Entscheidungsdatum
11.08.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
G301 2114684-2/12E
G301 2220723-1/9E
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 06.07.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER über die gemeinsame Beschwerde 1.) der XXXX , geboren am XXXX , und 2.) des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Nordmazedonien, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 28.05.2019, Zl. XXXX (zu 1.) und XXXX (zu 2.), betreffend Anträge vom 28.11.2017 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.07.2020 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird mit den folgenden Maßgaben als unbegründet abgewiesen:
1. In Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird das Datum „28.11.2018“ jeweils durch „28.11.2017“ ersetzt;
2. In Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide wird das Wort „Serbien“ jeweils durch „Nordmazedonien“ ersetzt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Wien, zugestellt am 04.06.2019, wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) und des von der BF1 gesetzlich vertretenen minderjährigen Zweitbeschwerdeführers vom „28.11.2018“ (richtig: 28.11.2017) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach „Serbien“ zulässig ist (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).
Mit dem am 26.06.2019 beim BFA, RD Wien, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhoben die beschwerdeführenden Parteien durch ihren bevollmächtigten Rechtsvertreter gemeinsam Beschwerde gegen die im Spruch angeführten Bescheide.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 02.07.2019 vom BFA vorgelegt.
Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 06.07.2020 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die beschwerdeführenden Parteien im Beisein ihrer für die Verhandlung bevollmächtigte Rechtsvertreterin teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde war nicht erschienen (Teilnahmeverzicht). Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.
Mit dem am 14.07.2020 eingebrachten und mit demselben Tag datierten sowie mit dem am 20.07.2020 eingebrachten Schriftsatz des nunmehr bevollmächtigten Rechtsvertreters der beschwerdeführenden Parteien wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Republik Nordmazedonien. Die BF1 ist die leibliche Mutter des minderjährigen BF2. Der BF1 kommt die alleinige Obsorge für den BF2 zu.
Die BF1 ist seit 16.11.2017 geschieden, alleinstehend und lebt derzeit mit ihrem Sohn – dem BF2 – in einer ca. 39 m² großen Mietwohnung in XXXX . Die BF1 hat keine weiteren Kinder.
Die BF1 ist arbeitslos, verfügt aber über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag für eine Teilzeitanstellung (20 Wochenstunden) als Reinigungskraft in einer XXXX Fleischerei mit einem in Aussicht gestellten Brutto-Monatsgehalt von 750 Euro, der unter der Bedingung des Vorliegens eines gültigen Aufenthaltstitels und einer Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit abgeschlossen wurde. Der BF2 besucht derzeit einen Kindergarten in XXXX . Der Lebensunterhalt für die beschwerdeführenden Parteien wird derzeit durch die Unterstützung der in Deutschland lebenden Familie der BF1 und durch Alimente des Kindesvaters des BF2 (in Höhe von durchschnittlich 300 Euro pro Monat) gesichert. Ein weiteres Einkommen besteht nicht. Die BF1 verfügt für sich und den BF2 über eine Selbstversicherung in der Krankenversicherung bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK).
Die BF1 hält sich seit Dezember 2004 fast durchgehend in Österreich auf. Die BF1 reiste immer wieder, meist aus familiären Gründen, jeweils für ein bis zwei Wochen nach Nordmazedonien, zuletzt im Juni 2016 wegen des Verlassenschaftsverfahrens nach ihrem im Oktober 2015 verstorbenen Vater.
Die Mutter und die beiden Brüder der BF1 leben in Deutschland, eine Schwester lebt in der Türkei. Das Haus des verstorbenen Vaters in Nordmazedonien erbte einer der Brüder der BF1. Es weist eine Wohnfläche von etwa 80 m2 auf, wobei die in Deutschland lebenden Familienangehörigen der BF1 (die Mutter und die Brüder) ein bis zwei Mal pro Monat nach Nordmazedonien fahren und dann in diesem ansonsten leerstehenden Haus wohnen.
Die BF1 hat mehrfach beim Magistrat XXXX ( XXXX XXXX ) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestellt (am 14.12.2004, 20.04.2007, 02.10.2012 und 19.01.2016), die allesamt abgewiesen wurden, und zwar am 25.04.2007, 26.07.2012, 20.04.2015 und zuletzt am 27.01.2017.
