TE Bvwg Beschluss 2020/2/5 L527 2194251-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L527 2194251-4/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter MMag. Christian AUFREITER, LL.B. als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Pakistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Thomas Loos, Schönauerstraße 7, 4400 Steyr, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2019, Zl. XXXX :

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 09.03.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: [belangte] Behörde) mit Bescheid vom 01.03.2018, Zahl XXXX , sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abwies (Spruchpunkte I und II). Die Behörde erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, sprach die Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan aus (Spruchpunkt III) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV). Seinen Antrag auf internationalen Schutz hatte der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit begründet, dass er als Angehöriger der islamischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan näher genannte Probleme gehabt habe.

Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 10.07.2018, Zahl W242 2194251-1/4E, als verspätet zurück. Einen vom Beschwerdeführer eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 23.04.2019, Zahl W242 2194251-3/2E, im Rechtsmittelweg ab.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid, soweit aus dessen Spruch ersichtlich, erteilte die belangte Behörde keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt I), erließ gestützt auf § 10 Abs 2 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan fest (Spruchpunkt III), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (§ 55 Abs 4 FPG; Spruchpunkt IV), verhängte gemäß § 53 Abs 1 in Verbindung mit Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 16.01.2020 die gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde langte samt Akt am 29.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht (Wien) und am 30.01.2020 samt von der Behörde vorgelegtem Akt in der Außenstelle Linz, Gerichtsabteilung L527, ein. Das Bundesverwaltungsgericht setzte die belangte Behörde mit Nachricht vom 30.01.2020 davon in Kenntnis, dass die Beschwerdevorlage unvollständig sei, und forderte zur unverzüglichen Nachreichung fehlender Aktenteile auf. Der verwaltungsbehördliche Akt zum Verfahren auf internationalen Schutz fehlte zur Gänze und auch der Verwaltungsverfahrensakt zum angefochtenen Bescheid erschien unvollständig. Mit E-Mail vom 31.01.2020 übermittelte die belangte Behörde eine Word-Datei mit dem Namen „Niederschrift Zeugeneinvernahme“. Den Verwaltungsverfahrensakt zum Antrag auf internationalen Schutz legte die Behörde am 31.01.2020 physisch vor. Weitere Akten(teile) übermittelte die belangte Behörde bis zum Datum der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid vom 20.12.2019, Zahl XXXX , und erlaubte sich zugleich, den Akt zu übermitteln (OZ 1).

Die Beschwerde und dieser Akt langten am 29.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht (Wien) und am 30.01.2020 in der Außenstelle Linz, Gerichtsabteilung L527, ein. Das Bundesverwaltungsgericht setzte die belangte Behörde mit Nachricht vom 30.01.2020 davon in Kenntnis, dass die Beschwerdevorlage unvollständig sei und forderte – unter Hinweis darauf, dass es sich wegen der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung um eine Eilsache handle – zur unverzüglichen Nachreichung fehlender Aktenteile auf (OZ 2). Der verwaltungsbehördliche Akt zum Verfahren auf internationalen Schutz fehlte zur Gänze und auch der Verwaltungsverfahrensakt zum angefochtenen Bescheid erschien unvollständig. Mit E-Mail vom 31.01.2020 übermittelte die belangte Behörde eine Word-Datei mit dem Namen „Niederschrift Zeugeneinvernahme“ (OZ 3). Den Verwaltungsverfahrensakt zum Antrag auf internationalen Schutz legte die Behörde am 31.01.2020 physisch vor (OZ 4). Weitere Akten(teile) übermittelte die belangte Behörde bis zum Datum der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid, soweit aus dessen Spruch ersichtlich, erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt I), erließ gestützt auf § 10 Abs 2 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Pakistan fest (Spruchpunkt III), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (§ 55 Abs 4 FPG; Spruchpunkt IV), verhängte gemäß § 53 Abs 1 in Verbindung mit Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI).

1.3. Im Verfahren zur Erlassung des angefochtenen Bescheids hatte die belangte Behörde den Beschwerdeführer nicht einvernommen. Sie hatte ihn mit Schreiben vom 31.10.2018 und vom 10.12.2019 jeweils vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt, Parteiengehör gewährt und Fragen gestellt (AS 19 ff; AS 35 ff). Der Beschwerdeführer hatte daraufhin Stellungnahmen erstattet, in denen er allerdings die gestellten Fragen nicht bzw. nicht vollständig beantwortet hatte (AS 23 ff; AS 101 ff). Eine Ladung, die die vorgelegten Akten allerdings nicht enthalten, habe dem Beschwerdeführer am 11.11.2019 nicht zugestellt werden können (AS 29 f [Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX ]).

1.4. In der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme – Parteiengehör vom 10.12.2019 ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer am 26.01.2019 eine namentlich genannte britische Staatsbürgerin geehelicht habe, welche nicht mehr in Österreich aufhältig sei (AS 37). Dies stellte die belangte Behörde auch im angefochtenen Bescheid fest; die Ehefrau des Beschwerdeführers sei seit 30.09.2019 nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet (AS 252). Der Beschwerdeführer könne sich nun nicht mehr auf das Recht auf Freizügigkeit berufen. (AS 252)

1.4.1. Zu diesen und den anderen Feststellungen zum Privat- und Familienleben führt die belangte Behörde in der Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid lediglich aus: „Ihre rechtsfreundliche Vertretung nahm zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw. Einreiseverbotes mit Schriftsatz vom 17.12.2019 Stellung. Umstände für ein Privat- und Familienleben traten auch sonst nicht hervor.“ (AS 362; Orthografie und Grammatik im Original)

1.4.2. In seiner Stellungnahme vom 16.12.2019 hatte der Beschwerdeführer vorgebracht, mit einer namentlich genannten britischen Staatsangehörigen aufrecht verheiratet und somit begünstigter Drittstaatsangehöriger zu sein (AS 102); vgl. auch das entsprechende Vorbringen in der gegenständlichen Beschwerde (AS 414).

