TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/3 L518 2128659-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.02.2020
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Entscheidungsdatum

03.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

L518 2128658-1/17E
L518 2128659-1/14E
L518 2128661-1/11E
L518 2178644-1/7E

schriftliche ausfertigung des am 26.08.2019 mündlich verkündeten erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Markus Steininger als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , alle StA. Armenien, die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter Golej SLOJAN, alle vertreten durch Rae Dr. KAPFERER & Dr. DELLASEGA, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, vom 31.05.2016, Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , sowie vom 03.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.08.2019, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch kurz als „bP1“ bis „bP4“ bezeichnet), sind Staatsangehörige der Republik Armenien und brachten bP 1 und bP 2 nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 25.11.2013 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge „bB“) Anträge auf internationalen Schutz ein.

Die männliche bP1 und die weibliche bP2 sind Lebensgefährten und Eltern der minderjährigen bP 3 und 4, für welche sie nach deren Geburt in Österreich ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz (bP 3 am 19.01.2015 und bP 4 am 19.10.2017) einbrachten.

I.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP 2 vor:

„Ich habe meinen Mann über Internet kennen gelernt und so hatten wir immer wieder Kontakt zueinander. Mit der Zeit waren wir uns dann gegenseitig sympathischer und haben uns lieben gelernt. Da mein Mann Christ ist und wir die Absicht hatten zu heiraten, entschloss ich mich zum Christentum zu konvertieren. Mein Vater hat eine hohe religiöse Position bei den Jeziden, er ist ein Scheich. Mein Vater hat erfahren, dass ich aus unserer Religion ausgetreten bin und zum Christentum konvertiert bin und immer wieder die Kirche besuche. Er wollte mich deshalb umbringen, weil ich eine große Schande war. Daraufhin flüchtete ich zu meinem Mann nach Russland. In Russland erfuhren wir von Bekannten in Armenien, dass mein Vater herausgefunden hatte, wohin ich gefahren bin. Deshalb musste ich auch Russland verlassen. Das ist mein Fluchtgrund, andere Fluchtgründe habe ich nicht.

Meine Reise von Armenien nach Russland organisierten Christen mit denen ich gemeinsam in die Kirche ging. Da sie von meiner Lebensgefahr erfahren haben, halfen sie mir, zu meinem Mann zu gelangen. Die Reise von Russland hierher organisierte mein Mann.“

Vor der belangten Behörde brachte die bP 2 auszugsweise Folgendes vor:

F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!

A: Meine Probleme begangen Ende Oktober 2013, als ich in die Kirche ging und mein Glauben gewechselt habe. Das war eine große Schande für meinen Vater. Er wurde in seiner Ehre verletzt. Als er mich zum ersten Mal sah, wie ich in die Kirche ging, hat er angefangen, mich zu verfolgen, weil er gekränkt fühlte. Er hat mich nach dem er mich erwischt hat, verprügelt. Dann hat er meine Personaldokumente verbrannt. Er gab mir nichts mehr zum Essen.

Meine Mutter stand mir bei und gab mir heimlich was zum Essen.

Eines Tages bin ich abgehauen und ging zur Polizei. Ich habe die ganze Geschichte der Polizei erzählt. Die Polizei hat meine Angaben auch ordnungsgemäß aufgenommen. Danach hat sie meinen Vater vorgeladen. Dann kam mein Vater zur Polizeistation. Er wurde in einem anderen Raum einvernommen. Nach dieser Einvernahme kam mein Vater hinaus und war nicht mehr wütend auf mich. Die Polizei sagte zu mir, dass alles in Ordnung sei und ich nach Hause gehen kann.

Ich bin mit meinem Vater nach Hause gefahren. In dieser Nacht kam mein Vater in mein Zimmer und hat meinen Mund mit einem Klebeband zugeklebt und zerrte mich aus dem Zimmer hinaus. Er hat mich in unserem Obstgarten gebracht. Ich habe die ganze Zeit geschrien. Die Nachbarn kamen mir zur Hilfe.

Die Nachbarn haben mich befreit und zu sich nach Hause mitgenommen. Mit der Hilfe unserer Nachbarn und der Angehörigen von der Kirche habe ich Kontakt zu meinem Mann aufgenommen. Mein Mann hat das Ganze organisiert, dass die Kirchenangehörigen mir bei der Flucht helfen. Danach bin ich mit Hilfe dieser Freunde nach Russland gefahren. Ich sollte zuerst zu den Eltern meines Mannes fahren. In Russland hat mein Mann mich abgeholt. Gemeinsam sind wir zuerst zu seinen Eltern gefahren. Dort habe ich sie zum ersten Mal getroffen und kennengelernt. Als mein Schwiegervater erfuhr, dass ich Jezidin und Tochter des jezidischen Scheiks bin, hat er mich abgestoßen. Ich meine damit, dass er mich in seine Familie nicht aufnahm. Aus diesem Grund waren mein Mann und ich gezwungen eine Mietwohnung zu suchen.

In dieser Wohnung konnten wir nur eine kurze Zeit wohnen, da ich gehört habe, dass mein Vater nach Russland gekommen ist um mich zu suchen. Er wollte mich töten. Aus diesem Grund hat mein Mann mit seinen Freunden gesprochen. Diese haben zu uns gesagt, dass es Länder gibt, wo solche Sachen nicht passieren können und uns geholfen wird. Der Freund meines Mannes hat uns dann geholfen nach Österreich zu kommen. Am 25.11.2013 kamen wir in Thalham an.

Das war mein Fluchtgrund. Andere Fluchtgründe gibt es nicht.

F: Wann haben Sie Ihren Lebensgefährten zum ersten Mal getroffen und kennengelernt?

A: Wir haben uns ca. 5-6 Monate vor meiner Ausreise kennengelernt. Wir haben uns im Internet kennengelernt und zum ersten Mal nach meiner Flucht in Russland gesehen und offiziell kennengelernt.

F: Über welche Internetseite haben Sie Ihren Lebensgefährten kennengelernt?

A: www.odnoklassniki.ru

F: Das ist eine russische Seite! Können Sie Russisch sprechen?

A: Nein, ich kann nicht gut Russisch sprechen.

F: Sie haben Ihren Mann ca. 5-6 Monate vor Ihrer Ausreise über das Internet kennengelernt. Wann haben Sie beschlossen, zum Christentum zu konvertieren?

A: Zuerst habe ich meinen Mann über das Internet kennengelernt. Er hat mit mir über das Christentum gesprochen. So bekam ich großes Interesse.

F: Sie haben heute von der Kirchengemeinde in Ihrem Heimatland gesprochen. Wie heißt die Kirche, die Sie in Ihrem Heimatland besucht haben?

A: Ich weiß nur, dass die Kirche groß war und ein Kreuz hatte.

