Index
22/02 ZivilprozessordnungNorm
SchiffahrtsG 1997 §103 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer, Mag. Nedwed und Mag. Samm als Richter, sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Mag. A H in W, vertreten durch Felsberger & Aspernig, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt am Wörthersee, Waaggasse 17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 2. Juni 2020, Zl. KLVwG-262/2/2020, betreffend eine Angelegenheit nach dem Schifffahrtsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Kärnten), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit der Hauptantrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Zulassungsurkunde gemäß § 103 Abs. 1 Schifffahrtsgesetz „mit einem in der Zukunft liegenden Gültigkeitsdatum“ zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und insoweit, als damit der Eventualantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Schreiben vom 6. Juni 2014 übermittelte das Amt der Kärntner Landesregierung dem Revisionswerber eine Internationale Zulassungsurkunde für Sportfahrzeuge betreffend ein näher umschriebenes Motorboot. Die Gültigkeit der Zulassung war darin bis 30. September 2018 befristet.
2 Das Schreiben und die Zulassungsurkunde wurden an die amtsbekannte Wohnadresse des Revisionswerbers in W gesandt und laut Postrückschein nach einem Zustellversuch am 11. Juni 2014 am Folgetag (12. Juni 2014) beim Postamt hinterlegt; eine Verständigung über die Hinterlegung sei nach den Angaben am Postrückschein in der Abgabeeinrichtung eingelegt worden.
3 Am 29. Mai 2019 stellte der Revisionswerber beim Landeshauptmann von Kärnten den Antrag, der Landeshauptmann „möge einen Bescheid, in welchem die Zulassungsurkunde mit einem in der Zukunft liegenden Gültigkeitsdatum festgelegt [werde] und welcher sohin eine ausreichende Frist zur Einbringung einer wiederkehrenden Überprüfung durch den Antragsteller [erlaube], erteilen und diesen Bescheid dem Antragsteller ordnungsgemäß zustellen.“ Hilfsweise beantragte der Revisionswerber (u.a.) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in das Überprüfungsverfahren (wiederkehrende Untersuchung) zur neuerlichen Ausstellung der Zulassungsurkunde.
4 Dazu brachte er zusammengefasst vor, aufgrund seiner Ortsabwesenheit von der Abgabestelle zwischen 10. Juni 2014 und Anfang Juli 2014 sei ihm die Zulassungsurkunde vom 6. Juni 2014 nie rechtswirksam zugestellt worden. Der Zustellmangel sei auch nie geheilt worden. Dementsprechend habe auch die in der Zulassung vorgesehene Frist bis 30. September 2018 nie zu laufen begonnen. Sollte jedoch von einer rechtswirksamen Zustellung ausgegangen werden, beantrage der Revisionswerber hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er keine Hinterlegungsanzeige für die Sendung vorgefunden habe. Wenn eine solche tatsächlich im Brieffach eingelegt gewesen sei, sei sie von der Ehegattin des Revisionswerbers beim Entleeren des Postfaches versehentlich weggeworfen worden. Dieses Verhalten würde einen minderen Grad des Versehens nicht überschreiten.
5 Mit Bescheid vom 19. Dezember 2019 wies der Landeshauptmann von Kärnten sowohl den Haupt- als auch den Eventualantrag zurück.
6 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten (VwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe ab, dass der Eventualantrag nicht zurück-, sondern abgewiesen werde. Die Revision erklärte das VwG für nicht zulässig.
7 Begründend führte das VwG aus, die Zustellung der Zulassungsurkunde vom 6. Juni 2014 an den Revisionswerber sei am 12. Juni 2014 rechtswirksam durch Hinterlegung erfolgt. Daran ändere auch die - als wahr unterstellte - Ortsabwesenheit des Revisionswerbers von der Abgabestelle im Zeitraum 10. Juni 2014 bis Anfang Juli 2014 nichts. Auch das Vorbringen des Revisionswerbers, er habe in seinem Hausbriefach keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden, sei nicht von Belang. Nach der Rückkehr an die Wohnadresse hätte sich der Revisionswerber nämlich bei der Behörde über den Verbleib des Bescheides erkundigen müssen, da er von der baldigen Zustellung der Zulassungsurkunde gewusst, in der Folge jährlich die Motorbootabgabe bezahlt habe und die Zulassungsurkunde bei Ausfahrten mit dem Motorboot (offenbar gemeint nach Juni 2014) habe mitführen müssen. Es ergebe sich daher, dass die Zulassungsurkunde (Bescheid) vom 6. Juni 2014 mit 12. Juni 2014 ordnungsgemäß und rechtswirksam durch Hinterlegung zugestellt worden sei. Eine neuerliche Zustellung der Zulassung (Bescheid) könne sohin nicht erfolgen (und würde diese auch keine Rechtswirkungen entfalten, weil die Zulassungsfrist bereits abgelaufen sei). Die Zurückweisung des diesbezüglichen Antrags durch die belangte Behörde sei daher nicht zu beanstanden. Auch eine Wiedereinsetzung sei dem Revisionswerber nicht zu bewilligen, weil er die ihm obliegenden Sorgfalts- und Erkundigungspflichten grob schuldhaft verletzt habe.
