Entscheidungsdatum
08.04.2020Norm
AsylG 2005 §55Spruch
W171 2220344-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Kirgisistan, vertreten durch Edward W. DAIGNEAULT, Rechtsanwalt in 1160 Wien, gegen die Sicherstellung ihres Reisepasses am 19.06.2019 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde gegen die Handlung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Sicherstellung des Reisepasses am 19.06.2019) wird stattgegeben und festgestellt, dass die Sicherstellung des Reisepasses am 19.06.2019 rechtswidrig gewesen ist.
II. Gemäß § 35 VwGVG i.V.m. VwG-Aufwandersatzverordnung, hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von insgesamt ? 737,60 binnen 2 Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Der Antrag der Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin (in Folge auch BF genannt), eine Staatsangehörige Kirgisistans, reiste in das Bundesgebiet ein und war zuletzt unrechtmäßig in Österreich aufhältig. Am 05.06.2019 kam in Wien ihr Sohn zur Welt, der nach dem Kindesvater die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.
2. Am 19.06.2019 begab sich die BF zum Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch BFA/Behörde) um einen Antrag nach § 55 AsylG zu stellen. Im Rahmen der Antragstellung übergab die BF mit anderen Unterlagen auch ihren gültigen kirgisischen Reisepass, den die Behörde sodann einbehalten und bisher nicht zurückgegeben hat.
3. Mit gegenständlicher Beschwerde vom 22.06.2019 begehrte die BF die gerichtliche Feststellung, die Sicherstellung ihres Reisepasses als rechtswidrig zu erkennen und dessen Ausfolgung anzuordnen. Beantragt wurde weiters die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Ersatz der Aufwendungen.
4. Mit behördlicher Stellungnahme vom 27.06.2019 wurde nach weiteren Ausführungen die Abweisung der Beschwerde und der Zuspruch einer Aufwandsentschädigung in gesetzlicher Höhe beantragt.
5. Aufgrund einer gerichtlichen Anfrage teilte das BFA mit Informationsschreiben vom 22.01.2020 mit, dass das Verfahren nach § 55 AsylG noch nicht abgeschlossen sei, der Reisepass sich weiterhin bei der Behörde befinde und kein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die BF bestehe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Die BF reiste in Österreich ein und war zuletzt illegal aufhältig.
1.2. Am 05.06.2019 kam ihr Sohn zur Welt, der die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.
1.3. Am 19.06.2019 stellte die BF beim BFA persönlich einen Antrag nach § 55 AsylG und übergab sie mit den Unterlagen auch ihren Reisepass an die Behörde.
1.4. Der Reisepass wurde von der Behörde nach § 39/1 BFA-VG sichergestellt und der BF eine diesbezügliche Bestätigung nach § 39/3 BFA-VG übergeben.
1.5. Die BF übergab den Reisepass an die Behörde nicht freiwillig, sondern zur Einsichtnahme und zur Anfertigung von benötigten Kopien.
1.6. Die BF hat dadurch, dass sie ihren Reisepass nicht vorweisen kann im täglichen Leben Nachteile, da sie ihre Identität etwa vor Behörden und Beihilfestellen nicht nachweisen kann.
1.7. Der Reisepass befindet sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bei der belangten Behörde.
1.8. Mit Ausnahme des Bewilligungsverfahrens nach § 55 AsylG besteht kein weiteres asyl- oder fremdenrechtliches Verfahren im Bezug auf die BF.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde sowie in den Akt des BVwG im aktuellen Verfahren.
Die Feststellungen 1.1. bis 1.4. ergeben sich im Wesentlichen aus dem Behördenakt und decken sich mit den Angaben in der Beschwerdeschrift.
Unter 1.5. wird gerichtlich festgestellt, dass die BF ihren Reisepass als Identitätsnachweis im Zuge der Übergabe des Antrages (mit den notwendigen weiteren Unterlagen) gemeinsam übergeben hatte. Aus dem Zusammenhang lässt sich bereits ersehen, dass die BF dabei davon ausgehen konnte, diesen im Original nach der allfälligen Herstellung von Kopien umgehend wieder zurück zu erhalten. Eine freiwillige Herausgabe zur längeren Einbehaltung (Sicherstellung) des Dokumentes ist aus der Handlung der BF für das Gericht nicht erkennbar.
