Entscheidungsdatum
16.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L516 1434742-2/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Pakistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.11.2015, Zahl 13-821532708 - 1571405, nach mündlicher Verhandlung am 08.10.2019, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF hinsichtlich Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 16.12.2020 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III und IV des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der Beschwerdeführer ist pakistanischer Staatsangehöriger und stellte am 22.10.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein erster Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.04.2013, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers zur Gänze abgewiesen worden war, wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 25.09.2014, XXXX , gemäß § 28 Abs 3 VwGVG behoben und das Verfahren wurde zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
Nach Durchführung weiterer Ermittlungen wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 23.11.2015 (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß "§§ 57 und 55 AsylG", erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Gegen diesen Bescheid vom 23.11.2015 richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.
1. Sachverhaltsfeststellungen:
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; VS=Verhandlungsschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht; SN=schriftliche Stellungnahme; EG=Eingabe; S=Seite; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich; SD=Staatendokumentation des BFA; LIB=Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA]
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Punjabi sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest. [NS 24.10.2012, S 1]
1.2 Zu seinen allgemeinen Lebensverhältnissen in Pakistan
Der Beschwerdeführer stammt aus XXXX (auch: XXXX ), einem im Distrikt Mandi Bahauddin in der Provinz Punjab. Er besuchte keine Schule, kann weder lesen noch schreiben. Er betrieb XXXX eine eigene Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Ehefrau und seine beiden Kinder leben in Pakistan bei seinen Schwiegereltern im Dorf XXXX . Zwei Brüder des Beschwerdeführers leben in Pakistan im Heimatdorf des Beschwerdeführers, waren beim Militär, sind nun in Pension und leben unter normalen Umständen. Ein dritter Bruder ist in Pakistan als Rikscha-Fahrer tätig. Ein vierter Bruder ist im Ausland. Drei Schwestern leben in Pakistan. Er hat Angehörige in Pakistan in XXXX , Islamabad, XXXX und XXXX . [NS 18.02.2015, S 5, 9; NS 17.11.2015, S 3, 4; VS 08.10.2019, S 8].
1.3 Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich
Im Oktober 2012 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein, wo er sich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr sieben Jahren ununterbrochen aufhält. Er ist auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er verrichtet in seiner Flüchtlingsunterkunft freiwillige Tätigkeiten und verkauft fallweise vor Geschäften Zeitungen. Er bemüht sich, die deutsche Sprache zu erlernen, verfügt jedoch aktuell über sehr schlechte Deutschkenntnisse. Er hat seinen Angaben zufolge keine Freunde in Österreich. Er ist strafrechtlich unbescholten. [Zentrales Fremdenregister; Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS); VS 08.10.2019, S 6, 7, 9; Strafregister der Republik Österreich]
1.4 Der Beschwerdeführer brachte zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz zusammengefasst im Wesentlichen vor:
XXXX XXXX XXXX XXXX XXXX [NS18.02.2013, S 5; VS 08.10.2019, S 10, 11 ff]
1.5 Zur Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens
Das zuvor dargestellte Vorbringen des Beschwerdeführers, weshalb er seine Heimat verlassen habe, ist glaubhaft.
1.6 Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer weist nach seinen erlittenen Verbrennungen auf seiner rechten Köperseite zahlreiche Brandnarben auf, die sich zu einem erheblichen Teil auch an üblicherweise sichtbaren Stellen, wie im Gesicht und am Arm befinden. Er hat auch immer wieder leichte Blutungen im Mund/Zahnfleisch und in der Nasenschleimhaut. Seine Verbrennungen wurden ursprünglich in Pakistan in einem Krankenhaus in XXXX behandelt. Nach ungefähr sechs Monaten wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, das er in weiterer Folge noch für mehrere Monate für eine ambulante Versorgung aufsuchte. Der Beschwerdeführer verließ Pakistan nicht wegen einer fehlenden oder unzureichenden medizinischen Versorgung. In Österreich erhält der Beschwerdeführer zur Behandlung seiner Beeinträchtigungen antibakterielle, entzündungshemmende und schmerzstillende Medikamente und Pflegecremes [NS 18.02.2013, S 5; NS 17.11.2015, S 4; VS 08.10.2019, S 5, 6]. Das Gangbild des Beschwerdeführers ist aufgrund seiner erlittenen Verbrennungen und Brandwunden markant auffällig, er kann sich nur langsam und hinkend fortbewegen. Er ist eingeschränkt arbeitsfähig.