8 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache unter Hinweis auf das bisherige Prozessvorbringen unter anderem geltend macht, dass dem Revisionswerber der Zulassungsbescheid vom 6. Juni 2014 - entgegen den Annahmen des VwG - nie rechtswirksam zugestellt worden sei, weshalb auch keine Frist ausgelöst worden sei. Gemäß § 102 Abs. 3 SchFG werde die Zulassung befristet erteilt und es sei eine Verlängerung der Geltungsdauer der Zulassung zulässig. Das SchFG regle nicht, für wie viele Jahre die befristete Zulassung zu erteilen sei, sondern mache dies vom jeweiligen Ergebnis der wiederkehrenden Überprüfung der Fahrtauglichkeit abhängig. Es stelle sich die Frage, ob die Dauer einer Befristung ablaufen könne, wenn dem Bescheidadressaten der Bescheid über die Dauer der Befristung nicht zugestellt worden sei.
9 Der Landeshauptmann von Kärnten hat zu dieser Revision eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der er die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Revision beantragt.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Gemäß § 100 Abs. 1 Schifffahrtsgesetz (SchFG) bedürfen Fahrzeuge - auf näher umschriebenen Gewässern - einer Zulassung durch die Behörde. Diese Zulassung wird über Antrag des Verfügungsberechtigten durch die Behörde erteilt (§ 102 Abs. 1 SchFG). Die Zulassung ist gemäß § 102 Abs. 3 SchFG befristet zu erteilen; eine Verlängerung der Geltungsdauer der Zulassung nach Untersuchung der Fahrtauglichkeit ist zulässig.
13 Gemäß § 103 Abs. 1 SchFG ist die Zulassung mit einer Urkunde (Zulassungsurkunde) zu erteilen; diese gilt als Bescheid. Die Zulassung eines Fahrzeuges erlischt (unter anderem) mit Ablauf der Zeit, für die sie erteilt wurde (§ 106 Abs. 1 Z 1 SchFG).
14 Es ist unstrittig, dass am 5. Juni 2014 eine sachverständige Überprüfung der Fahrtauglichkeit des gegenständlichen Motorboots stattgefunden hatte. In der Folge übermittelte die Schifffahrtsbehörde dem Revisionswerber die Zulassungsurkunde vom 6. Juni 2014, welche eine Befristung der Gültigkeit bis 30. September 2018 enthielt. Dieser Bescheid (§ 103 Abs. 1 SchFG) wurde an die Wohnadresse des Revisionswerbers gesandt und dort - ausweislich eines Postrückscheins - nach einem Zustellversuch am 11. Juni 2014 unter Zurücklassung einer Hinterlegungsanzeige im Postbrieffach - hinterlegt; der Beginn der Abholfrist wurde auf dem Rückschein mit 12. Juni 2014 vermerkt.
15 Über das weitere Schicksal der hinterlegten Sendung enthält das angefochtene Erkenntnis keine Feststellungen. Es ist daher nicht bekannt, ob und wann die Sendung tatsächlich abgeholt wurde (dies wird vom Revisionswerber bestritten), ob sie an die Schifffahrtsbehörde zurückgesandt wurde und ob sie dem Revisionswerber zu einem späteren Zeitpunkt jemals übermittelt wurde (auch dies bestreitet der Revisionswerber).
16 Das VwG setzte sich auch nicht mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinander, wonach eine Hinterlegungsanzeige entgegen der Beurkundung auf dem Postrückschein tatsächlich nicht in seinem Postbrieffach hinterlassen worden sei. Gleichzeitig unterstellte es - ohne beweiswürdigende Auseinandersetzung - als wahr, dass der Revisionswerber in der von ihm angegebenen Zeit vom 10. Juni 2014 bis Anfang Juli 2014 urlaubsbedingt nicht an seiner Wiener Wohnadresse aufhältig gewesen sei.
17 Ausgehend davon ist nicht nachvollziehbar, weshalb das VwG eine rechtswirksame Zustellung der Zulassungsurkunde am 12. Juni 2014 an den Revisionswerber für erwiesen ansah.
