TE Vwgh Beschluss 2020/9/29 Ra 2020/21/0344

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §25a Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1a

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des R J V A in L, vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1/4/23, gegen das am 5. Februar 2020 mündlich verkündete und mit 8. April 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G301 2178258-2/12E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Dominikanischen Republik, kam im Dezember 2010 - damals 14-jährig - rechtmäßig nach Österreich zu seiner hier bereits aufhältigen Mutter und seinem österreichischen Stiefvater. Er erhielt in der Folge Aufenthaltstitel; zuletzt verfügte er über eine bis 27. Juni 2019 gültige „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, wobei rechtzeitig ein Verlängerungsantrag gestellt wurde. Der Revisionswerber ist seit März 2019 an seinem Wohnort in einem Produktionsbetrieb für Getriebe und Schaumteile beschäftigt. Er spricht ausgezeichnet Deutsch; seine Muttersprache ist Spanisch. Der Revisionswerber war zuletzt im August 2015 in der Dominikanischen Republik, wo er sich einen Monat bei seinen dort lebenden Großeltern aufhielt.

2        Der Revisionswerber ist Vater einer im Juli 2014 geborenen Tochter, die österreichische Staatsbürgerin ist und die bei ihrer seit mehreren Jahren vom Revisionswerber getrennten Mutter lebt. Zu dieser Tochter besteht alle zwei Wochen ein Besuchskontakt. Der Revisionswerber ist auch noch Vater einer im März 2018 geborenen Tochter, die ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Der Mutter des Kindes, die sich kurz nach der Geburt vom Revisionswerber trennte, kommt die alleinige Obsorge zu. Der Revisionswerber hat seine Tochter zum letzten Mal im Herbst 2019 gesehen; zu ihr besteht wegen der diesbezüglichen Weigerung der Mutter kein regelmäßiger Kontakt. Der Revisionswerber leistet für beide Kinder Unterhalt.

3        Nachdem der Revisionswerber im Jahr 2015 wegen Erwerbs und Besitzes von Suchtgift (insbesondere Cannabiskraut) ausschließlich zum persönlichen Gebrauch zu einer teilbedingten Geldstrafe und im Jahr 2016 wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden war, erging mit Urteil vom 19. April 2017 eine weitere rechtskräftige Verurteilung, und zwar wegen qualifizierten Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 2 Z 3 SMG sowie wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG und nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter und siebenter Fall SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten (davon 16 Monate bedingt nachgesehen). Unter einem wurde Bewährungshilfe angeordnet. Bei allen Straftaten fanden noch die Sonderbestimmungen für junge Erwachsene (§ 19 JGG) Anwendung.

4        Hierauf erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 12. Oktober 2017 eine Rückkehrentscheidung und ein mit sechs Jahren befristetes Einreiseverbot, die jedoch vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) über Beschwerde des Revisionswerbers wegen des damit verbundenen, als unverhältnismäßig angesehenen Eingriffs in sein Privat-und Familienleben mit am 7. Februar 2018 mündlich verkündetem und sodann mit 5. März 2018 (gekürzt) ausgefertigtem Erkenntnis ersatzlos behoben wurden.

5        Der Revisionswerber wurde allerdings in der Folge neuerlich straffällig. Zunächst wurde er mit Urteil des Bezirksgerichtes Urfahr vom 26. April 2019 neuerlich wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG (Erwerb und Besitz von Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch) zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt. Des Weiteren wurden über ihn mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23. Juli 2019 eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten und eine unbedingte Geldstrafe verhängt, und zwar wegen beharrlicher Verfolgung nach § 107a Abs. 1 und 2 Z 2 StGB und wegen gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB.

6        Im Hinblick auf diese weiteren Straftaten erließ das BFA mit Bescheid vom 26. September 2019 gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG neuerlich eine Rückkehrentscheidung und verband damit gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein mit acht Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Dominikanische Republik zulässig sei. Schließlich räumte das BFA dem Revisionswerber gemäß § 55 FPG eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise ein.

7        Über die dagegen erhobene Beschwerde führte das BVwG am 5. Februar 2020 eine mündliche Verhandlung durch, an deren Ende es das angefochtene Erkenntnis verkündete. Damit wurde der Beschwerde insoweit teilweise Folge gegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf Jahre herabgesetzt wurde. Im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab. Des Weiteren sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

8        In der mit 8. April 2020 über fristgerechten Antrag erstellten schriftlichen Ausfertigung dieses Erkenntnisses hielt das BVwG zur Verurteilung des Revisionswerbers vom 19. April 2017 fest, ihm sei zur Last gelegt worden, zumindest 7,8 kg Cannabiskraut von diversen Lieferanten angekauft und davon abzüglich seines Eigenkonsums insgesamt zumindest 7,4 kg Cannabiskraut durchschnittlicher Qualität gewinnbringend an verschiedene Abnehmer verkauft zu haben. Besonders verwerflich sei dabei der Umstand gewesen, dass der Revisionswerber Cannabiskraut sowie 1 g Kokain auch an minderjährige Personen verkauft habe. Des Weiteren habe der Revisionswerber Suchtgift besessen und einem anderen zum Kauf angeboten sowie bestimmte Mengen Cannabiskraut bis zur polizeilichen Sicherstellung überwiegend zum beabsichtigten Verkauf besessen. Außerdem habe er Suchtgift ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und zum Eigenkonsum besessen. Der Revisionswerber habe sich vom 7. November 2016 bis zu seiner bedingten Entlassung am 19. April 2017 in Haft befunden.

