TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/5 W102 2179797-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.08.2020
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Entscheidungsdatum

05.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W102 2179797-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 16.11.2017, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.11.2018 zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 6 Abs. 1 Z 4, 8 Abs. 1, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1, 2 und 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 04.11.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 05.11.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, er habe den Herkunftsstaat wegen Grundstücksstreitigkeiten verlassen. Die Gegner hätten seinen Vater umgebracht, viel Macht und die Polizei auf ihrer Seite. Sein Land sei ihm einfach weggenommen worden.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.10.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, sein Vater habe Grundstücke von jemandem gekauft, der hinterher behauptet habe, die Grundstücke seien nur verpachtet. Der Vater habe sich um Hilfe an die Ältesten gewandt und auch Zeugen gehabt. Der Verkäufer sei jedoch nicht bei den Ältesten erschienen und habe eine Mauer um die Grundstücke gebaut. Vater und Bruder des Beschwerdeführers seien deshalb wütend gewesen. Der Bruder sei zu den Grundstücken gegangen, um dort zu arbeiten. Der Vater habe nach dem Bruder sehen wollen. Beide seien dann vom Verkäufer getötet worden. Er habe dabei noch den Vater gefragt, wo sein anderer Sohn sei und sei dann zum Haus der Familie gekommen. Der Beschwerdeführer sei aber schon zu seinem künftigen Schwiegervater geflüchtet und habe ihm alles erzählt. Dieser habe nach der Mutter des Beschwerdeführers gesehen und dann sei der Beschwerdeführer nach fünf Tagen ausgereist. Sie hätten den Mord angezeigt, die Polizei habe jedoch nicht geholfen.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.11.2017, zugestellt am 20.11.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Angaben des Beschwerdeführers seien vage und beschränkten sich auf Gemeinplätze. Der Beschwerdeführer sei persönlich unglaubwürdig, weil er versucht habe, sich durch falsche Altersangaben jünger zu machen. In der Erstbefragung habe der Beschwerdeführer den gewaltsamen Tod des Bruders nicht erwähnt. Dass es keine Neuansiedelungsalternative in Großstädten gegeben hätte, sei nicht nachvollziehbar.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.11.2017 richtet sich die am 06.12.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei wegen Grundstücksstreitigkeiten mit dem Tode bedroht worden. Die belangte Behörde habe es unterlassen, auf das individuelle Vorbringen einzugehen und eine Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren herkunftsstaatspezifischen Informationen verabsäumt. Das Vorbringen sei substantiiert, widerspruchsfrei und plausibel. Staatlicher Schutz bestehe nicht, ebenso sei keine innerstaatliche Fluchtalternative verfügbar.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 12.11.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine im Akt namentlich genannte Zeugin und eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen hinsichtlich Grundstücksstreitigkeiten im Wesentlichen aufrecht. Zudem brachte er vor, es habe im Heimatdorf Schwierigkeiten mit den Taliban gegeben, sie seien ins Dorf eingedrungen, hätten Besitztümer in Besitz genommen, die Ernte verlangt und die Kinder und Jugendlichen gezwungen, in die Koranschule zu gehen. Es seien auch junge Männer von Zwangsrekrutierung betroffen gewesen. Der Beschwerdeführer habe nicht viel Zeit draußen verbringen dürfen, er sei vielen Gefahren entkommen, z.B. einem sexuellen Übergriff. Die Taliban hätten jederzeit auftauchen und ihn mitnehmen können.

Mit Bescheid vom 03.12.2018, Zl. XXXX - XXXX , sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG aus, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet am 02.12.2018 verloren hat.

Am 26.04.2019 langte die Verständigung der Staatsanwaltschaft Graz vom 24.04.2019 von der Anklageerhebung wegen §§ 201 Abs. 1, 201 Abs. 3 dritter Fall, 201 Abs. 2 vierter Fall, 206 Abs. 1, 206 Abs. 3 dritter Fall, 206 Abs. 3 vierter Fall StGB am Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben vom 01.08.2019 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme. Am 08.08.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, Sicherheits- und Versorgungslage seien schlecht, Rückkehrer aus Europa besonders gefährdet. Der Beschwerdeführer sei um seine Integration bemüht.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11.07.2019, 14 Hv 45/19d, rechtskräftig am 20.05.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 206 Abs. 1, 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 letzter Fall StGB, §§ 201 Abs. 1, Abs. 2 dritter und vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit Schreiben vom 16.07.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht erneut aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

?        Empfehlungsschreiben

?        Medizinische Unterlagen

?        Integrationsprüfungszeugnis A2

?        Therapie-Terminkarte

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren im Jahr XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch Dari und Englisch.

In der Vergangenheit wurde beim Beschwerdeführer eine Mittelgradige depressive Episode, F 32.1“ gestellt. Seither ist der Beschwerdeführer wieder gesund.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11.07.2019, 14 Hv 45/19d, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 und 2 dritter und vierter Fall StGB, des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 letzter Fall StGB und einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt.

Der Beschwerdeführer hat im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit vier Mittätern am Abend des 30.10.2018 bis in die frühen Morgenstunden des 31.10.2018 ein minderjähriges, unmündiges, weibliches Opfer mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit teils zur Duldung, teils zur Vornahme von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem einer der Mittäter das Opfer in die Wohnung eines weiteren Mittäters brachte, die Wohnungstür versperrte und das Opfer, nachdem sie zum Konsum eines weiteren Joints und zum Trinken von weiterem Wodka bewegt worden war, gemeinsam mit dem Beschwerdeführer und den weiteren Mittätern dazu brachte, sich auszuziehen, unbeeindruckt von ihrer durch Schreien und Weinen erkennbaren Weigerung sowie Überwindung ihrer körperlichen Gegenwehr durch das Fixieren ihrer Gliedmaßen und Auseinanderdrücken ihrer Beine, ein Mittäter sie zunächst am ganzen Körper küsste und am Unterleib leckte, der Beschwerdeführer und seine Mittäter sie entsprechend positionierend wiederholt zur Vornahme des Oralverkehrs mit zumindest zwei Tätern zwangen, ein Mittäter sie zumindest mit einem Finger vaginal penetrierte und alle fünf sie abwechselnd und wiederholt über mehrere Stunden hindurch anal penetrierten und das Opfer durch die Tat längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt wurde, weil die Täter die inkriminierten Taten über mehrere Stunden und sich untereinander abwechselnd wiederholten, wodurch das Opfer Schmerzen von besonderer Intensität erlitt, ihr das Ejakulat immer wieder auf den Bauch spritzten und ein Video von der Tat anfertigten.

