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21 Handels- und WertpapierrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung von Individualanträgen auf Aufhebung von Bestimmungen des BörseG 1989 und einer Verordnung betreffend Handelsregeln für ein automatisiertes Handelssystem mangels Legitimation; keine unmittelbare Betroffenheit des antragstellenden, bereits bestellten Börsesensals durch Bestimmungen über die Bestellung von Börsesensalen und durch eine Verordnungsermächtigung; Rechtswirkung der angefochtenen Verordnung erst in Zukunft möglichSpruch
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Begründung:
I. 1. a) Der Antragsteller beantragt - gestützt auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG -, der Verfassungsgerichtshof wolle die Wortfolge ", sofern das System die Mitwirkung eines Sensals vorsieht, nur" in §58 Abs1 des Börsegesetzes 1989, "in eventu diese Bestimmung und die Wortfolge im §32 Abs2 BörseG ', wenn der Abschluß von Börsegeschäften nicht ausschließlich durch ein automatisiertes Handelssystem erfolgt', in eventu §58 Abs1 (in eventu §58) des BörseG zur Gänze, allenfalls mit §56 Abs1 (in eventu Satz 1) BörseG und/oder mit der oben zitierten Wortfolge des §32 Abs2 BörseG" als verfassungswidrig aufheben.
Dieser beim Verfassungsgerichthof am 9. Juni 1995 eingelangte Antrag ist zu G87/95 protokolliert.
b) Unter einem begehrt der Antragsteller - gestützt auf Art139 Abs1 (letzter Satz) B-VG -, der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung der Vollversammlung der Wiener Börsekammer betreffend Handelsregeln für das automatisierte Handelssystem EQOS (Electronic Quote and Order-driven System) an der Wiener Wertpapierbörse, VOBl. der Wiener Börsekammer vom 23. März 1995 Nr. 161, "in eventu in dieser Verordnung a) im §1 Abs1 die Wortfolge 'zwischen Börsemitgliedern der Wiener Wertpapierbörse' und das Wort 'direkt' (in eventu §1 Abs1 zur Gänze), b) im §2 Satz 1 die Wortfolge 'jedes Börsemitglied' (in eventu §2 Satz 1 zur Gänze) und im Satz 2 die Wortfolge 'für alle Börsemitglieder', c) im §3 die Wortfolge 'den Börsemitgliedern',
d) §9 Abs1 zur Gänze, e) im §9 Abs3 Satz 1 die Wortfolge 'eines Börsemitglieds' und 'für dieses', f) im §9 Abs3 Satz 2 die Wortfolge 'Das Börsemitglied' (in eventu Satz 2 zur Gänze),
g) im §11 Abs1 die Wortfolge 'von den Börsemitgliedern' und h) im §25 die Wortfolge 'die Börsemitglieder', in eventu §25 zur Gänze" als gesetzwidrig aufheben.
Dieser Antrag ist zu V68/95 protokolliert.
2. Die angefochtenen Bestimmungen des Börsegesetzes 1989 stehen in folgendem normativen Zusammenhang und haben den in der Folge wiedergegebenen Wortlaut:
a) Die §§32 ff. handeln von den Börsesensalen, d.s. gemäß §32 Abs1 die für eine Börse amtlich bestellten freiberuflichen Vermittler. Für sie bestimmt §32 Abs2 (idF BGBl. 555/1989):
"Die Börsekammer hat eine ausreichende Anzahl von Börsesensalen zu bestellen, wenn der Abschluß von Börsegeschäften nicht ausschließlich durch ein automatisiertes Handelssystem erfolgt."
b) Der mit "Handelsablauf" überschriebene (für Wertpapierbörsen geltende) §56 bestimmt in seinem Abs1 (idF BGBl. 529/1993):
"Die Vollversammlung bestimmt die Art des Börsehandels unter Bedachtnahme auf das volkswirtschaftliche Interesse an einem funktionsfähigen Börsehandel, die schutzwürdigen Interessen des anlagesuchenden Publikums, die Wirtschaftlichkeit, die Art der Handelsgegenstände und das Ausmaß der Umsätze. Zulässig sind unter diesen Voraussetzungen insbesondere der Handel durch Vermittler, durch ein automatisiertes Handelssystem, durch Zuruf und durch verbindliche Nennung von An- und Verkaufspreisen durch ein Börsemitgied (Market Maker). Auch die Verwendung mehrerer Handelsarten an einer Börse ist zulässig."