1.4.3. Hinreichende und unbedenkliche Beweismittel oder sonstige Ermittlungsergebnisse, die die genannten Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers tragen würden, enthalten die von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Akten nicht. So beinhalten die Akten etwa keine aktuellen Auszüge aus dem Zentralen Melderegister betreffend den Beschwerdeführer und dessen angebliche Ehefrau und keinen Nachweis der angeblichen Eheschließung. Im Verfahrensgang des angefochtenen Bescheids ist zu lesen, dass die Behörde die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen habe; die Niederschrift werde im Bescheid wiedergegeben (AS 243 ff). Der vorgelegte Akt enthält jedoch keine derartige Niederschrift. Trotz Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage der Niederschrift (OZ 2), legte die belangte Behörde bis zum Datum der vorliegenden Entscheidung keine dem Gesetz entsprechende Niederschrift (§ 14 AVG) vor. Die mit E-Mail vom 31.01.2020 übermittelte Word-Datei „Niederschrift Zeugeneinvernahme“ (OZ 3) ist weder unterschrieben noch amtssigniert (§ 14 Abs 5 AVG). Im Übrigen weist das Bundesverwaltungsgericht darauf hin, dass E-Mail keine zulässige Einbringungsform beim Bundesverwaltungsgericht ist; vgl. § 1 Abs 1 letzter Satz BVwG-EVV und mwN VwGH 26.03.2019, Ra 2019/19/0014.

1.5. Die belangte Behörde beruft sich im angefochtenen Bescheid, etwa in den Feststellungen zum Privat- und Familienleben, auf eine Niederschrift der Finanzpolizei vom 01.08.2019 (AS 251 ff). Diese angebliche Niederschrift enthalten die von der Behörde vorgelegten Akten nicht.

1.6.

1.6.1 Seinen bereits rechtskräftig abgewiesenen Antrag auf internationalen Schutz vom 09.03.2016 hatte der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit begründet, dass er als Angehöriger der islamischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan näher genannte Probleme gehabt habe (Verwaltungsverfahrensakt zum Antrag auf internationalen Schutz [VA-Schutz] AS 9, 90, 241 ff, 439; BVwG 10.07.2018, Zahl W242 2194251-1/4E, BVwG 23.04.2019, Zahl W242 2194251-3/2E). Die belangte Behörde hatte zwar festgestellt, dass der Beschwerdeführer dem religiösen Bekenntnis der Ahmadiyya angehöre, es habe aber nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer in Pakistan von staatlicher oder von privater Seite asylrelevante Verfolgung drohe (VA-Schutz AS 254).

1.6.2. Im gegenständlichen Verwaltungsverfahren brachte der Beschwerdeführer mehrfach und unter Vorlage von Unterlagen zur Situation im Herkunftsstaat vor, dass sich die Lage für Angehörige der islamischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan massiv verschlechtert habe. Als Ahmadi wäre der Beschwerdeführer Folter oder unmenschlichen Handlungen ausgesetzt (AS 24 f, 102 ff).

1.6.3. Unter „C) Feststellungen“ „Zu Ihrem Aufenthalt in Österreich:“ führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid u. a. aus:

„Sofern die rechtsfreundliche Vertretung in der Stellungnahme vom 17.12.2019 ausführt im Fall des XXXX [Anmerkung: Beschwerdeführers] wäre die Aufenthaltsbeendigung unzulässig, da ihm im Heimatlande politische Verfolgung im Sinne der GFK drohe und sich seit der negativen Asylentscheidung vom 11.04.2018 die Situation der Ahmida deutlich verschlechtert hätte, sodass eine neuerliche Beurteilung der Verfolgungssituation erforderlich sei, kann dem nicht in der Form entsprochen werden, dass in Österreich ein weiteres Asylverfahren geführt wird.

Für die Asylantragstellung im Inland ist der Nachweis zu erbringen, dass der Fremde tatsächlich im Inland aufhältig ist.

Gem. § 3 AsylG 2005 (1) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Der Aufenthalt Ihrer Person in Österreich ist nicht nachweisbar – hier darf auf den Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 04.12.2019 und Bericht der PI XXXX vom XXXX hingewiesen werden.“ (AS 252; Orthografie und Grammatik im Original)

Die Beweiswürdigung zu den Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich besteht allein aus folgendem Satz:

„Die Feststellungen zu Ihrem Aufenthalt resultieren aus dem Akteninhalt und Anfragen aus dem BMI-Webanwendungen (Anfrageplattform für Strafregister (SA), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), Zentrales Melderegister (ZMR), Sozialversicherungsanfrage und andere),“ (AS 361; Orthografie und Grammatik im Original)

Derartige (aktuelle) Auszüge enthält der Verwaltungsakt zum angefochtenen Bescheid nicht.

In der rechtlichen Beurteilung führt die belangte Behörde zu Spruchpunkt III, womit sie die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan für zulässig befand, abseits der Wiedergabe von Gesetzestext (§ 52 Abs 9, § 46 Abs 1, § 50 FPG) aus:

„Weder aus den Feststellungen zur Lage im Zielstaat noch aus Ihrem Vorbringen ergibt sich eine derartige Gefährdung [Anmerkung: Gefährdung im Sinne des § 50 Abs 1 FPG]:

Gem. § 50 Abs. 2 FPG ist eine Abschiebung auch dann unzulässig, wenn dem Fremden die Flüchtlingseigenschaft zukommen sollte. Sie haben keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, und derartige Gründe sind auch nicht ersichtlich.

Gem. § 50 Abs. 3 FPG ist eine Abschiebung schließlich unzulässig, wenn die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ihr entgegenstehe. Eine solche vorläufige Maßnahme wurde in Ihrem Fall nicht empfohlen.

Es ist somit auszusprechen, dass im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen Ihre Abschiebung nach Mazedonien zulässig ist.“ (AS 369; Orthografie und Grammatik im Original, Hervorhebung durch das Bundesverwaltungsgericht)

1.7. Das Einreiseverbot begründet die belangte Behörde unter anderem mit der angeblichen Mittelosigkeit des Beschwerdeführers (§ 53 Abs 2 Z 6 FPG; AS 241, 371 f). Dass der Beschwerdeführer mittellos wäre, hat die Behörde unter „C) Feststellungen“ nicht festgestellt (AS 251 ff). Selbst wenn man Teile der rechtlichen Beurteilung insofern als dislozierte Feststellungen betrachten mag (AS 371), fehlt es dafür an hinreichenden und unbedenklichen Beweismitteln bzw. sonstigen Ermittlungsergebnissen; vgl. bereits die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts unter 1.4.3. „Einvernahmen“ (AS 372; Plural!) und „zeugenschaftlich[e] Einvernahmen“ (AS 372; Plural!), wie sie im Bescheid erwähnt werden, bzw. entsprechende Niederschriften enthält der verwaltungsbehördliche Akt zum angefochtenen Bescheid nicht.