Durch diese Tat hat der Beschwerdeführer an einer unmündigen Person dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen unternommen.

Im Anschluss an die oben beschriebene Tathandlung versuchten der Beschwerdeführer und seine Mittäter, das Opfer durch gefährliche Drohung mit der Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung durch die sinngemäße Äußerung, wenn sie die Vergewaltigung anzeige, werden die Täter ein Video der Tathandlung veröffentlichen, zu einer Unterlassung, nämlich der Abstandnahme der Anzeige der Tathandlung zu nötigen.

Bei der Strafzumessung wurde erschwerend die Tatbegehung in Gesellschaft, das Zusammentreffen von drei Verbrechen und die zweifache Qualifikation bei der Vergewaltigung, mildernd, dass der Beschwerdeführer die Tat zwar nach Vollendung des 18. jedoch vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangen hat, dass er sich bislang wohl verhalten hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten im auffallenden Widerspruch steht, sowie, dass es bei der Nötigung beim Versuch geblieben ist.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 29.11.2018, 20:51 in Haft.

Der Beschwerdeführer stammt aus einem Dorf im Distrik Muhmand Dara, Provinz Nangarhar. Dort lebte er im Haus seiner Eltern, die Familie betrieb eine Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat acht Jahre die Schule besucht.

Die Feststellungen zu Lebensverhältnissen und Lebenswandel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat ergeben sich aus seinen plausiblen Angaben

Die Eltern des Beschwerdeführers, sein Bruder und dessen Familie leben im Herkunftsdorf. Der Beschwerdeführer steht mit ihnen in Kontakt. Auch weitere Verwandte des Beschwerdeführers leben noch im Herkunftsstaat.

Der Beschwerdeführer hält sich zumindest seit er am 04.11.2015 seinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat im Bundesgebiet auf. Er hat Deutschkurse sowie ein „Jugendcollege“ besucht. Außerdem hat die die Integrationsprüfung aus Inhalten zur Sprachkompetenz (Niveau: A2) und zu Werte- und Orientierungswissen bestanden. Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet soziale Kontakte geknüpft und führte eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die er Anfang 2016 kennengelernt hat. Ab Februar 2017 bestand ein gemeinsamer Haushalt mit dieser und ihrer unmündigen, minderjährigen Tochter. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Lebensgemeinschaft fortbesteht.

Der Beschwerdeführer bezog ab seiner Antragstellung bis Dezember 2018 teilweise Grundversorgung. Zudem wurde er von seiner Lebensgefährtin finanziell unterstützt. Aktuell befindet sich der Beschwerdeführer in Haft und bezieht keine Grundversorgung.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es wird nicht festgestellt, dass die Taliban dem Beschwerdeführer den Schulbesuch verboten haben oder ihn zwingen wollte, dass er in die Koranschule geht. Der Beschwerdeführer war im Herkunftsdorf keiner Zwangsrekrutierung ausgesetzt.

Dass Vater und Bruder des Beschwerdeführers im Rahmen einer Grundstückstreitigkeit ermordet wurden, wir nicht festgestellt. Es wird auch nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat im Zuge einer Grundstücksstreitigkeit bzw. einer hieraus entstandenen Blutfehde von Misshandlungen bzw. mit dem Tode bedroht werde.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Nangarhar gehört zu den volatilsten Provinzen des Herkunftsstaates, seit dem Jahr 2011 ist eine stetige Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten. In der Provinz sind Taliban und der IS aktiv, die sich auch gegenseitig bekämpfen.

Im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Mazar-e Sharif steht unter Regierungskontrolle, Kampfhandlungen finden im Wesentlichen nicht statt. Die Stadt verfügt über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.

Für den Fall der Niederlassung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif kann nicht festgestellt werden, dass ihm die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Afghanistan ist von der COVID-19-Pandemie betroffen, dies gilt insbesondere für die Provinz Balkh. Es gibt landesweit Beschränkungen von Mobilität, sozialen und geschäftlichen Aktivitäten sowie Regierungsdiensten. In größeren Städten wird auf die Einhaltung der Maßnahmen stärker geachtet. Der Flugverkehr wurde wenn auch eingeschränkt wiederaufgenommen. Die Nahrungsmittelpreise steigen, aufgrund der Maßnahmen gibt es weniger Gelegenheitsarbeit.

Im Fall einer Rückführung des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können und im Fall seiner Niederlassung ein Leben ohne unbillige Härten wird führen können, so wie es auch seine Landsleute führen.

