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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §66 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A R (alias P F), vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2019, W186 2224407-1/19E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang (Spruchpunkt A.II.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein kolumbianischer Staatsangehöriger, wurde am 8. Oktober 2019 auf Grund eines als Mandatsbescheid bezeichneten Schriftstückes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Schubhaft genommen.
2 Mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2019 erhob er, vertreten durch seinen Rechtsberater, Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG gegen den „Bescheid“ vom 8. Oktober 2019 und die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft. In der Beschwerde wurde unter anderem vorgebracht, dass der Bescheid im Hinblick auf die psychische Erkrankung des Revisionswerbers nicht rechtswirksam zugestellt worden sei; dies vor dem Hintergrund, dass für den Revisionswerber am 19. Juli 2019 ein einstweiliger Erwachsenenvertreter und am 19. September 2019 ein Erwachsenenvertreter für seine Vertretung im Asylverfahren bestellt worden war.
3 Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses die Schubhaftbeschwerde als unzulässig zurück.
4 Der gegenständliche Schubhaftbescheid sei dem Revisionswerber durch persönliche Übernahme „zugestellt“ worden. Zu diesem Zeitpunkt habe aber eine Erwachsenenvertretung vorgelegen. In seinem Erwachsenenvertretungsbestellungsbeschluss habe das Bezirksgericht festgestellt, dass der Revisionswerber auf Grund seiner beeinträchtigten Entscheidungsfähigkeit die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten nicht ohne die Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen könne. Es sei daher anzunehmen, dass der Revisionswerber nicht in der Lage sei, sich im gegenständlichen Schubhaftverfahren selbst zu vertreten, weshalb ihm der Schubhaftbescheid nicht persönlich hätte zugestellt werden dürfen. Eine Heilung durch ein tatsächliches Zugehen an den Erwachsenenvertreter habe nicht festgestellt werden können. Der Bescheid vom 8. Oktober 2019 sei daher nicht erlassen worden.
5 Mit Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses stellte das Bundesverwaltungsgericht - mit näherer Begründung - gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt seiner Entscheidung vorlägen.
6 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
Gegen Spruchpunkt A.II. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
7 Der Revisionswerber macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG in erster Linie geltend, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, welche Auswirkungen der Umstand der Inschubhaftnahme ohne Rechtsgrundlage auf den Fortsetzungsausspruch des Bundesverwaltungsgerichts habe. Der Ausspruch über die Fortsetzung der Schubhaft ohne Bestehen einer Anordnung der Schubhaft stelle eine Überschreitung der Kompetenz des Bundesverwaltungsgerichts dar. Da sich der Revisionswerber auf Grund eines - wie auch vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt - nichtigen Rechtsaktes in Gewahrsam befunden habe, sei auch nicht über eine Fortsetzung der Schubhaft zu entscheiden gewesen.
8 Mit diesem Vorbringen ist der Revisionswerber - allerdings im Sinne eines Abweichens von schon ergangener Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - im Ergebnis im Recht.
9 Der Fortsetzungsausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG setzt nämlich eine zulässige Schubhaftbeschwerde voraus, handelt es sich doch um nichts anderes als eine Entscheidung „in der Sache“ über die Schubhaftbeschwerde (vgl. VwGH 3.7.2018, Fr 2018/21/0016, Rn. 7, mit Hinweis auf VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0143, Rn. 15; siehe auch VwGH 7.3.2019, Ra 2019/21/0006, Rn. 9 und 10, unter Hinweis auf VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0119).
10 Da das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall selbst von einer unzulässigen Schubhaftbeschwerde ausgegangen ist und diese mit - unbekämpft gebliebenem - Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Erkenntnisses zurückgewiesen hat, hätte es demnach keinen Fortsetzungsausspruch treffen dürfen.
11 Der Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.
12 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. September 2020
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210357.L00Im RIS seit
17.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.11.2020