1.7 Zur Lage in Pakistan:
Sicherheitslage allgemein
Die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus bleibt zentrales Problem für die innere Sicherheit des Landes (AA 1.2.2019a; vgl. USDOS 19.9.2018). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2009, zurückgegangen (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018, USDOS 19.9.2018). Konflikte mit dem Nachbarland Indien werden gelegentlich gewaltsam ausgetragen (EASO 10.2018 S 16).
Die Taliban und andere militante Gruppen verüben Anschläge insbesondere in Belutschistan und in Khyber-Pakhtunkhwa (AA 21.8.2018), aber auch in Großstädten wie Karatschi (AA 1.2.2019a). Über 90 % der terroristischen Anschläge sowie Todesopfer entfielen 2018 auf die zwei Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa (PIPS 7.1.2019). Die Anschläge zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten, sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie die Sufis (AA 1.2.2019a).
Die Operationen der Rangers [siehe dazu Abschnitt 5] in Karatschi (ab 2013), Militäroperationen in Nord-Wasiristan und der Khyber Agency [Stammesbezirke der Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Anm.], sowie landesweite Anti-Terror-Operationen als Teil des National Action Plan (NAP) trugen dazu bei, den rückläufigen Trend bei der Zahl der Vorfälle und der Opfer auch 2018 aufrecht zu halten (PIPS 7.1.2019 S 20; vgl. EASO 10.2018 S 18). In den ehemaligen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas - FATA) konnte das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden (AA 21.8.2018), die Militäraktionen gelten als abgeschlossen (Dawn 29.5.2018). Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 21.8.2018).
Sicherheitslage - Punjab und Islamabad
Die Bevölkerung der Provinz Punjab beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen. In der Provinzhauptstadt Lahore leben 11,1 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017d).
Die Sicherheitslage in Islamabad ist besser als in anderen Regionen (EASO 10.2018 S 93). Die Sicherheitslage im Punjab gilt als gut (SAV 29.6.2018). Mehrere militante Gruppierungen, die in der Lage sind, Anschläge auszuüben, sind im Punjab aktiv (EASO 10.2018 S 63-64; vgl. SAV 29.6.2018). In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan (TTP), Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017); beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag durch die TTP-Splittergruppe Hizbul-Ahrar auf Polizeieinheiten vor einem Sufi-Schrein in Lahore am 8.5.2019 zehn Personen getötet. (Guardian 8.5.2019; vgl. Reuters 8.5.2019). Der Südpunjab gilt als die Region, in der die militanten Netzwerke und Extremisten am stärksten präsent sind (EASO 10.2018 S 63-64).
Für das erste Quartal 2019 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwei Toten (Aggregat aus: PIPS 6.2.2019. PIPS 7.3.2019, PIPS 10.4.2019). Im Jahr 2018 wurde von PIPS im Hauptstadtterritorium kein terroristischer Angriff gemeldet. Im Punjab gab es vier terroristische Anschläge mit 20 Todesopfern. Zwei davon waren Selbstmordsprengangriffe durch die pakistanischen Taliban (PIPS 7.1.2019 S 49). Im Jahr 2017 kamen im Punjab bei 14 Anschlägen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Das Hauptstadtterritorium verzeichnete drei Anschläge mit zwei Todesopfern (PIPS 7.1.2018).
Polizei
Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 13.3.2019). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei wie häufige unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam genommenen Personen. Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiische Untersuchungen durchzuführen. So werden Strafanzeigen häufig gar nicht erst aufgenommen und Ermittlungen verschleppt (AA 21.8.2018).
Die Polizeikräfte versagen oftmals dabei, Angehörigen religiöser Minderheiten - wie beispielsweise Ahmadis, Christen, Schiiten und Hindus - Schutz vor Übergriffen zu bieten. Es gibt jedoch Verbesserungen bei der Professionalität der Polizei. Einzelne lokale Behörden demonstrierten die Fähigkeit und den Willen, unter großer eigener Gefährdung Minderheiten vor Diskriminierung und Mob-Gewalt zu schützen (USDOS 13.3.2019).
Grundversorgung und Wirtschaft
Pakistans Wirtschaft hat wegen einer günstigen geographischen Lage, Ressourcenreichtum, niedrigen Lohnkosten, einer jungen Bevölkerung und einer wachsenden Mittelschicht Wachstumspotenzial. Dieses Potenzial ist jedoch aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, periodisch wiederkehrender makroökonomischer sowie politischer Instabilität und schwacher institutioneller Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Als größte Wachstumshemmnisse gelten Korruption, ineffiziente Bürokratie, ein unsicheres regulatorisches Umfeld, eine trotz Verbesserungen in den letzten Jahren relativ teure bzw. unzureichende Energieversorgung und eine - trotz erheblicher Verbesserung seit 2014 - teils fragile Sicherheitslage (AA 5.3.2019).