Seine medizinische Versorgung ist gewährleistet.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationalen Organisationen. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache sowie seinen sonstigen Sprachkenntnissen ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben im Lauf des Verfahrens. Auch die belangte Behörde legte die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers ihrer Entscheidung zugrunde. Im Hinblick auf das festgestellte Geburtsjahr des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass die Behörde nicht nachvollziehbar begründet, warum sie vom Geburtsdatum XXXX ausgeht (AS 73) und sich dieses Datum als spätestmögliches fiktives Geburtsdatum auch nicht schlüssig aus dem von ihr beauftragen Gutachten zur Sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung ergibt (AS 57 ff.). So lässt sich diesem Gutachten klar entnehmen, dass das Mindestalter nach der vorliegenden Befundkonstellation mit einfacher Wahrscheinlichkeit zum Untersuchungszeitpunkt mit 17,9 Jahren anzunehmen sei, woraus das von der Behörde festgestellte „fiktive“ Geburtsdatum sich ergebe (AS 61). Gemäß § 13 Abs. 3 letzter Satz BFA-VG ist zu Gunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit auszugehen, wenn nach der Altersdiagnose weiterhin begründete Zweifel bestehen. Gegenständlich ergibt sich aus der von der Behörde veranlassten Altersdiagnose das von dieser festgestellte Geburtsdatum gerade nicht mit höchstmöglichem Beweismaß, sondern ist anzumerken, dass das vom Beschwerdeführer angegebene Alter mit dem jeweiligen Mindestalter für das Vorliegen der körperlichen Entwicklungsstadien vereinbar ist. Aus den Erläuterungen zur Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 ergibt sich, dass als „Beweisthema“ die „mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ festgelegt ist (ErläutRV 330 BlgNR 24. GP zu § 2 Abs. 1 Z 25 sowie zu § 15 Abs. 1 Z 6 AsylG), wobei in den Erläuterungen zum Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz – FNG (BGBl. I Nr. 87/2012) zu § 13 Abs. 3 letzter Satz BFA-VG klargestellt wird, dass wenn nach dem Gutachten weiterhin ein Zweifelsfall vorliegt, zu Gunsten des Fremden von seiner Minderjährigkeit auszugehen ist („in dubio pro minor“; Erläut RV 1803 BlgNR 24 GP zu § 13 Abs. 3 BFA-VG). Zwar geht die Behörde für Antrags- und Untersuchungszeitpunkt dennoch von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers aus, legt jedoch den Übergang zur Volljährigkeit nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen fest. Dies hatte jedoch – soweit ersichtlich – keine für das Verfahren relevanten Folgen. Das Bundesverwaltungsgericht stellt dennoch das Geburtsjahr entsprechend den Angaben des Beschwerdeführers im Einklang mit den normativen Vorgaben fest.

Zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass er sich wegen seiner psychischen Erkrankung in Behandlung befinde, mehrmals im Krankenhaus gewesen sei und Medikamente erhalte, sowie, dass er eine Therapie besuche (OZ 12, S. 2). Hierzu hat der Beschwerdeführer auch medizinische Unterlagen vorgelegt. So sind Befunde aus dem Jahr 2016 (AS 143 ff.) aktenkundig, aus denen im Wesentlichen hervorgeht, dass der Beschwerdeführer an Bauchschmerzen leidet. Bereits in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 12.10.2017 gab der Beschwerdeführer befragt, ob er im Moment in ärztlicher Behandlung stehe, an, „Nein, aber ich war öfters beim Arzt, ich bin vergesslich und traumatisiert, aber der Arzt hat nichts festgestellt“ (AS 119-120). Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018 brachte der Beschwerdeführer schließlich einen Befundbericht des XXXX vom 24.09.2018, einen Ambulanten Arztbrief des XXXX , ebenso vom 24.09.2018, sowie eine „KlientInnenkarte“ von XXXX in Vorlage (jeweils Beilage zu OZ 12). Aus dem Befundbericht des XXXX geht im Wesentlichen hervor, dass die Diagnose „Ausgeprägtes depressives Zustandsbild mit Suizidideen, V. a. affektive Störung“ gestellt wurde, sowie eine differenzialdiagnostische Abklärung im Hinblick auf eine Posttraumatische Belastungsstörung empfohlen sei, zudem werde der Beschwerdeführer wegen mangelnder Kapazitäten an das XXXX verwiesen. Dort wurde schließlich die Diagnose „Mittelgradige depressive Episode, F 32.1“ gestellt und unter anderem Psychotherapie, morgens aufstehen, Tageslicht, Sport und Atemübungen empfohlen und dem Beschwerdeführer Medikamente verschrieben. Aus der vorgelegten „KlientInnenkarte“ geht sodann hervor, dass der Beschwerdeführer zwei Psychotherapie-Termine in Anspruch genommen hat. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gibt der Beschwerdeführer schließlich im Lauf der Einvernahme an, seine Lebensgefährtin habe ihm geholfen, die Zeit (Erkrankung, Druck, selbstverletzendes Verhalten, Verzweiflung) zu überwinden und auch die im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als Zeugin befragte Lebensgefährtin des Beschwerdeführers gab an, der Beschwerdeführer sei seit einiger Zeit wieder stabil und sei jetzt alles wieder besser (OZ 12, S. 9). Seither hat der Beschwerdeführer im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand kein weiteres Vorbringen erstattet und auch keine weiteren medizinischen Unterlagen vorgelegt, weswegen das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die zuletzt in der mündlichen Verhandlung beschriebene Verbesserung aktuell ist und der Beschwerdeführer seine „depressive Episode“ überwunden hat. Entsprechend wurde festgestellt, dass in der Vergangenheit die Diagnose einer Mittelgradige depressive Episode, F 32.1“ gestellt wurde, der Beschwerdeführer aber seither wieder gesund ist.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers beruhen auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister, sowie auf dem ebenso im Akt einliegenden Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 11.07.2019, 14 Hv 45/19d, und dem Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 20.05.2020, 10 Bs 92/20k.

Die Feststellung zur Haft des Beschwerdeführers beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie auf der von der JA XXXX übermittelten Verständigung der Fremdenbehörde vom Strafantritt eines Fremden (OZ 25), aus der auch der Strafantritt des Beschwerdeführers, sowie die Vorhaft hervorgeht.