Unter der Rubrik "Handelssysteme" bestimmt sodann §58 (idF BGBl. 555/1989):
"(1) Die Vollversammlung kann die Einrichtung automatisierter Handelssysteme beschießen, die jedoch nur Börsemitgliedern und, sofern das System die Mitwirkung eines Sensals vorsieht, nur den für die Börse bestellten Sensalen zur Verfügung stehen dürfen. Die Börsemitglieder und Sensale haben diesfalls dafür zu sorgen, daß nur Börsebesucher und Sensale Zugang zu diesem Handelssystem haben.
(2) Die Vollversammlung kann bestimmen, daß die Börsemitglieder Aufträge an die Vermittler nur unter Benützung derartiger Handelssysteme aufgeben dürfen. Der Handel zwischen den Börsemitgliedern im Börsesaal ist jedoch ungeachtet einer solchen Bestimmung auch ohne Benützung von Handelssystemen zulässig."
3. Mit der angefochtenen Verordnung werden Handelsregeln für ein automatisiertes Handelssystem an der Wiener Wertpapierbörse festgelegt. Diese Handelsregeln sehen die Mitwirkung von Sensalen nicht vor.
§1 der Verordnung lautet:
"§1 Geltungsbereich
(1) Die Handelsregeln gelten für alle Börsegeschäfte, die zwischen Börsemitgliedern der Wiener Wertpapierbörse im automatisierten Handelssystem EQOS, im folgenden kurz Handelssystem genannt, direkt abgeschlossen werden.
(2) Welche Wertpapiere in das Handelssystem einbezogen werden und in welches Handelsverfahren (§4), bestimmt der Exekutivausschuß (§28)."
§29 der Verordnung (idF VOBl. der Wiener Börsekammer vom 23. März 1995 Nr. 161) bestimmte, daß die Handelsregeln mit 1. Oktober 1995 in Kraft treten.
Mit Beschluß der Vollversammlung der Wiener Börsekammer vom 26. Juni 1995 (kundgemacht im VOBl. der Wiener Börsekammer vom 4. Juli 1995 Nr. 459) wurde in Abänderung des soeben erwähnten §29 der Zeitpunkt des Inkrafttretens der gegenständlichen Handelsregeln mit 23. Februar 1996 festgelegt.
4. a) Der Antragsteller - ein seit 1. November 1985 für die Wiener Börse amtlich unbefristet bestellter freiberuflicher Vermittler (Börsesensal) - begründet seine Antragslegimation wie folgt:
"An der Wiener Wertpapierbörse sind ... Bestrebungen im Gange, die letztlich darauf hinaus laufen, mich (und die anderen Börsesensale) zwar nicht der Funktion zu entheben (erg.: , aber dennoch) - weniger theatralisch kann man das nicht ausdrücken - 'brotlos zu machen'.
Diese Bestrebungen sind die unmittelbare Folge einer Vorgangsweise an der Wiener Wertpapierbörse, die sich vordergründig mit Handelsregeln für das automatisierte Handelssystem EQOS (Electronic Quote and Order Driven System) befaßt.
Die Vollversammlung der Börsekammer hat am 4.9.1992 entsprechende Rahmenbedingungen beschlossen, die noch allgemein gehalten waren und auf Grund derer die entsprechenden Vorarbeiten getätigt wurden.