Der wichtigste Wirtschaftssektor in Pakistan ist der Dienstleistungssektor (Beitrag zum BIP 59 %; der Sektor umfasst u. a. auch den überproportional großen öffentlichen Verwaltungsapparat). Auch der Industriesektor ist von Bedeutung (Beitrag zum BIP 21 %). Der bei weitem wichtigste Exportsektor ist die Textilbranche. Einen dem Industriesektor vergleichbaren Beitrag zum BIP (20 %) leistet die Landwirtschaft, in der jedoch 42 % der arbeitenden Bevölkerung tätig ist. Etwa 60 % der ländlichen Bevölkerung hängen direkt oder indirekt vom landwirtschaftlichen Sektor ab. Die Provinz Punjab gehört unter anderem bei Getreideanbau und Viehzucht zu den weltweit größten Produzenten (AA 5.3.2019; vgl. GIZ 2.2019a).
Die pakistanische Wirtschaft wächst bereits seit Jahren mit mehr als vier Prozent. Für 2018 gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) sogar ein Plus von 5,6 Prozent an. Das Staatsbudget hat sich stabilisiert und die Börse in Karatschi hat in den vergangenen Jahren einen Aufschwung erlebt. Erreicht wurde dies durch einschneidende Reformen, teilweise unterstützt durch den IWF. In der Vergangenheit konnte Pakistan über die Jahrzehnte hinweg jedoch weder ein solides Wachstum halten noch die Wirtschaft entsprechend diversifizieren. Dies kombiniert mit anderen sozioökonomischen und politischen Faktoren führte dazu, dass immer noch etwa ein Drittel der pakistanischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt (GIZ 2.2019a).
Das Programm Tameer-e-Pakistan soll Personen bei der Arbeitssuche unterstützen (IOM 2018). Das Kamyab Jawan Programme, eine Kooperation des Jugendprogrammes des Premierministers und der Small and Medium Enterprises Development Authority (SMEDA), soll durch Bildungsprogramme für junge Menschen im Alter zwischen 15 und 29 die Anstellungsmöglichkeiten verbessern (Dawn 11.2.2019).
Sozialbeihilfen
Der staatliche Wohlfahrtsverband überprüft an Hand spezifischer Kriterien, ob eine Person für den Eintritt in das Sozialversicherungssystem geeignet ist. Die Sozialversicherung ist mit einer Beschäftigung im privaten oder öffentlichen Sektor verknüpft (IOM 2018). Das Benazir Income Support Program und das Pakistan Bait-ul-Mal vergeben ebenfalls Unterstützungsleistungen (USSSA 3.2017).
Pakistan Bait-ul-Mal ist eine autonome Behörde, die Finanzierungsunterstützung an Notleidende, Witwen, Waisen, Invalide, Kranke und andere Bedürftige vergibt. Eine Fokussierung liegt auf Rehabilitation, Bildungsunterstützung, Unterkunft und Verpflegung für Bedürftige, medizinische Versorgung für mittellose kranke Menschen, der Aufbau kostenloser medizinischer Einrichtungen, Berufsweiterbildung sowie die finanzielle Unterstützung für den Aufbau von selbständigen Unternehmen (PBM o.D).
Das Benazir Income Support Programme zielt auf verarmte Haushalte insbesondere in abgelegenen Regionen ab. Durch Vergabe von zinsfreien Krediten an Frauen zur Unternehmensgründung, freie Berufsausbildung, Versicherungen zur Kompensation des Verdienstausfalles bei Tod oder Krankheit des Haupternährers und Kinderunterstützungsgeld sollen insbesondere Frauen sozial und ökonomisch ermächtigt werden (ILO 2017).
Die Edhi Foundation ist die größte Wohlfahrtstiftung Pakistans. Sie gewährt u.a. Unterkunft für Waisen und Behinderte, eine kostenlose Versorgung in Krankenhäusern und Apotheken, sowie Rehabilitation von Drogenabhängigen, kostenlose Heilbehelfe, Dienstleistungen für Behinderte sowie Hilfsmaßnahmen für die Opfer von Naturkatastrophen (Edih o.D.).
