TE Vwgh Erkenntnis 1997/10/17 95/19/1446

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Veröffentlicht am 17.10.1997
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 §2 Abs3 Z4;
AufG 1992 §6 Abs2;
AufG 1992 idF 1995/351 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 idF 1995/351 §2 Abs3 Z4;
AufG 1992 idF 1995/351 §3;
AufG 1992 idF 1995/351 §6 Abs2;
AufG Anzahl der Bewilligungen 1995 §3 Z2;
B-VG Art140 Abs1;
FrG 1993 §5;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
MRK Art8 Abs1;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/19/1447 95/19/1448 95/19/1449

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde

1.) der B S, geboren 1991, 2.) des I S, geboren 1993, 3.) des

M S, geboren 1990, und 4.) der Y S, geboren 1972, alle in Wien, die Erst- bis Drittbeschwerdeführer vertreten durch die Viertbeschwerdeführerin als Kindesmutter, diese vertreten durch Dr. Gerhard Deinhofer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ditscheinergasse 4, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 4. September 1995, Zlen. 1.) 108.879/4-III/11/94 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin),

2.)

108.879/3-III/11/94 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer),

3.)

108.879/5-III/11/94 (betreffend den Drittbeschwerdeführer), und 4.) 108.079/2-III/11/94 (betreffend die Viertbeschwerdeführerin), alle betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um türkische Staatsangehörige. Die Viertbeschwerdeführerin ist Mutter der drei übrigen Beschwerdeführer.

Alle vier Beschwerdeführer stellten am 10. September 1993 Anträge auf Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen, welche von der Behörde erster Instanz nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer in den Berufungen, über die mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden abgesprochen wurde, gemäß § 5 Abs. 1 AufG abgewiesen wurden. Diese Entscheidungen erwuchsen in Rechtskraft, da die dagegen erhobenen Berufungen verspätet eingebracht worden waren.

Am 13. Juni 1994 stellten die Beschwerdeführer neuerlich als "Verlängerungsanträge" bezeichnete Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.

Diese Anträge wies der Landeshauptmann von Wien mit gleichlautenden Bescheiden vom 10. August 1994 gemäß § 6 Abs. 2 AufG ab.

Die dagegen fristgerecht erhobenen Berufungen wurden vom Bundesminister für Inneres - ebenfalls gemäß § 6 Abs. 2 AufG - mit im wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 4. September 1995 abgewiesen. Begründend führte der Bundesminister für Inneres aus, gemäß § 6 Abs. 2 AufG sei der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Der Antrag auf Verlängerung könne auch vom Inland aus gestellt werden.

Durch die vorgelegten Unterlagen sei der Inlandsaufenthalt der Beschwerdeführer mehrmals bestätigt worden. Auf dem Antragsformular hätten die Beschwerdeführer bei ihrer Antragstellung als Datum den 13. Juni 1994 und als Ort "Wien" angegeben und dies auch durch ihre Unterschrift beurkundet. Somit hätten sich die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung eindeutig im Bundesgebiet aufgehalten und dadurch das gesetzliche Erfordernis einer Antragstellung vom Ausland aus nicht erfüllt.

Aufgrund dieser Tatsache seien die Anträge der Beschwerdeführer daher vom Amt der Wiener Landesregierung abzulehnen gewesen.

Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer sei zu sagen, daß aufgrund der Aktenlage keine Beziehung zur Republik Österreich bestünden, weshalb eine Abwägung im Sinne des Art. 8 MRK entbehrlich sei.

In dem die Viertbeschwerdeführerin betreffenden Bescheid wurde weiters ausgeführt, sie habe ihren Antrag als Verlängerungsantrag bezeichnet, obwohl ihr letzter gültiger Sichtvermerk bereits am 10. Oktober 1993 abgelaufen gewesen sei. Durch den Modus der Antragstellung und die vorgelegten Unterlagen werde ihr Aufenthalt im Bundesgebiet ausführlich dokumentiert. Auch sei durch den Personenstatus der Viertbeschwerdeführerin "im Hinblick auf die Novelle vom 19.05.1995 des Aufenthaltsgesetzes eine Antragstellung vom Inland aus durch die Norm des § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ausgeschlossen".

