TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/29 Ra 2020/21/0112

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
24/01 Strafgesetzbuch
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
FrPolG 2005 §67 Abs1
FrPolG 2005 §67 Abs3 Z2
MRK Art8 Abs2
StGB §278a
StGB §278b
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A S, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2019, G305 2225627-1/2E, betreffend Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der 1996 geborene Revisionsweber, ein polnischer Staatsangehöriger, reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres 2003 zu seiner bereits in Österreich lebenden Mutter nach Wien und hielt sich seitdem durchgehend im Bundesgebiet auf.

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. April 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit verurteilt.

3        Dem Schuldspruch lag im Wesentlichen zugrunde, der Revisionswerber habe sich zumindest von 1. September 2017 bis Juni 2018 als Mitglied an der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt, indem er einen deutschsprachigen Kampf-Nasheed des IS, der zu Terroranschlägen in Europa, der Abschlachtung von Europäern und dem militärischen Dschihad aufrief, im Fahrzeug des abgesondert verfolgten S.K. abgespielt und lautstark mitgesungen habe, während S.K. davon ein Video gedreht habe, das er anschließend unter anderem an S.I. geschickt habe; weiters indem er mit S.K. in wiederholten Angriffen Youtube-Links mit Propagandamaterial des IS, in welchem zum militärischen Dschihad gegen die westlichen Demokratien aufgerufen wurde, in Chats geteilt habe, und letztlich indem er in wiederholten Angriffen Propagandamaterial des IS, nämlich den IS, dessen Kämpfer und den militärischen Dschihad glorifizierende und terroristische, religiös motivierte Gewaltverbrechen des IS an Menschen zeigende Bild- und Audiodateien und IS-Kampfnasheeds an die abgesondert verfolgten S.I., S.K., M.M. und F.G. geschickt bzw. mit ihnen in Gruppenchats geteilt habe.

4        Bei der Strafbemessung wertete das Strafgericht den bisher ordentlichen Lebenswandel und das Geständnis als mildernd, erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen. Gemäß § 50 StGB wurde dem Revisionswerber die Weisung erteilt, sich einer Deradikalisierungstherapie zu unterziehen, dem Gericht den Therapieantritt binnen eines Monats bekannt zu geben und unaufgefordert alle vier Monate über den Therapiefortgang zu berichten.

5        Im Hinblick auf die genannte Verurteilung erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 9. Oktober 2019 gemäß § 67 Abs. 1 und 3 FPG gegen den Revisionswerber ein unbefristetes Aufenthaltsverbot, wobei es ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährte.

6        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. November 2019 als unbegründet abgewiesen.

7        Das Bundesverwaltungsgericht stellte zunächst das eingangs geschilderte strafrechtswidrige Verhalten des Revisionswerbers dem Urteilsspruch folgend fest und führte sodann aus, dass für die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes nach dem Gesetzeswortlaut des § 67 Abs. 3 Z 2 FPG bereits der Verdacht der dort geschilderten Tatbestände genüge. Aufgrund der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Revisionswerbers bestehe jedoch sogar Gewissheit über seine Förderung und Beteiligung an einer Terrororganisation. Dass Straftaten der vom Revisionswerber glorifizierten Art eine reale Gefahr darstellten, liege spätestens seit den Attentaten in Frankreich, Belgien, Deutschland, Großbritannien und Spanien mit einer Vielzahl unschuldiger Todesopfer, zu denen sich der IS bekannt habe, auf der Hand. Umso schwerer wiege es, wenn jemand wie der Revisionswerber solche Untaten glorifiziere bzw. dazu aufrufe, sich dabei noch filmen und die Filmsequenz verbreiten lasse. Würde die Verharmlosung dieser Tat geduldet und fände sie keine entsprechende Sanktion, so würde dies einen Freibrief für Personen bedeuten, die zur Abschlachtung von Andersgläubigen aufriefen. Im Aufruf zum Dschihad gegen die westlichen Demokratien zeige sich ein abgrundtief gegen die westliche Wertegemeinschaft gerichtetes, die hier geltenden Gesetze zutiefst ablehnendes Persönlichkeitsbild des Revisionswerbers. Das von ihm gezeigte Persönlichkeitsbild sei, selbst unter dem Gesichtspunkt, dass sich der Revisionswerber in der Beschwerdeschrift reumütig gebe, „Menetekel für das künftig für die Rechtsordnung der in die westliche Wertegemeinschaft eingebettete[n] Republik Österreich vom [Revisionswerber] ausgehende, besondere Gefährdungspotential“. Dieser Umstand lasse sich nicht relativieren, zumal die vom Strafgericht der Verurteilung zugrunde gelegten Fakten, die ein „eindrucksvolles Persönlichkeitsbild“ zeichneten, durch den Verzicht auf ein Rechtsmittel bereits am 9. April 2019 in Rechtskraft erwachsen seien. Das von einem massiven Radikalisierungsgrad geprägte Persönlichkeitsbild des Revisionswerbers und die von ihm nach wie vor ausgehende Gefahr zeigten sich auch in der Auflage des Strafgerichtes, sich einer Deradikalisierungstherapie zu unterziehen. Mit dieser Therapie habe der Revisionswerber noch nicht einmal begonnen. Hätte er mit der Therapie begonnen, so hätte er dies in seiner „akribischen“ Beschwerde behauptet und durch entsprechende Nachweise belegt. Die in der Beschwerde enthaltene Behauptung, dass er sich schon längst von seinem Verhalten distanziert habe und es bereue, führe nicht zum Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährlichkeit, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen sei, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe bzw. hier nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung - in Freiheit wohlverhalten habe. Zwischen dem Strafurteil und der Erlassung der in Beschwerde gezogenen Erledigung der belangten Behörde liege jedoch nur ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum, in dem sich ein exkulpierendes Wohlverhalten nicht feststellen lasse. Insgesamt müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber nach wie vor eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich darstelle.

