TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/10 L529 1418847-4

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Veröffentlicht am 10.03.2020
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Entscheidungsdatum

10.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §53 Abs2 Z3
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs4

Spruch

L529 1418847-4/10E

L529 1418848-4/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter im Verfahren über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. am XXXX und 2.) XXXX , geb. am XXXX , beide StA. Türkei und beide vertreten durch RA Mag. Manuel DIETRICH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg vom 29.10.2019, Zlen. zu 1.) XXXX / BMI-BFA_VBG_RD , zu 2.) XXXX / BMI-BFA_VBG_RD , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 16.01.2020 zu Recht:

A) Die Beschwerden werden mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als die Spruchpunkte I. und V. zu lauten haben:

Spruchpunkt I.:

„Ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG vom 13.03.2019 wird gemäß § 58 Abs. 10 AsylG als unzulässig zurückgewiesen.“

Spruchpunkt V.:

„Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Absatz 2 und Absatz 2 Z 3 und 6 FPG wird gegen Sie ein auf die Dauer von 4 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1.1. Die Beschwerdeführer [nachfolgend auch BF1 und BF2] stellten nach nicht rechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet erstmals am 02.11.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF sind Ehegatten, türkische Staatsangehörige, der kurdischen Volksgruppe zugehörig und alevitischen Glaubens.

I.1.2. Diese Anträge auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 30.03.2011, Zlen. 10 10.222-BAI (BF1) und 10 10.218-BAI (BF2), gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.), sowie die BF gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

I.1.3. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 21.10.2013, Zlen. E6 418.847-1/2011-17E (BF1) und E6 418.848-1/2011-15E (BF2) gem. §§ 3, 8 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

Diese Entscheidungen erwuchsen mit der Zustellung an die BF am 29.10.2013 in Rechtskraft.

I.1.4. Die Behandlung der dagegen an den VfGH erhobenen Beschwerden wurde von diesem mit Beschlüssen vom 20.02.2014 abgelehnt.

I.1.5. Eine Ausreise der Beschwerdeführer nach dem 29.10.2013 erfolgte nicht.

I.2.1. Am 28.04.2017 stellten die BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Die Folgeanträge der BF wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl [BFA] vom 22.08.2017, Zlen. 535295510-170514613 (BF1) und 535295608-170514605 (BF2), gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III.).

Dagegen wurde von den BF durch ihre Vertretung fristgerecht Beschwerde erhoben.

I.2.2. Mit Erkenntnissen vom 29.11.2017, Zl.: L504 1418847-2/6E und L504 1418848-2/6E, wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobenen Beschwerden gemäß § 68 Abs. 1 AVG idgF, 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, 52 Abs. 2 Z 2 u. Abs. 9 FPG, 46 FPG, 55 Abs. 1a FPG als unbegründet ab.

I.2.3. Mit Beschluss vom 27.02.2018, Zl.: E 76-77/2018-9, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse erhobenen Beschwerden ab.

I.2.4. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.05.2018, Zl.: Ra 2018/20/0256 bis 0257-4, wurden die gegen die Erkenntnisse des BVwG erhobenen Revisionen zurückgewiesen.

Die BF kamen ihrer Ausreiseverpflichtung bis dato wiederum nicht nach und halten sich weiterhin unrechtmäßig in Österreich auf.

I.2.5. In den Entscheidungen vom 29.11.2017, Zl.: L504 1418847-2/6E und L504 1418848-2/6E traf das Bundesverwaltungsgericht folgende Feststellungen:

„….1.1. Zur Person der bP

Die verheirateten bP sind Staatsangehörige der Türkei, alevitischen Glaubens und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Sie führen die im Spruch angegebenen Namen und sind an den ebendort genannten Daten geboren.

Die bP1 leidet an Diabetes Typ II und muss sich regelmäßigen Kontrollen unterziehen. Die bP2 leidet an einer Schilddrüsenunterfunktion, einem erhöhten Cholesterinspiegel, und wird aufgrund der bereits eingetretenen Menopause hormonell behandelt.

Eine lebensbedrohliche, entscheidungsrelevante Erkrankung wurde damit nicht geltend gemacht.

Die bP reisten im November 2010 in das österreichische Bundesgebiet ein und haben Österreich seither nicht mehr verlassen.

Die bP1 hat in Österreich Deutschkurse besucht und die mündliche Prüfung auf dem Niveau A2 bestanden. Weiters engagiert sie sich für die Caritas Flüchtlingshilfe bzw. das Projekt "Nachbarschaftshilfe" und beteiligt sich aktiv am Leben in der Gemeinde.

