Entscheidungsdatum
31.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W211 2218548-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. Die Spruchpunkte II. - VI. des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin stellte am XXXX .2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei sie zusammengefasst angab, dass ein Großvater und ein Onkel mütterlicherseits nach ihrer Eheschließung erfahren hätten, dass ihr Mann zum Christentum konvertiert sei. Man habe dann die Scheidung gefordert. Die Eheschließung habe in Abwesenheit ihres Mannes stattgefunden, der nicht in den Iran habe kommen können [da er in Österreich asylberechtigt sei]. Sie sei also vor ihrer eigenen Familie geflüchtet.
Am XXXX .2019 wurde die Beschwerdeführerin durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und führte dabei zusammengefasst und soweit wesentlich aus, keine Religion zu haben. Sie wolle mit ihrem Mann mitgehen und das Christentum besser kennen lernen. Sie haben im Iran 12 Jahre die Schule besucht und 4 Jahre Rechnungswesen studiert. Sie habe am XXXX .2018 im Iran ihren jetzigen Mann geheiratet. Er sei damals nicht anwesend gewesen, sondern sei die Heirat mit einer Vollmacht vonstatten gegangen. Sie haben ihren jetzigen Mann bereits vor dessen Ausreise nach Österreich gekannt. Geflohen sei sie in erster Linie, weil ihr Großvater und ein Onkel mütterlicherseits nicht mit der Eheschließung einverstanden gewesen seien, weil sie bei der Trauungsfeier erfahren hätten, dass ihr Mann zum Christentum konvertiert sei. Die Beschwerdeführerin habe eigentlich abwarten wollen, dass sich ihr Mann darum kümmerte, damit sie legal einreisen und auch wieder in den Iran ihre Familie besuchen fahren könne. Das sei aber nicht gegangen.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen und ihr in Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Das BFA stellte der Beschwerdeführerin amtswegig eine Rechtsberatung zur Seite.
3. Mit Schriftsatz vom XXXX .2019 brachte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde ein.
4. Mit Schreiben vom XXXX .2019 wurden die Beschwerdeführerin, ein Zeuge und das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen.
5. Mit Schreiben vom XXXX .2019 wurde ein Taufzeugnis betreffend die Beschwerdeführerin vorgelegt.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX .2020 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführerin, deren Rechtsvertretung und ein Zeuge teilnahmen. Ein_e Vertreter_in der belangten Behörde erschien unentschuldigt nicht. Die Beschwerdeführerin und der Zeuge wurden ausführlich befragt und aktuelle Länderberichte ins Verfahren eingebracht.
7. Mit Schreiben vom XXXX .2020 wurde durch die Vertretung der Beschwerdeführerin bekannt gegeben, dass auf eine schriftliche Stellungnahme verzichtet werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist eine XXXX geborene, volljährige iranische Staatsangehörige.
Die Beschwerdeführerin kommt aus XXXX , wo sie die Schule besuchte und Buchhaltung bzw. Rechnungswesen studierte. Sie arbeitete zwei Jahre als Buchhalterin.
Im Iran leben die Eltern, zwei Geschwister und weitere Verwandte der Beschwerdeführerin. Sie steht insbesondere mit ihrer Mutter in regelmäßigem Kontakt.
Die Beschwerdeführerin ist gesund und strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation Iran
Aus den ins Verfahren eingeführten Länderberichten ergibt sich Folgendes:
Allgemeines/Religion: In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha'i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten "Buchreligionen" (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018).
Anerkannte religiöse Minderheiten - Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen - werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen - Bahá'í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung - im Vergleich mit anderen Ländern der Region - nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten). Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa - unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke - eigene Vertreter im Parlament sowie das Recht auf Alkoholkonsum bei religiösen Riten und im Privatbereich, wenn keine Muslime anwesend sind (ÖB Teheran 12.2018). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA Analyse 23.5.2018, vgl. FH 4.2.2019). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA Analyse 23.5.2018).
Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 12.2018).
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Muslime, die keine Schiiten sind, dürfen weder für das Amt des Präsidenten kandidieren noch andere hochrangige politische Ämter bekleiden. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übertreten, können hohe Gefängnisstrafen erhalten, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichen. Es gibt weiterhin Razzien in Hauskirchen (AI 22.2.2018).
Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache sind in Iran verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 12.1.2019).
Schiitische Religionsführer, die die Politik der Regierung oder des Obersten Führers Khamenei nicht unterstützen, können sich auch Einschüchterungen und Repressionen bis hin zu Haftstrafen gegenübersehen (US DOS 29.5.2018).
Laut der in den USA ansässigen NGO "United for Iran" waren 2017 mindestens 102 Mitglieder von religiösen Minderheiten aufgrund ihrer religiösen Aktivitäten inhaftiert, 174 Gefangene wegen "Feindschaft gegen Gott", 23 wegen "Beleidigung des Islam" und 21 wegen "Korruption auf Erden" (US DOS 15.8.2017).
Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 22.2.2018).
Christen: Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen - solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten - ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA Analyse 23.5.2018). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018).
Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung anerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 2018), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften (AA 12.1.2019). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam. Grundrechtlich besteht "Kultusfreiheit" innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen. Jedoch haben Nichtmuslime keine Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, weder Freiheit der Meinungsäußerung noch Versammlungsfreiheit (Proselytismusverbot). Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten und wird streng bestraft. Das Strafgesetz sieht für Proselytismus die Todesstrafe vor. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen ("Hauskirchen") oft hart vorgegangen (Verhaftungen, Beschlagnahmungen, vor ein paar Jahren auch angeblich vollstreckte Todesurteile). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot (ÖB Teheran 12.2018).
Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 29.5.2018).
Im Weltverfolgungsindex 2019 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem neunten Platz. Im Beobachtungszeitraum wurden 67 Christen verhaftet (Open Doors 2019).
Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus und Hauskirchen: Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 12.2018). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel "mohareb" ("Waffenaufnahme gegen Gott"), "mofsid-fil-arz/fisad-al-arz" ("Verdorbenheit auf Erden"), oder "Handlungen gegen die nationale Sicherheit". In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie selten, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten zehn Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen "mohareb" (ÖB Teheran 12.2018, vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2019). Anklagen lauten meist auf "Organisation von Hauskirchen" und "Beleidigung des Heiligen", wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 12.1.2019). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (10 und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019, vgl. AI 22.2.2018). Laut Weltverfolgungsindex 2019 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2019).
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 12.1.2019). Laut der iranischen NGO Article 18 wurden von Jänner bis September 2018 37 Konvertiten zu Haftstrafen wegen "Missionsarbeit" verurteilt (HRW 17.1.2019). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 12.2018).
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 12.2018).
Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder andere Personen im Glauben zu unterrichten, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018). Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein "high-profile"-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein, würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden (DIS/DRC 23.2.2018).
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung habe, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (DIS/DRC 23.2.2018).
1.3. Die Beschwerdeführerin lernte in Österreich, vermittelt durch ihren hier lebenden Mann, das Christentum kennen. Ihr Mann begleitete sie in Österreich in eine christliche Kirche, wo er ihr den Pastor vorstellte. Sie besuchte regelmäßig die Veranstaltungen ihrer Kirche und absolvierte schließlich eine Taufvorbereitung. Die Beschwerdeführerin wurde am XXXX .2019 in der Iranischen Christlichen Gemeinde in Wien getauft. Sie besucht auch seither regelmäßig die wöchentlichen Veranstaltungen.
Die Beschwerdeführerin ist während ihres Aufenthaltes in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit sowie Nachhaltigkeit getragen zum christlichen Glauben konvertiert. Es ist nicht anzunehmen, dass die Beschwerdeführerin ihren christlichen Glauben in ihrem Herkunftsstaat Iran verleugnen würde, woraus sich für sie eine Gefährdung durch iranische Behörden wegen ihrer nunmehrigen Religion ergibt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahme durch das BFA ( XXXX .2019) sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ( XXXX 2020), der Beschwerdeschriftsatz, das LIB 2019 zum Iran, mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, der Strafregisterauszug sowie der Verwaltungsakt zum Asylverfahren.
2.2. Zu folgenden Feststellungen unter oben 1. wird weiter näher ausgeführt wie folgt:
2.2.1. Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest.