1.8. Im Widerspruch zu Spruchpunkt IV des Bescheids, wonach gemäß § 55 Abs 5 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt werde (AS 241), ist der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer ab der Rechtskraft „dieser“ Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise binnen 14 Tagen verpflichtet sei. Die Rückkehrentscheidung werde nach ungenütztem Ablauf der Beschwerdefrist oder – im Falle der rechtzeitigen Einbringung einer Beschwerde – mit Zustellung eines abweisenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig. (AS 369)

1.9. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheids) stützt die belangte Behörde auf § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG und führt dazu nach der Wiedergabe des Gesetzestextes in der rechtlichen Beurteilung aus:

„Wie oben ausgeführt, liegt Ziffer 1 in Ihrem Fall vor.

Wie bereits in Spruchpunkt IV ausführlich erörtert, rechtfertigt die Missachtung der Ausreiseverpflichtung die Annahme, dass sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellen.“ (AS 375; Orthografie und Grammatik im Original)

Auf Grundlage welcher Ermittlungen und Ermittlungsergebnisse sowie Erwägungen die Behörde zu der Auffassung gelangte, dass die Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen habe, ist weder dem Bescheid noch dem übrigen von der Behörde vorgelegten Akt zu entnehmen.

1.10. Das Bundesverwaltungsgericht musste bereits mehrmals feststellen, dass die belangte Behörde notwendige und bisweilen aufwendige Ermittlungen unterlassen hat. Dies betrifft z. B. die Einvernahme von Personen als Zeugen in verschiedenen Konstellationen und auch (sonstige) Ermittlungen dazu, ob es sich bei einem Fremden um einen Drittstaatsangehörigen oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen handelt. Angesichts dessen liegt der Schluss nahe, dass die belangte Behörde – grundsätzlich gebotene – Ermittlungsmaßnahmen mit der Intention unterlässt, dass sie das Bundesverwaltungsgericht vornimmt.

1.11. Das Bundesverwaltungsgericht kann die notwendigen Ermittlungen keinesfalls rascher durchführen und auch den Sachverhalt keinesfalls rascher feststellen als die belangte Behörde. Es wäre keineswegs mit einer Kostenersparnis – und erst recht nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, würde das Bundesverwaltungsgericht statt der belangten Behörde die erforderliche Ermittlungstätigkeit und Sachverhaltsfeststellung vornehmen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen unter 1.1. bis 1.9. waren auf Grundlage der von der belangten Behörde vorgelegten Akten (siehe 1.1.) sowie der Akten des Bundesverwaltungsgerichts zu den Zahlen 2194251-1, 2194251-3, 2194251-4 zu treffen. Die jeweiligen Aktenbestandteile sind bei den Feststellungen, soweit möglich, unter Nennung der Schriftstücke, Aktenseiten (AS) oder Ordnungszahlen (OZ) angegeben.

Da die belangte Behörde zusätzlich zu dem mit der Beschwerde vorgelegten Verwaltungsakt und – nach Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht zur Nachreichung (OZ 2) – zu dem am 31.01.2020 nachgereichten Akt zum Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz und zu der mit E-Mail übermittelten Word-Datei einer Niederschrift, die weder unterschrieben noch amtssigniert ist (OZ 3), keine weiteren Akten(bestandteile) vorlegte, hatte das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage der genannten Akten zu entscheiden, zumal wegen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung im Lichte des § 18 BFA-VG eine rasche Entscheidung geboten erschien.

Damit ist der Sachverhalt insofern aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen.

2.2. Die Feststellung, dass die belangte Behörde notwendige und bisweilen aufwendige Ermittlungen unterlässt, war im Lichte zahlreicher Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu treffen. Exemplarisch wird verwiesen auf: BVwG 01.03.2018, L512 1430869-2; BVwG 15.02.2018, L509 2181399-1; BVwG 13.02.2015, L516 2013126-1; BVwG 25.05.2016, L521 2123001-1; BVwG 04.07.2016, L521 2127194-1; BVwG 06.12.2016, L521 2138871-1; BVwG 06.02.2017, L521 2136593-1 sowie BVwG 09.10.2017, L521 1415020-3. Im Besonderen ist auf die Entscheidungen BVwG 28.02.2019, L527 2214832-1/6E, und BVwG 22.12.2017, I413 1252001-3, hinzuweisen. In dem diesen Entscheidungen jeweils vorangegangenen Verwaltungsverfahren hatte die belangte Behörde in Bezug auf die Frage, ob es sich bei einem Fremden um einen Drittstaatsangehörigen oder um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen handelt, völlig unzureichend ermittelt.

Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts erscheint daher der Schluss berechtigt, dass – etwa im Hinblick auf die Frage, ob ein Fremder Drittstaatsangehöriger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ist – grundsätzlich gebotene Ermittlungsschritte von der belangten Behörde regelmäßig mit der Intention unterlassen werden, dass diese durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden.

In Anbetracht der Tatsache, dass dem gegenständlichen verwaltungsbehördlichen Akt in mehrfacher Hinsicht hinreichende und unbedenkliche Beweismittel bzw. sonstige Ermittlungsergebnisse sowie Erwägungen zu entscheidungserheblichen Tatsachen bzw. Vorgängen nicht zu entnehmen sind und dass zwischen dem Spruch des Bescheids und der Begründung bisweilen erhebliche Diskrepanzen bestehen, liegt zudem der Schluss nahe, dass die belangte Behörde im konkreten Fall – grundsätzlich gebotene – Ermittlungsmaßnahmen wie auch ein ordnungsgemäßes Verfahren und eine solche Entscheidungsbegründung überhaupt mit der Intention unterlassen hat, dass sie das Bundesverwaltungsgericht vornimmt.

2.3. Schon aus der Tatsache, dass das vom Bundesverwaltungsgericht zu führende Verfahren ein Mehrparteienverfahren ist (vgl. § 18 VwGVG), folgt eindeutig, dass das Bundesverwaltungsgericht die notwendigen Ermittlungen keinesfalls rascher durchführen und auch den Sachverhalt keinesfalls rascher feststellen könnte als die belangte Behörde. Auch die Feststellung, dass es keineswegs mit einer Kostenersparnis – und erst recht nicht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, würde das Bundesverwaltungsgericht statt der belangten Behörde die erforderliche Ermittlungstätigkeit und Sachverhaltsfeststellung vornehmen, ergibt sich daraus. Dass die belangte Behörde – im Unterschied zum Bundesverwaltungsgericht – eine Spezialbehörde für das Fremdenwesen und Asyl (vgl. das BFA-G) ist, mag zwar für sich allein nicht begründen, dass die Voraussetzung des § 28 Abs 2 Z 2 VwGVG nicht erfüllt sei, kann jedoch als einer von mehreren Faktoren durchaus Berücksichtigung finden; vgl. VwGH 26.04.2016, VwGH Ro 2015/03/0038.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl:

3.1.