9        In Bezug auf die letzte Verurteilung vom 23. Juli 2019 stellte das BVwG noch fest, ihr liege zugrunde, dass der Revisionswerber im Zeitraum von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2019, somit eine längere Zeit hindurch, seine frühere Lebensgefährtin (die Mutter seiner jüngeren Tochter) in einer Weise, die geeignet gewesen sei, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, widerrechtlich beharrlich dadurch verfolgt habe, dass er fortgesetzt im Wege einer Telekommunikation Kontakt zu ihr hergestellt habe, und zwar indem er sie täglich zwischen zwanzig und siebzig Mal angerufen sowie täglich unzählige SMS übermittelt habe. Des Weiteren habe der Revisionswerber am 31. März 2019 seine frühere Lebensgefährtin durch die sinngemäße SMS-Mitteilung, er könne ihr Leben kaputt machen und er werde sie schlagen, bis sie nicht mehr sehen könne, zumindest mit der Zufügung einer Körperverletzung gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Ergänzend stellte das BVwG in diesem Zusammenhang fest, einem Bericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 13. Juni 2018 zufolge seien gegen den Revisionswerber eine Wegweisung und ein Betretungsverbot verfügt worden, nachdem er sich ohne Zustimmung seiner früheren Lebensgefährtin in ihrer Wohnung aufgehalten habe und diese nicht freiwillig verlassen habe. Schließlich sei der Revisionswerber am 10. Jänner 2020 neuerlich wegen des Verdachts der gefährlichen Drohung gegen seine frühere Lebensgefährtin durch SMS-Nachrichten vom Dezember 2019 mittels polizeilichen Abschlussberichtes bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht worden.

10       Zu den persönlichen Verhältnissen verwies das BVwG noch darauf, dass der Revisionswerber den Großteil seiner in Österreich verbrachten Zeit (nach Beendigung des Pflichtschulbesuchs) beschäftigungslos gewesen sei und Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe bezogen habe. Darüber hinaus habe er seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Suchtmitteln finanziert.

11       In der rechtlichen Beurteilung betonte das BVwG insbesondere den Umstand, dass der Revisionswerber die zu seinen Gunsten ergangene Entscheidung (gemeint: die ersatzlose Aufhebung der ersten Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot; siehe Rn. 4) nicht „nutzte“, sondern neuerlich einschlägig straffällig geworden sei. Insgesamt sei aufgrund der Art und Schwere der von ihm begangenen Straftaten sowohl im Bereich der Suchtgiftkriminalität als auch in Bezug auf die längere Zeit „unnachgiebig“ andauernden Drohungen und Belästigungen von eine schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wobei das BVwG dazu noch auf den raschen Rückfall während offener Probezeit trotz Verspüren des Haftübels und Anordnung von Bewährungshilfe verwies. Angesichts des Verdachts, im Dezember 2019 seine frühere Lebensgefährtin neuerlich bedroht zu haben, könne insoweit auch nicht der Schluss auf eine ernsthafte Reue und Einsicht gezogen werden. Auch wenn vom BVwG das Kindeswohl zu berücksichtigen sowie auf den langen Aufenthalt des Revisionswerbers, seine sprachliche und (geringe) berufliche Integration und seine familiären Bindungen Bedacht zu nehmen sei, könnten diese Umstände das starke öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung nicht überwiegen. Die durch die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bewirkte zeitliche Trennung von seinen Angehörigen und Schwierigkeiten bei der Rückkehr in sein Heimatland seien „gerade vor dem Hintergrund seiner wiederholt rückfälligen Delinquenz“ im öffentlichen Interesse hinzunehmen. Allerdings sei die Dauer des Einreiseverbotes unter Bedachtnahme auf die „tatsächlich verhängten Freiheitsstrafen“ und die „sonstigen persönlichen Umstände“ des Revisionswerbers auf fünf Jahre herabzusetzen.

12       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde und ihrer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (VfGH 26.6.2020, E 1541/2020) - fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

13       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG). Dem entsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (siehe etwa zu auch vom hier einschreitenden Rechtsvertreter eingebrachten Revisionen VwGH 9.1.2020, Ra 2019/14/0592, Rn. 11, und VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0599, Rn. 5, jeweils mwN). Die vorliegende Revision enthält keine solche gesonderte Darstellung jener Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erachtet wird.

15       Aber auch unter Einbeziehung der Revisionsgründe, mit denen vor allem die vom BVwG nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung kritisiert wird, ist nicht zu erkennen, dass im vorliegenden Fall eine entscheidungswesentliche grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG gegeben wäre. Es ist nämlich ständige, schon mit dem Beschluss VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0033, beginnende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. unter vielen etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0113, Rn 6, mwN). Das ist hier trotz des Bestehens von familiären und privaten Anknüpfungspunkten in Österreich wegen der wiederholt einschlägigen Straffälligkeit des Revisionswerbers, von dem sich das BVwG in einer mündlichen Verhandlung auch einen persönlichen Eindruck verschaffte, auf Basis der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen, in der Revision nicht konkret bekämpften Feststellungen der Fall.

16       Im Übrigen ist es ebenfalls ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0118, Rn. 12, mwN). Es geht daher auch der diesbezügliche weitere Einwand in der Revisionsbegründung ins Leere.

17       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen angesprochen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG für den vorliegenden Fall grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 29. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210344.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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