Die Feststellungen zum Geburtsjahr und zur Staatsangehörigkeit, zum Herkunftsort, zur Schul- und Berufsausbildung, zur Berufstätigkeit, zur Familie im Iran und zum Gesundheitszustand beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens. Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund an diesen Vorbringen zu zweifeln.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit beruht auf einem Auszug aus dem Strafregister.
2.2.2. Die Länderfeststellungen unter 1.2. gründen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Iran mit Stand 06/2019, und da wiederum auf die folgenden Einzelquellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 31.5.2019
- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 31.5.2019
- BFA Analyse (23.5.2018): Iran - Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 31.5.2019
- DIS/DRC - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 3.6.2019
- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 3.6.2019
- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 31.5.2019
- Open Doors (2019): Weltverfolgungsindex 2019 Länderprofil Iran, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 3.6.2019
- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html, Zugriff 31.5.2019
An der Aktualität, Verlässlichkeit und Richtigkeit der Informationen hat das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel. Zu diesen Berichten wurden von den Parteien keine weiteren Stellungnahmen eingebracht.
2.2.3. Der Beweiswürdigung betreffend eine Konversion soll vorangestellt werden, dass die meisten hier relevanten Vorgänge - der regelmäßige Besuch der Kirche, der Taufkurs, die Taufe und die nähere Auseinandersetzung mit dem Christentum - erst nach dem angefochtenen Bescheid schlagend geworden sind. Die belangte Behörde hatte bei ihrer Entscheidung eine andere Ausgangsbasis zu beurteilen als das Bundesverwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren.
Die Feststellungen dazu, wie die Beschwerdeführerin den christlichen Glauben in Österreich kennenlernte und wie sie ihn ausübt, beruhen einerseits auf ihren diesbezüglich nachvollziehbaren und konsistenten Angaben, was Chronologie und Werdegang angeht, auf dem Schreiben des Leiters der Iranischen Christlichen Gemeinde vom XXXX .2020 und auf dem Taufzeugnis vom XXXX .2019.
Zu ihrer Glaubensausübung im Rahmen der mündlichen Verhandlung befragt gab die Beschwerdeführerin Folgendes an: Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll:
" [...] R: Wieso gingen Sie in Österreich in die Kirche? [...]
P: Es hat damit begonnen, dass ich meinen Mann in die Kirche begleitet habe. Mein Mann hat mich dem Pastor vorgestellt und wir konnten mit dem Pastor auch über unsere Probleme sprechen. Das war alles neu für mich. Ich habe immer wieder meinen Mann in die Kirche begleitet. Nach einiger Zeit, wenn mein Mann am Samstag arbeiten musste und nicht in die Kirche gehen konnte, bin ich alleine gegangen, weil ich dort eine innere Ruhe gefunden habe. Immer wieder, wenn ich in die Kirche gegangen bin und die Gebete und die Reden vom Pastor gehört habe, habe ich eine Ruhe empfunden, und durch die anderen dort habe ich auch Gott kennengelernt. Ich wollte gemeinsam mit den anderen zu Gott beten. Mit der Zeit habe ich auch gelernt, wenn ich alleine bin, dass ich beten kann und zu Gott sprechen kann. Mein Blick auf Religionen hat sich grundsätzlich geändert. In meinem Kopf war immer, dass, wenn man einen Fehler macht, man von Gott bestraft wird. Im Iran und im Islam hat man immer Angst, wenn man an Gott denkt. Ich habe gemerkt, dass sie hier Gott als Vater rufen und mit ihm sprechen. Ich habe mich dann irgendwann für Kurse angemeldet und bin dann hingegangen.
R: Erzählen Sie mir bitte genau von Ihrer Taufvorbereitung?
P: Ich habe die Kurse besucht und habe in dieser Zeit auch meine Gefühle weggelassen und habe einfach mit meinem Verstand überlegt, was sich in meinem Leben verändert hat. Ich habe gemerkt, dass das Christentum mir den Weg zeigt, und ich viel ruhiger geworden bin. Diese Religion ist auf Liebe aufgebaut. Ein Gott, der die Menschen so sehr liebt, dass er sein Leben dafür gibt. Nachdem ich gemerkt habe, dass ich diese Ruhe finde und dass es eine Religion gibt, die auf Liebe aufgebaut ist, konnte ich nicht anders, als an die Religion zu glauben.