Im Hinblick auf die Feststellungen zum Verbleib der Angehörigen des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018 angegeben hat, Mutter, Ehefrau des Bruders und deren Sohn sollten noch in Afghanistan leben, allerdings sei ihm der genaue Aufenthaltsort nicht bekannt, weil er nicht mit ihnen in Kontakt stehe (OZ 12, S. 4). Damit übereinstimmend hat der Beschwerdeführer auch in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 12.10.2017 bereits angegeben, seine Mutter, sein Neffe und seine Verlobte würden noch im Herkunftsstaat leben, er habe jedoch keinen Kontakt, seine Mutter habe kein Telefon (AS 120-121). Der Beschwerdeführer zeigte sich jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018 völlig unberührt von seiner Behauptung, seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt zu haben und erscheint auch wenig plausibel, dass dieser seit dem Jahr 2015 lediglich deswegen kein einziges Mal hergestellt habe werden können, weil die Mutter nicht über ein Telefon verfüge, ohne, dass sonstige Gründe dafür bestehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat folglich festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Kontakt zu seiner Familie steht. Zum Verbleib von Vater und Bruder des Beschwerdeführers wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen und wurde folglich – mangels anderer Anhaltspunkte – festgestellt, dass auch Vater und Bruder des Beschwerdeführers noch im Herkunftsdorf leben.

Hinsichtlich weiterer Verwandter hat der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 12.10.2017 angegeben, seine Familie werde von Verwandten unterstützt (AS 120).

Die Feststellungen zum Lebenswandel des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beruhen auf seinen Angaben und den hierzu vorgelegten Bestätigungen. Das Datum der Antragstellung ist aktenkundig. Hinsichtlich seiner Deutschkurse und des „Jugendcolleges“ hat der Beschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt (AS 127 ff, Beilagen zu OZ 12), ebenso zur Integrationsprüfung (Beilagen zu OZ 12). Dass er im Bundesgebiet soziale Kontakte geknüpft hat, hat der Beschwerdeführer angegeben und ist dies auch plausibel. Die Feststellungen zur Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers und zum gemeinsamen Haushalt beruhen auf den plausiblen und übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018. Seither geht aus dem ZMR hervor, dass der Beschwerdeführer seit 21.04.2020 nicht mehr über einen Wohnsitz bei seiner Lebensgefährtin verfügt, sondern nunmehr ausschließlich in der XXXX gemeldet ist. Mangels Relevanz für den Verfahrensausgang (siehe hierzu Punkt 3.3.2.) wurden weitere Ermittlungsschritte in dieser Richtung – nämlich ob die Lebensgemeinschaft nach wie vor aufrecht ist – nicht unternommen und geht das Bundesverwaltungsgericht hilfsweise gewissermaßen fiktiv vom Fortbestand der Lebensgemeinschaft aus. Die Feststellungen zur Grundversorgung des Beschwerdeführers beruhen auf dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018, er habe nicht in die Schule gehen können, die Taliban hätten das nicht zugelassen, sie seien in das Dorf eingedrungen und hätten ihre Besitztümer genommen und die Ernte verlangt, hätten Kinder und Jugendliche gezwungen, in die Koranschule zu gehen und wären junge Männer von Zwangsrekrutierung betroffen gewesen (OZ 12, S. 3) ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer hier lediglich pauschale Behauptungen in den Raum stellt. Diese finden sich zwar grundsätzlich in den Länderberichten. So ist der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 16.07.2020 (OZ 27) eingebrachten EASO, Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) zu entnehmen, dass der Zugang zu Bildung unzureichend ist und die Taliban – auch wenn sie proklamieren, Bildung zu unterstützen und Angriffe auf Schulen zu verbieten – noch immer Schulen angreifen, jedoch nicht mehr systematisch. Ihr nunmehriges Ziel sei nicht die Schließung von Schulen, sondern die Erlangung der Kontrolle über sie hinsichtlich Lehrplan, Lehrern und Überwachung (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugie status, Unterkapitel 10. Children, Buchstabe e. Education of children and girls in particular, S. 58-59). Aus dem vom Bundesverwaltungsgericht ebenso mit Schreiben vom 16.07.2020 (OZ 27) in das Verfahren eingebrachten EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghansitan: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 ergibt sich jedoch, dass die pauschale Gewalt der Taliban als Ausfluss einer Feindseligkeit gegen alle Arten nichtreligiöser Bildung ein Phänomen der Vergangenheit ist und die Gewalt der Taliban gegen Schulen im Jahr 2006 ihren Höhepunkt erreichte und seien Schulen und Lehrkräfte im Jahr 2009 von der Liste der Angriffsziele genommen worden, was zu einem tatsächlichen Rückgang der Angriffe auf Schulen und deren Mitarbeitern geführt habe. Es gebe keine einheitliche Strategie für die Schließung von Schulen, auch wenn diese noch immer gelegentlich Angriffsziele werden würden (Kapitel 1.2.4.2 Gezielte Angriffe auf Bildungseinrichtungen seit 2001, S. 40). Damit würde sich vor dem Hintergrund der Länderberichte allenfalls als plausibel erweisen, dass der Beginn der schulischen Laufbahn des Beschwerdeführers von den Taliban verzögert und überschattet wurde, insbesondere nachdem der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 die Schule lediglich acht Jahre besuchen konnte und damit kürzer, als nach seinem Alter angemessen wäre. Einen aktuellen Konnex zu seiner Ausreise, sowie eine Gefahr für den Fall der Rückkehr sind für den mittlerweile erwachsenen Beschwerdeführer hieraus jedoch nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf die ebenso pauschale Behauptung des Beschwerdeführers, die Taliban hätten Kinder und Jugendliche gezwungen, in die Koranschule zu gehen und seien junge Männer von Zwangsrekrutierung betroffen gewesen (OZ 12, S. 3) ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer hier bereits in seinen Angaben keinerlei Bezug zu seiner Person herstellt und damit keine konkrete Betroffenheit in der Vergangenheit und insbesondere keine Gefährdung seiner Person für den Fall der Rückkehr behauptet. Zwar ergibt sich aus den UNHCR-Richtlinien und EASO Country Guidance übereinstimmend, dass die Taliban zur Rekrutierung auch auf Zwang zurückgreifen und auch Kinder rekrutieren (UNHCR-Richtlinien, Abschnitt III. Internationaler Schutzstatus, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, Buchstabe a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 59-60; EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 6. Individuals at risk of forced recruitment by armed groups, Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 53-54). Die EASO Country Guidance berichtet jedoch näher, dass die Taliban grundsätzlich nicht an einem Mangel freiwilliger Rekruten leiden und nur in Ausnahmefällen auf Zwangsrekrutierung zurückgreifen, etwa hinsichtlich Personen mit militärischem Hintergrund wie etwa Mitgliedern der ANSF, sowie in Situationen akuten Drucks. Das Vorliegen einer derartigen Ausnahmesituation macht der Beschwerdeführer jedoch nicht geltend und ist dies auch nicht ersichtlich. Auch spezifische Fähigkeiten, Kenntnisse oder Erfahrungen des Beschwerdeführers, die ihn für die Taliban in der Vergangenheit oder aktuell besonders interessant gemacht hätten, sind nicht ersichtlich. Im Hinblick auf den behaupteten Zwang zum Koranschulbesuch ist der EASO Country Guidance zwar zu entnehmen, die Taliban würden zur Rekrutierung etwa Kinder in „madrassas“ indoktrinieren (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 6. Individuals at risk of forced recruitment by armed groups, Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 53-54). Auch der bereits zitierte EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghansitan: Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 berichtet, die Taliban würden ihre Vollzeitkämpfer häufig an einer Madrassa rekrutieren (Kapitel 1.1.2 Stärke der Taliban, S. 14). Belege hinsichtlich eines Zwanges von Seiten der Taliban, eine Koranschule zu besuchen, finden sich jedoch nicht, wobei der Beschwerdeführer auch hinsichtlich dieser allgemeinen Behauptung einen konkreten Bezug zu seiner Person nicht herstellt. Ebenso allgemein und floskelhaft sind die vom Beschwerdeführer emotionslos vorgetragenen Behauptungen, er habe, weil die Taliban präsent gewesen seien, immer am Nachtmittag wieder zuhause sein müssen, sei z.B. einem sexuellen Übergriff entkommen und sei er etwa beim Cricket spiel aus Angst vor den Taliban, die jeden Moment hätten auftauchen und ihn mitnehmen können, nach Hause gelaufen (OZ 12, S. 4). Dabei konkretisiert der Beschwerdeführer nicht, warum die Taliban ihn hätten mitnehmen sollen. Den behaupteten sexuellen Übergriff konkretisiert der Beschwerdeführer ebenso nicht weiter und ist auch hieraus nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr eine Gefahr droht.