3.1.1. Fremder iSd FPG ist, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt (§ 2 Abs 4 Z 1 FPG). Unter den Fremden ist u. a. zwischen Drittstaatsangehörigen und begünstigten Drittstaatsangehörigen zu differenzieren: Drittstaatsangehöriger ist ein Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist (§ 2 Abs 4 Z 10 FPG). Begünstigter Drittstaatsangehöriger ist hingegen der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht (§ 2 Abs 4 Z 11 FPG).

Zur rechtlichen Qualifikation von Fremden als begünstigte Drittstaatangehörige gibt es zahlreiche Entscheidungen, etwa das Verfassungsgerichtshofs, das Verwaltungsgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs. Vor dem Hintergrund des gegenständlichen Falls weist das Bundesverwaltungsgericht im Besonderen auf Folgendes hin:

Der Wortlaut des § 2 Abs 4 Z 11 FPG verdient insofern besondere Beachtung, als es danach dezidiert darauf ankommt, dass im Gesetz genannte Personen ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben. Daraus ist in Anlehnung an die Judikatur zum NAG zu schließen, dass es in bestimmten Konstellationen ausreicht, dass in der Vergangenheit ein Sachverhalt erfüllt worden ist, der als Inanspruchnahme der unionsrechtlichen Freizügigkeit gemäß Art 21 und 45 ff AEUV anzusehen ist. Vgl. VwGH 29.09.2011, 2009/21/0386, mit Verweis auf VfGH 16.12.2009, G 244/09, und die dort vom Verfassungsgerichtshof gebrauchte vergangenheitsbezogene Formulierung (arg: „ausübt oder ausgeübt hat“) sowie auf EuGH 01.04.2008, Rs C-212/06.

Ferner ist zu berücksichtigten, dass Ehegatten von EWR-Bürgern, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, selbst dann die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG zukommt, wenn die Ehe als Aufenthaltsehe zu qualifizieren ist, und zwar jedenfalls solange keine rechtkräftige Feststellung im Sinne des § 54 Abs 7 NAG vorliegt. Vgl. mwN VwGH 25.09.2017, Ra 2017/20/0293.

In seinem Urteil vom 08.11.2012, C-40/11, Rz 64, sprach der Europäische Gerichtshof unter Verweis auf seine Entscheidung vom 11.12.2007, C?291/05, aus, dass das einem Drittstaatsangehörigen nach der Richtlinie 2004/38 („Freizügigkeitsrichtlinie“) zustehende Recht, bei einem Unionsbürger, dessen Familienangehöriger er ist und der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, Wohnung zu nehmen, nur im Aufnahmemitgliedstaat in Anspruch genommen werden kann, in dem dieser Bürger wohnt.

In seinem Urteil vom 10.09.2019, C94-18, entschied der Europäische Gerichtshof zwar, dass, wenn ein Unionsbürger in den Mitgliedstaat zurückgekehrt ist, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und daher im Aufnahmemitgliedstaat von der ihm durch das Unionsrecht gewährten Freizügigkeit keinen Gebrauch mehr macht, der mit diesem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige kein Berechtigter im Sinne der Richtlinie 2004/38 (Art 3 Abs 1) mehr ist, wenn er im Aufnahmemitgliedstaat bleibt. Dies bedeutet aber, wie der Europäische Gerichtshof weiter ausführte, nicht in allen Konstellationen, dass die Richtlinie 2004/38 nicht mehr auf den Erlass einer Entscheidung des Aufnahmemitgliedstaats anwendbar sei, mit der die Ausweisung des Drittstaatsangehörigen verfügt wird. Art 15 der Richtlinie 2004/38 regelt den Fall, dass ein aufgrund der Richtlinie bestehendes Recht zum vorübergehenden Aufenthalt endet, insbesondere, wenn ein Unionsbürger oder ein Angehöriger seiner Familie, dem in der Vergangenheit ein Recht auf Aufenthalt von bis zu drei Monaten oder mehr als drei Monate zustand, die Voraussetzungen dafür nicht mehr erfüllt und daher vom Aufnahmemitgliedstaat grundsätzlich ausgewiesen werden darf. Vgl. generell näher zur unionsrechtlichen Rechtslage und der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs Obwexer, Die Unionsbürgerschaft als revolutionäres Konzept, ZÖR 2019, 955 ff (insbesondere 960 ff, 976 ff).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen Fremde sind im 8. Hauptstück des FPG geregelt. Dabei unterscheidet der Gesetzgeber zwischen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige (1. Abschnitt) und aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige (4. Abschnitt). Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach ausgesprochen, dass gegen begünstigte Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG nicht erlassen werden kann. Vielmehr sind die Bestimmungen des 4. Abschnitts des 8. Hauptstücks des FPG, die in § 66 und § 67 aufenthaltsbeendende Maßnahmen (unter anderem) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige regeln, nämlich Ausweisung und Aufenthaltsverbot, einschlägig. Vgl. etwa mwN VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0115.

Die Erlassung eines Einreiseverbots ist im 1. Abschnitt des 8. Hauptstücks des FPG geregelt; mit einer Rückkehrentscheidung kann die Behörde gemäß § 53 Abs 1 FPG ein Einreiseverbot erlassen. Folglich kann gegen begünstigte Drittstaatsangehörige kein Einreiseverbot erlassen werden; vgl. auch dazu VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0115.

Bei einem begünstigten Drittstaatsangehörigen kommt ferner die amtswegige Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht in Betracht, weil die genannte Bestimmung des 7. Hauptstücks gemäß § 54 Abs 5 AsylG 2005 nicht für diese Personengruppe gilt. Vgl. erneut VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0115.