Am 16.04.2015 stellte die BF1 erstmals einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 AsylG 2005, der mit Bescheid des BFA vom 26.08.2015 (AS 755) abgewiesen wurde; gleichzeitig wurde gegen die BF1 eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat (Nord-)Mazedonien erlassen und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen festgelegt. Die BF1 zog danach die dagegen erhobene Beschwerde an das BVwG zurück, woraufhin das Beschwerdeverfahren eingestellt wurde (Einstellungsbeschluss des BVwG vom 06.06.2016, G313 2114684-1/4E) und womit der abweisende Bescheid – samt Rückkehrentscheidung – in Rechtskraft erwuchs.
Trotz der sich daraus ergebenden rechtskräftigen Verpflichtung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet innerhalb der gesetzten Frist für die freiwillige Ausreise verblieb die BF1 weiterhin in Österreich.
Der von der BF1 am 19.01.2016 – und somit während des beim BVwG zur oben angeführten Geschäftszahl noch anhängig gewesenen Beschwerdeverfahrens – beim Magistrat XXXX ( XXXX ) neuerlich gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von XXXX als Aufenthaltsbehörde vom 27.01.2017 abgewiesen (AS 853).
Die BF1 verfügt über Deutschkenntnisse, die zumindest dem B1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entspricht. Die BF1 hat am 23.04.2016 den „Deutsch-Test für Österreich – B1“ des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) bestanden. Die BF1 verfügt über private und soziale Bindungen in Österreich, insbesondere auch Freundschaften und Bekannstschaften zu mehreren österreichischen Staatsbürgern.
Die BF1 wurde mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom 02.12.2019, GZ: XXXX , wegen des Vergehens der Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach § 224a StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. Demnach hat die BF1 am 05.09.2019 bei einer Fahrt mit dem „Flixbus“ von XXXX nach Deutschland – mit dem minderjährigen BF2 – zwei totalgefälschte bulgarische Reisepässe, totalgefälschte bulgarische ID-Karten und einen totalgefälschten bulgarischen Führerschein bei sich gehabt.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Im Zusammenhang mit der Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes lagen keine widerstreitenden oder sonst strittigen Ermittlungsergebnisse vor. Mit der vorliegenden Beschwerde wurde im Wesentlichen nur die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid bekämpft.
Die Feststellung zur angeführten strafgerichtlichen Verurteilung der BF1 beruht auf dem im Akt einliegenden Urteil (OZ 6).
Die Feststellungen zur aktuellen Wohnsituation, zum Vorliegen eines arbeitsrechtlichen Vorvertrages, zum Abschluss einer B1-Deutschprüfung sowie zu den privaten und sozialen Bindungen beruhen auf den in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich vorgelegten und inhaltlich unbedenklichen Unterlagen (Anlage ./A in OZ 8) sowie den diesbezüglich durchwegs glaubhaften Angaben der BF1 in der Verhandlung.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Abweisung der Beschwerde (Spruchpunkt A.):
Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ betitelte § 55 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, lautet:
„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“
Gemäß § 58 Abs. 13 AsylG 2005 begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG 2005 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.
Gemäß § 16 Abs. 5 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, begründet eine Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 oder ein diesbezüglicher Vorlageantrag kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. § 58 Abs. 13 AsylG 2005 gilt.
Wird ein Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 abgewiesen, so ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.
Gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:
Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige von Nordmazedonien und als solche Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen. Auch wenn das persönliche Interesse am Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015,
Zl. Ra 2015/19/0247).
Nach Maßgabe einer Gesamtabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK war ein von den beschwerdeführenden Parteien behauptetes Überwiegen des persönlichen Interesses am Verbleib in Österreich, insbesondere wegen bestehender familiärer oder privater Bindungen, im Vergleich zum öffentlichen Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens nicht anzunehmen.
Auch wenn sich die BF1 wiederholt vorrangig darauf berufen hat, dass sie sich seit 2004 durchgehend in Österreich aufhalte, und die beschwerdeführenden Parteien unbestritten durch den längeren Aufenthalt in Österreich einen erkennbaren Grad einer sprachlichen und sozialen Integration erreicht haben, so muss dem jedoch maßgeblich entgegengehalten werden, dass der bisherige Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien in Österreich bzw. im gesamten Schengen-Raum durchwegs ein unrechtmäßiger war, zumal die beschwerdeführenden Parteien bislang über keinerlei Berechtigung zu einem längerfristigen Aufenthalt in Österreich – jedenfalls über die Dauer eines erlaubten visumfreien Aufenthalts hinaus – verfügt haben. Auch der Umstand der Stellung des gegenständlichen Antrages ändert daran nichts, zumal durch die Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und durch eine Beschwerde gegen eine zurück- oder abweisende Entscheidung in dieser Sache kein Aufenthalts- oder Bleiberecht eingeräumt wird.