Zudem bringt der Beschwerdeführer die diesbezüglichen Bedrohungen erstmals im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018 vor und begründet dies lediglich mit der Behauptung, es habe keinen Dolmetscher gegeben, der seine Muttersprache beherrsche, er habe nur Farsi gesprochen, er spreche kein Farsi und habe sich nicht verständlich ausdrücken können (OZ 12, S. 5). Hierzu ist anzumerken, dass im Protokoll der Einvernahme vom 12.10.2017 protokolliert ist, dass der Beschwerdeführer befragt dazu, ob er einverstanden sei, in der Sprache Dari einvernommen zu werden, angab, „Ich habe nichts dagegen, ich kann dieser Einvernahme folgen, falls ich etwas nicht verstehe, werde ich nachfragen.“ (AS 117). Am Schluss der Einvernahme wurde der Beschwerdeführer zudem befragt, ob er den Dolmetscher verstanden habe, woraufhin er antwortete, „Sehr gut, es gab in der Einvernahme die auf Dari geführt wurde keine Verständigungsprobleme“ (AS 125). Die Behauptungen im Hinblick auf Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher sowie seine Behauptung, in Farsi einvernommen worden zu sein, spiegeln sich damit nicht im vom Beschwerdeführer auf jeder Seite unterschriebenen Einvernahmeprotokoll wieder. Zudem ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer sich im Hinblick auf die Angaben zu seiner Person und seinen Lebensverhältnissen im Herkunftsstaat und in Österreich im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme sehr wohl erfolgreich in Dari verständigen konnte.

Auch die Behauptung des Beschwerdeführers, es seien ihm nur Fragen zu den Grundstücksstreitigkeiten gestellt worden und er sei nicht so explizit nach anderen Gründen für die Flucht gefragt worden (OZ 12, S. 5) findet keine Deckung im Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme vom 12.10.2017. So geht aus dem Protokoll hervor, dass der Beschwerdeführer zur Schilderung der Gründe, warum er den Herkunftsstaat verlassen habe, aufgefordert wurde, sowie dazu, seine Angaben von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu machen (AS 121). Eine Einschränkung der Frage auf „Grundstücksstreitigkeiten“ ist nicht erkennbar, sondern schränkt der Beschwerdeführer selbst seine Schilderung auf diesen Aspekt ein. Im Verlauf der Einvernahme wurde der Beschwerdeführer zudem – nach einigen Nachfragen zu den Grundstücksstreitigkeiten – nochmals befragt, ob er alle Gründe genannt habe, warum er den Herkunftsstaat verlassen habe, was der Beschwerdeführer bejahte (AS 124). Auch auf die Frage hin, ob er Gelegenheit gehabt habe, alles vorzubringen, was ihm wichtig erscheine, gibt der Beschwerdeführer an „Ich habe alles gesagt.“ (AS 125).

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichts gewinnt aus dieser Angabenflexibilität des Beschwerdeführers viel mehr den persönlichen Eindruck, dass der Beschwerdeführer sein Aussageverhalten generell insbesondere an sein Ziel eines positiven Verfahrensausganges anpasst, der im Übrigen auch davon verstärkt wird, dass der Beschwerdeführer den zu seinen Angehörigen im Herkunftsstaat bestehenden Kontakt zu verschleiern versucht (siehe hierzu bereits oben, Punkt 2.1.).