8        Zum Privat- und Familienleben des Revisionswerbers führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass er im Bundesgebiet einer legalen Beschäftigung nachgehe und daraus Einkünfte erziele. Seit dem 20. September 2019 sei er Vater eines minderjährigen Kindes und lebe mit diesem sowie mit der Kindesmutter im gemeinsamen Haushalt. Dem Revisionswerber komme mit der Lebensgefährtin die gemeinsame Obsorge für das Kind zu, das wie die Kindesmutter die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Aufgrund der vom Revisionswerber nach wie vor ausgehenden hohen Gefahr müsse das hier erst seit kurzem bestehende Familienleben aber eine Relativierung hinnehmen, weshalb es der Erlassung eines Aufenthaltsverbots im gegenständlichen Spezialfall nicht entgegenstehe. Es könne nicht angehen, dass Österreich die Wahrung seiner Integrität sowie die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung zugunsten des - hier ohnehin nicht gefährdeten - Kindeswohles eines einzigen Kindes, das nur deshalb eine Einbuße erfahre, weil das Kind durch das erlassene Aufenthaltsverbot nicht ständig mit dem Vater zusammenlebe, hintanzustellen hätte. Hervorzuheben sei auch, dass in Österreich eine Vielzahl alleinerziehender Mütter lebe, deren Kindern ein Zusammenleben mit dem Kindesvater unter einem Dach verwehrt sei und deren Kindeswohl dadurch nicht beeinträchtigt werde. Es stehe der Kindesmutter und dem Kind auch frei, den Revisionswerber in seiner Heimat Polen zu besuchen. Selbst ein Aufwachsen des Kindes in Österreich ohne den radikalisierten Kindesvater würde das Kindeswohl nicht gefährden. Eine Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots scheitere auch bei Berücksichtigung der familiären Anknüpfungen des Revisionswerbers im Bundesgebiet am hohen Gefährdungspotential des Revisionswerbers.

9        Da eine mündliche Verhandlung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten habe lassen, sei der Sachverhalt im Sinne des § 24 Abs. 4 VwGVG entscheidungsreif gewesen. Dem Bundesverwaltungsgericht sei die „zur Klärung der Rechtsfrage nötige Aktenlage“ vorgelegen.

10       Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (Beschlüss vom 21. Jänner und 21. Februar 2020 zu E 126/2020) fristgerecht eingebrachte - außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

11       Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

12       Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0007, Rn. 6, mwN).

13       Im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung des Revisionswerbers war im vorliegenden Fall zwar der Tatbestand des § 67 Abs. 3 Z 2 FPG erfüllt, was nach der genannten Bestimmung grundsätzlich die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots ermöglicht, und auch den - aufgrund des mehr als zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet maßgeblichen - Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG indiziert (vgl. VwGH 9.11.2011 2011/22/0264, Punkt 5. der Entscheidungsgründe). Das rechtfertigt aber nicht ohne Weiteres die Verhängung eines (unbefristeten) Aufenthaltsverbotes. Letztlich sind für die Gefährdungsprognose nach der wiedergegebenen Rechtsprechung nämlich stets das Gesamtverhalten des Fremden und die sich daraus erschließende Persönlichkeit entscheidend.