Die bP2 hat in Österreich ebenso Deutschkurse besucht und die (gesamte) Prüfung auf dem Niveau A2 bestanden, sowie sich für einen B1-Kurs angemeldet. Sie hilft weiters ehrenamtlich in einem Altersheim, hat an einem Workshop betreffend Arbeitsmarktorientierung teilgenommen und einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Wie ihr Ehegatte engagiert sich die bP2 auch für die Caritas Flüchtlingshilfe bzw. das Projekt "Nachbarschaftshilfe" und beteiligt sich aktiv am Leben in der Gemeinde.

Beide bP verfügen, unter der Voraussetzung der Erteilung eines Aufenthaltstitels, über eine Einstellungszusage als Hilfskraft mit einem monatlichen Nettoverdienst in der Höhe von EUR 1.205.

Aktuell konnte eine wirtschaftliche Selbsterhaltung nicht festgestellt werden.

In Österreich leben Cousins und Cousinen der bP1, die Schwester der bP2 samt ihrer Familie, sowie zahlreiche weitere Verwandte der bP, teilweise als Asylberechtigte.

Die bP haben in Österreich zudem einige Freund- bzw. Bekanntschaften geschlossen.

In der Türkei leben die Eltern und drei Brüder der bP1, sowie die Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüder der bP2 bzw. weitere Verwandte der bP.“

Die Abwägung nach § 9 BFA-VG wurde in diesen Entscheidungen vom 29.11.2017 wie folgt vorgenommen:

„2.3. Im Einzelnen ergibt sich unter zentraler Beachtung der in § 9 Abs 1 Z 1-9 AsylG genannten Determinanten Folgendes:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt rechtswidrig war:

Die bP reisten im Jahr 2010 nicht rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, haben das Bundesgebiet seither nicht mehr verlassen und einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens

Ein relevantes Familienleben liegt in Österreich, wie oben unter II.2.1. dargestellt, nicht vor.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

Die Frage, ob das Privatleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren

Die privaten Anknüpfungspunkte der bP in Österreich wurden zur Gänze in einer Zeit erlangt, in der der Aufenthalt stets prekär war. Da es sich bereits um die 2. Antragstellung handelt kann davon ausgegangen werden, dass ihnen dies auch bewusst war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

Grad der Integration / Schutzwürdigkeit des Privatlebens

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige, besondere Integration der bP in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind nicht erkennbar.

Die bP1 hat den mündlichen Teil der Deutschprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich absolviert und gab an, weiterhin einen Deutschkurs zu besuchen. Die bP2 hat die (gesamte) Prüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich absolviert und gab an, einen Kurs für die Prüfung auf dem Niveau B1 zu absolvieren. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass die bP nicht in der Lage waren, die Einvernahme vor dem BFA ohne Beiziehung eines Dolmetschers zu absolvieren.

Weiters wurde den bP eine weitgehende Teilnahme am sozialen Leben und an gemeinnützigen Tätigkeiten bescheinigt, ebenso verfügen sie über eine Einstellungszusage un Falle der Erlangung eines Aufenthaltstitels.

Dazu ist auszuführen, dass einer Arbeitsplatzzusage – zudem hier unter einer Bedingung - in einem Verfahren betreffend Aufenthaltsbeendigung mangels Aufenthaltsberechtigung und Aufenthaltserlaubnis des Fremden keine wesentliche Bedeutung zukommen kann (vgl. zB VwGH 21.1.2010, 2009/18/0523; 29.6.2010, 2010/18/0195; 17.12.2010, 2010/18/0385; 22.02.2011, 2010/18/0323). Zu dem Umstand, dass die bP vorbringen, einen großen Freundes- und Bekanntenkreis zu haben, kann dies ihre persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht maßgeblich verstärken (vgl. VwGH 26.11.2009, 2007/18/0311; 29.6.2010, 2010/18/0226).

Selbsterhaltung liegt nicht vor und sind die bP zur Sicherung ihrer Existenz nach wie vor auf Leistungen des Staates angewiesen.

In einer Gesamtbetrachtung ist nicht zu erkennen, dass die während des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet erlangte Integration ein solches Ausmaß erlangt hätte und von solchem Gewicht wäre, dass ihr im Hinblick auf Art. 8 EMRK entscheidungsrelevante Bedeutung zukäme und kann sie das Interesse der bP an einem Verbleib in Österreich daher nicht maßgeblich verstärken.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

Bindungen zum Herkunftsstaat

Die bP sind in der Türkei geboren und sozialisiert worden. Sie verbrachten dort ihr überwiegendes Leben. Maßgebliche familiäre Bindungen bestehen dort noch.

Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass die bP als von der Türkei entwurzelt zu betrachten wären.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

strafrechtliche Unbescholtenheit

Verurteilungen sind nicht aktenkundig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-. Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts

Die beschwerdeführende Parteien reisten nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet ein was grds. als relevanter Verstoß gegen das Einwanderungsrecht in die Interessensabwägung einzubeziehen ist (vgl. zB. VwGH 25.02.2010, 2009/21/0165; 25.02.2010, 2009/21/0070).

Die beschwerdeführende Parteien verletzte durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz ihre Mitwirkungsverpflichtung im Asylverfahren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

-

Mögliches Organisationsverschulden durch die handelnden Behörden in Bezug auf die Verfahrensdauer

Das Asylverfahren wurde vor beiden Instanzen ohne größere Unterbrechungen durchgeführt.

2.4. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Anknüpfungspunkte zu bzw. in Österreich während eines Zeitraumes erlangt wurden, in dem der Aufenthaltsstatus stets ungewiss war, was den bP auch bewusst sein musste.

Hinzu kommt erschwerend, dass die Asylanträge von vornherein unbegründet waren und sie die Asylbehörden offensichtlich durch Behauptung falscher Tatsachen versuchten in die Irre zu führen, um unberechtigt einen Aufenthaltstitel über das Asylverfahren zu erlangen. Erst durch Missachtung der österreichischen Rechtsordnung konnten sich die Parteien diese Vorteile verschaffen.

Bestandteil einer gelungenen Integration ist ua., dass sich die asylwerbende Person auch im Asylverfahren im Wesentlichen regelkonform verhält, worüber sie überdies ausdrücklich zu Beginn und im Laufe des Verfahrens belehrt wird. Das Verhalten im Asylverfahren, also konkret vor den staatlichen Behörden des Aufnahmestaates in dem sie behauptet Schutz vor Verfolgung zu benötigen, kann somit bei einer Bewertung der Integration in Österreich nicht ausgeblendet werden. Auf Grund von nicht wahrheitsgemäßen Angaben führt dies gegenständlich zu einer Minderung der privaten Interessen der beschwerdeführenden Partei und zu einer Stärkung der genannten öffentlichen Interessen.

Die Umstände, dass der Fremde einen großen Freundes- und Bekanntenkreis hat und er der deutschen Sprache mächtig ist, können seine persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht maßgeblich verstärken (vgl. VwGH 26.11.2009, 2007/18/0311; 29.6.2010, 2010/18/0226).

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände und unter Einbeziehung der oa. Judikatur der Höchstgerichte ist gegenständlich ein überwiegendes öffentliches Interesse – nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, konkret das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung und Stärkung der Einwanderungskontrolle, das wirtschaftliche Wohl des Landes sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen insbesondere in Bezug auf den verwaltungsstrafrechtlich pönalisierten, nicht rechtmäßigen Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet, an der Aufenthaltsbeendigung der bP festzustellen, das ihre Interessen an einem Verbleib in Österreich überwiegt. Die Rückkehrentscheidung ist daher als notwendig und nicht unverhältnismäßig zu erachten.

Die persönlichen Bindungen in Österreich lassen keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK erkennen, die es den bP schlichtweg unzumutbar machen würden, auch nur für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Aufenthalts- bzw. Niederlassungsverfahrens in ihr Heimatland zurückzukehren (vgl. zB. VwGH 25.02.2010, 2008/18/0332;

25.02.2010, 2008/18/0411; 25.02.2010, 2010/18/0016; 21.01.2010, 2009/18/0258; 21.01.2010, 2009/18/0503; 13.04.2010, 2010/18/0087;

30.04.2010, 2010/18/0111; 30.08.2011, 2009/21/0015), wobei bei der Rückkehrentscheidung mangels gesetzlicher Anordnung hier nicht auf das mögliche Ergebnis eines nach einem anderen Gesetz durchzuführenden (Einreise- bzw. Aufenthalts)Verfahrens Bedacht zu nehmen ist (vgl. VwGH 18.9.1995, 94/18/0376).

Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privatleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass einwanderungswillige Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Asylantragstellung, allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet, in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen und in rechtskonformer Art und Weise vom Ausland aus ihren Antrag auf Erteilung eines Einreise- bzw. Aufenthaltstitels stellen, sowie die Entscheidung auch dort abwarten, letztlich schlechter gestellt wären, als jene Fremde, welche, einer geordneten Zuwanderung widersprechend, genau zu diesen verpönten Mitteln greifen, um ohne jeden sonstigen anerkannten Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich zu erzwingen bzw. zu legalisieren. Dies würde in letzter Konsequenz wohl zu einer unsachlichen Differenzierung der einwanderungswilligen Fremden untereinander führen (vgl. Estoppel-Prinzip bzw. auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007) und würde angesichts der Publizitätswirksamkeit der Asylentscheidungen wohl den Nachzieheffekt für andere einwanderungwillige Fremde in Richtung nicht rechtmäßiger Zuwanderung in Verbindung mit rechtsmißbräuchlicher, unbegründeter Asylantragstellung verstärken.

Es erfolgte daher zu Recht die Erlassung einer Rückkehrentscheidung.“

I.3.1. Am 13.03.2019 stellten die BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikels 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AsylG.

I.3.2. Im Zuge des nunmehrigen Verfahrens über einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 Abs. 1 AsylG legten die BF nachangeführte Dokumente zu ihrer Integration sowie zum Gesundheitszustand vor.

-        Versicherungsdatenauszüge vom 05.03.2019

-        Bestätigung der Caritas über die derzeitige Wohnung der BF

-        Arbeitsverträge für den BF1 und die BF2 für den Fall einer Erteilung eines Aufenthaltstitels, datiert jeweils mit 11.12.2017

-        Deutschkursbesuchsbestätigungen für den BF1 vom 04.04.2011, 15.12.2011, 20.03.2012, 13.07.2012, 11.02.2013, 12.06.2013, 14.11.2013;

-        Diplom für den BF1 über die nicht bestandene Prüfung A2 Grundstufe Deutsch 2 vom 28.11.2013;

-        Deutschkursbesuchsbestätigungen für die BF2 vom 04.04.2011, 22.12.2011, 19.12.2011, 30.03.2012, 05.03.2013, 07.06.2018, 27.12.2018;

-        Zertifikat für die BF2 über die mit gut bestandene Prüfung ÖSD Zertifikat A2 vom 19.06.2015;

-        22 Unterstützungserklärungen für die BF vom 07.12.2017 (8), 08.12.2017 (2), 09.12.2017 (1), 10.12.2017 (1), 11.12.2017 (3), 12.12.2017 (3), 13.12.2017 (1), ohne Datum (3);

I.3.3. Ein Versuch, am 14.05.2019 beim türkischen Konsulat in Salzburg ein Heimreisezertifikat zu erlangen, scheiterte. Die BF nahmen den Termin zwar wahr, aufgrund deren Weigerung, am Prozedere zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken, kam die Ausstellung eines solchen Dokumentes aber nicht zustande.

I.3.4. Eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch die belangte Behörde blieb im Wesentlichen unbeantwortet. Es langten 2 Arbeitsunfähigkeitsmeldungen des Gemeindearztes vom 23.09.2019 für die beiden BF ein, für die Zeit von jeweils 21.09.2019 bis 03.11.2019. Gleichzeitig wurde bestätigt, dass beide BF aktuell nicht reisefähig seien.

I.3.5. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 29.10.2019 (Zahlen: 535295510 – 190254667 /BMI-BFA_VBG_RD, 535295608 – 190254645 /BMI-BFA_VBG_RD), wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt III.), gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.). Gleichzeitig erließ die belangte Behörde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 3 FPG gegen die Beschwerdeführer ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von 4 Jahren (Spruchpunkt V.)

I.3.6. Mit Schriftsatz vom 28.11.2019 erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde gegen die oben dargestellten Bescheide im Umfang aller Spruchpunkte.

I.3.7. Mit Schreiben vom 29.11.2019 legte die belangte Behörde die gegenständlichen Beschwerden samt den zugehörigen Verwaltungsakten vor.

Gleichzeitig wurde die Abweisung der Beschwerden beantragt und um Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls ersucht.

I.3.8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.12.2019 (Zahlen: 1) L529 1418847-4/2E und 2) L529 1418848-4/2E) wurde jeweils Spruchpunkt IV. (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2. Z 1 BFA-VG) ersatzlos behoben.

I.3.9. Am 16.01.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die BF1 und BF2 und deren Vertreter teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde erschien – wie im Schreiben vom 20.12.2019 angekündigt – nicht.