Im Hinblick auf das Fluchtvorbringen einer Grundstücksstreitigkeit, die den Beschwerdeführer zur Ausreise bewogen haben soll, teilt das Bundesverwaltungsgericht – auch unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer gewonnenen persönlichen Eindruckes – wie oben bereits angesprochen – die Einschätzung der belangten Behörde, dass dieses Vorbringen nicht glaubhaft ist.

Zwar berichtet die Bundesverwaltungsgericht EASO Country Guidance, dass Land-Konflikte in Afghanistan bedingt durch die lediglich bruchstückhafte Regulierung und Registrierung von Land, große Bevölkerungsbewegungen und schnelle Verstädterung, den langwierigen Konflikt und die schwach ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit verbreitet sind. Diese würden im ganzen Land und unter allen Ethnien vorkommen, schnell eskalieren und in Gewalt umschlagen. Sie könnten in kleine bewaffnete Konflikte und Blutfehden führen, wobei 70 % der Gewaltdelikte wie etwa Mord aus Streitigkeiten über Land und Eigentümerschaft resultieren würden. Mächtige Einzelpersonen könnten die Administration beeinflussen, üblicherweise um gefälschte Dokumente oder Straffreiheit zu erlangen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 18. Individuals involved in blood feuds and land disputes, Buchstabe b. Land disputes, S. 72-73). Auch die UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) von der paschtunischen Tradition der Blutfehde, die unter anderem im Fall von ungelösten Streitigkeiten wegen Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum ausgelöst werden können und zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen können.

Wie schon die belangte Behörde beweiswürdigend allerdings anmerkt (AS 234) weichen die Schilderungen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe im späteren Verfahren von jenen in der Erstbefragung ab. Die Tötung auch des Bruders des Beschwerdeführers bleibt unerwähnt (AS 27). Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat (VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429). § 19 Abs. 1 AsylG verwehrt es der Behörde bzw. dem Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht generell, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zwischen der Erstbefragung und späteren Angaben einzubeziehen. Dies bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (VwGH 23.06.2020, Ra 2020/20/0188). Gegenständlich gibt der Beschwerdeführer in der Erstbefragung zum Fluchtgrund aber bereits die Wesentlichen Kernpunkte seines Fluchtvorbringens (Grundstücksstreitigkeit, Ermordung des Vaters, mächtiger Gegner, die Polizei sei auf deren Seite) an, jedoch mit Ausnahme dessen, dass auch sein Bruder ermordet worden sein soll. Damit variiert der Beschwerdeführer im Lauf des Verfahrens allerdings den Kern seines Fluchtvorbringens, ohne dass hierfür ein nachvollziehbarer Grund erkennbar wäre.

Weiter fällt an den Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auf, dass er, vom erkennenden Einzelrichter aufgefordert, zusammenzufassen, worum es bei den Grundstücksstreitigkeiten ging, die Schilderung der eigentlichen Bedrohung und insbesondere der Ermordung von Vater und Bruder unterlässt. Diese gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018 (OZ 12, S.4) lediglich einmal im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verbleib seiner Kernfamilie emotionslos an, um sich dann im Zusammenhang mit seinem Fluchtvorbringen lediglich auf die Schilderung der Umstände zu beschränken, die seiner Behauptung zufolge zu deren Ermordung geführt haben sollen. Auch die behauptete persönliche Bedrohung gibt der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.11.2018 gar nicht an. Damit unterlässt der Beschwerdeführer die Schilderung des Kernes seines Fluchtvorbringens, was nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ein klares Zeichen dafür ist, dass der Beschwerdeführer zumindest im Punkt der Eskalation der Grundstücksstreitigkeit, nämlich der Ermordung von Vater und Bruder und der Bedrohung auch seiner Person, seine Schilderung nicht aus seiner Erinnerung schöpft. Auch sind die Angaben des Beschwerdeführers zur eigentlich Ermordung, persönlichen Bedrohung und Flucht in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde vage und unkonkret. So beschränkt sich der Beschwerdeführer auf die floskelhafte Angabe, Vater und Bruder seien getötet worden und er selbst sei zum Schwiegervater geflüchtet. Hierin ist jedoch kein konkreter, Schritt für Schritt geschilderter Handlungsablauf ersichtlich.

Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen bedarf und dass die Dichte dieses Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ gemessen werden darf. Es müsse sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgt (etwa VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0150). Nun war der Beschwerdeführer im Ausreisezeitpunkt sowie im Zeitpunkt der behaupteten ausreiseauslösenden Umstände zumindest 16 Jahre alt und damit zwar minderjährig. Von einem 16-Jährigen kann jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts bereits erwartet werden, dass er seine Fluchtgründe detailliert und lebensnah schildern kann, wobei anzumerken ist, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht lediglich aufgrund der geringen Dichte des Fluchtvorbringens im Zusammenhang mit der eigentlichen Bedrohung davon ausgeht, dass dieses nicht glaubhaft ist, sondern dies insbesondere auch mit dem im Zuge der mündlichen Verhandlung vom nunmehr erwachsenen Beschwerdeführer gewonnen Eindruck begründet.