R wiederholt die Frage.
P: Ich besuchte zwei Kurse, einen ab dem 25.05., das waren 10 Termine, und danach ab dem 16.06., das waren weitere 16 Termine. Bei dem ersten Kurs haben wir viel über das Leben von Christus gelernt und über die Grundsätze der Religion. Im zweiten Kurs haben wir darüber gelernt, welche Voraussetzungen jemand erfüllen muss, um getauft zu werden, wir haben dort gelernt, was die Gesetze Gottes für das tägliche Leben sind, und zu beten. Dann habe ich selbst darum angesucht, dass ich getauft werde und habe den Termin am 23.11. bekommen. Ich möchte diese Kurse gerne nochmal besuchen, weil ich mehr erfahren möchte.
R: Was sind wichtige Grundsätze Ihres neuen Glaubens, die für Sie wichtig sind?
P: Das wichtigste für mich war, dass Gott seinen Sohn auf die Erde geschickt hat und ihn für uns Menschen geopfert hat. So hat Gott uns die Liebe gelernt, die wir an unsere Mitmenschen mitgeben müssen. Gott sagt: "Wer dich auf die rechte Wange schlägt, dem halte auch die linke hin." Das hat mir geholfen, nicht mehr die sture und rachsüchtige Person von vorher zu sein. Wenn alle Menschen an so eine Religion, wie das Christentum glauben würden und nach den Gesetzen der Religion leben würden, dann gebe es die Probleme in meinem Land nicht mehr.
R: Was meinen Sie mit "nach den Gesetzen der Religion leben"?
P: Wie ich vorher gesagt habe, vor allem die Liebe, und dass man auch bei seinen Feinden nicht Vergeltung ausüben soll.
R: Gibt es Teile, Stellen oder Geschichten der Bibel, die Ihnen besonders wichtig sind?
P: Vor allem die Wunder, die Christus vollbracht hat. Sein erstes Wunder, dass er Wasser zu Wein verwandelt hat für eine Hochzeit, oder dass er Tote zum Leben erweckt hat, das kann nur ein Gott und kein Mensch. [...]
R: Können Sie mir erklären, wieso Sie jetzt einen Glauben für sich gefunden haben? Ich frage Sie das deshalb, weil ich den Eindruck hatte, dass Sie eben zuvor keiner Religion gefolgt sind.
P: Ich war im Iran nicht gläubig, weil ich dort in der Religion keine Ruhe und keinen Frieden gefunden habe. Es war nichts dabei, was für mich richtig geklungen hätte. Wenn ich etwas Neues kennenlerne, überprüfe ich das immer mit meinem Herzen und mit meinem Verstand und wenn ich mit beidem davon überzeugt bin, warum soll ich dann nicht daran glauben? Ich bin überzeugt, wenn es im Iran nicht verboten wäre, das Wort Gottes zu hören, dann würden viel mehr Menschen zu Gott finden. Ich habe einen Weg gesucht, damit mein Leben schöner wird. Die Regeln im Christentum drehen sich immer um das Leben und um Frieden. Ich erwarte mir von einem Gott, dass er uns sagt, dass wir nicht töten sollen und in Frieden miteinander leben. Es geht immer nur um das Leben im Christentum.
R: Sie haben vorher gesagt, dass Sie im Taufkurs "Regeln für das tägliche Leben" gelernt haben. Welche Regeln sind das?
P: Zum Beispiel, dass man nett zu seinen Nachbarn sein soll. Was für mich besonders wichtig war, ist, dass man nicht nach Vergeltung streben soll. Ich war ein sehr aufbrausender Mensch, sogar in meiner Beziehung zu meinem Mann hat sich viel verändert, weil ich durch die neue Religion viel ruhiger und friedvoller geworden bin. Was sich in der Beziehung zu anderen auch verändert hat, ist, dass ich keine Erwartung an sie haben soll; nur, weil ich freundlich zu anderen bin, kann ich nichts erwarten.
R wiederholt die Frage.