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung legten die BF folgende Dokumente vor – sie wurden in Kopie zum Akt genommen:

-        Bestätigung über eine Terminvereinbarung des BF1 bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin für 04.12.2019, 10:15 – 11:00 Uhr

-        Ambulanzbericht des Landeskrankenhauses XXXX vom 14.01.2020 hinsichtlich des BF1

-        Teilnahmebestätigung der BF2 am Orientierungsworkshop (Arbeitsmarkt und Bildungssystem 05.05.2017; Existenzsicherung und soziale Sicherheit 12.05.2017; Gesundheitssystem und soziale Landschaft in Vorarlberg 19.05.2017)

-        Teilnahmebestätigung der BF2 an einem 16-stündigen Erste-Hilfe-Kurs vom 02.07.2017

-        Bestätigung vom 07.08.2017 von ehrenamtlichem Einsatz der BF2 ab Mai 2017

-        Urkunde vom 16.05.2018 für die BF2 über die Teilnahme an einem Fahrradkurs v. 02. bis 15.05.

I.3.10. Mit Schreiben vom 05.02.2020 legte der rechtsfreundliche Vertreter einen fachärztlichen Bericht eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin vom 27.01.2020 hinsichtlich des BF1 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, der Ergebnisse der Beschwerdeverhandlung und der ins Verfahren eingeführten Berichte, wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

II.1.1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Türkei, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und alevitischen Glaubens. Die Identität steht mangels Vorlage geeigneter Dokumente nicht fest.

II.1.2. Die Beschwerdeführer halten sich seit der nicht rechtmäßig erfolgten Einreise am 02.11.2010 im Bundesgebiet auf. Das erste Asylverfahren – nach Antragstellung am 02.11.2010 – wurde in zweiter Instanz rechtskräftig mit 29.10.2013 negativ abgeschlossen.

Ab diesem Zeitpunkt war der Aufenthalt der BF bis zur Stellung des zweiten Asylantrages am 28.04.2017 unrechtmäßig. Die BF kamen in dieser Zeit ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach und verblieben unrechtmäßig im Bundesgebiet.

Auch nach der negativen Entscheidung der Beschwerdeinstanz vom 29.11.2017 über den zweiten Asylantrag verblieben die BF unrechtmäßig im Bundesgebiet und kamen ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach und dauert dieser Zustand nach wie vor an.

Der bis dato andauernde Aufenthalt der BF von 9 Jahren und ca. 4 Monaten ist daher zum großen Teil unrechtmäßig und dazwischen lediglich auf unbegründete Asylanträge (der zweite Asylantrag sogar unzulässig) gestützt.

II.1.3. Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Nicht festgestellt werden kann darüber hinaus, dass die Beschwerdeführer an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden würden, welche eine Rückkehr in die Türkei iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausreichend ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorliegt.

Die Beschwerdeführer sind illegal eingereist, haben zwei unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt und waren und sind nicht gewillt, nach negativem Ausgang dieser Verfahren freiwillig das Bundesgebiet zu verlassen.

II.1.4. Die BF verfügen in Österreich über ein Familienleben untereinander. Zahlreiche Verwandte der BF leben in Österreich, ein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis wurde aber weder in finanzieller Hinsicht noch sonst dargetan.

Die Beschwerdeführer legten im Zuge der bisherigen Verfahren zahlreiche Unterstützungserklärungen [diese sind wie folgt datiert: 07.12.2017 (8); 08.12.2017 (2); 09.12.2017 (1); 10.12.2017 (1); 11.12.2017 (3); 12.12.2017 (3);13.12.2017 (1); ohne Datum (3)] vor. Die Unterstützungserklärungen datieren alle unmittelbar nach der negativen Entscheidung des BVwG vom 29.11.2017 über den zweiten Asylantrag der BF (im Wesentlichen aus einem Zeitraum von einer Woche, d.h. vom 07.12.2017 bis 13.12.2017) und wurden allesamt bereits mit der damaligen Revision vom 23.04.2018 (gegen die Entscheidung des BVwG vom 29.11.2017, Zl.: L504 1418847-2/6E und L504 1418848-2/6E) vorgelegt.

Die BF nehmen am gesellschaftlichen Leben in ihrer Wohnsitzgemeinde teil und betätigen sich zum Teil auch ehrenamtlich.

In der Türkei leben die Mutter und ein Bruder des BF1, sowie die Eltern und Onkeln der BF2 bzw. weitere Verwandte der BF.