3.1.2. Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unter bestimmten Voraussetzungen unzulässig: Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 EMRK oder das 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestünde eine innerstaatliche Fluchtalternative. Schließlich ist die Abschiebung nach § 50 Abs 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs kenne das FPG einen eigenständigen Antrag eines Fremden, der darauf gerichtet ist, festzustellen, dass eine Abschiebung in seinen Herkunftsstaat gemäß § 50 FPG unzulässig sei, nicht. Auch dem AsylG 2005 sei ein solcher Antrag fremd. Stellt ein Fremder dennoch einen derartigen Antrag, so gilt er gemäß § 51 Abs 2 FPG als Antrag auf internationalen Schutz und es ist gemäß den Bestimmungen des AsylG 2005 vorzugehen. Vgl. VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157.

Wird in einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz im Zusammenhang mit einer Rückkehrentscheidung eine amtswegige Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG getroffen, so ist diese Feststellung, soweit sie sich auf den Herkunftsstaat bezieht, (wegen der inhaltlichen Übereinstimmung des Prüfungsmaßstabs) nur die Konsequenz der Nichtgewährung von Asyl und von subsidiärem Schutz. In dieser Konstellation kommt ihr demnach nur die Funktion zu, den Zielstaat der Abschiebung festzulegen. In derartigen Konstellationen ist ein inhaltliches „Auseinanderfallen“ insbesondere der Entscheidungen nach § 8 AsylG 2005 einerseits und § 52 Abs 9 FPG andererseits, zumindest auf Basis des nationalen Rechts, ausgeschlossen. Vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234.

Wurde ein Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig abgewiesen, kann hingegen in einer nachfolgenden Entscheidung – jedenfalls bei geänderten Verhältnissen – durchaus eine Neubeurteilung im Rahmen der Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG über die Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat in Betracht kommen, wie im Umkehrschluss aus VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, folgt.

Überdies hat der Verwaltungsgerichtshof bereits dezidiert ausgesprochen: Entschließt sich ein Fremder – aus welchen Gründen auch immer – dazu, keinen Antrag auf internationalen Schutz einzubringen, kann damit noch nicht unterstellt werden, er halte sein Vorbringen hinsichtlich der Unzulässigkeit seiner Abschiebung nicht mehr weiter aufrecht, sodass es nunmehr schon deshalb in Bezug auf die nach § 52 Abs 9 FPG zu treffende Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat unbeachtlich sei. Es darf aber in schlüssiger Weise auch nicht davon ausgegangen werden, wegen der Ablehnung der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz sei ohne Weiteres die Unglaubhaftigkeit der vom Fremden vorgebrachten Verfolgungsgefahr in seiner Heimat zu unterstellen. Das Verwaltungsgericht bzw. die Behörde hat sich mit einem vom Fremden ausreichend konkret erhobenen Einwand, seine Abschiebung sei im Grunde des Art 3 MRK unzulässig, inhaltlich näher auseinanderzusetzen. Eine „positive“ Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung darf nämlich (so lange) nicht getroffen werden, als dieser Feststellung – sei es aufgrund von entsprechend substantiiertem Vorbringen des Fremden oder aufgrund notorischer Umstände – konkrete Anhaltspunkte, dass die Abschiebung gemäß § 50 FPG, insbesondere wegen Verstoßes gegen Art 3 MRK, unzulässig sein könnte, entgegenstehen. Bei Zutreffen dieser Bedenken müsste dann aber nicht nur die Feststellung nach § 52 Abs 9 FPG, sondern – so es, keinen vom Herkunftsstaat verschiedenen Drittstaat gibt, der faktisch und rechtlich als Zielland einer Abschiebung in Betracht käme – auch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt dem gemäß § 53 Abs 1 FPG darauf aufbauenden Einreiseverbot unterbleiben. Vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234.

3.1.3. Gemäß § 18 Abs 2 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist (Z 1) oder der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist (Z 2) oder Fluchtgefahr besteht (Z 3).

Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass es zur Begründung einer Notwendigkeit der sofortigen Ausreise eines Fremden nicht genügt, dafür auf eine – die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende – Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort – ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens – zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren. Die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise als gesetzliche Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung betreffend die Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung erfordert also das Vorliegen besonderer Umstände, die mit den Voraussetzungen für die Aufenthaltsbeendigung als solche nicht gleichzusetzen sind. Vgl. mwN VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0053, sowie zum Kriterium der Notwendigkeit einer sofortigen Ausreise nach § 52 Abs 6 FPG VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007.

3.2. § 37 iVm § 39 Abs 2 AVG verpflichtet die Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen. Näher dazu und unter Verweis auf zahlreiche Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Hengstschläger/Leeb, AVG § 39 Rz 7, 19 ff (Stand 1.7.2005, rdb.at).

Gemäß § 58 Abs 2 AVG sind Bescheide grundsätzlich zu begründen. In der Begründung sind die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (§ 60 AVG; vgl. mit Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs Hengstschläger/Leeb, AVG § 60 Rz 18 f (Stand 1.7.2005, rdb.at)).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 58 und § 60 AVG hat ein ordnungsgemäß begründeter Bescheid aus drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elementen zu bestehen, nämlich erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei über die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. z. B. VwGH 04.09.2013, 2013/08/0113, 15.09.2016, Ra 2016/02/0135, 22.03.2019, Ra 2017/04/0135).

Auch die Verfassung enthält Vorgaben zum behördlichen Ermittlungsverfahren. So liegt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ein willkürliches Verhalten, das in die Verfassungssphäre eingreift, etwa im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes; vgl. VfGH 20.02.2015, E 1278/2014 mwN.

3.3. Den Anforderungen an ein vollständiges und mangelfreies Ermittlungsverfahren ist die belangte Behörde im gegenständlichen Fall in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht geworden. Das von der Behörde geführte (Ermittlungs)verfahren ist grob mangelhaft; die Behörde hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht (hinreichend) ermittelt. Die Behörde hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt (folglich) auch nicht vollständig und nachvollziehbar festgestellt. Schließlich verstößt auch die „Begründung“ des angefochtenen Bescheids gravierend gegen die rechtlichen Vorgaben.