Außerdem erscheint nicht plausibel, dass sich der Beschwerdeführer unmittelbar nach der Ermordung noch fünf Tage im laut seinen eigenen Angaben eine halbe Autostunde entfernten Haus seines (künftigen) Schwiegervaters aufhalten konnte (AS 123), ohne dort angegriffen oder aufgefunden zu werden und zwar trotz der Behauptung, der Gegner sei so wohlhabend und sei selbst die Polizei gegen ihn machtlos (AS 121). Weiter sind die Angaben des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Existenz von Dokumenten, die den Kauf belegen, widersprüchlich. So gab er in der niederschriftlichen Einvernahme am 12.10.2017 auf Nachfrage, ob es keinen schriftlichen Vertrag gegeben habe, an, das wisse er nicht, vielleicht gebe es einen Kaufvertrag (AS 122). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gibt der Beschwerdeführer dagegen an, sein Vater habe über alle Dokumente im Zusammenhang mit dem Verkauf und der Eigentumsübergabe verfügt und habe dies auch gegenüber dem Gegner geäußert (OZ 12, S. 6). Auch im Hinblick auf den Zeitpunkt des Kaufes macht der Beschwerdeführer widersprüchliche Angaben. So gibt er in der niederschriftlichen Einvernahme an, der Vater habe die Gründe gekauft, als die Taliban regierten, ungefähr 2000 (AS 122). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht dagegen gibt der Beschwerdeführer an, der Vater habe sie 2002 gekauft und behauptet konfrontiert mit seinen Angaben vor der belangten Behörde, er habe bei der letzten Einvernahme gesagt, dass das Grundstück zwischen 2000 und 2002 gekauft worden sei und er ein genaues Datum nicht benennen könne (OZ 12, S. 6). Richtig ist zwar, dass der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme ein genaues Datum nicht benennen konnte und spricht dies per se noch nicht gegen die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Er vermochte den Kauf jedoch auf die Taliban-Zeit einzugrenzen und schätzt dann, es sei etwa 2000 gewesen, was mit der nunmehrigen Angabe „zwischen 2000 und 2002“ nicht im Einklang steht. Im Hinblick auf die in dieser Erklärung des Beschwerdeführers (erneut) angedeuteten Behauptung, bei der Einvernahme am 12.10.2017 sei Protokollierung oder Übersetzung fehlerhaft, ist nochmals anzumerken, dass der Beschwerdeführer das Einvernahmeprotokoll nach erfolgter Rückübersetzung (AS 125) unterschrieben hat und mit seiner erneuten diesbezüglichen Einlassung insbesondere den bereits oben angesprochenen persönlichen Eindruck einer Anpassung des Aussageverhaltens des Beschwerdeführers an das Ziel eines positiven Verfahrensausganges verstärkt. Insgesamt kommt das Bundesverwaltungsgericht in einer Gesamtbetrachtung auch vor dem Hintergrund der Länderberichte zu dem Schluss, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Ermordung seines Vaters und Bruders und einer hieraus resultierenden Bedrohung auch seiner Person nicht glaubhaft ist.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan basiert auf den UNHCR Richtlinie (insbesondere Kapitel II. Überblick, Unterkapitel A. Die wichtigsten Entwicklungen in Afghanistan, S. 13 f. und Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel B. Flüchtlingsstatus nach den weitergehenden Kriterien gemäß dem UNHCR-Mandat oder nach regionalen Instrumenten und Schutz nach ergänzenden Schutzformen, Unterkapitel 2. Subsidiärer Schutz nach der Qualifikationsrichtlinie der EU [Richtlinie 2011/95/EU], S. 117 f.) und findet Bestätigung im vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 16.07.2020 (OZ 27) in das Verfahren eingebrachten Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage. Insbesondere die UNHCR-Richtlinien betonen die uneinheitliche Betroffenheit der unterschiedlichen Gebiete vom innerstaatlichen Konflikt. Diese lässt sich auch aus den Erläuterungen des Länderinformationsblattes zu den einzelnen Provinzen gut nachvollziehen.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.22. Nangarhar, sowie auf der EASO Country Guidance und dem EASO COI Report, Afghanistan, Security situation von Juni 2019, vom Bundesverwaltungsgericht ebenso mit Schreiben vom 16.07.2020 (OZ 27) in das Verfahren eingebracht.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer Im Fall der Rückkehr in die Herkunftsprovinz die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Übergriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden, beruht ebenso auf den eben zitierten Berichten zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz, wobei die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts inbesondere mit jener von EASO übereinstimmt (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel III. subsidiary protection, Unterkapitel Article 15(c) QD, Buchstabe c. Indisriminate violance, Abschnitt Nangarhar, S. 110).

Die Feststellung, dass Mazar-e Sharif unter Regierungskontrolle steht und von Kampfhandlungen im Wesentlichen nicht betroffen ist, basiert auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von Juni 2019 (Kapitel 2. Regional description of the security situation in Afghanistan, Unterkapitel 2.5. Balkh (S. 96 ff.). Insbesondere führt der Bericht Mazar-e Sharif als unter Regierungskontrolle stehend an und verzeichnet keine offene Präsenz der Taliban (siehe Tabelle S. 99). Auch Vertreibungen aus Mazar-e Sharif sind nicht verzeichnet (Unterkapitel 2.5.3.2. Displacement, S. 100).

Die Feststellung zum Flughafen basiert auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 2. Sicherheitslage, Unterkapitel 2.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Inernationaler Flughafen Mazar-e Sharif sowie auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von April 2019, Kapitel 2. Internal mobility, Unterkapitel 2.1 Airports and flight connections, S. 18, insbesondere Unterkapitel 2.1.3 Mazar-e Sharif, S. 19). Die EASO Country Guidance bestätigt, dass für den Flughafen von Mazar-e Sharif 9 km von der Stadt entfernt keine Zwischenfälle bekannt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection, Unterkapitel Travel and admittance, S. 130).

Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt, insbesondere auf der am 29.06.2020 eingefügten Information, sowie auf ACCORD, Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban, Stigmatisierung) von 05.06.2020, den das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 16.07.2020 (OZ 27) in das Verfahren eingebracht hat.

Aufgrund der in den oben zitierten Berichten enthaltenen Informationen zur Sicherheitslage in Mazar-e Sharif kann für den Fall der dortigen Niederlassung des Beschwerdeführers auch nicht festgestellt werden, dass ihm die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Feststellung zur möglichen Niederlassung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif ergibt sich insbesondere aus einer Zusammenschau der individuellen Umstände und Merkmale, die der Beschwerdeführer in seiner Person vereint unter Berücksichtigung der allgemeinen Lage.