V: Es ist weder glaubhaft noch nachvollziehbar, dass Sie den Namen Ihrer Kirche nicht wissen. Sie haben Ihren eigenen Angaben nach eine gewisse Kirche ständig besucht, haben dort sogar Freunde gewannen, die Ihnen sogar zur Flucht geholfen haben. Was sagen Sie dazu?

A: Ich kann mich an den Namen nicht erinnern.

F: Wie heißt der Pastor dieser Kirche, zu dem Sie ständig gegangen wären?

A: Ich weiß, dass er „ XXXX “ hieß. Mehr weiß ich nicht.

F: Sind Sie getauft? Wenn ja, wo und wann?

A: Nein, ich bin nicht getauft. Ich bin im Herzen ein Christ.

F: Wo befindet sich die Kirche, welche Sie ständig Ihren eigenen Angaben nach besucht hätten?

A: Die Kirche befindet sich in unserem Dorf XXXX .

V: Es ist nicht nachvollziehbar, dass Sie in Ihrem Dorf geboren sind und sich dort bis zur Ausreise aufgehalten haben und nicht einmal wissen, wie die Kirche Ihres Dorfes heißt!

A: Ich durfte das Haus nicht oft verlassen. Mein Vater erlaubte mir nicht, das Haus zu verlassen.

F: Wie konnten Sie dann unter diesen Umständen die Ihnen unbekannte Kirche intensiv zu besuchen?

A: Mein Vater hat mich immer zur Schule begleitet und auch abgeholt. Deshalb konnte ich nicht alleine auf die Straße gehen.

V: Frau Asylwerberin, Sie werden an dieser Stelle nochmals auf Ihre Wahrheits- und Mitwirkungspflicht in Ihrem Asylverfahren aufmerksam gemacht. Sie haben heute behauptet, dass Sie von der Kirchengemeinde zur Flucht geholfen worden wären. D.h. dass diese Leute Sie sehr gut gekannt hätten und Sie zu diesen ein besonderes Vertrauen hätten. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass Sie innerhalb von 5-6 Monaten Ihren Lebensgefährten kennengelernt und sich gleichzeitig intensiv mit dem Christentum auseinandergesetzt hätten. Bitte nehmen Sie dazu Stellung!

A: Mein Vater war sehr oft bei verschiedenen Hochzeiten eingeladen. Die Zeit konnte ich nützen um in die Kirche gehen zu können.

F: Sie haben heute erzählt, dass Sie in Russland erfahren hätten, dass Ihr Vater wegen Ihnen nach Russland gereist wäre. Von wem haben Sie diese Information bekommen?

A: Ein Bekannter meines Mannes, der selbst Jezide ist, hat zu meinem Mann gesagt.

F: Trotzdem, woher wusste Ihr Vater, wo Sie sich aufhalten. Russland ist groß. Sie hätten sich überall in Russland aufhalten können. Was sagen Sie dazu?

A: Unsere Nachbarn wussten, in welcher Stadt mein Lebensgefährte lebte. Deshalb bekam mein Vater über diese Nachbarn, wo ich mich aufhalte.

F: Haben Sie Ihren Vater in Russland getroffen?

A: Nein, ich habe meinen Vater seit meiner Flucht nicht mehr getroffen.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Mutter oder Ihrem Bruder?

A: Nein, auch zu Ihnen habe ich den Kontakt abgebrochen.

F: Sie haben heute vorgebracht, dass Ihr Vater Sie umbringen wollte. Im Zuge der freien Erzählung haben Sie das jedoch mit keinem Wort erwähnt. Was sagen Sie dazu?

A: Ich habe heute erzählt, dass mein Vater mich in den Garten gezerrt hat. Er hatte ein Messer in der Hand. Aus diesem Grund habe ich gesagt, dass er mich töten wollte. Vielleicht habe ich das zu leise gesagt und Sie oder die Dolmetscherin mich nicht gehört haben.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

F: Gab es jemals bis zu den besagten Vorfällen auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?

A: Nein, es gab keine weiteren Vorfällen.

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?

A: Ich habe Angst vor meinem Vater. Ich bin mir sicher, dass er mich umbringen wird, wenn ich nach Armenien zurückkehre.

F: Sie müssen aber nicht im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland zu Ihrem Dorf bzw. zu Ihrer Heimatgemeinde zurückkehren. Sie können auch in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil ziehen, ohne dass Ihr Vater oder Ihre Verwandten davon erfahren! Was sagen Sie dazu?

A: Aber ich bin mir sicher, dass mein Vater mich findet. Ich bin mir sicher, dass er mich und meinen Sohn nicht verschonen lässt.

F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

A: Nein, ich würde im Falle meiner Rückkehr keine Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden bekommen.

Die bP 1 stütze sich auf dasselbe Fluchtvorbringen wie die bP 2. Die bP 1 führte zudem aus, dass sie mit ihrer Familie im Alter von 12 Jahren Armenien aufgrund der allgemeinen schlechten Bedingungen verließ und nach Russland übersiedelte. Für die bP 3 und 4 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

Vorgelegt wurde von den bP:

?        Geburtsurkunden bP 3 und 4

?        Deutschkursbestätigung

I.3. Die Anträge der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Eine Frist zur freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung wurde gewährt. Hinsichtlich der bP 1 – 3 wurde auch spruchgemäß ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 FPG nicht erteilt.

In Bezug auf sämtliche bP wurde ein im Spruch inhaltlich im Wesentlichen gleichlautender Bescheid erlassen, weshalb sich aus dem Titel des Familienverfahrens gem. § 34 AsylG ebenfalls kein anderslautender Bescheid ergab.

I.3.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der bP in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft und führte hierzu Folgendes aus (Wiedergabe aus dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf bP 2) :

Mit den von Ihnen behaupteten Angaben zu den Gründen Ihrer Ausreise vermochten Sie aus den nachstehenden Ausführungen eine Verfolgungsgefahr in der Heimat nicht glaubwürdig darlegen. Die Behauptung einer konkreten Verfolgung in Ihrer Heimat kann nur als eine in den Raum gestellte Behauptung gewertet werden, der aufgrund der mangelnden Plausibilität und Nachvollziehbarkeit, wie nachstehend begründet, keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden kann. Um den Erfordernissen der Glaubwürdigkeit zu genügen, muss das Vorbringen des Asylwerbers nämlich hinreichend substantiiert sein. Weiters muss das Vorbringen, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Überdies muss – wie bereits zuvor ausgeführt – das Vorbringen plausibel sein, das heißt mit den Tatsachen oder den allgemeinen Erfahrungen übereinstimmen. Sie vermochten mit Ihren Aussagen jedoch diesen Anforderungen auf keinen Fall gerecht zu werden.

Zur Begründung Ihres Asylantrages brachten Sie vor der Polizei vor, dass Sie Probleme mit Ihrem Vater gehabt hätten, weil Sie zum Christentum konvertiert wären. Jedoch zu Beginn der Einvernahme vor dem Bundesamt am 23.05.2016 gaben Sie im Widerspruch vor, dass Sie zum Christentum nicht konvertiert seien. Sie würden jedoch im Herzen eine Christin sein.

