TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/16 L516 2229362-1

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Veröffentlicht am 16.03.2020
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Entscheidungsdatum

16.03.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L516 2229362-1/2E

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Georgien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2020, Zahl XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG ersatzlos behoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid somit gemäß § 13 Abs 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Die Beschwerdeführerin ist georgische Staatsangehörige und stellte 16.01.2020 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 05.02.2020 (I.) hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG sowie (II.) des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG ab. Das BFA erteilte unter einem (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ (IV.) gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG, stellte (V.) gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei, erließ (VI.) gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot, erkannte (VII.) einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab und sprach (VIII.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakten des BFA langte am 10.03.2020 beim Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Linz, ein.

Gegenstand der vorliegenden Teilentscheidung bildet ausschließlich die Beschwerde gegen Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheides des BFA, mit dem vom BFA einer Beschwerde gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde.

1. Sachverhaltsfeststellungen

[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister; GVS= Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich]

1.1 Im Rahmen eines Besuchsaufenthaltes der Beschwerdeführerin in Österreich im Winter 2018/19 erlitt die Beschwerdeführerin einen leichten, vorübergehenden Schlaganfall. Bei den dabei in Österreich vorgenommenen Untersuchungen wurde der Verdacht auf Leukämie diagnostiziert. (Entlassungsbrief vom 31.10.2018, AS 121ff). Sie kehrte wieder nach Georgien zurück wo, Untersuchungen und Rückenmarksbiopsien durchgeführt wurden. (AS 87, 89). Dieses erhält die Beschwerdeführerin in Georgien kostenlos. Daneben nimmt die Beschwerdeführerin noch blutdrucksenkende Medikamente (Co-Amlessa und Moxitens) ein (AS 91-99), die monatlich 50 Lari kosten. (EV 29.01.2020, S 2, 3, 7, 8)

Während ihres derzeitigen Aufenthaltes in Österreich (seit 26.10.2019) wurde in einem Krankenhaus festgehalten, dass sie in Georgien wegen der Leukämie in Behandlung stehe, Co-Amlessa, Moxitens und Hydrine nehme, seit zwei Tagen kraftlos sei, kaum esse und trinke und ihre Arme nicht über 90° anheben könne. Nach Behandlung und Laboruntersuchung einer Blutprobe bei der „Leukos 11.000, Trop 74, bei normaler CK“ festgestellt wurde. (Ambulanzblatt 13.12.2019, AS 33ff)

Am 12.01.2020 fand sich die Beschwerdeführerin erneut in der Krankenhausambulanz ein, da sie sie Kopfschmerzen, erhöhten Blutdruck und ein „ungutes thorakales Gefühl“ gehabt habe. Als bestehende Medikation wurde Co-Amlessa, Moxitens und Hydrine festgehalten. (Ambulanzblatt 12.01.2020, AS 47ff)

Am 17.01.2020 wurde die Beschwerdeführerin mit Schwindel, einem Taubheitsgefühl im rechten Arm und Verdacht auf einen Insult von einem Rettungsdienst in eine Klinik gebracht. Die derzeitige Therapie wurde mit „Hydoxyurea 500 mg, antihypertensive Therapie, Moxonidin, Aspirin“ festgehalten. (Ambulanzkarte 17.01.2020, AS 141ff)

Am 27.01.2020 suchte die Beschwerdeführer erneut eine Klinik auf. Sie berichtete über Schmerzen im Unterbauch, in den Fingern, Schultern, Hüften und in der Brust. Die Beschwerden habe sie seit drei Tagen, sie habe nicht geschlafen, Atemnot habe sie keine. Es wurde Verdacht auf Somatisierungsstörung und die bekannte Leukämie diagnostiziert. Die derzeitige Therapie wurde mit „Hydoxyurea 500 mg, antihypertensive Therapie, Moxonidin, Aspirin“ festgehalten. Die Bildgebung erbrachte „Grenzwertig großes linksbetontes Cor mit pulmonalvenösen Stauungszeichen °. Keine Pleuraergüsse. Kein umschriebenes Infiltrat. Zarte Aortensklerose.“. Es wurde ein Eisenpräparat verordnet, klinische Kontrollen des Arztes der Betreuungsstelle erbeten, eine Vorstellung bei einem Facharzt für Psychiatrie im niedergelassenen Bereich empfohlen und festgehalten, dass bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes eine Wiedervorstellung hierorts jederzeit möglich sei. (Ambulanzkarte 27.01.2020, AS 165ff)

1.2 Die österreichische Bundesregierung hat seit 13.03.2020 eine Reihe von Maßnahmen im Umgang mit dem Coronavirus (Covid-19, SARS-CoV-2) angeordnet, mit denen unter anderem der Bereich des alltäglichen Lebens erheblich eingeschränkt wurde. Die Schließung von Geschäften wurde angeordnet. Verschiedene Beratungseinrichtungen bieten aus Sicherheitsgründen nur noch Beratungen über Telefon und E-Mail an (zB: https://wien.arbeiterkammer.at/ueberuns/kontakt/index.html). Am 15.03.2020 rief die Bundesregierung unter anderem für ganz Österreich eine Ausgangsbeschränkung aus. Die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum wurde eingeschränkt. Die Menschen werden aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Soziale Kontakte sollen ausschließlich mit jenen Menschen geschehen, mit denen sie zusammenleben. Für Ausnahmen, das Haus zu verlassen, soll es nur drei Gründe geben: Berufsarbeit, die nicht aufschiebbar ist, dringend notwendige Besorgungen (Lebensmittel) und wenn man anderen Menschen helfen muss. (Beweisquellen: https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Aktuelle-Maßnahmen.html; www.parlament.gv.at; www.bundeskanzleramt.gv.athttps://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2054402-Regierung-ruft-fuer-ganz-Oesterreich-Ausgangsbeschraenkungen-aus.html )

