TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/3 G304 2225696-1

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Veröffentlicht am 03.06.2020
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Entscheidungsdatum

03.06.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G304 2225696-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER und den fachkundigen Laienrichter Helmut WEIß als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 08.10.2019, Sozialversicherungsnummer: XXXX , betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ nicht vorliegen, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 40, 41 Abs. 1, 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, sowie § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, in der jeweils geltenden Fassung, stattgegeben.

Die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 18.04.2019 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) samt Beilagen ein, der nach dem Hinweis auf dem Antragsformular, wenn der BF noch nicht im Besitz eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ ist, auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass gilt.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Chirurgie, vom 17.06.2019 eingeholt.

In diesem Sachverständigengutachten wurde nach am 14.06.2019 durchgeführter Begutachtung des BF Folgendes ausgeführt:

„Das sichere Ein- und Aussteigen ist möglich. Aus objektiver Sicht verfügt Herr (…) über die erforderliche Kraft bzw. über die erforderliche Beweglichkeit (aktive und passive Gelenksfunktionen, zielgerichtete Durchführung wiederkehrender Bewegungen, ausreichend koordinative Fähigkeiten), um öffentliche Verkehrsmittel (Hingehen zur Haltestelle, sicheres Einsteigen, Anhalten an Einsteigegriffen, und Haltestangen und sicheres Aussteigen) zu benützen. Es bestehen keine Platzangst, keine schwere Immunerkrankung und keine schwere psychiatrische Krankheit. Das Geh- und Stehvermögen ist als ausreichend anzusehen. Die intellektuellen Fähigkeiten zur Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind gegeben. Der Antragsteller kommt ohne Gehhilfe mit orthopädischen Maßschuhen und hinkendem Gangbild zur Untersuchung. Eine Gehstrecke von 500 Meter wird vom Antragsteller angegeben. Die bewegungseinschränkenden Sprunggelenke beidseits verhindern nicht das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke. Das Vorhofflimmern ist unter Blutverdünnung und die Herzleistung ausreichend um öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist zumutbar.“

In einer von Dr. XXXX am 04.10.2019 abgegebenen Stellungnahme steht Folgendes:

„Auf die Frage der medikamentösen Einstellung hat der Antragsteller nach der hypertensiven Entgleisung (05/19) nach deren Behandlung im MKH XXXX angegeben, seine Bluthochdruckerkrankung sei medikamentös eingestellt. Im MKH XXXX wurden Lisinopril und Concor als empfohlene Medikation im ärztlichen Entlassungsbrief dokumentiert. Eine Optimierung der vorgeschlagenen antihypertensiven Therapie war laut Antragsteller poststationär nicht mehr notwendig. Das chronische Vorhofflimmern wurde adäquat in der GS2 eingeschätzt.

Die Mängel der Infrastruktur der Bereitstellung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind kein Grund um die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmitteln zu gewähren. Auch die Entfernung zur nächstgelegenen Einkaufsmöglichkeit und zu Haltestellen von öffentlichen Verkehrsmitteln sind kein Grund die Unzumutbarkeit der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln zu gewähren. Bei der gegenständlichen Untersuchung vom 14.6.2019 wurde vom Antragsteller eine Gehstrecke von 500 Metern angegeben. Somit ist dem Antragsteller das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zumutbar. Das Stiegen steigen gelang alternierend mit Handlauf. Es bestanden mittelgradige Funktionseinschränkungen des Sprunggelenks beidseits. Die Funktionseinschränkungen des Sprunggelenks beidseits wurden adäquat mit 40 v.H. eingeschätzt.

Die Zuerkennung eines Behindertenpasses der BH (…) mit der Ausweis Nr.: (…) wurde durch eine Gesetzesnovelle aufgehoben. Sohin wurde eine Neueinschätzung nach der neuen Einschätzungsverordnung der Behindertenpassinhaber notwendig. Der Bescheid der AUVA Landesstelle (…) dokumentiert eine vorläufige Rente, weil die Entwicklung der Unfallfolgen noch nicht abschließend beurteilt werden konnten. Ein neuer Bescheid einer z.B. Gewährung einer Dauerrente mit Prozenteinschätzung ist nicht vorliegend.

Die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ist gemäß der Begutachtung vom 14.06.2019 weiterhin zumutbar.“

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 08.10.2019 wurde dem BF aufgrund seines Antrags vom 18.04.2019, gestützt auf die ärztliche Stellungnahme von Dr. XXXX vom 04.10.2019, mitgeteilt, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. vorliege.

4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 08.10.2019 wurde, gestützt auf die ärztliche Stellungnahme von Dr. XXXX vom 04.10.2019, der Antrag des BF vom 18.04.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen und begründend dafür angeführt, dass das ärztliche Begutachtungsverfahren ergeben habe, dass die Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien.

5. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Es wurde vorgebracht, der BF habe seit einem Arbeitsunfall im Jahr 1966 einen Behindertenausweis gemäß § 29b SVO besessen. Sein alter habe gegen einen neuen Pass ausgetauscht werden müssen. Da laut Gutachter einige Voraussetzungen nicht mehr gegeben seien, sei die Zusatzeintragung über die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in seinem Pass jedoch wieder gestrichen worden. Es wurde ersucht, den Behindertenpass des BF erneut mit der entfernten Zusatzeintragung zu versehen.