Maßgebliche Faktoren für die Frage, ob sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif eine Lebensgrundlage wird aufbauen können, sind insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel V. Internal protection alternative, Unterabschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff.). Damit übereinstimmend stellen nach den UNHCR-Richtlinien insbesondere Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, Verwandtschaftsverhältnisse sowie Bildungs- und Berufshintergrund (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122) relevante Faktoren dar, wobei neben der Berücksichtigung dieser spezifischen persönlichen Umstände den UNHCR-Richtlinien zufolge auch darauf Bedacht zu nehmen ist, ob der Betreffende seine grundlegenden Menschenrechte wird ausüben können sowie ob er im für die Neuansiedelung in Betracht gezogenen Gebiet Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben (Zugang zu Unterkunft, Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur [Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung], Lebensgrundlage) unter würdigen Bedingungen vorfindet (UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben, S. 123 f.).

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig, spricht mit Paschtu und Dari die im Herkunftsstaat verbreitetsten Sprachen und verfügt über im Herkunftsstaat erworbene, für afghanische Verhältnisse relativ umfassende achtjährige Schulbildung. Er gehört als Angehöriger der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zur im Herkunftsstaat mit 80 bis 89,7 % der Gesamtbevölkerung mehrheitlich vertretenen Religionsgemeinschaft (Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit) und als Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen zur größten Volksgruppe des Herkunftsstaates (Länderinformationsblatt, Kapitel 16. Relevante Ethnische Minderheiten, Unterkapitel 16.1. Paschtunen). Insbesondere wird hinsichtlich dieser Volksgruppe nicht von spezifischen Diskriminierungen oder Gefahren berichtet. Der Beschwerdeführer verfügt zudem über Angehörige in der Herkunftsprovinz und damit grundsätzlich über soziale Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Zudem hat der Beschwerdeführer die finanziellen Verhältnisse seiner Familie selbst als „mittel“ eingeschätzt und verfügen diese über ein eigenes Haus und landwirtschaftliche Grundstücke in der Herkunftsprovinz und haben die Eltern den Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge bereits unterstützt, als er noch im Herkunftsstaat lebte (AS 120). Damit ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer von seiner Familie finanzielle Ressourcen erhalten kann, um sich eine selbstständige Lebensgrundlage aufzubauen. Zudem kann der Beschwerdeführer zur Anfangsunterstützung Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und seine Rückkehr und Unterstützung allenfalls bereits vom Bundesgebiet aus vorbereiten. Auch ist der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat aufgewachsen und daher zweifellos mit Sitten und Gebräuchen des Herkunftsstaates vertraut.

Im Hinblick auf die Beschränkungen des wirtschaftlichen Lebens in den afghanischen Großstädten, die auch Mazar-e Sharif zweifellos betreffen, ist auszuführen, dass sich aus den bereits weiter oben zitierten Berichten im Hinblick auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ergibt, dass es sich hierbei um lediglich vorrübergehende Maßnahmen handelt, die der Beschwerdeführer allenfalls durch Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe und Unterstützung seiner Familie überbrücken kann. Zudem ist anzumerken, dass diese Maßnahmen alle Einwohner Mazar-e Sharifs gleichermaßen betreffen, weswegen nicht ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer im Fall der Niederlassung in Mazar-e Sharif in größerem Maße davon betroffen wäre, als seine Landsleute. In einer Zusammenschau der zu erwartenden individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten wird ansiedeln und eine Lebensgrundlage wird aufbauen können. Entsprechende Feststellungen wurden getroffen.

Im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung ist auszuführen, dass diese den vorliegenden Informationen zufolge grundsätzlich gewährleistet. So ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsstaat in großen Städten und auf Provinzebene sichergestellt ist. Für Mazar-e Sharif wird von einigen Krankenhäusern berichtet (Kapitel 21. Medizinische Versorgung). Zwar ist im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie mit einer erheblichen Zusatzbelastung der bereits zuvor mangelhaften medizinischen Verosrgung in Afghanistan zu rechnen. Nachdem aber der Beschwerdeführer – wie bereits ausgeführt – gesund ist, ist für ihn eine spezifische medizinische Problemstellung im Fall der Rückkehr nicht zu erwarten. Zur COVID-19 Pandemie ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer mit Anfang 20 und ohne Vorerkrankungen nicht zur Risikogruppe gehört und folglich in seinem Fall ein schwerer Krankheitsverlauf mit Behandlungsbedarf im Krankenhaus im Fall einer Ansteckung im Herkunftsstaat nicht wahrscheinlich ist. Entsprechend wurde festgestellt, dass seine medizinische Versorgung gewährleistet ist.

Die Feststellung zur Rückkehrhilfe beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Rückkehr.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sei etwa die Vergewaltigung (VwGH 15.04.2020, Ra 2020/19/0003). Dabei kommt es nicht allein auf die Strafdrohung an und es genügt nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Es ist eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen. Lediglich in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen erweist sich bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose als zulässig (VwGH 15.04.2020, Ra 2020/19/0003).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zudem Voraussetzung für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, dass ein Verbrechen im Sinne des § 17 StGB begangen wurde. Erst in einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob es sich dabei – oder gegebenenfalls in einer Zusammenschau mehrerer begangener Delikte – um ein besonders schweres Verbrechen handelt (VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0116).

Gegenständlich wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 14 Hv 45/19d, rechtskräftig am 20.05.2020 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 206 Abs. 1, 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 letzter Fall StGB, §§ 201 Abs. 1, Abs. 2 dritter und vierter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hierbei handelt es sich um ein nach der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes typischerweise „schweres Verbrechen“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG, wobei sich die der Verurteilung zugrundeliegende Tat – im Vergleich zu einer „normalen“ Vergewaltigung – auch als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweist.

Der Beschwerdeführer hat damit den Asylausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG verwirklicht und war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG als unbegründet abzuweisen.

3.2.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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