Weiters brachten Sie vor der erkennenden Behörde vor, dass Sie Ende Oktober 2013 begonnen hätten die Kirche zu besuchen. Das wäre für Ihren Vater eine Schande gewesen, weil Ihr Vater ein jesidischer Vorsteher wäre. Aus diesem Grund hätte er angefangen Druck auf Sie auszuüben. Er hätte Sie deshalb sogar einmal geschlagen.

Geglaubt wird Ihnen in diesem Zusammenhang, dass Sie Ihren Vater bei der Polizei zur Anzeige gebracht haben und diese von der Polizei ordnungsgemäß aufgenommen wurde. Sie selbst haben vor dem Bundesamt vorgebracht, dass Ihr Vater zur Polizeistation vorgeladen wurde. Danach durften Sie gemeinsam mit ihm wieder nach Hause gehen.

Sie erzählten weiters, dass Ihr Vater versucht hätte, Sie danach in derselben Nacht zu töten. Jedoch wären die Nachbarn zu Ihnen gekommen und hätten Sie gerettet.

Nicht nachvollziehbar ist Ihr Verhalten in diesem Zusammenhang, dass Sie mit Ihren Nachbarn und Freunden, die gleichzeitig die Zeugen gewesen wären, nicht gleich zur Polizei gegangen wären und Ihren Vater nicht zur Anzeige gebracht hätten.

Zudem ist es sowohl in Armenien als auch in Russland möglich, sich der Bedrohung durch Dritte (private) Personen im Falle von gesellschaftlichen Diskriminierungen oder bei ethnischen oder religiösen Konflikten oder Auseinandersetzungen zu entziehen, indem man sich an einem anderen Ort niederlässt, sodass Ihre Befürchtungen diesbezüglich nicht nachvollziehbar sind.

….

Zusammenfassend – gemeint in Gesamtschau und nicht nur punktuell bezogen gesehen - war bezüglich Ihres Vorbringens somit zu befinden, dass besondere Umstände, aus denen - glaubhaft - hervorgehen würde, dass Sie zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise in Armenien Verfolgungen ausgesetzt waren nicht festgestellt werden konnten. Auch konnte keine Umstände festgestellt werden, die – glaubhaft – darauf hinweisen würden, dass Sie gegenwärtig – im Falle einer Rückkehr – nach Armenien mit persönlichen Verfolgungshandlungen konfrontiert wären.

Gemäß § 52a BFA-VG kann auch eine finanzielle Rückkehrhilfe als Startkapital für ihren Neubeginn in Armenien gewährt werden. RückkehrerInnen werden auf Basis dieser gesetzlichen Grundlage vom ersten Informationsgespräch bis zur tatsächlichen Rückreise in einer Einrichtung beraten, begleitet und umfassend unterstützt. Die Bereitschaft zur Rückkehr ist darüber hinaus eng verbunden mit der Schaffung von Überlebensgrundlagen im Herkunftsstaat. Abgestimmt auf die individuelle Situation der Rückkehrenden sind verschiedene Formen der Unterstützung notwendig bzw. möglich: Schaffung des Zugangs zu Wohn-, Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten; Beschaffung von Arbeitsgeräten; Vermittlung zu den Hilfsorganisationen im Heimatland; finanzielle Unterstützung. Durch den Aufbau eines Netzwerkes von Kontakten zu Hilfsorganisationen in den jeweiligen Rückkehrländern soll der Neubeginn der rückkehrenden, in der Regel entwurzelten Menschen während der Anfangsphase erleichtert werden (vgl. hiezu www.caritas-wien.at/rueckkehrhilfe).

Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in Armenien eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrschte, dass das Überleben von Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre. Gerade die von Ihnen vorgebrachten familiären Verhältnisse zeigen in aller Deutlichkeit, dass einerseits die Annahme einer generellen wie auch immer gearteten Gefährdung aller in Armenien lebenden Menschen unzulässig wäre und andererseits, dass Sie über familiäre und damit sozio-ökonomische Anknüpfungspunkte verfügen.

Ihrer Behauptung im Falle Ihrer Rückkehr Probleme mit Ihrem Vater zu bekommen, war die Glaubwürdigkeit zu versagen, Ihrem Fluchtvorbringen die gesamte Glaubwürdigkeit abgesprochen werden musste.

Auch sind der Behörde keine Hinweise bekannt, dass Rückkehrer nach Armenien irgendwelchen wie immer gearteten Nachteilen oder Diskriminierungen ausgesetzt sind. Wie den Länderberichten entnommen werden kann, haben zurückgeführte Personen bei Ihrer Rückkehr nach Armenien allein wegen der Stellung eines Asylantrags nicht mit staatlichen Repressalien zu rechnen, eine über eine Befragung hinausgehende besondere Behandlung Zurückgeführter sei nicht festzustellen.

Ebenfalls vermochten Sie nicht glaubhaft darzulegen, dass Sie im Falle der Rückkehr keine Lebensgrundlage mehr hätten, weil Ihnen zugemutet werden kann, dass Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Heimatland selbst für Ihren Lebensunterhalt aufkommen können

Mit den Rückkehrbefürchtungen vermochten Sie dem vom Gesetz geforderten Glaubhaftigkeitsanspruch nicht gerecht zu werden. Ihre diesbezüglichen Befürchtungen stützen sich lediglich auf vage Vermutungen, konkrete Anhaltspunkte oder Hinweise konnten jedoch Ihrem Vorbringen nicht entnommen werden, und vermochten Sie auch nicht glaubhaft darzulegen, zumal gegen Sie nie irgendwelche Sanktionen seitens der Behörden gesetzt wurden, und wie bereits festgestellt, liegen dem Bundesasylamt auch keine Informationen über eine gezielte Verfolgung von abgewiesenen Asylwerbern vor.

Insgesamt vermochten Sie somit nicht, vor dem Bundesamt glaubhaft darzulegen, dass gerade Sie im Falle Ihrer Rückkehr einer maßgeblichen Verfolgungsgefahr ausgesetzt wären.

In Bezug auf die weitern bP wurde in sinngemäßer Weise argumentiert.

I.3.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Armenien traf die belangte Behörde ausführliche und schlüssige Feststellungen. Aus diesen geht hervor, dass in Armenien von einer unbedenklichen Sicherheitslage auszugehen und der armenische Staat gewillt und befähigt ist, auf seinem Territorium befindliche Menschen vor Repressalien Dritte wirksam zu schützen. Ebenso ist in Bezug auf die Lage der Menschenrechte davon auszugehen, dass sich hieraus in Bezug auf die bP ein im Wesentlichen unbedenkliches Bild ergibt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass in der Republik Armenien die Grundversorgung der Bevölkerung gesichert ist, eine soziale Absicherung auf niedrigem Niveau besteht, die medizinische Grundversorgung flächendeckend gewährleistet ist, Rückkehrer mit keinen Repressalien zu rechnen haben und in die Gesellschaft integriert werden.

