Entscheidungsdatum
08.10.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
ZustG §26aText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Triendl über die Beschwerde der Frau AA, geb. ***, Adresse 1, Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 27.5.2020, *** wegen Zurückweisung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung im Zusammenhang mit einer Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch der Beschwerdeführerin vom 30.4.2020 gegen die Strafverfügung vom 30.3.2020 wegen einer Übertretung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz als verspätet zurückgewiesen. Dagegen erhob die Beschuldigte rechtzeitig Beschwerde und brachte darin zusammenfassen vor, sie sei zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Sendung an der Zustelladresse ortsabwesend gewesen und erst am 16.4.2020 dorthin zurückgekehrt, zumal sie bis dahin in Y an ihrem Nebenwohnsitz aufhältig gewesen sei.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte zunächst erhebliche Zweifel an der Schilderung der Beschwerdeführerin und richtete folgendes, mit 29.6.2020 datierte Schreiben an sie:
„Sehr geehrte Frau AA,
Sie haben gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 27.5.2020, Zl. ***, mit dem Ihr Einspruch gegen die Strafverfügung vom 30.3.2020 als verspätet zurückgewiesen wurde, Beschwerde erhoben.
Sie bringen darin u.a. vor, die Strafverfügung sei Ihnen erst am 16.4.2020 zu Kenntnis gelangt und sei daher der Einspruch vom 30.4.2020 rechtzeitig. Ihre Argumente sind nicht stichhaltig. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in Zeiten von Corona die Zustellung auch von RSb-Sendungen kontaktlos erfolgen kann. Eine derartige Zustellung liegt hier laut Rückschein vor. Die Sendung wurde also am 6.4.2020 an der Abgabestelle hinterlegt und ist damit mit diesem Datum zugestellt. Was Ihre Kenntnis von der Strafverfügung betrifft, sind Sie widersprüchlich, schickten Sie doch per 7.4.2020 (!) eine E-Mail an den zuständigen Sachbearbeiter der Bezirkshauptmannschaft Y, nehmen darin konkret auf die gegenständliche Strafverfügung Bezug und fragten wegen einer Ratenzahlung (die Sie schlussendlich auch erhielten) nach. Sie hatten daher jedenfalls am 7.4.2020 Kenntnis von der Strafverfügung. Auch Ihre Diktion im Einspruch vom 30.4.2020 spricht für die Annahme, dass Sie, wie oben ausgeführt, die Strafverfügung spätestens am 7.4.2020 in Ihren Händen hatten, schreiben Sie doch selbst von einem „nachträglichen“ Einspruch.
Nach dem Stand des bisherigen Ermittlungsverfahrens müssen Sie daher mit einer Abweisung Ihrer Beschwerde rechnen. Sie haben die Möglichkeit, dazu binnen einer Frist von zwei Wochen ab Erhalt dieser Zuschrift eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.“
Dieses Schreiben wurde mit Eingabe vom 4.8.2020 dahingehend beantwortet, dass sich die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Studiums zum Zustellzeitpunkt in Y aufgehalten habe, von ihren Eltern telefonisch über das Eintreffen der Strafverfügung informiert wurde und erst am 16.4.2020 das Dokument persönlich entgegen genommen habe.
Schlussendlich legte die Beschwerdeführerin dem Gericht diverse Beweismittel vor, die ihren Aufenthalt in der hier in Frage kommende Zeitspanne außerhalb des Hauptwohnsitzes belegen sollten. Daraufhin richtete das Landesverwaltungsgericht Tirol folgendes Schreiben an die belangte Behörde:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
in der gegenständlichen Beschwerdeangelegenheit hat das Ermittlungsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol gezeigt, dass nach aktuellem Stand die Verantwortung der Beschuldigten, die Strafverfügung vom 30.3.2020 wegen Ortsabwesenheit erst am 16.4.2020 persönlich entgegen genommen zu haben, nicht unschlüssig erscheint. Nach dem derzeitigen Stand des Ermittlungsverfahrens ist daher mit einer Behebung des angefochtenen Bescheides vom 27.5.2020 zu rechnen.
Es wird Ihnen nunmehr als belangte Behörde die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen einer Frist von zwei Wochen ab Erhalt dieser Zuschrift eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.“
Die Bezirkshauptmannschaft Y beantwortete dieses Schreiben mit Eingabe vom 28.9.2020 zusammenfassend dahingehend, dass davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin von der Zustellung und dem Dokument jedenfalls Kenntnis erlangt habe. Das Dokument sei wirksam am 8.4.2020 im Zweifelsfall an eine im selben Haushalt lebende Person zugestellt worden. Sie sei in der Folge von einer im selben Haushalt wohnenden Person von der Zustellung und dem Inhalt des Dokumentes spätestens am 7.4.2020 informiert worden. Der am 30.4.2020 eingebrachte Einspruch erweise sich sohin als verspätet.
Beweis wurde weiters aufgenommenen durch Einsichtnahme in den behördlichen Akt.