1.3 Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) haben das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 Menschen im Alter von über 60 Jahren sowie Menschen mit Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen und Krebs.( Beweisquelle: https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/; https://www.oesterreich.gv.at/)

2. Beweiswürdigung

2.1 Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ergeben sich aus den im Akt befindlichen ärztlichen Befunden georgischer und österreichischer medizinischer Einrichtungen (vgl Verwaltungsverfahrensakt des Erstbeschwerdeführers, AS 97-104; 113-135; 243); jene zum Glioblastom aus der dort genannten Quelle.

2.2. Die Feststellungen zu den von der österreichischen Bundesregierung angeordneten und gesetzten Maßnahmen im Umgang mit dem Coronavirus sowie zu den besonders gefährdeten Personengruppen (oben 1.2 und 1.3) beruhen auf den Informationen, die auf den oben bezeichneten Webseiten österreichischer öffentlich-rechtlicher Institutionen veröffentlicht wurden.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

3.1 Der Verwaltungsgerichthof hat in seiner Entscheidung vom 28.04.2015, Ra 2014/18/0146 ua, ausgesprochen, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs 1 Z 1 BFA-VG nicht zwingend ist, sondern eine Abwägung der für und gegen die zu treffende Anordnung sprechenden Interessen voraussetzt. Dabei ist das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die aus einem "sicheren Herkunftsstaat" nach § 19 Abs. 5 BFA-VG 2014 in Verbindung mit § 1 Z 6 der HerkunftsstaatenV, BGBl II Nr. 177/2009 idF BGBl II Nr. 405/2013, kommen, den im Einzelfall allenfalls entgegenstehenden privaten Interessen dieser Personen gegenüberzustellen (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146 ua).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in jener Entscheidung zudem Folgendes ausgeführt:

„Nach § 55 Abs. 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise (unter anderem) nämlich nicht, wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. Erkennt das Bundesamt der Beschwerde daher - wie im vorliegenden Fall - die aufschiebende Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG ab und wird sie vom BVwG nicht innerhalb der Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG wieder zuerkannt, besteht keine Frist zur freiwilligen Ausreise, und zwar auch dann nicht, wenn - wie im Falle der bevorstehenden Geburt eines Kindes - besondere Umstände vorliegen, die eine Drittstaatsangehörige bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat und die nach § 55 Abs. 2 und 3 FPG sogar eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise rechtfertigen würden.

Da sowohl das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch das BVwG unter der rechtsirrtümlichen Annahme, allein die Herkunft der Zweitrevisionswerberin aus einem sicheren Herkunftsstaat führe zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ihrer Beschwerde, diese wesentlichen Faktoren außer Acht gelassen haben, ist das zweitangefochtene Erkenntnis insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.“

Zum gegenständlichen Fall

3.2 Das Bundesverwaltungsgericht hat nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Beschwerdeverfahren bei Erlassung seines Erkenntnisses von der im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszugehen hat (VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

3.3 Die von der österreichischen Bundesregierung gesetzten und angeordneten Maßnahmen lagen zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch nicht vor und konnten daher vom BFA naturgemäß noch nicht berücksichtigt werden.

Fallbezogen zählt die Beschwerdeführerin zudem laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Europäischem Zentrum für die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) zu einer Personengruppe, die das höchste Risiko für eine schwere Erkrankung durch SARS-CoV-2 haben.

3.4 Das Bundesverwaltungsgericht gelangt nunmehr unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des vorliegenden Falles zu dem Schluss, dass gegenständlich – bedingt durch die bei der Beschwerdeführerin diagnostizierten Erkrankungen in Verbindung mit den von der österreichischen Bundesregierung angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus – gegenwärtig besondere Umstände vorliegen, die Drittstaatsangehörige bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen haben und die nach § 55 Abs 2 und 3 FPG sogar eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise rechtfertigen würden. Es überwiegen daher diese privaten Interessen der Beschwerdeführerin das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, die – wie die Beschwerdeführerin – aus einem "sicheren Herkunftsstaat" kommen.

3.5 Der Spruchteil VII des angefochtenen Bescheides des BFA wird daher spruchgemäß ersatzlos behoben.

3.6 Den Beschwerden kommt somit gemäß § 13 Abs 1 VwGVG aufschiebende Wirkung zu. Der Beschwerdeführerin ist daher vom BFA auch eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen (§ 51 AsylG).

Zu den übrigen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides

3.7 Im gegenständlichen Verfahren war ein Vorgehen gemäß § 59 Abs 1 letzter Satz AVG zulässig, da die Entscheidung über Spruchpunkt VII spruchreif war und die Trennung – auf Grund der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für die Betroffene – auch zweckmäßig ist.

3.8 Über die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides ergeht eine gesonderte Entscheidung.

Zu B)

Revision

4. Die Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zuvor zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.

5. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung ersatzlose Teilbehebung Gesundheitszustand Pandemie Teilerkenntnis Teilstattgebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L516.2229362.1.00

Im RIS seit

23.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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