I.3.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 (und 55 bei bP 1-3) AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

I.4. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsätzen von der Diakonie sowie dem im Spruch genannten Rechtsanwalt innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass kein entsprechendes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden wäre und das Vorbringen der bP als glaubhaft einzustufen gewesen wäre.

I.5. Am 08.08. 2016 langte die gekürzte Urteilsausfertigung des LG Innsbruck vom XXXX beim BVwG ein und wurden bereits zuvor die entsprechenden Strafanträge übermittelt.

I.6. Für den 26.08.2019 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt. Ebenso wurde – in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich der Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und wurden die bP aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.

Zu Beginn der Verhandlung brachten die befragten bP vor, bisher die Wahrheit gesagt zu haben und brachten keine Umstände vor, welche gegen die Annahme der Beweiskraft iSd § 15 AVG in Bezug auf die bisher durchgeführten Einvernahmen Zweifel aufkommen ließen.

Vorgelegt in der Verhandlung wurde von den bP:

Konvolut an Empfehlungsschreiben sowie eine Teilnahmebestätigung Deutschkurs B1 (P1), Zertifikat A2 (P1), Teilnahmebestätigung B1 fortgeschrittener Teil (P1), Meldezettel, Geburtsurkunden, Lohn-Gehaltsabrechnung von November 2016 (P2), Gehaltsabrechnung April 2017 (P2), Arbeitnehmerveranlagung 2016 (P2).

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis des BVwG vom selben Tag mündlich verkündet.

Die Beschwerden wurden als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Die bP wurden iSd § 29 Abs. 2 a VwGVG über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 4 zu verlangen bzw. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, belehrt.

Nach Verkündung der Erkenntnisse wurde den bP sowie deren rechtsfreundlicher Vertretung eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt.

Mit Schreiben vom 02.09.2019 wurde die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Erkenntnisse begehrt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

II.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien

Bei den bP handelt es sich um armenische Staatsangehörige. Die bP 1 bekennt sich zum Mehrheitsglauben des Christentums in Armenien. Die bP 1 und 2 sprechen Armenisch.

Die bP 1 ist in Armenien aufgewachsen und mit den Eltern im Alter von ca. 12 Jahren nach Russland übersiedelt, wo die Eltern und Geschwister weiterhin leben. Vor der Ausreise hat sie dort als Bauarbeiter gearbeitet.

Die bP 2 ist in Armenien geboren, dort für 8 Jahre zur Schule gegangen und hat dort bei ihren jesidischen Eltern gelebt. Die bP 2 ist Jesidin. Die Eltern besitzen in Armenien ein Haus mit Obstgarten.

Die bP 1 und 2 sind junge, gesunde, arbeitsfähige Menschen mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.

Die Pflege und Obsorge der gesunden, minderjährigen bP ist durch deren Eltern gesichert. Die bP 3 besucht den Kindergarten.

Familienangehörige (Onkel, Tante und deren Familien der bP 1 sowie die Verwandten der bP 2) leben nach wie vor in Armenien.

Die bP haben in Österreich keine Verwandten und leben auch sonst mit keiner nahe stehenden Person zusammen, welche nicht zur Kernfamilie zu zählen ist. Sie möchten offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und halten sich seit 6 Jahren bzw. der Geburt (bP 3 und 4) im Bundesgebiet auf. Sie reisten rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein. Sie leben von der Grundversorgung.

Die bP 2 hat für ca. 5 Monate nach der Einreise einen Deutschkurs besucht und spricht kaum Deutsch. Die bP 1 hat Deutschkurse absolviert und die A2 Prüfung abgelegt. Die bP 2 hat 2016 für 3 Tage und 2017 für ein Monat in einem Hotel Reinigungstätigkeiten durchgeführt. Die bP 1 war geringfügig bei der Gemeinde tätig.

Die bP 1 wurde wegen der nachfolgenden Straftat rechtskräftig verurteilt:

LG Innsbruck vom XXXX , Zl. XXXX gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3 StGB zu einer Geldstrafe iHv 240 Tagessätzen.

Die bP 1 hat demnach ein fremdes Fahrrad nach dem Aufbrechen des Fahrradschlosses gestohlen. Die bP 1 wurde wegen Ladendiebstahls (Sonnenbrille, Lautsprecher) am 23.06.2015 angezeigt. Insgesamt wurde die bP 1 dreimal (2014, 2015 und 2016) wegen Diebstahls erkennungsdienstlich behandelt.

Die Identität der bP steht nicht fest.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Armenien

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei Armenien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:

2.Politische Lage

Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km2 und hatte im ersten Quartal 2019 eine Einwohnerzahl von 2,96 Millionen, was einen Ruckgang von 0,3% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ausmachte (ArmStat 7.5.2019). Davon sind laut der Volkszahlung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 14.2.2019).

Armenien ist seit September 1991 eine unabhangige Republik. Die Verfassung von 2005 wurde zuletzt durch Referendum vom 6.12.2015 weitreichend geandert. Durch die Verfassungsreform wurde das semi-prasidentielle in ein parlamentarisches System umgewandelt. Das Ein-Kammer-Parlament (Nationalversammlung) hat nun 105 Mitglieder (zuvor 131) und wird alle funf Jahre gewahlt (AA 7.5.2019a).

Oppositionsfuhrer Nikol Pashinyan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewahlt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angefuhrt und damit die politische Landschaft des Landes verandert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeubt, was zum schockartigen Rucktritt Serzh Sargsyans fuhrte, der kurz zuvor das verfassungsmasig gestarkte Amt des Premierministers ubernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Prasident gedient hatte (BBC 20.12.2018).

Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites offentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstosen gegen die Wahlordnung, einschlieslich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wahler, ermoglichte einen unverfalschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Pashinyan unter dem Namen „Mein Schritt“ erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei „Bluhendes Armenien“ (BHK) des Geschaftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei „Leuchtendes Armenien“ unter Fuhrung Edmon Maruyian, des einstigen Verbundeten von Pashinyan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).

Zu den primaren Zielen der Regierung unter Premierminister Pashinyan gehoren die Bekampfung der Korruption und Wirtschaftsreformen (RFL/RL 14.1.2019) sowie die Schaffung einer unabhangigen Justiz (168hours 20.7.2018).