Bevor das Bundesverwaltungsgericht auf einzelne Aspekte der unzureichenden Sachverhaltsermittlung, -feststellung und Begründung näher eingehen wird, weist es darauf hin, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer im Verfahren zur Erlassung des angefochtenen Bescheids nicht einvernommen hat. Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht, dass dem Beschwerdeführer laut Bericht der Landespolizeidirektion XXXX am 11.11.2019 eine Ladung, die die Verwaltungsakten allerdings nicht enthalten, nicht zugestellt werden habe können (AS 29). Ebenso nimmt das Bundesverwaltungsgericht darauf Bedacht, dass der Rechtvertreter, mit dem Bericht konfrontiert, am 04.12.2019 mitteilte, er könne keine andere Anschrift bekanntgeben (AS 33). Es ist aber auch nicht außer Acht zu lassen, dass die erste Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme bzw. Gewährung von Parteiengehör vom 31.10.2018 (!) datiert und die Behörde nach Aktenlage geraume Zeit keinen Versuch unternahm, den Beschwerdeführer einzuvernehmen, nachdem dieser mit Eingabe vom 16.11.2018 vorgebracht hatte, dass ihn als Ahmadi eine Abschiebung nach Pakistan an Leib und Leben gefährden würde (AS 24).

3.3.1. Die Behörde hat, wie festgestellt, mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochen, dass dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen sei, und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot erlassen. Dieses Vorgehen kann – ungeachtet der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen – jedenfalls nur dann rechtmäßig sein, wenn es sich beim Beschwerdeführer um einen Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG – und nicht um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG – handelt.

Wie das Bundesverwaltungsgericht unter 1.4. festgestellt hat, enthalten die von der belangten Behörde vorgelegten Akten keine hinreichenden und unbedenklichen Beweismittel oder sonstige Ermittlungsergebnisse, die näher genannte Feststellungen im Bescheid zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers tragen würden. Die betrifft insbesondere die Feststellungen zur Ehe des Beschwerdeführers, zu seiner Ehefrau, zum Aufenthalt der beiden im Bundesgebiet sowie die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer nun nicht mehr auf das Recht auf Freizügigkeit berufen könne. Ob sich der Beschwerdeführer auf das „Recht auf Freizügigkeit“ berufen kann oder nicht, wird – ungeachtet der Frage, was die Behörde unter diesem Recht versteht, im Übrigen Gegenstand einer rechtlichen Beurteilung bzw. Ergebnis einer rechtlichen Subsumtion sein, als es als Sachverhaltselement zu betrachten sein kann. Wenngleich die belangte Behörde, indem sie über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 abspricht und eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot erlässt, davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG sei, fehlt diesbezüglich sowohl eine nachvollziehbare Sachverhaltsfeststellung als auch eine rechtliche Subsumtion. Gerade in einem Fall wie dem gegenständlichen, in dem die Eigenschaft als Drittstaatsangehöriger keineswegs außer Frage steht (vgl. etwa das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 16.12.2019, AS 102), bedarf in dieser Hinsicht konkreter, nachvollziehbarer Sachverhaltsermittlungen, Feststellungen, einer entsprechenden Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung. In Anbetracht des Inhalts der von der belangten Behörde vorgelegten Akten ist nicht davon auszugehen, dass die Behörde den entscheidungsrelevanten Sachverhalt dergestalt ermittelt hätte, dass die Ermittlungsergebnisse im Lichte der unter 3.1.1. dargestellten Rechtslage und Judikatur eine adäquate und vollständige rechtliche Beurteilung erlauben würden. Trotz Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht zur Vorlage der Niederschrift (OZ 2) (!), legte die belangte Behörde bis zum Datum der vorliegenden Entscheidung keine dem Gesetz entsprechende Niederschrift (§ 14 AVG) über die angebliche zeugenschaftliche Einvernahme der angeblichen Ehefrau des Beschwerdeführers vor (vgl. insbesondere 1.4.3.). Insofern ist auf Grundlage der von der belangten Behörde vorgelegten Akten, von denen das Bundesverwaltungsgericht auszugehen hat, auch nicht zu erkennen, dass die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt hätte. Dass die Behörde nach dem Akteninhalt, den das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde legen muss, nicht einmal versucht hat, an eine Heiratsurkunde des Beschwerdeführers zu gelangen, und auch keine ZMR-Anfragen in Bezug auf den Beschwerdeführer und seine angebliche Ehefrau durchgeführt hat, lässt nur den Schluss zu, dass die Behörde den relevanten Sachverhalt nicht einmal ansatzweise ermittelt hat.

3.3.2. Wie das Bundesverwaltungsgericht unter 1.6.2. festgestellt hat, brachte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verwaltungsverfahren mehrfach und unter Vorlage von Unterlagen zur Situation im Herkunftsstaat vor, dass sich die Lage für Angehörige der islamischen Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya in Pakistan massiv verschlechtert habe. Als Ahmadi wäre der Beschwerdeführer Folter oder unmenschlichen Handlungen ausgesetzt (AS 24 f, 102 ff). Abgesehen davon, dass die belangte Behörde das Länderinformationsblatt für Pakistan der Staatendokumentation für Pakistan, Gesamtaktualisierung am 16.05.2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 09.08.2019, in das Verfahren eingebracht, dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme übermittelt und in den angefochtenen Bescheid – sichtlich wahllos – eingefügt hat, hat die belangte Behörde den zur Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung relevanten Sachverhalt nicht (weiter) ermittelt und sich auch ansonsten mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dass und weshalb seine Abschiebung unzulässig sei (arg.: „Zusammengefasst erweist sich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme als unzulässig.“ [AS 103]) nicht auseinandergesetzt. Dass die Behörde die Länderinformationen wahllos in den angefochtenen Bescheid eingefügt hat, was wiederum darauf hinweist, dass sie es verabsäumt hat, sich auf Ebene des Ermittlungsverfahrens und der Begründung des Bescheids mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers ordnungsgemäß zu befassen, ist deshalb anzunehmen, weil sich u. a. Länderinformationen/-feststellungen zu Frauen in Pakistan im angefochtenen Bescheid finden (AS 331 ff) und nicht im Geringsten zu erkennen ist, dass diesen Länderinformationen/-feststellungen gegenständlich Entscheidungsrelevanz zukommt.

In Anbetracht des unter 1.6. vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Bescheidinhalts erscheint nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde die unter 3.1.2. dargestellte Rechtslage (vgl. insbesondere nochmals VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234) verkannte und deshalb die notwendigen Ermittlungen zur Feststellung des zur Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung relevanten Sachverhalts unterlassen hat. An der rechtlichen Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht kann dies freilich nichts ändern.