Vielmehr muss der BF1 vorgeworfen werden, dass sie bereits mehrmals letztlich immer erfolglos gebliebene Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellte (sowohl nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz als auch nach dem Asylgesetz 2005) und entgegen einer bereits gegen sie im Jahr 2015 erlassenen Rückkehrentscheidung, welche mit Zurückziehung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Wirksamkeit vom 24.05.2016 in Rechtskraft erwuchs, weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieb und ihrer Ausreiseverpflichtung nie nachkam.
Für die Beachtung und den Schutz der Rechtsordnung ist es jedoch ganz wesentlich, dass ein bewusstes Fehlverhalten einer Person letztlich nicht dazu führen kann, dass sie sich aus diesem Fehlverhalten – insbesondere über einen langen Zeitraum – einen persönlichen Vorteil verschafft und dann auch auf die Anerkennung eines darauf gestützten Begehrens beruft (Grundsatz des „commodum ex iniuria sua nemo habere debet“).
Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens aber ein hoher Stellenwert zu. Das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden im Bundesgebiet bzw. ein länger dauernder unrechtmäßiger Aufenthalt stellt jedoch eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dar, was wiederum eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen den Fremden als dringend geboten erscheinen lässt (vgl. VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Die Voraussetzungen dafür liegen im gegenständlichen Fall auch vor.
Die BF1 hat somit auch zum Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung über keine gültige Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich verfügt. Die belangte Behörde ist daher – auch in Bezug auf den minderjährigen BF2 – zutreffend von einem unrechtmäßigen Aufenthalt ausgegangen.
Was das bisherige Verhalten der BF1 anbelangt, so muss ihr der erschwerende Umstand eines erst kurze Zeit zurückliegenden Verstoßes gegen straf- und fremdenrechtliche Bestimmungen vorgehalten werden, indem sie im Dezember 2019 wegen Verwendung mehrerer totalgefälschter bulgarischer Reise- und Identitätsdokumente rechtskräftig verurteilt wurde, wobei sie mit diesen gefälschten Dokumenten mit einem Reisebus von Österreich nach Deutschland reisen wollte.
Die BF1 setzte sich somit wiederholt und in bewusster Weise über Bestimmungen betreffend die Einreise und den Aufenthalt hinweg und machte sich dadurch auch Verstößen gegen die öffentliche Ordnung schuldig.
Die belangte Behörde ist somit im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 nicht vorliegen und das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Durch die gegen die beschwerdeführenden Parteien erlassene Rückkehrentscheidung liegt somit eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vor. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung (auf Dauer oder vorübergehend) unzulässig erscheinen ließen.
Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffene amtswegige Feststellung keine konkreten Umstände dahingehend hervorgekommen, dass allenfalls auch unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens die Abschiebung in den Herkunftsstaat Nordmazedonien unzulässig wäre (vgl. VwGH 16.12.2015, Zl. Ra 2015/21/0119).
Auch wenn in Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide der Zielstaat einer Abschiebung (Herkunftsstaat) unzutreffend mit „Serbien“ bezeichnet wurde, so war aufgrund der eindeutigen Begründung des Bescheides unzweifelhaft davon auszugehen, dass es sich bei dieser fehlerhaften Formulierung des Spruches offenbar um ein Versehen bzw. eine Nachlässigkeit handelte, was für sich allein gesehen aber keine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des gesamten Spruchpunktes bedeutet. So stellte die belangte Behörde in Bezug auf die Staatsangehörigkeit der beschwerdeführenden Parteien und ihren Herkunftsstaat einerseits fest, dass sie Staatsangehörige von Nordmazedonien sind, andererseits wurden die allgemeinen herkunftsstaatsbezogenen Feststellungen ausschließlich zu Nordmazedonien getroffen.
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt diese Frist 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Bei Überwiegen solcher besonderen Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 3 FPG einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
Die belangte Behörde hat jeweils gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Besondere Umstände, welche einen längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage zur Ausreise erforderlich gemacht hätten, wurden im Verlauf des gesamten Verfahrens weder vorgebracht noch nachgewiesen und sind auch sonst nicht hervorgekommen.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides erweist sich somit als unbegründet.
Es war daher die Beschwerde mit den im Spruch angeführten Maßgaben (Richtigstellung des Datums der Antragstellung und des Herkunftsstaates Nordmazedonien) zur Gänze als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Interessenabwägung öffentliche Interessen Resozialisierung RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G301.2114684.2.00Im RIS seit
02.11.2020Zuletzt aktualisiert am
02.11.2020