Quellen:

•AA – Auswartiges Amt (7.5.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/-/203090#content_0, Zugriff 7.5.2019

•ARMENPRESS – Armenian News Agency (10.12.2018): My Step – 70.44%, Prosperous Armenia – 8.27%, Bright Armenia – 6.37%: CEC approves protocol of preliminary results of snap elections, https://armenpress.am/eng/news/957626.html, Zugriff 21.3.2019

•ArmStat - Statistical Committee of the Repbulic of Armenia (7.5.2019): Economic and Financial Data for the Republic of Armenia, https://armstat.am/nsdp/, Zugriff 8.5.2019

•BBC News (20.12.2018):Armenia country profile, https://www.bbc.com/news/world-europe-17398605, Zugriff 21.3.2019

•CIA - Central Intelligence Agency (30.4.2.2019): The World Factbook, Armenia; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/am.html, Zugriff 7.5.2019

•OSCE/ODIHR – Organization for Security and Cooperation in Europe/ Office for Democratic Institutions and Human Rights et alia (10.12.2018): Armenia, Parliamentary Elections, 2 April 2017: Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/armenia/405890?download=true, Zugriff 21.3.2019

•RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (10.12.2018): Monitors Hail Armenian Vote, Call For Further Electoral Reforms, https://www.rferl.org/a/monitors-hail-armenia-s-snap-polls-call-for-further-electoral-reforms/29647816.html, 21.3.2019

•RFE/RL – Radio Free Europe/ Radio Liberty (14.1.2019): Pashinian Reappointed Armenian PM After Securing Parliament Majority, https://www.rferl.org/a/pashinian-reappointed-armenian-pm-after-securing-parliament-majority/29708811.html, Zugriff 21.3.2019

•168hours (20.7.2018): Fight against corruption and creation of independent judiciary main pillars of government’s economic policy – PM Pashinyan, https://en.168.am/2018/07/20/26637.html, Zugriff 21.3.2019

3.Sicherheitslage

Hinsichtlich Bergkarabach - das sowohl von Armenien als auch von Aserbaidschan beansprucht wird - besteht die Gefahr erneuter Feindseligkeiten aufgrund des Scheiterns der Vermittlungsbemuhungen, der zunehmenden Militarisierung und haufiger Verletzungen des Waffenstillstands. Im Oktober 2017 trafen sich die Prasidenten Armeniens und Aserbaidschans unter der Schirmherrschaft der Minsk-Gruppe, einer von der Organisation fur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geleiteten Vermittlungsgruppe, in Genf und begannen eine Reihe von Gesprachen uber eine mogliche Losung des Konflikts. In den letzten Jahren haben Artilleriebeschusse und kleinere Gefechte zwischen aserbaidschanischen und armenischen Truppen Hunderte von Toten gefordert. Anfang April 2016 gab es die heftigsten Kampfe seit 1994. (CFR 20.3.2019). Die Spannungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach dauern an. Die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan ist geschlossen. Im Jahr 2018 fanden mehrere Waffenstillstandsverletzungen entlang der Kontaktlinie zwischen den gegnerischen Streitkraften und anderswo an der zwischenstaatlichen Grenze zwischen Aserbaidschan und Armenien statt, die zu einer Reihe von Todesfallen und Verlusten fuhrten (gov.uk 21.3.2019, vgl. EDA 7.5.2019).

Der aserbaidschanische Prasident Ilham Aliyev und der armenische Premierminister Nikol Pashinyan vereinbarten bei ihrem ersten Treffen am Rande des Gipfels der Gemeinschaft Unabhangiger Staaten, der am 27. und 28. September 2018 in Duschanbe stattfand, mehrere Schritte zum Abbau der Spannungen zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Streitkraften, wie z.B. die Installierung einer direkten "operativen" Kommunikationslinie zwischen den beiden Seiten und die Fortsetzung der diplomatischen Verhandlungen uber eine Losung des Konflikts (Eurasianet 1.10.2018).

Quellen:

•CFR - Council on Foreign Relations (20.3.2018): Nagorno-Karabakh Conflict, https://www.cfr.org/interactives/global-conflict-tracker#!/conflict/nagorno-karabakh-conflict, Zugriff 21.3.2019

•EDA – Eidgenossisches Departement fur auswartige Angelegenheiten (7.5.2019): Reisehinweise fur Armenien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/armenien/reisehinweise-armenien.html, Zugriff 7.5.2019

•Eurasianet (1.10.2018): Aliyev and Pashinyan hold first talks, agree on tension-reducing measures, https://eurasianet.org/aliyev-and-pashinyan-hold-first-talks-agree-on-tension-reducing-measures, Zugriff 21.3.2019

•UK Gov (7.5.2019): Foreign travel advice, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/armenia, Zugriff 7.5.2019

4.Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt immer wieder glaubhafte Berichte von Anwalten uber die Verletzung rechtsstaatlicher Grundsatze durch Gerichte. Die Unschuldsvermutung werde nicht eingehalten, rechtliches Gehor nicht gewahrt, Verweigerungsrechte von Zeugen nicht beachtet und Verteidiger oft ohne Rechtsgrundlage abgelehnt. Nach bisher vorliegenden Informationen hat sich die Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis seit Mitte 2018 verbessert. Die Unabhangigkeit der Gerichte und der Richter wurde bisher durch Nepotismus, finanzielle Abhangigkeiten und weit verbreitete Korruption konterkariert. Es gibt Anzeichen, dass allein der Regierungswechsel im Mai 2019 zu weniger Korruption in der Justiz gefuhrt hat. Hinsichtlich des Zugangs zur Justiz gab es bereits Fortschritte, dass die Zahl der Pflichtverteidiger erhoht wurde und einer breiteren Bevolkerung als bisher kostenlose Rechtshilfe zuteil wird (AA 7.4.2019). Zwar muss von Gesetzes wegen Angeklagten ein Rechtsbeistand gewahrt werden, doch fuhrt der Mangel an Pflichtverteidigern auserhalb Jerewans dazu, dass dieses Recht den Betroffenen verwehrt wird (USDOS 13.3.2019).

Richter stehen unter systemischem politischem Druck und Justizbehorden werden durch Korruption untergraben. Berichten zufolge fuhlen sich die Richter unter Druck gesetzt, mit Staatsanwalten zusammenzuarbeiten, um Angeklagte zu verurteilen. Der Anteil an Freispruchen ist extrem niedrig (FH 4.2.2019). Allerdings entliesen viele Richter nach der "Samtenen Revolution" im Fruhjahr 2018 etliche Verdachtige in politisch sensiblen Fallen aus der Untersuchungshaft, was die Ansicht von Menschenrechtsgruppen bestatigte, dass vor den Ereignissen im April/Mai 2018 gerichtliche Entscheidungen politisch konnotiert waren, diese Verdachtigen in Haft zu halten, statt gegen Kaution freizulassen (USDOS 13.3.2019).