Wenngleich es das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich keinesfalls überbewertet und es für sich genommen auch nicht rechtfertigen mag, einer Beschwerde stattzugeben, wenn in einer Entscheidung – offenkundig – irrtümlich – an einer einzelnen Stelle ein Staat als Herkunftsstaat angegeben ist, der tatsächlich nicht der Herkunftsstaat des Fremden ist, deutet der Umstand, dass die belangte Behörde sich in der rechtlichen Beurteilung zur Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Mazedonien äußerte (AS 369), im gegebenen Gesamtzusammenhang (!) abermals nicht auf ein rechtskonformes Verwaltungsverfahren hin.

Das Bundesverwaltungsgericht weist schließlich noch einmal auf VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234, hin, woraus konkret für den vorliegenden Fall (auch) abzuleiten ist: Selbst für den Fall, dass sich die von der Behörde (zumindest implizit) vertretene Rechtsansicht, der Beschwerdeführer sei Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG, als zutreffend erweisen sollte und daher allfällige aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer tatsächlich nach dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstücks des FPG zu verhängen wären, müssten die Aufhebung und Zurückverweisung im Sinne des § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG wegen der mangelhaften Ermittlung des für die Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung maßgeblichen Sachverhalts auf das rechtliche Schicksal von Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot durchschlagen. Anders formuliert: Die Aufhebung und Zurückverweisung in Bezug auf Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheids müssten auch zur Aufhebung und Zurückverweisung jedenfalls hinsichtlich der Spruchpunkte II und V des Bescheids führen.

3.3.3. Auf Grundlage welcher Ermittlungen und Ermittlungsergebnisse sowie Erwägungen die Behörde zu der Auffassung gelangte, dass die Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen habe, ist, wie das Bundesverwaltungsgericht unter 1.9. festgestellt hat, weder dem Bescheid noch dem übrigen von der Behörde vorgelegten Akt zu entnehmen.

Wie unter 3.1.3. dargelegt, erfordert die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise als gesetzliche Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung betreffend die Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG allerdings das Vorliegen besonderer Umstände. Indem die belangte Behörde gestützt auf § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannte, ohne dass sie besondere Umstände, die die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise begründen könnten, ermittelt oder das Vorliegen derartiger Umstände ansonsten dargetan hätte, hat sie den entscheidungswesentlichen Sachverhalt abermals nicht ermittelt bzw., sollte die Behörde davon ausgegangen sein, derartige Umstände seien nicht entscheidungserheblich, die Rechtslage verkannt. In jedem Fall erweist sich der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG gegenständlich als rechtswidrig.

3.3.4. Wenngleich die nachfolgend genannten Mängel ein Vorgehen nach § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG (für sich genommen) womöglich nicht rechtfertigen können, verstärken diese Mängel den Eindruck, dass die belangte Behörde gegenständlich kein ordnungsgemäßes Verfahren geführt und den angefochtenen Bescheid auch nicht rechtskonform begründet hat:

Wie unter 1.7. vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt, fehlen unbedenkliche Beweismittel und sonstige Ermittlungsergebnisse, auf Grundlage derer sich die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers feststellen ließe.

Aus den Feststellungen unter 1.8. folgt, dass der angefochtene Bescheid im Ergebnis keine Begründung in Bezug auf seinen Spruchpunkt IV (Ausreisefrist) enthält, da die im Bescheid angeführte Begründung mit dem Spruchinhalt in Widerspruch steht.

3.4.

3.4.1. Gemäß § 28 VwGVG hat das Verwaltungsgericht in der Regel durch Erkenntnis in der Sache selbst zu entscheiden. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs 2 VwGVG nicht vor, ist das Verwaltungsgericht nach § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG berechtigt, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen, wenn diese notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Zulässig ist eine Zurückverweisung insbesondere bei „krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken“ (mit Verweis auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 28 VwGVG Rz 118 (Stand 15.2.2017, rdb.at)). Ausdrücklich für zulässig befunden hat der Verwaltungsgerichtshof ein Vorgehen nach § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG unter anderem, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat; vgl. VwGH 14.12.2015, Ra 2015/09/0057. Eine Zurückverweisung der Angelegenheit ist jedenfalls auch gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen mit der Intention unterlassen hat, dass sie in der Folge das Verwaltungsgericht durchführt; mit Verweis auf zahlreiche Judikate des VwGH Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 28 VwGVG Rz 118 (Stand 15.2.2017, rdb.at).

3.4.2. Die Voraussetzungen für die Aufhebung des angefochtenen Bescheids mit Beschluss und die Zurückverweisung der Angelegenheit sind erfüllt:

Wie unter 3.3. ausführlich dargelegt, hat die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht in mehrfacher Hinsicht in gravierender Weise verletzt: Zur zentralen tatbestandlichen Voraussetzung für die Erlassung des angefochtenen Bescheids – ob es sich beim Beschwerdeführer um einen Drittstaatsangehörigen oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen handelt – liegen keine hinreichenden und unbedenklichen Beweismittel oder sonstige Ermittlungsergebnisse vor. Womöglich in Verkennung der Rechtslage hat es die belangte Behörde ebenfalls unterlassen, den zur Beurteilung der Zulässigkeit der Abschiebung entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu ermitteln. Dabei ist besonders auffällig, dass die Behörde das nicht von Vornherein gänzlich unsubstantiiert erscheinende Vorbringen des Beschwerdeführers, dass und weshalb eine aufenthaltsbeendende Maßnahme unzulässig sei, (weitgehend) ignorierte. In diesem Zusammenhang weist das Bundesverwaltungsgericht auf folgende nicht nachvollziehbare Passage im angefochtenen Bescheid hin: „Weder aus den Feststellungen zur Lage im Zielstaat noch aus Ihrem Vorbringen ergibt sich eine derartige Gefährdung [Anmerkung: Gefährdung im Sinne des § 50 Abs 1 FPG]:“ (AS 369; Hervorhebung durch das Bundesverwaltungsgericht). Schließlich hat die Behörde auch nicht ermittelt bzw. dargetan, dass besondere Umstände vorliegen würden, die gegenständlich die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG rechtfertigen würden.