Unter 1.6. wird festgestellt, dass die BF im täglichen Leben Nachteile hat, bzw. haben könnte. Ein Reisepass stellt ganz allgemein ein wichtiges identitätsbezeugendes Dokument dar und wird es seitens des Gerichts als höchst plausibel angesehen, dass die BF ohne ihren Reisepass im täglichen Leben, etwa bei Behördenwegen oder am Postamt dadurch Nachteile erleiden könnte, die daraus resultieren, dass sie sich nicht eindeutig zu legitimieren im Stande ist.
Die Feststellungen unter Punkt 1.7. und 1.8. ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben im Informationsschreiben des BFA vom 22.01.2020.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1.1. Die maßgebliche Bestimmung des § 39 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, lautet:
Sicherstellen von Beweismitteln und Bargeld
§ 39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Gegenstände und Dokumente, die für ein Verfahren vor dem Bundesamt oder für eine Abschiebung gemäß § 46 FPG als Beweismittel benötigt werden, vorläufig sicherzustellen. Im Falle einer Anordnung gemäß § 43 Abs. 1 sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch ermächtigt, jenen Teil des mitgeführten Bargeldes, der einen dem Fremden jedenfalls zu belassenden Betrag von 120 Euro oder Euro Gegenwert, nicht aber einen Höchstbetrag von 840 Euro oder Euro Gegenwert überschreitet, sicherzustellen. Wird Bargeld sichergestellt, so ist der Fremde nachweislich über die Beitragspflicht, den Anspruch auf Ausfolgung eines allfälligen Differenzbetrages und das Recht, dessen Feststellung zu beantragen, sowie die Rechtsfolge des Verfalls gemäß § 2 Abs. 1b bis 1e GVG B 2005 zu informieren.
(1a) Ist im Rahmen der Sicherstellung von Bargeld in Fremdwährung die Ermittlung des Euro-Gegenwertes oder die Ausfolgung der in Abs. 1 genannten Beträge für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden, so ist das mitgeführte Bargeld zur Gänze sicherzustellen und dem Bundesamt zu übermitteln. Das Bundesamt hat dem Fremden den ihm zu belassenden Betrag sowie einen über den Höchstbetrag allenfalls hinausgehenden Restbetrag ohne unnötigen Aufschub von Amts wegen auszufolgen.
(1b) Ist der Fremde auch für einen oder mehrere unterhaltsberechtigte Familienangehörige beitragspflichtig (§ 2 Abs. 1b GVG-B 2005), so erhöhen sich die in Abs. 1 genannten Beträge für diesen um 100 vH für jeden unterhaltsberechtigten Familienangehörigen. Dies gilt hinsichtlich des in Abs. 1 genannten, dem Fremden jedenfalls zu belassenden Betrags nur, wenn dieser nicht bereits im Rahmen einer Sicherstellung des vom unterhaltsberechtigten Familienangehörigen mitgeführten Bargeldes gemäß Abs. 1 berücksichtigt wurde. Unterhaltspflichten und Unterhaltsberechtigungen bestimmen sich für Zwecke dieses Bundesgesetzes nach österreichischem Recht.
(2) Als Beweismittel gelten auch Gegenstände oder Dokumente, die im Zuge der Vollziehung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes, insbesondere zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments für die Abschiebung, benötigt werden.
(3) Über eine Sicherstellung gemäß Abs. 1 und 1a ist dem Betroffenen eine schriftliche Bestätigung auszufolgen, aus der, wenn Bargeld sichergestellt wird, die Höhe des sichergestellten Betrages hervorgehen muss. Die Beweismittel sind dem Bundesamt zu übergeben und von diesem, sobald sie nicht mehr für Verfahren oder für eine Abschiebung benötigt werden, dem Betroffenen zurückzustellen, es sei denn, sie wären nach einem anderen Bundesgesetz sicherzustellen. Im Falle der Sicherstellung von Datenträgern sind nicht diese, sondern die Ergebnisse der Auswertung samt Sicherungskopie (§ 39a) dem Bundesamt zu übermitteln. Im Falle der Sicherstellung von Bargeld sind dem Bundesamt der sichergestellte Bargeldbetrag und eine Kopie der dem Asylwerber ausgefolgten Bestätigung zu übermitteln.
