TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/11 L516 2140316-1

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Veröffentlicht am 11.03.2020
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Entscheidungsdatum

11.03.2020

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §56
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2140316-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Iran, vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2016, 412955102/160035445, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben, Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG behoben und XXXX wird gemäß § 56 iVm § 55 Abs 1 Z 1 und Z 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

II. Die Spruchpunkte II und III des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Die Beschwerdeführerin ist iranische Staatsangehörige und stellte am 22.10.2014 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“ in besonders berücksichtigungswürdigenden Fällen gemäß § 56 AsylG. Das BFA wies mit Bescheid vom 10.10.2016 (I.) diesen Antrag gemäß § 56 AsylG ab und erließ gemäß § 10 Abs 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 3 FPG, stellte (II.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei und sprach (III.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

1. Sachverhaltsfeststellungen:

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS=Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich]

1.1 Die Beschwerdeführerin führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige des Iran, sie wurde in XXXX geboren. Ihre Identität steht fest (Geburtsurkunde, AS 679; Reisepass, AS 653ff).

1.2 Am 22.10.2014 stellte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigenden Fällen gemäß § 56 AsylG.

1.3 Die Beschwerdeführerin besuchte in den Schuljahren XXXX und XXXX die XXXX in XXXX (AS 85 - 91). Sie leitete ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich zunächst von ihrem Vater ab, der als XXXX fungierte (Lichtbildausweis des XXXX , AS 637). Ab 24.10.2008 bis 02.07.2013 verfügte die Beschwerdeführerin über den bis dahin jährlich verlängerten Aufenthaltstitel „Aufenthaltsbewilligung Studierender“. Am 27.06.2013 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf weitere Verlängerung jenes Aufenthaltstitels (AS 427 ff), der im Rechtsmittelweg vom Verwaltungsgericht XXXX mit Erkenntnis vom 11.04.2014, Zahl XXXX , mangels Erfüllung der Voraussetzungen, abgewiesen wurde (AS 409 ff). Da der Verlängerungsantrag vom 27.06.2013 vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gestellt wurde, war der Aufenthalt der Beschwerdeführerin bis zur Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes XXXX vom 11.04.2014 rechtmäßig (vgl § 24 Abs 1 NAG). Seit 12.06.2007 ist die Beschwerdeführerin durchgehend in Österreich im Zentralen Melderegister gemeldet (ZMR).

1.4 Die Beschwerdeführerin lebt seit spätestens 2003 nach legaler Einreise durchgehend in Österreich (Bescheid, S 32). Sie hat am 18.10.2008 das Österreichische Sprachdiplom Deutsch B2 bestanden und ist seit 2004 an der Universität XXXX für verschiedene Studienrichtungen zugelassen und eingeschrieben und absolvierte Lehrveranstaltungen des Bachelorstudiums Chemie (AS 79, 535, 539, 541; OZ 5). Aktuell verfügt sie über einen bis 30.04.2020 gültigen Studierendenausweis der Universität XXXX (OZ 5). Sie ist auch arbeitsfähig.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Lebensmittelpunkt seit spätestens 2003 in Österreich, hat ihren Freundeskreis und soziale Bindungen auch zu StudienkollegInnen (AS 529, 753; OZ 5). Sie lebt zusammen mit ihrer ebenso in Österreich aufhältigen Schwester in einer ortsüblich großen Mietwohnung, verfügt über eine private Krankenversicherung, wird finanziell durch ihren Vater unterstützt (OZ 5; AS 547) und hat bisher zu keinem Zeitpunkt öffentliche Sozialleistungen in Anspruch genommen (GVS). Sie ist auch strafrechtlich unbescholten (Strafregister der Republik Österreich).

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes und das Ergebnis des durchgeführten Ermittlungsverfahrens. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.

2.1 Die Staatsangehörigkeit, Herkunft und das Feststehen der Identität der Beschwerdeführerin (oben 1.1) ergeben sich aus dem vorgelegten und als unbedenklich erachteten iranischen Reisepass und der als unbedenklich erachteten iranischen Geburtsurkunde.

2.2 Die Feststellung der Antragstellung am 22.10.2014 (oben 1.2) ergibt sich aus den folgenden Umständen: An jenem Tag brachte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Antrag zunächst schriftlich ein. Mit erstem Ermittlungsschritt des BFA vom 05.02.2016 forderte das BFA die Beschwerdeführerin mit Parteiengehör auf, verschiedene Urkunden vorzulegen; die Beschwerdeführerin kam dem auch nach. Mit weiterem Parteiengehör vom 03.08.2016 forderte das BFA die Beschwerdeführerin dann zusätzlich erstmals auf, das Formerfordernis der persönlichen Antragstellung zwischen dem 16.08.2016 und 26.08.2016 nachzuholen und die Beschwerdeführerin holte dies am 17.08.2016 nach. Damit gilt der Antrag vom 22.01.2014 als ursprünglich richtig eingebracht (vgl VwGH 26.2.2015, Ra 2014/22/0145).

2.3 Die Beschwerdeführerin war in der Lage, ihre Aufenthaltszeiten in Österreich, ihre geprüften Deutschkenntnisse sowie ihren Universitätsbesuch (oben 1.3 und 1.4) mit den vorgelegten Unterlagen zu belegen; diese wurden vom BFA auch nicht bestritten.