II.1.5. Der BF 1 leidet gemäß den vorgelegten Dokumenten an folgenden Krankheiten:

1)       Ambulanzbericht des LKH XXXX vom 14.01.2020:

-        Diabetes mellitus [(LADA DD MODI), C-Peptid 0.9 ng/ml; HbA1c unter dualer oraler Therapie 12.6 % 09/2019; aktuell: 8,3 % 01/2020]

-        Hypercholesterinämie

-        Chronischer Nikotin-Abusus

-        Die Erkrankungen des BF werden medikamentös behandelt. Ärztliche Kontrollen im Abstand von 3 Monaten sind notwendig.

2)       Bericht eines Facharztes für Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin vom 27.01.2020:

-        Anpassungsstörung im Sinne einer längerdauernden depressiven Reaktion bei exogener Belastungssituation F 43.21

-        Verdacht auf Posttraumatische Belastungsstörung

-        Medikation: Escitalopram 10mg T. 1-0-0-0

Die BF2 leidet an Problemen im Zusammenhang mit der Schilddrüse, erhöhtem Cholesterin und Beschwerden im Zusammenhang mit einer Frühmenopause und wird insoweit medikamentös behandelt. Eine im vergangenen Sommer bei der BF2 durchgeführte Mammographie verlief negativ.

Die von den BF vorgebrachten Erkrankungen sind in der Türkei behandelbar.

Beide Beschwerdeführer betreiben manchmal Sport (Laufen) – zuweilen auch täglich.

II.1.6. Beide Beschwerdeführer verfügen über eine Einstellungszusage für den Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels. Diese Zusagen datieren jeweils vom 11.12.2017 und wurden bereits als Beilage zur damaligen Revision vom 23.04.2018 vorgelegt.

Der BF1 war in den Jahren 2017/2018 mit Hilfe von Dienstleistungsschecks geringfügig erwerbstätig, zuletzt aber nicht mehr. Ebensolche Tätigkeiten übte die BF2 ab dem Jahr 2017 aus und dauert diese Art der Beschäftigung derzeit an; sie lukriert daraus einen Betrag in Höhe von € 100,-- monatlich. Den Lebensunterhalt bestreiten die BF hauptsächlich durch Grundversorgung und Unterstützungsleistungen der Caritas. Die BF sind zum Entscheidungszeitpunkt nicht selbsterhaltungsfähig und leben die BF von Grundversorgung und Unterstützung durch die Caritas; die BF2 leistet einen geringen Beitrag zum Haushaltseinkommen durch geringfügige Erwerbstätigkeit.

Der zuletzt besuchte Deutschkurs des BF1 datiert aus 2013 (A2 Grundstufe Deutsch 2 nicht bestanden), die BF2 besuchte im Jahr 2018 zwei Deutschkurse, bestand jedoch die Prüfung für B1 nicht. Beide sprechen Deutsch in einem Ausmaß, dass dies für eine Verständigung im Alltag – bei entsprechender Nachsicht – gerade noch ausreichend ist. Angesichts der Dauer des Aufenthalts der BF sind die Deutschkennnisse aber unzureichend.

II.1.7. Über die BF wurden folgende Verwaltungsstrafen verhängt:

-        BF1:

1)       Geldstrafe in Höhe von € 500,-- wegen § 70 Abs. 1 iVm § 120 Abs. 1a FPG, RK 28.04.2014;

2)       Geldstrafe in Höhe von € 2.500,-- wegen §120 Abs. 1a iVm § 31 Abs. 1 FPG, RK 16.05.2019;

3)       Geldstrafe in Höhe von € 70,-- wegen § 121 Abs. 3 Z 3 lit. A iVm § 32 Abs. 1 FPG, RK 01.12.2018;

-        BF2:

1)       Geldstrafe in Höhe von € 600,-- wegen § 120 Abs. 1a iVm § 31 Abs. 1 FPG, RK 08.02.2019;

Gegenüber dem Vorverfahren (RK ab 29.11.2017) traten die rechtskräftigen Strafen 3) und 2) hinsichtlich BF1 und die Strafe 1) zu BF 2 hinzu.

Aus den Aussagen im Verfahren ergibt sich die Ausreiseunwilligkeit der BF, dieser Umstand wird durch die in der mündlichen Verhandlung getätigten Angaben weiter manifestiert.

II.1.8. Beide BF nahmen einen Termin am 14.05.2019 zur Erlangung eines Heimreisezertifikates beim türkischen Konsulat in Salzburg zwar wahr, entschlossen sich aber – offenbar unter dem negativen Einfluss eines mitgereisten türkischen Ehepaares – dazu, keinen Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu stellen und verließen unverrichteter Dinge das Konsulat. Die Nichtmitwirkung an der Erlangung eines solchen Dokumentes ist damit evident.