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, mit denen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführer rügen eine unrichtige Anwendung des AufG im Hinblick auf Art. 8 MRK sowie die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens und führen aus, daß der angefochtene Bescheid dem auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützten Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 widerspreche.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die aufgrund ihres sachlichen, persönlichen und rechtlichen Zusammenhanges verbundenen Beschwerden erwogen:

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof das AufG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 maßgeblich.

§ 6 Abs. 2 AufG lautet in der Fassung dieser Novelle:

"(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Begründet eine Einbringung auf dem Postweg oder durch Vertreter die Vermutung, daß diese Regelung umgangen werden soll, kann die persönliche Einbringung verlangt werden. Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: Im Fall des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft, des Asyls oder des Aufenthaltsrechts gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1; weiters in den Fällen des § 7 Abs. 2, des § 12 Abs. 4 und einer durch zwischenstaatliche Vereinbarung oder durch eine Verordnung gemäß § 14 FrG ermöglichten Antragstellung nach Einreise; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 festgelegt ist. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung und auf Änderung des Aufenthaltszwecks kann bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung auch vom Inland aus gestellt werden."

§ 3 der am 27. Juni 1995 kundgemachten Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1995, BGBl. Nr. 408/1995, lautet:

"Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:

1.

in Österreich geborenen Kindern von Fremden, die aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung oder einem vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerk zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind.

2.

Personen, die gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 Aufenthaltsgesetz auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts oder eines Staatsvertrages aufenthaltsberechtigt sind oder waren,

3.

Personen, für die eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt ist, und deren Familienangehörigen im Sinne des § 3 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten und

4.

Angehörigen von österreichischen Staatsbürgern (§ 3 Abs. 1 Z. 1 Aufenthaltsgesetz), die gemäß § 14 Abs. 3 FrG einreisen oder denen vor der Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt wurde."

Die Stellung eines Verlängerungsantrages kam für keinen der Beschwerdeführer in Frage, da bereits die am 10. September 1993 gestellten Anträge von der Behörde erster Instanz rechtskräftig abgewiesen worden waren und nach rechtskräftiger Abweisung eines Antrages auf "Verlängerung" einer allenfalls bestehenden Aufenthaltsberechtigung eine Verlängerung einer solchen Berechtigung im Sinne des AufG jedenfalls ausgeschlossen ist.

Die belangten Behörde qualifizierte daher zu Recht alle Anträge als Erstanträge, für die die in § 6 Abs. 2 AufG festgelegten Erfolgsvoraussetzungen maßgeblich waren.

Gemäß § 6 Abs. 2 erster Satz AufG ist der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Nach dem u.a. aus den Gesetzesmaterialien erschließbaren Normzweck des § 6 Abs. 2 AufG wird jedoch für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht nur vorausgesetzt, daß der Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet gestellt wird, sondern auch, daß die Entscheidung über den Antrag vom Ausland aus abgewartet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/1703, mwN).

Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, daß sie ihre Anträge im Inland gestellt hätten.

In den Beschwerden der Erst- bis Drittbeschwerdeführer wird jedoch vorgebracht, daß diese in Österreich geboren wurden und hier aufwuchsen. Dieses Vorbringen kann jedoch schon deswegen nicht die Zulässigkeit einer Antragstellung im Inland erweisen, weil auch für sie eine Antragstellung "vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus" in Frage kam. Da nach der rechtskräftigen abweisenden Entscheidung der Behörde erster Instanz der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich unrechtmäßig war, wären nicht nur die Viertbeschwerdeführerin, sondern auch ihre Kinder nach den §§ 5 und 82 Abs. 1 Z. 4 FrG verpflichtet gewesen, das Bundesgebiet zu verlassen. Eine Antragstellung vor der Einreise nach Österreich "vom Ausland aus" wäre nach einer solchen - gebotenen - Ausreise sehr wohl in Frage gekommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1997, Zl. 95/19/0496).