P: Es gibt bei uns Protestanten kein "Muss". Es gibt keine Regeln dafür, wann wir beten müssen; wir beten dann, wenn wir wollen. Es ist wichtig, dass wir uns am Samstag in der Kirche versammeln und dann gibt es auch Versammlungen am Montag, wo wir auch gemeinsam beten. Es gibt kein Muss, dass wir beten müssen, aber wir beten, wenn wir sehr fröhlich sind, aber auch bei Problemen. Wann immer wir wollen, können wir mit unserem Gott reden und zu ihm beten. Zu uns als Protestanten wird gesagt, dass wir dem Weg Christi folgen sollen, damit es uns besser geht. Es gibt kein Muss, sondern was wichtig ist, ist, wie ich mein Leben führe.
R: Was bedeutet "christliches Leben im Alltag", wie es zum Beispiel Ihr Pastor als Teil der Taufvorbereitung in seinem Schreiben angeführt hat?
P: Was sehr wichtig ist für uns, ist, dass wir samstags zum Gottesdienst gehen. Es gibt die 10 christlichen Gebote, unter anderem z.B., dass es nur einen Gott gibt, dass wir unsere Eltern ehren sollen, dass wir keine Götzen anbeten sollen, dass wir den Samstag für den Gottesdienst freihalten und heilig halten, dass wir nicht im Namen Gottes schwören sollen, dass wir nicht töten sollen, dass wir nicht fremdgehen sollen, dass wir nicht stehlen und lügen sollen und dass wir auch anderen nichts neidig sind. Es gibt keine Regeln, wann wir zu Gott beten müssen.
R: Wie laufen Ihre Gottesdienste ab?
P: Wir kennen uns alle untereinander, wir begrüßen uns. Der Pastor beginnt mit dem Gebet. Jeder von uns kann dann aufstehen und auch beten. Wir singen die Lobpreisungen und danken Christus. Es wird aus der Bibel gelesen und es wird eine Predigt gehalten. Auch die einzelnen Gläubigen, die in der Kirche sind, können Predigten vorbereiten und vortragen. Einmal im Monat haben wir eine besondere Zeremonie für den Tod und Auferstehung Christi, das Abendmahl. Wir trinken Traubensaft und essen Brot, um an den Tod und die Auferstehung Christi zu denken.
R: Warum ist das nur einmal im Monat?
P: Jede Kirche hat seine eigenen Regeln und wir haben eben einmal im Monat diese Zeremonie, wobei es auch Live-Musik gibt. Es wird mehr über den Tod und die Auferstehung Jesu Christi gesprochen, und wir singen Lieder.
R: Was hat die Taufe für Sie bedeutet?
P: Das war das Bekenntnis zu meinem Glauben. Davor war ich sündig, starb in meiner Sünde und durch den Heiligen Geist werde ich jetzt geleitet. Es war eine Wiedergeburt. Es war ein Gefühl, dass ich nie davor hatte und auch nie wieder haben werde. Ich kann ewig leben, da ich den Glauben an Christus gefunden habe. Ich bin gerettet.
R: In welcher Sprache finden die Gottesdienste in Ihrer Gemeinde statt?
P: In Farsi. Nachdem einige auch österreichische BegleiterInnen dabei haben, übersetzt der Pastor auch manches auf Deutsch. Der Pastor ist ein Iraner, der deutsch spricht.
R: Ist das Christentum Ihrer Ansicht nach ein derart wichtiger Teil Ihres Lebens geworden, dass Sie Ihren Glauben auch bei einer hypothetischen Rückkehr in den Iran weiterhin aktiv ausüben müssten?
P: Ich will auf jeden Fall in diesem Glauben weiterleben, denn, egal was passiert, ich gehe auf jeden Fall am Samstag zum Gottesdienst. Ich muss diesen Weg weitergehen, das heißt, selbst wenn ich im Iran wäre, würde ich meinen Glauben leben. Wegen der Gesetze dort würde das mein Leben zerstören.
R: In welcher Form würden Sie ihn ausleben?
P: Ich würde mich zu meinem Glauben bekennen, das mache ich auch jetzt, egal mit wem ich spreche. Es ist meine Pflicht. Das würde ich im Iran auch machen. Im Iran gibt es das Gesetz, dass jeder, der dem Islam den Rücken kehrt, getötet wird.
R: Müssen Sie sich wirklich öffentlich dazu bekennen?