II.1.9. Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.11.2017, Zl.: L504 1418847-2/6E und L504 1418848-2/6E, haben sich keinerlei Umstände hervor getan, die auf eine vertiefende Integration der Beschwerdeführer hindeuten.

Eine Änderung der relevanten Umstände seit dem Zeitpunkt der letzten Entscheidung – zugunsten der BF – ist jedenfalls nicht eingetreten, allenfalls solche zu ihren Lasten (vgl. Nichtmitwirkung an der Erlangung eines Heimreisezertifikates, Verwaltungsstrafen nach dem Fremdenpolizeigesetz).

II.1.10. Relevante Länderfeststellungen

Grundversorgung/ Wirtschaft

Für die Türkei werden Marktturbulenzen, starke Währungsabwertungen und erhöhte Unsicherheiten erwartet, die Investitionen und die Konsumnachfrage belasten und eine deutliche negative Korrektur der Wachstumsaussichten rechtfertigen. In der Türkei führten die Besorgnis über die zugrunde liegenden Fundamentaldaten und die politischen Spannungen mit den Vereinigten Staaten zu einer starken Abwertung der Währung (27% zwischen Februar und Mitte September 2018) und sinkenden Vermögenswerten. Das Wachstum in der Türkei war 2017 und Anfang 2018 sehr stark, dürfte sich aber deutlich abschwächen. Das reale BIP-Wachstum wird für 2018 mit 3,5% prognostiziert, soll aber entgegen den positiven ursprünglichen Prognosen 2019 auf 0,4% sinken. Die türkische Wirtschaft ist nach wie vor sehr anfällig für plötzliche Veränderungen der Kapitalströme und geopolitischen Risiken (IMF 8.10.2018).

Die Arbeitslosigkeit bleibt ein gravierendes Problem und verharrt trotz leichter Erholung bei knapp 11% (September 2017). Aus der jungen Bevölkerung drängen jährlich mehr als eine halbe Million Arbeitssuchende auf den Arbeitsmarkt, können dort aber nicht vollständig absorbiert werden. Die bereits hohe Jugendarbeitslosigkeit stieg 2017 gegenüber dem Vorjahr weiterhin an. Hinzu kommt das starke wirtschaftliche Gefälle zwischen strukturschwachen ländlichen Gebieten (etwa im Osten und Südosten) und den wirtschaftlich prosperierenden Metropolen. Auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen wandert die ländliche Bevölkerung daher weiterhin in die Städte und industriellen Zentren ab.

Herausforderungen für den Arbeitsmarkt bleiben der weiterhin hohe Anteil der Schwarzarbeit und die niedrige Erwerbsquote von Frauen. Dabei bezieht der überwiegende Teil der in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk erwerbstätigen Arbeiter und Arbeiterinnen weiterhin den offiziellen Mindestlohn. Er wurde für das Jahr 2017 auf 1.777,50 Lira brutto festgesetzt. Die Entwicklung der Realeinkommen hält mit der Wirtschaftsentwicklung nicht Schritt, so dass insbesondere die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten empfindlich am Rande des Existenzminimums leben (AA 10.2017c).

Das türkische Arbeitsrecht muss noch an die EU-Standards angepasst werden. Obwohl die nicht registrierte Beschäftigung auf 27,8% zurückgegangen ist, bestehen weiterhin große Unterschiede in Bezug auf Sektor, Beschäftigungsstatus und Geschlecht (BS 2018).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (10.2017c): Wirtschaft, https://www.auswaertigesamt.

de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/wirtschaft/201964#content_1, Zugriff

4.7.2018

? BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 — Turkey Country Report, http://www.btiproject.

org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Turkey.pdf,

Zugriff 4.7.2018

? IMF – International Monetary Found (8.10.2018): World Economic Outlook –

Challenges to Steady Growth,

https://www.imf.org/~/media/Files/Publications/WEO/2018/October/English/mainreport/

Text.ashx?la=en, Zugriff 17.10.2018

Sozialbeihilfen/-versicherung

Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yard?mla?ma ve Dayani?ma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (AA 3.8.2018).