Trotz gegenteiliger Gesetzesbestimmungen zeigt die Gerichtsbarkeit keine umfassende Unabhangigkeit und Unparteilichkeit. Die Verwaltungsgerichte sind hingegen verglichen zu den anderen Gerichten unabhangiger. Sie leiden allerdings unter Personalmangel. Nach dem Regierungswechsel im Mai 2018 setzte sich das Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richter fort, und einige Menschenrechtsanwalte erklarten, es gebe keine rechtlichen Garantien fur die Unabhangigkeit der Justiz. Anwalte berichteten, dass das Kassationsgericht in der Vergangenheit das Ergebnis aller wichtigen Rechtssachen an niedere Richter diktiert habe. Im Februar wurde mit der Umsetzung der Verfassungsanderungen 2015 der Oberste Justizrat (HJC) gebildet. Viele Beobachter gaben dem HJC die Schuld fur Machtmissbrauch und die Ernennung von Richtern, die mit der fruheren Regierungspartei verbunden waren. Anwalte erklarten auch, dass die Kontrolle der HJC uber die Ernennung, Beforderung und Verlegung von Richtern die Unabhangigkeit der Justiz geschwacht habe. NGOs berichten, dass Richter die Behauptungen der Angeklagten, ihre Aussage sei durch korperlichen Ubergriffe erzwungen worden, routinemasig ignorieren (USDOS 13.3.2019).

Die Verfassung und die Gesetze sehen das Recht auf einen fairen und offentlichen Prozess vor, aber die Justiz hat dieses Recht nicht durchgesetzt. Zwar sieht das Gesetz die Unschuldsvermutung vor, Verdachtigen wird dieses Recht jedoch in der Regel nicht zugesprochen. Das Gesetz verlangt, dass die meisten Prozesse offentlich sind, erlaubt aber Ausnahmen, auch im Interesse der "Moral", der nationalen Sicherheit und des "Schutzes des Privatlebens der Teilnehmer". Gemas dem Gesetz konnen Angeklagte Zeugen konfrontieren, Beweise prasentieren und den Behordenakt vor einem Prozess einsehen. Allerdings haben Angeklagte und ihre Anwalte kaum Moglichkeiten, die Aussagen von Behordenzeugen oder der Polizei anzufechten. Die Gerichte neigen wahrenddessen dazu, routinemasig Beweismaterial zur Strafverfolgung anzunehmen. Zusatzlich verbietet das Gesetz Polizeibeamten, in ihrer offiziellen Funktion auszusagen, es sei denn, sie waren Zeugen oder Opfer (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

•AA - Auswartiges Amt (7.4.2019): Bericht uber die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

•FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002606.html, Zugriff 11.4.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 11.4.2019

5.Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist fur die innere Sicherheit zustandig, wahrend der Nationale Sicherheitsdienst (NSD oder eng. NSS) fur die nationale Sicherheit, die Geheimdienstaktivitaten und die Grenzkontrolle zustandig ist (USDOS 13.3.2019, vgl. AA 7.4.2019). Beide Behorden sind direkt der Regierung unterstellt. Ein eigenes Innenministerium gibt es nicht. Die Beamten des NSD durfen auch Verhaftungen durchfuhren. Hin und wieder treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdachtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird (AA 7.4.2019).

Der Sonderermittlungsdienst fuhrt Voruntersuchungen in Strafsachen durch, die sich auf Delikte von Beamten der Gesetzgebungs-, Exekutiv- und Justizorgane beziehen und von Personen, die einen staatlichen Sonderdienst ausuben. Auf Verlangen kann der Generalstaatsanwalt solche Falle an die Ermittler des Sonderermittlungsdienstes weiterleiten (SIS o.D., vgl. USDOS 13.3.2019). Der NSD und die Polizeichefs berichten direkt an den Premierminister. NSD, SIS, die Polizei und das Untersuchungskomitee unterliegen demzufolge der Kontrolle der zivilen Behorden (USDOS 13.3.2019).

Obwohl das Gesetz von den Gesetzesvollzugsorganen die Erlangung eines Haftbefehls verlangt oder zumindest das Vorliegen eines begrundeten Verdachts fur die Festnahme, nahmen die Behorden gelegentlich Verdachtige fest oder sperrten diese ein, ohne dass ein Haftbefehl oder ein begrundeter Verdacht vorlag. Nach 72 Stunden muss laut Gesetz die Freilassung oder ein richterlicher Haftbefehl erwirkt werden. Richter verweigern der Polizei ebenso selten einen Haftbefehl, wie sie kaum das Verhalten der Polizei wahrend der Arrestzeit uberprufen. Angeklagte haben ab dem Zeitpunkt der Verhaftung Anspruch auf Vertretung durch einen Anwalt bzw. Pflichtverteidiger. Die Polizei vermeidet es oft, betroffene Personen uber ihre Rechte aufzuklaren. Statt Personen formell zu verhaften, werden diese vorgeladen und unter dem Vorwand festhalten, eher wichtige Zeugen denn Verdachtige zu sein. Hierdurch ist die Polizei in der Lage, Personen zu befragen, ohne das das Recht auf einen Anwalt eingeraumt wird (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

•AA - Auswartiges Amt (7.4.2019): Bericht uber die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

•SIS - Special Investigation Service of Republic of Armenia (o.D.): Functions Of Special Investigation Service, http://www.ccc.am/en/1428578692, Zugriff 10.4.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 10.4.2019

6.Folter und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet solche Folter und andere formen von Misshandlungen. Dennoch gab es Berichte, dass Mitglieder der Sicherheitskrafte Personen in ihrer Haft gefoltert oder anderweitig missbraucht haben. Laut Menschenrechtsanwalten definiert und kriminalisiert das Strafgesetzbuch zwar Folter, aber die einschlagigen Bestimmungen kriminalisieren keine unmenschliche und erniedrigende Behandlungen (USDOS 13.3.2019). Menschenrechtsorganisationen haben bis zur „Samtenen Revolution“ immer wieder glaubwurdig von Fallen berichtet, in denen es bei Verhaftungen oder Verhoren zu unverhaltnismasiger Gewaltanwendung gekommen sein soll. Folteropfer konnen den Rechtsweg nutzen, einschlieslich der Moglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 7.4.2019).

Misshandlungen finden auf Polizeistationen statt, die im Gegensatz zu Gefangnissen und Polizeigefangnissen nicht der offentlichen Kontrolle unterliegen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwalten gab es keine ausreichenden verfahrensrechtlichen Garantien gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie z.B. den Zugang zu einem Anwalt durch die zur Polizei als Zeugen geladenen Personen sowie die Unzulassigkeit von Beweisen, die durch Gewalt- oder Verfahrensverletzungen gewonnen wurden (USDOS 13.3.2019). In einem Antwortschreiben an die Helsinki Komitee Armeniens bezifferte der Special Investigation Service (SIS) die Anzahl der strafrechtlichen Untersuchungen bezuglich des Vorwurfes von Folter im Zeitraum zwischen dem 1.1. und dem 20.12.2018 auf 49 (HCA 1.2019).