II. Rechtsgrundlagen
Die hier relevante Bestimmung des Zustellgesetzes (ZustG), BGBl 1982/200 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 2020/16 lautet wie folgt:
„Zustellrechtliche Begleitmaßnahmen zu COVID-19
§ 26a. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 gelten für die Zustellung mit Zustellnachweis der von Gerichten bzw. von Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumente sowie die durch die Gerichte bzw. die Verwaltungsbehörden vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden (§ 1) folgende Erleichterungen:
1. Das Dokument wird dem Empfänger zugestellt, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (§ 17 Abs. 2) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wird; die Zustellung gilt in diesem Zeitpunkt als bewirkt. Soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich ist, ist der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung an ihn selbst oder an Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Zustellung zu verständigen. Die Zustellung wird nicht bewirkt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.
2. Ist das Dokument anderen Personen als dem Empfänger zuzustellen oder kann es diesen zugestellt werden (§ 13 Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 2 bis 4 und §§ 14 bis 16), ist Z 1 sinngemäß anzuwenden.
3. Die Zustellung, die Form der Verständigung von der Zustellung sowie gegebenenfalls die Gründe, aus denen eine Verständigung niht möglich war, sind vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Der Zustellnachweis ist dem Absender unverzüglich zu übersenden; § 22 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. § 22 Abs. 4 ist mit folgenden Maßgaben anzuwenden:
a) Die elektronische Beurkundung hat anstatt durch den Übernehmer durch den Zusteller zu erfolgen.
b) Die Beurkundung der Form der Verständigung von der Zustellung sowie gegebenenfalls der Gründe, aus denen eine Verständigung nicht möglich war, kann, wenn sie aus technischen Gründen nicht auf dem Zustellnachweis elektronisch erfolgen kann, auch auf andere elektronische Weise erfolgen; auch diese Daten sind dem Absender unverzüglich zu übermitteln.“
III. Erwägungen
Die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Y vom 30.3.2020, *** wurde entsprechend den zustellrechtlichen Begleitmaßnahmen zu COVID-19 nach dem § 26a Zustellgesetz am 6.4.2020 an der für die Abgabestelle bestimmten Abgabeeinrichtung zurückgelassen. Das aufwendige Ermittlungsverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol, in dessen Rahmen auch Stellungnahmen der Eltern und der Schwester der Beschwerdeführerin eingeholt wurden, hat schlussendlich ergeben, dass die Verantwortung der Beschwerdeführerin, sie sei erst am 16.4.2020 wegen Ortsabwesenheit in der Lage gewesen, die Sendung persönlich entgegen zu nehmen, nicht unschlüssig erscheint (siehe das Schreiben des Landesverwaltungsgericht Tirol vom 10.9.2020). Diese Annahme wird auch von der belangten Behörde in ihrer Stellungnahme vom 28.9.2020 nicht in Frage gestellt. In rechtlicher Hinsicht bringt die belangte Behörde jedoch zusammenfassend vor, die Zustellung der Strafverfügung sei mit 6.4.2020 rechtswirksam erfolgt, zumal die Sendung an eine im selben Haushalt lebende Person (hier den Eltern der Beschwerdeführerin) zugekommen sei und hätte diese Person in der Folge die Beschwerdeführerin über die Zustellung des Dokumentes und dessen Inhalt spätestens am 7.4.2020 informiert.
Damit ist die Behörde jedoch nicht im Recht. Tatsächlich kommt es nicht darauf an, ob der Empfänger, der sich nicht an der Abgabestelle befindet und sohin ortsabwesend ist, im Falle einer Ersatzzustellung vom Inhalt der Sendung (z.B. durch ein Telefonat) Kenntnis erlangt hat. Entscheidend ist vielmehr, wann er aufgrund seiner Ortsabwesenheit an den Zustellort zurückgekehrt ist, zumal nur diesfalls die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam wird (§ 26a Z 1 letzter Satz ZustG). Die bloße Kenntnis vom Inhalt der Strafverfügung, die gegenständlich unstrittig bereits am 7.4.2020 vorlag, kann eine ordnungsgemäße Zustellung nicht ersetzen bzw. eine Heilung bewirken. Nur das tatsächliche Zukommen der Originalsendung, wovon gegenständlich erst per 16.4.2020 ausgegangen werden kann, könnte eine Heilung des Zustellmangels auslösen.
Damit steht aber fest, dass der Einspruch vom 30.4.2020 jedenfalls als rechtzeitig anzusehen ist (hier wäre zudem zu beachten, dass aufgrund der COVID-Pandemie die zweiwöchige Frist zur Erhebung des Einspruchs ohnehin mit 1. Mai 2020 neu zu laufen begonnen hätte – siehe § 1 Abs 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG), BGBl I 2020/16 idF BGBl I 2020/24).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision war daher auszuschließen.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Sie haben die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Triendl
(Richter)
Schlagworte
Covid;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.22.1237.11Zuletzt aktualisiert am
27.10.2020