Nach dem im April 2014 in Kraft getretenen Gesetz Nr. 6453 über Ausländer und internationalen Schutz haben auch Ausländer, die im Sinne des Gesetzes internationalen Schutz beantragt haben oder erhalten, einen Anspruch auf Gewährung von Sozialleistungen. Welche konkreten Leistungen dies sein sollen, führt das Gesetz nicht auf (AA 3.8.2018). Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie

und Sozialpolitik gibt es aber verschiedene Programme für mittellose Familien, wie z.B. Sachspenden (Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien, etc.), Kindergeld (10-20 EUR pro Kind/pro Monat, nach Alter und Geschlecht gestaffelt, Mädchen bekommen etwas mehr), finanzielle Unterstützung für Schwangere (ca. 50 EUR pro Schwangerschaft), Wohnprogramme, Einkommen für Behinderte und Altersschwache (50-130 EUR/Monat nach Alter und Grad der Behinderung gestaffelt). Des Weiteren beziehen Witwen die sogenannte „Witwenunterstützung“, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners

richtet (ca. 70% des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners, jedoch Max. 250 EUR/Monat) (ÖB 10.2017).

Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016a). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden (SGK 2016b).

Quellen:

? AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante

Lage in der Republik Türkei

? ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

? SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016a): Das

Türkische Soziale Sicherheitssystem,

http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/de/detail/das_turkische, Zugriff 4.7.2018

? SGK - Sosyal Güvenlik Kurumu (Anstalt für Soziale Sicherheit) (2016b): Financing of

Social Security,

http://www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/detail/social_security_system/social_security_

system, Zugriff 4.7.2016

Medizinische Versorgung

Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und postoperationelle Versorgung dagegen oft mangelhaft, aufgrund der staatlichen sanitären Zustände in den Spitälern und der Hygienestandards, die nicht dem westlichen Standard entsprechen. Dies gilt v.a. in staatlichen Spitälern in ländlichen Gebieten und kleinen Provinzstädten (ÖB 10.2017). Trotzdem hat sich das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es 2016 1.510 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 217.771 Betten, davon ca. 58% in staatlicher Hand (AA 3.8.2018). Die Gesundheitsreform ist als Erfolg zu werten, da mittlerweile 90% der Bevölkerung eine Krankenversicherung haben, die Müttersterblichkeit bei Geburt um 70%, die Kindersterblichkeit um 2/3 gesunken ist, und dies von der Welt Bank als eine der größten Erfolgsgeschichten bezeichnet wird. Allerdings warnt die Welt Bank vor explodierenden Kosten. Zahlreiche Ärzte kritisieren die sinkende Qualität der Behandlungen (aufgrund der reduzierten Konsultationsdauer und der geringeren Ressourcen pro Patient) (ÖB 10.2017). Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. Im Fall von Krebsbehandlungen kann nach aktuellen Medienberichten aufgrund des gesunkenen Wertes der türkischen Währung keine ausreichende Versorgung mit bestimmten Medikamenten aus dem Ausland gewährleistet werden; es handelt sich aber nicht um ein flächendeckendes Problem (AA 3.8.2018).

Auch durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen. Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Sa?l?k Oca?i) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen. Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig (AA 3.8.2018).

Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ unentgeltlich. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es nach wie vor üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden (AA 3.8.2018). NGOs, die sich um Bedürftige kümmern, sind in der Türkei vereinzelt in den Großstädten vorhanden, können jedoch kaum die Grundbedürfnisse der Bedürftigen abdecken (ÖB 10.2017).

Um vom türkischen Gesundheits -und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Guvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Die Kosten von Behandlungen in privaten Krankenhäusern werden von privaten Versicherungen gedeckt. Sobald man bei der SGK versichert ist, erhält man folgende Leistungen kostenlos: Impfungen, Diagnosen und Laboruntersuchungen, Gesundheitschecks, Schwangerschafts -und Geburtenbetreuung, Notfallbehandlungen. Beiträge sind einkommensabhängig (zwischen 65,88 TRY und 395,28 TRY) (IOM 2017). Die SGK refundiert auch die Kosten in privaten Hospitälern, sofern mit diesen ein Vertrag besteht. Die Kosten in privaten Krankenhäusern unterliegen, je nach Qualitätsstandards, gewissen, von der SGK vorgegebenen Grenzen. Die Kosten dürfen maximal 90% über denen von der SGK verrechneten liegen. Notfalldienste, Intensivmedizin, Verbrennungen, Krebstherapie, Neugeborenenversorgung, alle Transplantationen, Operationen bei angeborenen Anomalien, Hämodialyse und kardiovaskuläre Chirurgie sind von diesen zusätzlichen Zahlungen im privaten Sektor ausge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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