Die pakistanische Entwicklungshilfeorganisation National Rural Support Programme (NRSP) bietet Mikrofinanzierungen und andere soziale Leistungen zur Entwicklung der ländlichen Gebiete an. Sie ist in 70 Distrikten der vier Provinzen - inklusive Azad Jammu und Kaschmir - aktiv. NRSP arbeitet mit mehr als 3,4 Millionen armen Haushalten zusammen, welche ein Netzwerk von ca. 217.000 kommunalen Gemeinschaften bilden (NRSP o.D).
Medizinische Versorgung
In Islamabad und Karatschi ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem hohen Niveau und damit auch teuer (AA 13.3.2019). In modernen Krankenhäusern in den Großstädten konnte - unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit - eine Behandlungsmöglichkeit für die am weitesten verbreiteten Krankheiten festgestellt werden. Auch die meisten Medikamente, wie z. B. Insulin, können in den Apotheken in ausreichender Menge und Qualität erworben werden und sind für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich (AA 21.8.2018).
In staatlichen Krankenhäusern, die i.d.R. europäische Standards nicht erreichen, kann man sich bei Bedürftigkeit kostenlos behandeln lassen. Da Bedürftigkeit offiziell nicht definiert ist, reicht die Erklärung aus, dass die Behandlung nicht bezahlt werden kann. Allerdings trifft dies auf schwierige Operationen, z.B. Organtransplantationen, nicht zu. Hier können zum Teil gemeinnützige Stiftungen die Kosten übernehmen (AA 21.8.2018).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährleistet die Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung (USDOS 13.3.2019). Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der ehemaligen FATA und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 1.2019, HRCP 3.2019). Es gibt einzelne rechtliche Einschränkungen, Wohnort, Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu wechseln (FH 1.2019).
2. Beweiswürdigung:
Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA und den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen jeweils in Klammer angeführt.
2.1 Zur Person des Beschwerdeführers und Lebensverhältnissen (oben 1.1-1.3)
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht zu bezweifeln. Mangels Vorlage amtlicher Identitätsdokumente konnte der Name und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers jedoch nicht abschließend festgestellt werden.
Seine Ausführungen zu seiner mangelnden Schulbildung, zu seiner beruflichen Tätigkeit sowie zu seinen Familienangehörigen in Pakistan in der mündlichen Verhandlung waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei und decken sich auch im Wesentlichen mit seinen diesbezüglichen Schilderungen vor dem BFA, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte.
Seine Angaben zu seinem Aufenthalt in Österreich und zu seiner aktuellen Lebenssituation erwiesen sich in der mündlichen Verhandlung als widerspruchsfrei, sie wurden durch die von ihm vorgelegten Bescheinigungen (Bestätigung über freiwillige Tätigkeit (OZ 9) belegt und stehen auch im Einklang mit den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszügen aus den behördlichen Datenregistern (IZR, ZMR, GVS, Strafregister).
2.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers und dessen Glaubhaftigkeit (oben 1.4 und 1.5)
Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen beruhen auf seinen protokollierten Aussagen im Zuge der Einvernahmen vor dem BFA sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung und auf seinen schriftlichen Eingaben (Beschwerde, Stellungnahme). Insbesondere seine Angaben in der mündlichen Verhandlung gestalteten sich in den zentralen Punkten kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei und sie decken sich auch im Wesentlichen mit seinen diesbezüglichen Schilderungen vor dem BFA. Auftretende Widersprüche zwischen Aussagen vor dem BFA und in der Verhandlung konnte er im Rahmen der mündlichen Verhandlung schlüssig ausräumen [vgl VS 08.10.2019, S 14]. Auch von der Authentizität der Emotionen, die der Beschwerdeführer bei der Schilderung der von ihm vorgebrachten Erlebnisse, konnte sich das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung persönlich überzeugen. Sein Vorbringen erweist sich daher insgesamt als glaubhaft.
2.3 Zum Gesundheitszustand (oben 1.6)
Seine Ausführungen vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung zu seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung, zu seiner in Pakistan ausreichend erhaltenen medizinischen Versorgung und seiner aktuellen Versorgung in Österreich waren kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei und decken sich auch im Wesentlichen mit seinen diesbezüglichen Schilderungen vor dem BFA, sodass auch dieses Vorbringen als glaubhaft erachtet werden konnte. Von den zurückgebliebenen sichtbaren Narben und dem auffälligen Gangbild konnte sich das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung persönlich überzeugen.
2.4. Zur Lage in Pakistan (oben 1.7)
Die Feststellungen zur Lage in Pakistan ergeben sich aus den Berichten der Staatendokumentation. Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Pakistan [LIB] Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Die herangezogenen Quellen sind aktuell, Großteils aus dem Jahr 2019, die spezielleren Anfragebeantwortungen sind aus den Jahren 2016 bis 2019.
Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch der Beschwerdeführer ist in seiner Stellungnahme vom 02.10.2019 den in das Verfahren eingeführten Quellen nicht entgegengetreten (OZ 9).
3. Rechtliche Beurteilung:
A)
Spruchpunkt I
Zum Status eines Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005)
3.1 Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra 2015/19/0143).
3.2 Fallbezogen hat der Beschwerdeführer eine Verfolgung aus Rache durch Privatpersonen glaubhaft gemacht, weil er zwei mutmaßlich jugendlichen Tätern, ohne dies zunächst zu wissen, Schutz gewährte und dadurch die Ergreifung jener Jugendlichen verhinderte. Eine Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten asylrelevanten Motive ist darin nicht zu erkennen.
Es liegt somit im Falle des Beschwerdeführers keine Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sind damit nicht gegeben.
3.3 Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA wird daher als unbegründet abgewiesen.
Zum Status eines subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1 AsylG 2005)
3.4 Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt kann im vorliegenden Fall nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat aufgrund des Umstandes, dass seine privaten Verfolger bereits versucht haben, sich an dem Beschwerdeführer für sein Verhalten zu rächen, einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre ausgesetzt wäre, zumal der Beschwerdeführer vorverfolgt seine Heimat verlassen musste und seine Verfolger nach wie vor danach trachten, ihn zu töten.
Geht man im Allgemeinen von der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Pakistan aus, besteht jedoch eine solche im speziellen Falle des Beschwerdeführers nicht. Im gegenständlichen Fall ist Beschwerdeführer nach Meinung seiner Verfolger schuldig, den Mördern eines ihrer Familienangehörigen Unterschlupf gewährt zu haben. Die Verfolger sind weiterhin ernsthaft daran interessiert, Rache an dem ihnen namentlich bekannten Beschwerdeführer zu üben und diesen umzubringen, weshalb nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass für den derart exponierten Beschwerdeführer auch außerhalb seiner Heimatregion eine Verfolgungsgefahr besteht, zumal der Beschwerdeführer bereits einmal außerhalb seines Heimatdorfes gesucht wurde. Sich versteckt zu halten, ist dem Beschwerdeführer auf Dauer nicht zumutbar. Der Beschwerdeführer weist auch auffällige Brandnarben und ein ebenso markant auffälliges Gangbild auf, sodass dieser relativ einfach zu beschreiben ist. Es wäre dem Beschwerdeführer daher nicht möglich, sich dauerhaft verborgen zu halten und sich der Suche zu entziehen. Geht man des Weiteren auch im Allgemeinen von einer generellen Schutzfähigkeit des pakistanischen Staates aus, ergibt sich jedoch im speziellen Fall des Beschwerdeführers, dass dieser in ganz exzeptioneller Weise von seinen Verfolgern verfolgt wird, weshalb eine Schutzgewährung des pakistanischen Staates aufgrund der besonderen Umstände in diesem Fall jedenfalls ausscheidet.
3.5 Da somit im vorliegenden Fall auf Grund der besonderen beim Beschwerdeführer vorliegenden persönlichen Umstände bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers die konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte besteht, war gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan zuzuerkennen.
3.6 Hinweise für das Vorliegen eines Abweisungsgrundes gemäß § 8 Abs 3a AsylG sind nicht hervorgekommen.
3.7 Demnach wird der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides stattgegeben und spruchgemäß entschieden.
Spruchpunkt III
Zur Erteilung einer befristete Aufenthaltsberechtigung (§ 8 Abs 4 AsylG 2005)
3.8 Gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese gilt ein Jahr.
Spruchpunkt IV
Zur Behebung der Spruchpunkt III und IV des angefochtenen Bescheides
3.9 Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis sind gleichzeitig die Spruchpunkt III und IV des angefochtenen Bescheides mangels des Vorliegens einer gesetzlichen Grundlage dafür ersatzlos zu beheben.
B)
Revision
3.10 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.
3.11 Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Arbeitsfähigkeit Asylverfahren außergewöhnliche Umstände befristete Aufenthaltsberechtigung gesundheitliche Beeinträchtigung Gesundheitszustand Glaubhaftmachung innerstaatliche Fluchtalternative mangelnde Asylrelevanz real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung Rückkehrentscheidung behoben Schutzunfähigkeit des Staates Schutzunwilligkeit des Staates subsidiärer SchutzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L516.1434742.2.00Im RIS seit
23.10.2020Zuletzt aktualisiert am
23.10.2020