Quellen:

•AA - Auswartiges Amt (7.4.2019): Bericht uber die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

•HCA – Helsinki Committee of Armenia (1.2019): Human Rights in Armenia 2018 Report, Ditord Observer #1 (73), http://armhels.com/wp-content/uploads/2019/03/Ditord-2019Engl_Ditord-2019arm-1.pdf, Zugriff 10.4.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 10.4.2019

7.Korruption

Armenien verfugt nicht uber wirksame Schutzmasnahmen gegen Korruption. Dem bis 2018 an der Macht befindlichen Parlament gehorten einige der wohlhabendsten Wirtschaftsfuhrer des Landes an, die trotz Interessenkonflikten ihre privatwirtschaftlichen Aktivitaten fortsetzten. Auch die Beziehungen zwischen Politikern und anderen Oligarchen haben die Politik historisch beeinflusst und zu einer selektiven Anwendung des Gesetzes beigetragen. Die Berichte uber systemische Korruption, auch in allen drei Staatsgewalten, gingen jedoch weiter. Nach der "Samtenen Revolution" im Mai 2018 leitete die neue Regierung Untersuchungen zur Bekampfung der Korruption ein, die systemische Korruption in den meisten Bereichen des offentlichen und privaten Lebens aufdeckte. Das SIS leitete zahlreiche Strafverfahren gegen mutmasliche Korruption durch ehemalige Regierungsbeamte und deren Angehorige sowie Parlamentarier ein, deren Falle von einigen tausend bis zu Millionen von US-Dollar reichten (USDOS 13.3.2019, vgl. FH 4.2.2019).

Ministerprasident Pashinyan, fur dessen Regierung die Korruptionsbekampfung ein hochrangiges Ziel darstellt, berichtete im Juli 2018, dass innerhalb zweier Monate bereits 20,6 Milliarden Armenische Dram (36,8 Millionen Euro) an Geldern aus Steuerhinterziehungen sichergestellt wurden. Betroffen waren 73 Unternehmen, denen Steuerhinterziehung vorgeworfen wird. Die Summe bezog sich ausschlieslich auf die Steuerschuld (Haypress 13.7.2018, vgl. JAMnews 24.7.2018). Wahrend die meisten Beobachter der Meinung sind, dass es reichlich Beweise fur Fehlverhalten gibt, warnten einige, dass es eine schmale Linie zwischen soliden Rechtsfallen und politisch motivierten gibt. Die mit der ehemaligen, langjahrigen Regierungspartei verbundeten Eliten zeigten erheblichen Widerstand gegen diese Ermittlungen und schienen den Antikorruptionskurs der neuen Regierung zu erschweren (FH 4.2.2019).

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2017 belegte Armenien den Rang 105 von 180 Landern (2017: 107 von 180 Staaten) und erhielt wie 2017 einen Wert von 35 auf einer Skala von 100 [100 ist der beste, 0 der schlechteste Wert] bezuglich der Korruption im offentlichen Sektor (TI 2018).

Quellen:

•FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002606.html, Zugriff 10.4.2019

•Haypress (13.7.2018): Armenien: Paschinjans Regierung holt 42 Mio. Dollar an Steuerhinterziehung zuruck, https://haypressnews.wordpress.com/2018/07/13/armenien-paschinjans-regierung-holt-42-mio-dollar-an-steuerhinterziehung-zurueck/, Zugriff 29.3.2019

•JAMnews (24.7.2018): Armenia’s fight against corruption: a JAMnews series on the first steps of the new Armenia, https://jam-news.net/armenias-fight-against-corruption-a-jamnews-series-on-the-first-steps-of-new-armenia/, Zugriff 9.11.2018

•TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/ARM, Zugriff 29.3.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 29.3.2019

8.NGOs und Menschrechtsaktvisten

Die Zivilgesellschaft ist in Armenien aktiv und weitgehend in der Lage, frei zu agieren. Das Gesetz uber offentliche Unternehmen und das Stiftungsrecht wurden kurzlich mit einer Reihe positiver Anderungen verabschiedet, darunter die Moglichkeit, direkt einkommensschaffende oder unternehmerische Aktivitaten durchzufuhren; weiters die Moglichkeit von Freiwilligenarbeit sowie die Moglichkeit fur Umweltorganisationen, die Interessen ihrer Mitglieder in Umweltfragen vor Gerichten zu vertreten. Es gibt jedoch noch eine Reihe von Herausforderungen. Zum Beispiel die gesetzlichen Bestimmungen in Bezug auf Steuerverpflichtungen im Zusammenhang mit der Erzielung von Einnahmen, das Fehlen klarer Regeln fur den Zugang zu offentlichen Mitteln sowie klarer Regelung fur die Verwendung privater Daten. Einschrankungen gibt es fur zivilgesellschaftliche Organisationen, die mit sensiblen Themen wie den Rechten von Minderheiten und einigen Gender-spezifischen Fragen arbeiten (OHCHR 16.11.2018). Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fehlen lokale Mittel und sind weitgehend auf auslandische Geber angewiesen (FH 4.2.2019).

Die Zivilgesellschaft war sehr aktiv bei den Protesten 2018, den anschliesenden Konsultationen mit der Regierung in politischen Fragen und bei der Uberwachung der Aktivitaten im Zusammenhang mit den Wahlen im Dezember 2018 (FH 4.2.2019).

Quellen:

•FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Armenia, https://www.ecoi.net/en/document/2002606.html, Zugriff 29.3.2019

•OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (16.11.2018): Statement by the United Nations Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, Clement Nyaletsossi VOULE, at the conclusion of his visit to the Republic of Armenia, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=23882&LangID=E, Zugriff 29.3.2019

9.Ombudsperson

Die vom Parlament gewahlte und als unabhangige Institution in der Verfassung verankerte „Ombudsperson fur Menschenrechte“ muss einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Burgern vollziehen (AA 7.4.2019).

Mit den im Marz 2017 in Kraft getretenen Gesetzesanderungen wurde der Zustandigkeitsbereich des Buros der Burgerbeauftragten erweitert. Es kann Gesetzesvorschlage einbringen, Rechtsvorschriften aus Menschenrechtssicht uberprufen, formliche Gutachten durchfuhren und Empfehlungen zu Rechts- und Rechtsvollzugsmangeln abgeben. Experten zufolge reichten jedoch der Grad der Ermachtigung und die Ressourcen des Buros der Ombudsperson nicht aus, um das neue Mandat des Buros umzusetzen (USDOS 20.4.2018).