P: Ich habe mich zu meiner Religion bekannt, und auch mein Großvater weiß, dass ich konvertiert bin, und er hat gesagt, dass er mich gleich am Flughafen töten würde. Nach den Gesetzen im Islam würde er deshalb nicht einmal bestraft werden, weil das sein Recht ist, und wenn er das nicht macht, dann würde das die Regierung übernehmen. [...]"
Der erkennenden Richterin ergab sich in der Verhandlung der Eindruck, dass die Beschwerdeführerin trotz ihrer tatsächlich erst sehr kurzen Auseinandersetzung mit ihrer neuen Religion über diese intellektuell wie auch emotional reflektiert, und einerseits eine gefühlsmäßige Nähe zu ihrer Religionsgemeinschaft aufgebaut und sich andererseits bereits mit den Grundlagen ihrer neuen Religion bewusst auseinandergesetzt hat. Ihre Angaben bezüglich ihres Kontakts mit der Religion, warum sie sich gerne mit dieser beschäftigt und welche Inhalte ihr bisher besonders wichtig sind, sind nachvollziehbar, plausibel, schlüssig und lassen eine Beschäftigung mit diesem Glauben aus innerer Überzeugung glaubhaft erscheinen. In Zusammenschau mit der Bestätigung des Leiters der Gemeinde und der Taufe kann daher die Feststellung dahingehend erfolgen, dass die Beschwerdeführerin aus persönlicher Überzeugung und nachhaltig zum christlichen Glauben konvertiert ist.
Aus den Länderfeststellungen ergibt sich nun, dass das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, im Iran weiterhin verletzt wird. Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht. Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Es wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (10 und mehr Jahre) verhängt. Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder andere Personen im Glauben zu unterrichten, dann kann dies zu einem Problem werden.
Es ist daher glaubhaft und festzustellen, dass der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer erfolgten inneren Konversion im Falle einer Rückkehr bei zuzubilligender weiterer Auslebung ihres Glaubens eine entsprechende Gefährdung droht.
Aufgrund dieses Ergebnisses war auf das als fluchtauslösend angeführte Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend einen Streit mit ihrem Großvater und ihrem Onkel mütterlicherseits nicht weiter einzugehen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt I.:
3.1. Rechtsgrundlagen:
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abzuweisen, wenn der Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn sie einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes des gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen einer Asylwerberin ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046, mwN, vom 30. September 2015, Ra 2015/19/0066, und vom 18. November 2015, Ra 2015/18/0220, sowie etwa VwGH vom 15. Mai 2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die Beschwerdeführerin bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 5. September 2012, Y und Z, C-71/11 und C-99/11, bereits erkannt, dass eine begründete Furcht der Antragstellerin vor asylrelevanter Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände der Antragstellerin vernünftigerweise anzunehmen ist, dass sie nach Rückkehr in ihr Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die sie der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Die Tatsache, dass einer Asylwerberin im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen - wie der EuGH in seinem Urteil vom 4. Oktober 2018, Bahtiyaar Fathi, C-56/17, Rn. 94 bis 96, präzisiert hat - eine "Verfolgung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. zum Ganzen VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395; vgl. auch VwGH, 17.12.2019, Ra 2019/18/0350).
3.2. Aufgrund ihrer erfolgten inneren Konversion ist es durchaus anzunehmen, dass der Beschwerdeführerin im Falle eine Rückkehr in den Heimatstaat bei zuzubilligender weiterer Auslebung ihres Glaubens eine aktuelle und wahrscheinliche Verfolgungsgefahr wegen ihrer Religion durch iranische Behörden droht.
Die drohende Verfolgung geht von Staat aus, weshalb eine Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden im Iran nicht angenommen werden kann. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht zur Verfügung, da die staatliche Verfolgung im ganzen Land drohen würde.
Die Beschwerdeführerin hält sich somit aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Religion außerhalb des Irans auf und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da auch keine Ausschlussgründe nach § 6 AsylG vorliegen, ist der Beschwerde stattzugeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 schon aus diesem Grund der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.
Zu Spruchpunkt II:
3.3. In weiterer Folge waren die restlichen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben unter 3. dargestellte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Christentum ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Kassation Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Spruchpunktbehebung staatlicher Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W211.2218548.1.00Im RIS seit
23.10.2020Zuletzt aktualisiert am
23.10.2020