14       Das Bundesverwaltungsgericht leitete ein negatives Persönlichkeitsbild und eine vom Revisionswerber aktuell ausgehende Gefährdung im Sinn des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG aus den nach den §§ 278a und 278b StGB bestraften Tathandlungen-insbesondere Verbreiten von IS-Propagandamaterial - sowie daraus ab, dass ihm vom Strafgericht die Weisung zu einer Deradikalisierungstherapie erteilt worden sei, die er jedoch noch nicht begonnen habe. Die diesbezügliche Beweiswürdigung - ein Therapiebeginn sei nicht anzunehmen, weil er in der „akribischen“ Beschwerde nicht behauptet worden sei - ist allerdings unschlüssig, zumal nicht davon die Rede sein kann, dass der zweiseitige Beschwerdeschriftsatz „akribisch“ verfasst worden wäre. Das rügt auch die Revision unter Vorlage einer Stellungnahme des Vereins DERAD vom 8. November 2019, derzufolge der Revisionswerber von dem Verein seit April 2019 betreut werde und die vereinbarten 14-tägigen Treffen bisher immer pflichtbewusst wahrgenommen habe. In dieser Stellungnahme wird im Übrigen auch festgehalten, dass dem (zum Islam konvertierten) Revisionswerber Religion zwar ein wichtiges Anliegen sei und er versuche, den „obligatorischen Handlungen“ so gut es gehe nachzukommen, er trotz seiner Verurteilung nach § 278b StGB aber keine dschihadistischen Tendenzen aufweise. Dies liege einerseits daran, dass er in der Regel in einer Gemeinde verkehrt habe, welche den IS und dschihadistische terroristische Vereinigungen offen ablehne, andererseits an seinem Freundeskreis. Auch eine nicht gewaltaffine, aber dennoch radikale und problematische Ideologie sei dem Revisionswerber fremd. Er fühle sich als Teil dieser Gesellschaft und wende sich auch an die staatlichen Organe, falls dies notwendig sei. Die Entwicklung des Revisionswerbers verlaufe so gut, dass die Intervalle der Termine in Kürze verlängert würden.

15       Aus den vorgelegten Akten ist zwar nicht ersichtlich, dass die Stellungnahme des Vereins DERAD dem Bundesverwaltungsgericht (wie in der Revision behauptet) tatsächlich übermittelt worden, umgekehrt gab es aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Revisionswerber seit Ende des Tatzeitraums nicht wohlverhalten hätte.

16       Angesichts dessen und im Hinblick auf die nur bedingte Strafe hätte es der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung bedurft, um sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber zu verschaffen und ihn sowohl zu den Hintergründen der Taten als auch zu seiner seither erfolgten Entwicklung zu befragen, zumal der Revisionswerber schon in seiner Beschwerde vorgebracht hatte, sich längst von seinem Verhalten distanziert zu haben und es zu bereuen.

17       Das gilt auch in Bezug auf die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG: Der Revisionswerber lebt nicht nur schon seit seinem achten Lebensjahr in Österreich (sodass er auch den früheren Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG idF vor dem FrÄG 2018 erfüllt haben dürfte - vgl. dazu zuletzt VwGH 16.7.2020, Ra 2019/21/0335, Rn. 13, mwN), sondern er hat auch eine österreichische Lebensgefährtin und mit dieser ein - im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts knapp zwei Monate altes - gemeinsames Kind. Um dennoch die Erlassung eines Aufenthaltsverbots rechtfertigen zu können, bedürfte es einer besonders massiven vom Revisionswerber ausgehenden Gefahr, was nicht allein aus der Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe nach den §§ 278a und 278b abgeleitet werden kann, sondern fallbezogen sowohl die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks als auch nähere Feststellungen zum tatsächlichen Gefährdungspotential des Revisionswerbers - und nicht nur zur Gefährlichkeit des IS - erfordert hätte.

18       Zwar erlaubt § 21 Abs. 7 BFA-VG - der im vorliegenden Fall anstelle des vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen, aber nur subsidiär geltenden § 24 VwGVG maßgeblich war (vgl. VwGH 30.6.2015, Ra 2014/21/0040, Punkt 4. der Entscheidungsgründe, mwN) - das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang aber auch wiederholt darauf hingewiesen, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die (allenfalls erforderliche) Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Nur in eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann eine Verhandlung unterbleiben (vgl. in diesem Sinne etwa VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0097, Rn. 21, mwN). Von einem in diesem Sinn geklärten Fall konnte hier nicht ausgegangen werden.

19       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

20       Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 29. September 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210112.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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