Erst heuer stellt sich nach einem unklaren Beschluß vom 5.12.1994 (für mich erkennbar) heraus, daß an einem System gearbeitet wird, nach dem der Abschluß von Börsegeschäften ausschließlich durch ein automatisiertes Handelssystem erfolgen soll und das daher den (gänzlichen oder teilweisen) Handel durch Vermittler ausschließt. ...
Normen können ab Kundmachung - auch vor Inkrafttreten - mit Individualantrag bekämpft werden.
...
Sowohl die ... genannten ... Bestimmungen des Börsegesetzes als auch der 'Beschluß der Vollversammlung vom 5. Dezember 1994 und vom 1. März 1995' greifen ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung und ohne Erlassung eines Bescheides unmittelbar in meine subjektiven, durch Gesetz eingeräumten Rechte ein, verletzen diese und sind für mich solcherart wirksam geworden.
Unmittelbar betroffen ist über meine wirtschaftlichen Interessen hinaus auch meine Rechtsposition als Börsesensal, weil ich im automatisierten Handelssystem - das in einer Form ausgestaltet ist, das die Börsesensale ausschließt - nicht mehr vermitteln kann.
Die Wirksamkeit ist aktuell und direkt gegeben, da in die bezeichneten Rechte unmittelbar durch die bekämpften Normen eingegriffen wird. Insbesondere stellt sich das BörseG als rechtliche Grundlage für die - bereits erlassene - Verordnung dar. Solcherart sind meine Interessen nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt, weil das Gesetz nach Art und Umfang eindeutig einen Eingriff in meine Rechte dergestalt ermöglicht, daß ein Handelssystem ohne Börsesensale beschlossen werden kann. Für die Verordnung trifft das zu, weil durch sie ein solches Handelssystem ohne Börsesensale eben tatsächlich beschlossen wird.
Es erscheint nicht rechtens, mir etwa unter dem Blickwinkel der Prüfung der aktuellen Beeinträchtigung nur die Antragslegitimation hinsichtlich der Anfechtung der Verordnung zuzubilligen und im Zuge des über Individualantrag eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahrens dann von Amts wegen ein (von mir bloß anzuregendes) Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der zweifellos präjudiziellen Bestimmungen im BörseG einzuleiten.
Ein zumutbarer Weg, eine Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung zu dieser Frage zu erreichen, ist nicht erkennbar (Ausnahmegenehmigungen kommen von der Natur der Sache her nicht in Betracht)."
b) Der Antragsteller erachtet die angefochtenen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen aus im einzelnen dargelegten Gründen für verfassungs- bzw. gesetzwidrig.
II. Die Anträge sind unzulässig.
1. Gemäß Art140 B-VG (Art139 B-VG) erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen (Gesetzwidrigkeit von Verordnungen) auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz (die Verordnung) ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation ist sohin einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz (die angefochtene Verordnung) - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit (deren Gesetzwidrigkeit) - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz (die Verordnung) für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz (die Verordnung) in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit (ihrer Gesetzwidrigkeit) - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz (die Verordnung) selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz (die Verordnung) selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 11726/1988, VfGH 14.6.1994, V84/93).
2. Wendet man diese Überlegungen auf die beiden Anträge an, so ergibt sich folgendes:
a) zu G87/95:
Mit den angefochtenen Gesetzesbestimmungen wird zum einen der mögliche Inhalt einer von der Vollversammlung der (Wiener) Börsekammer zu erlassenden Verordnung (§56 Abs1 BörseG 1989) bestimmt und zum anderen werden - für den Fall der Einführung automatisierter Handelssysteme - nähere Regelungen über den Zugang zu diesen Systemen und deren Benützung (§58 leg.cit.) festgelegt. §32 Abs2 zweiter Halbsatz BörseG 1989 enthebt für diesen Fall die Börsekammer von ihrer im ersten Halbsatz dieser Bestimmung normierten Verpflichtung zur Bestellung einer ausreichenden Anzahl von Börsesensalen.