18 Dem Revisionswerber ist im Ergebnis zuzustimmen, dass nach der hg. Rechtsprechung die in § 17 Abs. 2 ZustG genannte Verständigung des Empfängers von der Hinterlegung (Hinterlegungsanzeige) unabdingbare Voraussetzung einer Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist. Unterbleibt die Hinterlegungsanzeige, so tritt eine wirksame Zustellung durch Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 3 ZustG nicht ein. Zwar macht ein ordnungsgemäßer Zustellnachweis als öffentliche Urkunde Beweis über die Zustellung; allerdings ist der Gegenbeweis möglich (vgl. etwa VwGH 1.2.2019, Ro 2018/02/0014, mwN). Das VwG hätte daher die Frage, ob eine Hinterlegungsanzeige in das Postfach des Revisionswerbers eingelegt worden ist, nicht dahingestellt lassen dürfen, ehe es die Rechtswirksamkeit der Zustellung der Zulassungsurkunde bejahte.
19 Auch eine Ortsabwesenheit des Revisionswerbers in der Zeit vom 10. Juni 2014 bis Anfang Juli 2014 von der Abgabestelle konnte einer rechtswirksamen Zustellung entgegenstehen. Die Zustellung durch Hinterlegung gilt gemäß § 17 Abs. 3 zweiter Satz ZustG nämlich nicht als bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Die Zustellung wird im Übrigen nur dann an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden konnte, wenn die Rückkehr innerhalb der Abholfrist erfolgte. Dass diese Voraussetzung im gegenständlichen Fall erfüllt gewesen wären, ergibt sich aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht.
20 Dem VwG erschienen diese Rechtsfragen nicht von Bedeutung, weil es von einer Erkundigungspflicht des Revisionswerbers über den Stand des Verfahrens nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub ausging. Dem VwG ist zwar zuzustimmen, dass der Revisionswerber ein eigenes Interesse gehabt haben musste, sich nach dem Verbleib der Zulassungsurkunde zu erkundigen (war er gemäß § 103 Abs. 5 SchFG doch verpflichtet, die Urkunde stets im Original an Bord mitzuführen) und seine behauptete diesbezügliche Untätigkeit über einen Zeitraum von fünf Jahren schwer nachvollzogen werden kann. Unterbliebene Erkundigungen des Revisionswerbers führen aber nicht dazu, dass allein deshalb von einer rechtswirksamen Zustellung der Zulassungsurkunde ausgegangen werden könnte. Sie erübrigen daher auch nicht die Klärung der zuvor (Rn. 18 und 19) angesprochenen Voraussetzungen für die rechtmäßige Zustellung des Zulassungsbescheids. Die Erwägungen des VwG zum Hauptantrag des Revisionswerbers erweisen sich daher als rechtlich unzutreffend.
21 Im Übrigen scheint das VwG bei seiner Entscheidung den Hauptantrag des Revisionswerbers dahingehend zu interpretieren, dass der Revisionswerber lediglich die neuerliche Zustellung der Zulassungsurkunde vom 6. Juni 2014 begehre. Diese könne aber keine Rechtswirkungen (mehr) entfalten, weil die Zulassungsfrist bereits abgelaufen sei. Letzteres trifft zwar insofern zu, als die in der Zulassungsurkunde genannte Frist bereits abgelaufen ist und dem Revisionswerber mit der Zustellung dieser Urkunde nicht geholfen wäre. Der Antrag des Revisionswerbers war aber nicht auf die bloße Zustellung der Zulassungsurkunde vom 6. Juni 2014 gerichtet. Der Revisionswerber strebte vielmehr die Ausstellung einer Zulassungsurkunde mit einer noch nicht abgelaufenen Gültigkeitsdauer an. Würde sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass dem Revisionswerber der Zulassungsbescheid vom 6. Juni 2014 bis dato nicht rechtswirksam zugestellt worden ist, bedürfte es einer näheren Prüfung dieses dargestellten Hauptantrags.
22 Da die Entscheidung des VwG über den Hauptantrag des Revisionswerbers keinen Bestand haben kann, war über den Eventualantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch nicht abzusprechen. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. VwGH 19.6.2015, Ra 2014/02/0178, mwN).
23 Ungeachtet dessen ist zum Eventualantrag anzumerken, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur bei Versäumung von Fristen mit verfahrensrechtlichem Charakter in Betracht kommt, während gegen die Versäumung von materiell-rechtlichen Fristen (wie etwa einer Frist, nach deren Verstreichen ein Recht materiell-rechtlich erlischt) nicht in Betracht kommt (vgl. dazu etwa VwGH 5.9.2018, Ra 2018/03/0085, mwN).
24 Das angefochtene Erkenntnis war daher insoweit, als damit der Hauptantrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Zulassungsurkunde im Sinne des § 103 Abs. 1 Schifffahrtsgesetz „mit einem in der Zukunft liegenden Gültigkeitsdatum“ zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG und insoweit, als damit der Eventualantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
25 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2 und 4 VwGG abgesehen werden.
26 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 9. Oktober 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020030101.L00Im RIS seit
17.11.2020Zuletzt aktualisiert am
17.11.2020