2.4 Auch die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Zusammenleben mit ihrer Schwester in einer gemeinsamen Mietwohnung, zur gegenwärtigen Finanzierung ihres Unterhaltes durch ihren Vater decken sich mit den von ihr dazu vorgelegten Unterlagen und wurden ebenso wenig vom BFA seiner Entscheidung zu Grunde gelegt und auch für das Bundesverwaltungsgericht ergab sich diesbezüglich kein Grund, daran zu zweifeln. Das von Beginn an erstattete Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass diese während ihres rund siebzehnjährigen Aufenthaltes in Österreich inzwischen einen Freundeskreis und soziale Bindungen auch zu StudienkollegInnen aufgebaut hat, ist lebensnah und daher glaubhaft. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin keine Sozialleistungen bezieht, beruht auf dem Datenbankauszug aus dem GVS-Betreuungsinformationssystems über die Gewährung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich. Gegenteiliges wurde vom BFA auch nicht behauptet. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit beruht auf dem Auszug aus dem unbedenklichen Strafregister der Republik Österreich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Spruchpunkt I

Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§ 56 AsylG, § 55, § 60 AsylG)

3.1 Das BFA führt zur Begründung der Abweisung des Antrages aus, dass die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt im Bundesgebiet „rechtmäßig niedergelassen“ gewesen sei, sondern nur zum Zwecke des Studiums zum Aufenthalt berechtigt gewesen sei.

Dazu ist jedoch auf den Wortlaut des § 56 Abs 1 Z 1 und Z 2 AsylG zu verweisen, wonach Voraussetzung ausschließlich ist, dass der Drittstaatsangehörige jedenfalls (1.) zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist, und (2.) davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre, seines festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig gewesen ist.

Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt war die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Antragstellung am 22.10.2014 nachweislich seit über fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhältig und davon mindestens die Hälfte, jedenfalls aber drei Jahre des festgestellten durchgängigen Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtmäßig aufhältig. Insgesamt hält sich die Beschwerdeführerin gegenwärtig knapp siebzehn Jahre ununterbrochen in Österreich auf und davon überwiegend rechtmäßig.

Die Beschwerdeführerin hat des Weiteren am 18.10.2008 das Österreichische Sprachdiplom Deutsch B2 bestanden. Gemäß § 81 Abs 36 NAG gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I Nr 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Die §§ 7 bis 16 Integrationsgesetz, BGBl I Nr 68/2017, mit Ausnahme von § 13 Abs. 2 traten mit 1. Oktober 2017 in Kraft.

Die Voraussetzungen des § 56 Abs 1 Z 1, Z 2 und Z 3 AsylG sind somit erfüllt.

3.2 Das BFA führt zur Begründung der Abweisung des Antrages des Weiteren aus, dass die Beschwerdeführerin bis dato keiner Erwerbstätigkeit nachgekommen sei, sie ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch Zuwendungen ihrer Familie bestreite und die Behörde davon ausgehen müsse, dass die Beschwerdeführerin zu einer Belastung für eine Gebietskörperschaft werde, wenn finanzielle Zuwendungen durch die Familie ausbleiben.

Dazu ist jedoch zum einen darauf zu verweisen, dass es gegenwärtig keine Hinweise darauf gibt, dass die Zuwendung durch die Familie, die nach wie vor erfolgt, in Zukunft ausbleiben wird, sowie zum anderen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auch die Frage einer zukünftig erwartbaren Selbsterhaltungsfähigkeit durch eine erlaubte Beschäftigung einzubeziehen und dabei auf den hypothetischen Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels, der die Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit grundsätzlich gestattet, einzubeziehen ist (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282). Die Behörde hat selbst festgestellt, dass die Beschwerdeführerin im arbeitsfähigen Alter ist (Bescheid, S 31) und mit dem beantragten Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ hat die Beschwerdeführerin im Falle der Erteilung freien Zugang zum Arbeitsmarkt, sodass die Beschwerdeführerin auch in der Lage sein wird, ihre Existenz durch eigene erlaubte versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit zu sichern.

3.3 Das BFA führt zur Begründung der Abweisung des Antrages schließlich noch aus, dass die Beschwerdeführerin zwar eine soziale Integration behauptet, jedoch nicht konkret nachgewiesen habe.

Dazu ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, nach der bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass diese Rechtsprechung zu Art 8 MRK auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant ist (VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047).

Unter Beachtung dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann fallbezogen nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich zu integrieren. Sie hält sich gegenwärtig knapp siebzehn Jahre ununterbrochen in Österreich auf und davon überwiegend rechtmäßig. Sie verfügt über nachgewiesene Deutschkenntnisse auf zumindest dem Niveau B2 und hat sich auch ihren Freundeskreis und soziale Bindungen zu StudienkollegInnen aufgebaut. Schließlich ist sie strafrechtlich unbescholten.

3.4 Das Vorliegen anderer Erteilungshindernissen iSd § 60 AsylG wurde vom BFA nicht behauptet und ist auch sonst nicht hervorgekommen.

3.5 Es wird daher im Ergebnis spruchgemäß der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG stattgegeben, Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG behoben und der Beschwerdeführerin wird gemäß § 56 iVm § 55 Abs 1 Z 1 und Z 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

Spruchpunkt II

Zur Behebung der Spruchpunkte II und III des angefochtenen Bescheides

3.6 Nach dem zuvor dargestellten Ergebnis liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran gemäß § 46 FPG und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG nicht mehr vor, weshalb gleichzeitig die betreffenden Spruchpunkte ersatzlos behoben werden.

Zu B)

Revision

3.7 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

3.8 Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse ersatzlose Teilbehebung Integration Integrationsvereinbarung Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Sprachkenntnisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L516.2140316.1.00

Im RIS seit

23.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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