Vom Erfordernis der Antragstellung vom Ausland aus hätte die belangte Behörde nur absehen dürfen, wenn aufgrund einer besonderen Rechtsvorschrift ausnahmsweise eine Antragstellung im Inland zulässig gewesen wäre.

So ermächtigt § 6 Abs. 2 dritter Satz AufG die Bundesregierung, mit Verordnung bestimmten Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, ausnahmsweise die Antragstellung im Inland zu erlauben.

Es wäre Sache der Beschwerdeführer gewesen aufzuzeigen, ob ihr Vater bzw. Ehemann, über den nach dem Beschwerdevorbringen zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ein Aufenthaltsverbot verhängt war, zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung oder eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes zum Aufenthalt im Inland berechtigt war und daher die Bedingungen für eine ausnahmsweise Inlandsantragstellung nach § 3 Z. 1 (im Falle der Erst- bis Drittbeschwerdeführer) oder allenfalls § 3 Z. 3 (für alle Beschwerdeführer) oder gegebenfalls nach anderen Ziffern der Verordnung BGBl. Nr. 408/1995 gegeben wären. Da in den Beschwerden aber nur vorgebracht wird, der Vater bzw. Ehemann der Beschwerdeführer habe von 1985 bis 1995 durchgehend in Österreich gearbeitet und hier gelebt bzw. er sei hier "ordnungsgemäß beschäftigt" gewesen, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich, ob die belangte Behörde, hätte sie diesbezügliche Erhebungen gepflogen, zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Von § 3 Z. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 408/1995 wären die Beschwerdeführer auch dann nicht erfaßt, wenn ihnen ein Recht aus dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 zukäme, weil, wie die Neufassung des § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG zeigt, die Wendung "gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 Aufenthaltsgesetz auf Grund ... eines Staatsvertrages aufenthaltsberechtigt" in der zitierten Verordnungsbestimmung solche Personen nicht erfaßt, die aufgrund unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft zum Aufenthalt berechtigt sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1997, Zl. 95/19/0897).

Da das in § 6 Abs. 2 AufG normierte Erfordernis, einen Antrag vom Ausland aus zu stellen, nicht als bloße Formvorschrift zu werten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/1010), hat die belangte Behörde nach dem bisher Gesagten die unter Mißachtung von § 6 Abs. 2 AufG gestellten Anträge zu Recht abgewiesen.

Dagegen bestehen auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK keine Bedenken, weil der Gesetzgeber der Aufenthaltsgesetz-Novelle 1995 mit den Bestimmungen des § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG und des § 6 Abs. 2 dritter Satz AufG sowie der darin enthaltenen und von der Bundesregierung auch genützten Verordnungsermächtigung in Ansehung von Angehörigen von Fremden bereits auf die durch Art. 8 MRK geschützten Rechtsgüter Bedacht genommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof hegt auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles keine Bedenken, daß die Umschreibung des begünstigten Personenkreises durch die genannten Vorschriften zu eng wäre und nicht ausreichend auf Art. 8 MRK Bedacht nähme.

Auch die Hinweise der Beschwerdeführer auf den Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 vermögen den Beschwerden nicht zum Erfolg zu verhelfen, da nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in ein - allenfalls bestehendes - Aufenthaltsrecht nach Art. 6 des auf das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei gestützten Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 durch einen Bescheid, mit dem eine Aufenthaltsbewilligung versagt wird, nicht eingegriffen worden wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 1996, Zl. 95/19/1549).

Da die behauptete Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide somit nicht vorliegt, waren die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm Art. I der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995191446.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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