend beurteilt werden, zumal auch die Klägerin in ihren Revisionsausführungen auf ihr dahingehendes Prozessvorbringen in erster Instanz nicht mehr zurückkommt. Ihr, ohnedies nicht näher konkretisierter, Rechtsmittelvortrag zur Verletzung der speziellen Diskriminierungsverbote der unionsrechtlichen Grundfreiheiten verstößt zudem gegen das im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof geltende Neuerungsverbot (RS0037612).
4. Aus dem in Punkt 3.2. dargelegten Verstoß der Förderungsrichtlinien des Beklagten gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art 2 StGG und Art 7 Abs 1 B-VG folgt ein direkter (Geld-)Leistungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten (eingehend dazu zuletzt 3 Ob 83/18d; vgl weiters zur Subventionsvergabe RS0018989 [T2]; RS0038110 [T3]), zumal die Klägerin nach den Urteilsannahmen der Vorinstanzen, abgesehen vom Hauptwohnsitzkriterium, alle sonstigen Voraussetzungen für die Förderungsgewährung erfüllt hat. Ausgehend von einer unstrittigen Höhe der Förderung von 32 % der Aufschließungsabgabe besteht das Geldleistungsbegehren der Klägerin somit zur Gänze zu Recht.
5. Zusammenfassend war daher der Revision Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen spruchgemäß im klagsstattgebenden Sinn abzuändern, wobei das Klagebegehren spruchgemäß zu fassen war.
6. Aufgrund der Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen war auch die Kostenentscheidung für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren neu zu fassen. Diese Entscheidung sowie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E129519European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00162.20X.0916.000Im RIS seit
04.11.2020Zuletzt aktualisiert am
04.11.2020