A) Zur Zulässigkeit der Beschwerde an das BVwG:
Nach dem Erkenntnis des VwGH vom 24.01.2019, Ra 2018/21/0239 schließt eine zunächst freiwillige Herausgabe des Reisepasses das Vorliegen einer mit Beschwerde nach Art. 130 abs. 1 Z 2 B-VG bekämpfbaren Maßnahme nicht aus. Vielmehr kommt es ergänzend darauf an, in welchem Rahmen die freiwillige Vorlage des Reisepasses erfolgte. Wäre das in der Erwartung alsbaldiger Rückstellung, z. B. nach Einsichtnahme und Anfertigung einer Kopie, geschehen und wäre eine solche Rückstellung dann trotz darauf erkennbar gerichteten Willens der Partei unterblieben, so hätte die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht verneint werden dürfen (RZ 8).
Daraus folgt für den konkreten Fall, da die BF den Feststellungen nach den Reisepass zwar zunächst freiwillig übergab, doch die alsbaldige Rückstellung erwartete, dass die Bekämpfung der angefochtenen Sicherstellung zu Recht mit Maßnahmenbeschwerde an das BVwG erfolgte.
Zur Unrechtmäßigkeit der Sicherstellung (Spruchpunkt I.):
1)Nach § 39 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 BFA-VG können Reisepässe "vorläufig" als Beweismittel für das Verfahren sichergestellt werden. Das Bundesamt hat derartige Dokumente jedoch nach Abs. 3 leg. cit. zurückzustellen, sobald diese nicht mehr für das Verfahren benötigt werden. Eine Sicherstellung ist nach Filzwieser/Frank u.a., Asyl- u. Fremdenrechtskommentar 2016, zu § 39 BFA-VG (K2), dann unzulässig, wenn sie sich im Einzelfall als unverhältnismäßig darstellt. Dies bedeutet, dass Umstände vorliegen müssen, die einen konkret drohenden Nachteil begründen können.
Die BF hat im Verfahren glaubwürdig dargetan, dass der Reisepass als gültiger Lichtbildausweis für sie wichtig zum Identitätsnachweis ist und sie derzeit Nachteile hat, etwa Briefe von der Post abzuholen oder aber öffentliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Im Gegenzug dazu liegt das Interesse der Behörde, für weitere fremdenrechtliche Verfahren (etwa ein Verfahren zu Abschiebung der BF) bereits vorhandene Beweismittel gesichert zu haben.
Das Gericht hat daher diesbezüglich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen, die Zugunsten der BF ausfällt. Nach Ansicht des Gerichts überwiegen die durch die BF in der Beschwerdeschrift erörterten Nachteile aus dem Fehlen des Reisepasses die möglichen Vorteile der Behörde in dem ungewissen Fall, dass kein Titel gem. § 55 AsylG erteilt wird und sohin ein Rückkehrverfahren eingeleitet würde. Die weiter andauernde Beschränkung der BF, sich im täglichen Leben hinreichend legitimieren zu können stellt daher nach Ansicht des Gerichts einen weitaus größeren Nachteil dar, als das Fehlen eines Reisepasses im Zuge eines Rückkehrverfahrens, zumal Kopien des Reisepasses, die ohnehin bereits im Akt aufliegen, auch in diesem Verfahren zumeist ausreichende Hilfestellung leisten können.
Das Gericht beurteilt daher die Zurückbehaltung des Reisepasses als unverhältnismäßigen Nachteil.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
2) Die Behörde hat daher unverzüglich den der Rechtsanschauung des BVwG entsprechenden Zustand herzustellen (§ 28 Abs. 6 VwGVG).
3) Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt und beurteilt werden. Gründe für die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung liegen daher nicht vor.
Zu den Spruchpunkten II. und III. (Kostenentscheidungen):
Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der Beschwerdeführer vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.
B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufwandersatz Befehls- und Zwangsgewalt Rechtswidrigkeit Reisedokument SicherstellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2220344.1.00Im RIS seit
23.10.2020Zuletzt aktualisiert am
23.10.2020