Daß der schon 1985 zum Sensalen bestellte Antragsteller durch §32 Abs2 BörseG 1989 unmittelbar in seinen Rechten betroffen wird, ist angesichts des Inhalts dieser Bestimmung und des Umstandes ausgeschlossen, daß ihr Normadressat die Börsekammer ist. Was die Rechtsverletzungen im übrigen betrifft, ist dem Antragsteller folgendes entgegenzuhalten: Selbst wenn man - seiner Auffassung folgend - annimmt, daß in dem durch die angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen zugelassenen Ausschluß der Sensale von der Mitwirkung an Börsegeschäften ein Eingriff in deren Rechtssphäre liegt, träte ein solcher aber nicht unmittelbar durch die wiedergegebenen angefochtenen Gesetzesbestimmungen, sondern erst durch die Erlassung einer Verordnung nach §56 Abs1 BörseG 1989 ein. Erst eine solche Verordnung könnte die angenommene Beeinträchtigung in der Rechtssphäre der Börsesensale aktualisieren. Es ist demnach ausgeschlossen, daß der Antragsteller durch die angefochtenen Gesetzesbestimmungen unmittelbar in seinen Rechten iSd Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG verletzt werden kann (s. VfSlg. 11460/1987, 12571/1990). Eine allenfalls angenommene Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, auf das die Verordnung gegründet ist, kann im Verordnungsprüfungsantrag geltend gemacht werden.
b) zu V68/95:
Der Verfassungsgerichtshof stimmt dem Antragsteller zu, daß eine Verordnung schon von ihrer Kundmachung an dem Bestand der Rechtsordnung angehört (vgl. VfSlg. 4049/1961, 10606/1985 und VfGH 27.9.1994, G213/94 ua.). Sie ist von diesem Zeitpunkt an eine Verordnung iSd Art139 Abs1 B-VG und kann Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verordnungsprüfungsverfahrens sein.
Dem Antragsteller ist jedoch nicht zu folgen, wenn er daraus ableitet, daß ihm deshalb im Zeitpunkt der Antragstellung (9. Juni 1995) die Legitimation zustehe, die angefochtene Verordnung zu bekämpfen. Denn die Legitimation zur Erhebung eines Individualantrages auf Verordnungsprüfung ist eben - wie unter Pkt. II. 1. dargelegt - noch von weiteren Voraussetzungen abhängig. Im vorliegenden Zusammenhang ist insbesondere von Bedeutung, daß die angefochtene Verordnung aufgrund des Beschlusses der Vollversammlung der Wiener Börsekammer vom 26. Juni 1995 (kundgemacht im VOBl. 459/1995) dem Antragsteller gegenüber frühestens mit 23. Februar 1996 Wirkungen entfaltet. Hinzu kommt noch, daß es für die Einbeziehung von Wertpapieren in das durch die angefochtene Verordnung vorgesehene System weiters eines Beschlusses des Exekutivausschusses bedarf (§1 Abs2 iVm §28 Z1 der Verordnung). Es kann daher nicht davon gesprochen werden, daß der Antragsteller durch die von ihm bekämpfte Verordnung derzeit aktuell betroffen ist (vgl. VfSlg. 10606/1985 und VfGH 27.9.1994, G213/94 ua.).
3. Da es dem Antragsteller sohin an der Legitimation iSd Art140 Abs1 und Art139 Abs1 B-VG mangelt, waren die Anträge zurückzuweisen, was gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden konnte.
4. Die von der anwaltlich vertretenen Vollversammlung der Wiener Börsekammer begehrten Kosten werden nicht zugesprochen, weil nach §61a VerfGG im Verfahren nach Art139 B-VG ein Kostenersatz nur dem obsiegenden Antragsteller zusteht (zB VfGH 26.9.1994, V73,74/93).
Schlagworte
Börse, VfGH / Individualantrag, Geltungsbereich (zeitlicher) einer VerordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:G87.1995Dokumentnummer
JFT_10048872_95G00087_00