Die Zivilgesellschaft hat die Arbeit des Buros der Ombudsperson wahrend der Proteste von April bis Mai 2018 allgemein als gut erachtet. Nach Angaben der Website des Menschenrechtsverteidigers arbeitete das Buro bei Protesten 24 Stunden am Tag, um den Schutz der Menschenrechte zu gewahrleisten. In der ersten Jahreshalfte 2018 meldete das Buro eine beispiellose Zahl von Burgerbeschwerden und -besuchen, die es auf ein gestiegenes Vertrauen in die Institution und neue Erwartungen der Offentlichkeit zuruckfuhrte (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

•AA - Auswartiges Amt (7.4.2019): Bericht uber die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

•USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430195.html, Zugriff 28.3.2019

•USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Armenia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004271.html, Zugriff 28.3.2019

10.Wehrdienst und Rekrutierungen

Manner armenischer Staatsangehorigkeit unterliegen vom 18. bis zum 27. Lebensjahr der allgemeinen Wehrpflicht (24 Monate). Auf Antrag besteht die Moglichkeit der Befreiung oder Zuruckstellung vom Wehrdienst sowie der Ableistung eines militarischen oder zivilen Ersatzdienstes. Bei der Zuruckstellung vom Militardienst aus sozialen Grunden (z.B. pflegebedurftige Eltern, zwei oder mehr Kinder) muss bei Wegfall der Grunde der Betreffende bis zum 27. Lebensjahr noch einrucken. Wenn die Grunde nach dem 27. Lebensjahr noch bestehen, ist eine Einruckung in Friedenszeiten nicht mehr vorgesehen. Derjenige muss sich allerdings als Reservist zur Verfugung stellen. Armenische Rekruten werden auch an der Waffenstillstandslinie um Bergkarabach eingesetzt. Mannliche Armenier ab 16 Jahren sind zur Wehrregistrierung verpflichtet. Sofern sie sich im Ausland aufhalten und sich nicht vor dem Erreichen des 16. Lebensjahres aus Armenien abgemeldet haben, mussen sie zur Musterung nach Armenien zuruckkehren; andernfalls darf ihnen kein Reisepass ausgestellt werden. Nach der Musterung kann die Ruckkehr ins Ausland erfolgen. Mit der Ende 2017 erfolgten Novellierung des Wehrpflichtgesetzes bietet das armenische Verteidigungsministerium im Rahmen des Konzepts „Armee-Nation“ zwei neue Optionen fur den Wehrdienst. Das Programm „Jawohl“ ermoglicht den Rekruten einen flexiblen Wehrdienst von insgesamt drei Jahren mit mehrmonatigen Unterbrechungen. Man wird u.a. auch an der Frontlinie eingesetzt. Im Anschluss erhalten die Rekruten ca. 9.000 Euro fur eine Existenzgrundung sowie einen Wohnungskredit. Diese Regelung ist seit Dezember 2017 in Kraft. Das Programm „Es ist mir eine Ehre“ erlaubt Hochschulstudenten das Studium abzuschliesen und erst dann als Offizier ihren Wehrdienst abzuleisten. Im Laufe des Studiums werden fur diese Studenten Pflichtveranstaltungen im Militarinstitut organisiert. Diese Regelung tritt ab Mai 2018 in Kraft (AA 7.4.2019).

Laut Informationen des Verteidigungsministeriums soll es fur Personen mit legalem Daueraufenthalt im Ausland auf Antrag Befreiungsmoglichkeiten auch im wehrpflichtigen Alter geben: Eine interministerielle Hartefall-Kommission pruft die Antrage auf Befreiung vom Wehrdienst (AA 7.4.2019).

Es besteht ein komplexes System von gesetzlichen Garantien und Schutzmechanismen sowie interne wie externe Mechanismen, damit die Rechte des Personals, inklusive der Rekruten, in den Streitkraften geschutzt werden. Auch bestehen externe und alternative Mechanismen zum Schutz der Rechte des Militarpersonals, so etwa der Rechtsschutz oder Beschwerden, die sowohl an den armenischen Ombudsmann als auch den „Public Council“ des Verteidigungsministeriums gerichtet werden konnen, welcher aus Vertretern von lokalen NGOs besteht, und sich mit Beschwerden zu Menschenrechtsverletzungen, speziell wahrend der Einberufung, auseinandersetzt (OSCE 13.4.2018).

Quellen:

•AA - Auswartiges Amt (7.4.2019): Bericht uber die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

•OSCE – Organization for Security and Co-operation in Europe (15.4.2019): Response by the Delegation of Armenia to the Questionnaire on the Code of Conduct on Politico-Military Aspects of Security, https://www.osce.org/forum-for-security-cooperation/418040?download=true, Zugriff 7.5.2019

10.1.Wehrersatzdienst

Es gibt einen Ersatzdienst fur Wehrdienstverweigerer. Im Gesetz uber den alternativen Wehrdienst vom 17.12.2003 ist sowohl ein 30-monatiger Ersatzdienst innerhalb der Streitkrafte (ohne Waffen, d.h. in der Regel hauswirtschaftliche Tatigkeiten) als auch ein 36-monatiger Ersatzdienst auserhalb der Streitkrafte vorgesehen. Die Anzahl der Wehrdienstverweigerer ist gering. Das novellierte Zivildienstgesetz vom 8.6.2013 eroffnet die Moglichkeit des Zivildienstes auch aus religioser Uberzeugung. Der Zivildienst untersteht dabei nicht mehr der Dienstaufsicht des Militars, sondern wird von einem Gremium bestehend aus je zwei Vertretern des Sozial-, Gesundheits- und Verteidigungsministeriums gestaltet und beaufsichtigt (AA 17.4.2018).

Der Europaische Ausschuss fur Soziale Rechte des Europarates (ESCR) befand Ende 2016, dass auch nach der Reduktion der Zivildienstdauer von 42 auf 36 Monate bzw. auf 30 Monate innerhalb der Armee, die Dauer im Vergleich zum Wehrdienst von 24 Monaten zu lang ist, und somit weiterhin nicht mit der Europaischen Sozialcharta konform geht (CoE-ECSR 1.2017).

Quellen:

•AA - Auswartiges Amt (17.4.2018): Bericht uber die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien

•CoE-ECSR - Council of Europe - European Committee of Social Rights (1.2017): European Committee of Social Rights Conclusions 2016; Armenia, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1486111217_cr-2016-arm-eng.pdf, Zugriff 29.3.2019

10.2.Wehrdienstverweigerung / Desertion

Wehrpflichtige, die sich der Wehrpflicht entzogen haben, mussen trotz vorhandener Strafvorschriften grundsatzlich nicht mit einer Bestrafung rechnen, wenn sie sich nach der Ruckkehr bei der zustandigen Behorde melden. Auch bereits eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Wehrdienstentzugs werden in solchen Fallen eingestellt. Manner uber 27 Jahre, die sich der Wehrpflicht entzogen haben, konnen gegen Zahlung einer Geldbuse die Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung erreichen. Durch die letzte Modifizierung des Wehrpflichtgesetzes wurde die Ausnahmeregelung uber die Einstellung des Strafverfahrens gegen Strafzahlung bei Personen, die sich im Zeitraum zwischen 1992 und 1. Dezember 2017 der Wehrpflicht entzogen haben, bis zum 31. Dezember 2019 verlangert (AA 7.4.2019).

Am 12.10.2017 entschied der Europaische Gerichtshof fur Menschenrechte (EMRK), dass Mitglieder der Zeug

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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