6. Am 22.11.2019 langte die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.

7. Mit Schreiben des BVwG vom 20.12.2019, Zl. G304 2225696-1/2Z, wurde Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, ersucht, ein Sachverständigengutachten auf der Grundlage der Einschätzungsverordnung zu erstellen und dieses Gutachten binnen sechs Wochen ab Begutachtung dieser Anordnung dem BVwG zu übermitteln.

Mit weiterem Schreiben des BVwG vom 20.12.2019, Zl. G304 2225696-1/2Z, wurde der BF aufgefordert, sich am 27.01.2020 um 15:30 Uhr bei Dr. XXXX zur ärztlichen Begutachtung einzufinden.

8. In dem eingeholten Sachverständigengutachten vom 27.01.2020, eingelangt beim BVwG am 30.01.2020, wurden nach Begutachtung des BF am 27.01.2020 direkte erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten festgestellt, die der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstehen.

9. Mit schriftlicher „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ vom 27.02.2020 wurde dem BF das Sachverständigengutachten vom 27.01.2020 vorgehalten und ihm zur Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Verfügung zum Ergebnis der Beweisaufnahme schriftlich Stellung zu nehmen.

10. Mit Schreiben des BF vom 12.03.2020 gab der BF – nach Erhalt des Sachverständigengutachtens – an, keine Stellungnahme abgeben zu werden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist im Besitz eines Behindertenpasses.

1.2. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar“ liegen vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die unter Punkt II. getroffenen Feststellungen beruhen dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

Im eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, wurden direkte erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten festgestellt und wurde folgende „Stellungnahme“ abgegeben:

„Auf Grund der heutigen Untersuchung ist festzuhalten, dass eine höhergadige Funktionseinschränkung beider Sprunggelenke gegeben ist. Medizinischer Seits ist funktionell eine Versteifung beider Sprunggelenke objektivierbar. Trotz orthopädischem Schuhwerk ist die Gangfunktion eingeschränkt. Möglicherweise ist eine relevante Wegstrecke unter Zuhilfenahme von Hilfsmittel (Stock oder Krücke) umsetzbar, jedoch erscheint das Überwinden von Niveauunterschieden in rascher Weise wie es bei öffentlichen Verkehrsmitteln notwendig ist nicht gewährleistet möglich. Desweiteren erscheint auch der sichere Transport im Stehen bei öffentlichen Verkehrsmitteln als nicht gewährleistet auf Grund der Gang- und Standfunktionsunsicherheit.“

Demnach wurde in Zusammenhang mit der festgestellten Versteifung beider Sprunggelenke des BF die Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke unter eingeschränkter Gangfunktion für möglicherweise umsetzbar, eine bei öffentlichen Verkehrsmitteln notwendige rasche Überwindung von Niveauunterschieden und auch der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln im Stehen aufgrund der Gang- und Standfunktionsunsicherheit jedoch nicht für gewährleistet und damit die Benützung öffentlicher Verkehrsmitteln nicht für zumutbar gehalten.

Nach Vorhalt des Ergebnisses der Beweisaufnahme gab der BF mit Schreiben vom 12.03.2020 bekannt, keine Stellungnahme dazu abgeben zu werden. Das eingeholte Sachverständigengutachten vom 27.01.2020 wird folglich in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.2. Zu Spruchteil A):

3.2.1. Gemäß § 1 Abs. 2 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Gemäß den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 der (gleichnamigen) Vorgänger-Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (BGBl. II Nr. 2013/495) ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten vorliegen. Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen jedenfalls hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten sowie schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen.

3.2.2. Im gegenständlichen Fall wurde im eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 27.01.2020 in Zusammenhang mit der festgestellten Versteifung beider Sprunggelenke des BF die Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke unter eingeschränkter Gangfunktion für möglicherweise umsetzbar, eine bei öffentlichen Verkehrsmitteln notwendige rasche Überwindung von Niveauunterschieden und auch der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln im Stehen aufgrund der Gang- und Standfunktionsunsicherheit jedoch nicht für gewährleistet und damit die Benützung öffentlicher Verkehrsmitteln nicht für zumutbar gehalten.

Dem für schlüssig und nachvollziehbar gehaltenen allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 27.01.2020 wird gefolgt.

Der gegenständlichen Beschwerde wird daher stattgegeben.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

Im gegenständlichen Fall wurde vom ärztlichen Sachverständigen Dr. XXXX geprüft, ob die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung unzumutbar ist. Der Sachverständige kam nach Begutachtung des BF am 27.01.2020 unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens und der vorliegenden Befunde zum Ergebnis, dass der BF nicht, wie bei öffentlichen Verkehrsmitteln erforderlich, rasch ein- und aussteigen und auf Grund seiner Gang- und Standfunktionsunfähigkeit auch nicht sicher in öffentlichen Verkehrsmitteln transportiert werden kann. Er stellte direkte erhebliche Einschränkungen der unteren Extremitäten fest, die der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel entgegen stehen. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist aufgrund des vorliegenden, nicht bestrittenen Sachverständigengutachtens vom 27.01.2020, welches als schlüssig und nachvollziehbar erachtet wird, geklärt, weshalb von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.


3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung im Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen und dessen Auswirkung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2225696.1.00

Im RIS seit

30.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

30.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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