Dass auch die übrigen Voraussetzungen für die Aufhebung des angefochtenen Bescheids mit Beschluss und die Zurückverweisung der Angelegenheit vorliegen, folgt unzweifelhaft aus den Feststellungen unter 1.10. und 1.11.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG zur Gänze aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3.5. Die belangte Behörde hat im fortgesetzten Verfahren ein dem Gesetz entsprechendes Ermittlungsverfahren zu führen und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt vollständig zu ermitteln, dazu zählt insbesondere:

Die Behörde muss jedenfalls alle Sachverhaltselemente ermitteln, die – insbesondere im Lichte der unter 3.1.1. dargestellten Rechtslage – erforderlich sind, um zu beurteilen, ob es sich beim Beschwerdeführer um einen Drittstaatsangehörigen oder einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd FPG handelt. Als geeignete Ermittlungsschritte können z. B. in Betracht kommen: ZMR-Abfragen, Einholung von Urkunden und Dokumenten (z. B. Heiratsurkunde), Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner (angeblichen) Ehefrau, wobei allfällige Einvernahmen ordnungsgemäß in dem Gesetz (vgl. insbesondere § 14 AVG) entsprechenden Niederschriften festzuhalten sein werden.

Nach vollständiger und ordnungsgemäßer Ermittlung des insoweit entscheidungsrelevanten Sachverhalts, einer schlüssigen Beweiswürdigung und der Feststellung des Sachverhalts hat die belangte Behörde zu subsumieren, ob es sich beim Beschwerdeführer um einen Drittstaatsangehörigen oder um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen handelt. Dabei wird die Behörde jedenfalls auf die unter 3.1.1. zitierte Rechtsprechung Bedacht nehmen müssen. Daran anknüpfend hat sie entweder zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige vorliegen, oder zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen begünstigte Drittstaatsangehörige vorliegen. Dieser Prüfung muss freilich wieder die ordnungsgemäße und vollständige Ermittlung des insofern entscheidungsrelevanten Sachverhalts vorangehen. Exemplarisch sei dazu ausgeführt:

Vor einer allfälligen Erlassung einer Rückkehrentscheidung hätte die Behörde z. B. umfassend das Privat- und Familienleben zu erheben und eine dem Gesetz entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Art 8 EMRK und § 9 BFA-VG). Für den Fall der Verhängung eines Einreiseverbots hätte die Behörde eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen zu beurteilen und zu berücksichtigen ist.

Sollte sich im fortgesetzten verwaltungsbehördlichen Verfahren ergeben, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers zu prüfen ist (§ 52 Abs 9 FPG), wird die Behörde auch insofern den Sachverhalt vollständig und ordnungsgemäß ermitteln müssen, wozu es insbesondere Sachverhaltsermittlungen bzw. einer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zur Unzulässigkeit einer Abschiebung nach Pakistan bedarf. In Anbetracht der unter 3.1.2. dargestellten Rechtslage wird die Behörde davon Abstand zu nehmen haben, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht in der Form entsprochen werden könne, dass in Österreich ein weiteres Asylverfahren geführt wird, mag der Beschwerdeführer auch keinen (weiteren) Antrag auf internationalen Schutz mehr stellen.

Vor einer allfälligen Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine allfällige Rückkehrentscheidung hätte die Behörde überdies den insofern entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu ermitteln, was im Hinblick auf § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG bedeutet, dass sie namentlich jene besonderen Umstände zu ermitteln hätte, die die Erforderlichkeit der sofortigen Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zu begründen vermögen.

Sollte sich hingegen ergeben, dass der Beschwerdeführer ein begünstigter Drittstaatsangehöriger ist und wären allfällige aufenthaltsbeendende Maßnahmen daher auf §§ 66 f FPG zu stützen, hätte die Behörde – unter Bedachtnahme vor allem auf die Judikatur der österreichischen Gerichte und des Europäischen Gerichtshofs – den dafür maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. So wäre gemäß § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG für eine Ausweisung zu ermitteln, ob ein Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 NAG nicht (mehr) besteht. Sollte die Verhängung eines Aufenthaltsverbots zu prüfen sein, wären im Lichte des § 67 Abs 1 FPG u. a. Ermittlungen zum persönlichen Verhalten anzustellen, um beurteilen zu können, ob dieses eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Nach allen erforderlichen zweckmäßigen Ermittlungsschritten hat die belangte Behörde das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer – schlüssigen und individuellen – Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ist vollständig zu ermitteln und im zu erlassenden Bescheid sind jene individuellen Feststellungen zu treffen, die erforderlich sind, um über die Zulässigkeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer begründet und gesetzeskonform absprechen zu können.

3.6. (Verfahrens)rechtliche Grundlage für die vorliegende Entscheidung ist, wie bereits ausgeführt, § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG. Nach dieser Bestimmung hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss auf und verweist die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurück. Unbeschadet des Wortlauts dieser Regelung erscheint vertretbar, dass nicht in allen Fällen die Erlassung eines Bescheids geboten sein muss, um den gesetzeskonformen Zustand herzustellen. So wird die im AVG nicht ausdrücklich vorgesehene Einstellung eines Verwaltungsverfahrens dann als zulässig angesehen, wenn keine Partei einen Erledigungsanspruch (mehr) hat; dies kann insbesondere bei amtswegig eingeleiteten Verfahren zutreffen. U. a. in diesen Fällen kann das Verfahren mit Aktenvermerk eingestellt werden. Vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 56 Rz 87 f (Stand 1.7.2005, rdb.at).

Sollte sich also nach den erforderlichen Sachverhaltsermittlungen herausstellen, dass das (amtswegig) eingeleitete Verwaltungsverfahren, z. B. da die Voraussetzungen für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme überhaupt nicht vorliegen, einzustellen ist, könnte die Einstellung, soweit nicht ausnahmsweise eine bescheidmäßige Erledigung geboten sein sollte, was von der belangten Behörde zu prüfen wäre, mit Aktenvermerk erfolgen. Ein neuer Bescheid wäre in diesem Fall nicht zu erlassen.

3.7. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG die mündliche Verhandlung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Zum einen war gegenständlich in erster Linie maßgeblich, ob die belangte Behörde im vorliegenden Fall den entscheidungserheblichen Sachverhalt ermittelt hatte. Dieser Frage kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Zum anderen sind die für den Beschluss bedeutsamen Rechtsfragen – wie sich aus den oben angeführten Zitaten eindeutig ergibt – hinreichend geklärt. Vgl. im Übrigen VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, wonach es keine grundsätzliche Rechtsfrage darstelle, ob das Verwaltungsgericht die zu § 28 Abs 3 VwGVG 2014 ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs angesichts der einzelfallbezogen vorgelegenen Verfahrenskonstellation in jeder Hinsicht korrekt angewendet hat. Der Beschluss steht demnach im Einklang mit der entsprechenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ehe Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L527.2194251.4.00

Im RIS seit

30.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten