Entscheidungsdatum
15.04.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W105 2214578-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald Benda als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018, Zl. 1032831501/190020798, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 23.10.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 16.04.2021 erteilt wird.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und der schiitschen Glaubensrichtung des Islam, stellte am 12.10.2014 nach schlepperunterstützter illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hat mit Bescheid vom 11.11.2015, Zl. 1032831501/140060645, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 11.11.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK behauptet habe. Aus den herangezogenen Erkenntnisquellen ergebe sich zwar, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil sei, doch variiere dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt. Die allgemeine Situation in Afghanistan sei gewiss nicht als zufriedenstellend zu bezeichnen. Die Situation scheine auf dem Weg der Stabilisierung, sei aber nach wie vor als unübersichtlich und unsicher zu bezeichnen. Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan würden sich aus den herkunftsbezogenen Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan ergeben. Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung sei auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse wie etwa der Zugang zur Arbeit, Nahrung und Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei. Die soziale Absicherung liege traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach längerer Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, würden auf größere Schwierigkeiten stoßen als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen würden. Für ihn bestehe daher das reale Risiko, dass er mangels Vermögen, einer speziellen Ausbildung, eines sozialen Netzwerkes in einem hinreichend sicheren Teil Afghanistans im Falle einer Rückkehr in eine hoffnungslose Lage kommen würde. Eine Rückkehr sei ihm daher unter den derzeit dargelegten Umständen nicht zumutbar.
3. Dieser Bescheid erwuchs mangels der Erhebung einer Beschwerde am 12.12.2015 in Rechtskraft.
4. Der Beschwerdeführer brachte am 04.10.2016 einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ein und wurde ihm mit Bescheid des BFA vom 27.10.2016 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 11.11.2018 erteilt. Begründend wurde vom BFA ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in Verbindung mit dem Vorbringen bzw. Antrag des Beschwerdeführers das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden könne.
5. Der Beschwerdeführer brachte am 23.10.2018 erneut einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ein.
6. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 08.01.2019 brachte der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Gesundheitszustandes vor, dass er keine Krankheiten habe und gesund sei. Weiters gab er an, dass er keine Deutschkurse, keine Schule oder Vereine besuche und Sozialhilfe bekomme. Er habe in Österreich keine zum dauernden Aufenthalt berechtigten Verwandten. Es würden seine Mutter, sein Vater, zwei Schwestern sowie ein Onkel im Iran leben und stehe er mit diesen Angehörigen in Kontakt. Befragt, welche Befürchtungen er für den Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat habe, gab er an, dass er dort getötet würde. Befragt, weshalb er getötet würde, gab er an: „Sie wissen doch, dass Hazara getötet werden.“ Die Frage, ob er bedroht worden sei, weil er Hazara sei, verneinte der Beschwerdeführer, ebenso die Frage ob ihn jemand persönlich in Afghanistan suche. Befragt, welche Befürchtungen er im Falle einer Rückkehr nach Kabul habe, gab er an, dass er Kabul nicht kenne. In Bezug auf etwaige Befürchtungen im Falle seiner Rückkehr nach Herat gab er an, dass er die Stadt nicht kenne. Wenn er von Kabul nach Herat fahre, könnten ihn die Taliban anhalten. In Bezug auf etwaige Befürchtungen im Falle seiner Rückkehr nach Mazar-e Sharif gab er an, dass er nicht wüsste, wie er dort leben soll.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.01.2018, Zl. 1032831501/190020798, wurde
- dem Beschwerdeführer der ihm mit Bescheid des BFA vom 11.11.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.),
- der Antrag vom 23.10.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.),
- dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.),
- gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.),
- gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.),
- gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass der BF im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 08.01.2019 in Bezug auf sein Heimatland Afghanistan keine aktuellen bzw. individuellen Fluchtgründe glaubhaft vorgebracht hätte, zumal er in diesem Zusammenhang bei seinen Rückkehrbefürchtungen nur die allgemeine Sicherheitslage und die Lage der Hazara vorgebracht hätte. Bei seiner Stellungnahme zu den Länderinformationen habe er dann zusätzlich gemeint, dass seine Familie ihn nicht unterstützen könne, weil seine Familie selbst Unterstützung brauchen würde. Nachdem sein Onkel ihn und seine Familie schon über Jahre hinweg unterstützt haben soll, würde dieser das auch in Zukunft tun. Dem Beschwerdeführer sei mit Bescheid vom 11.11.2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten lediglich zuerkannt worden, weil er damals zum Einvernahmezeitpunkt noch minderjährig gewesen und es unter diesen Umständen auch notwendig gewesen wäre, dass ein minderjähriger Rückkehrer nach Afghanistan familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Heimatland besitze. Nachdem seine Familie damals wie heute auch noch im Iran aufhältig sei, sei das BFA davon ausgegangen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt gewesen wäre. Seine subjektive Lage habe sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt dahingehend geändert, dass es nun möglich wäre, dass alleinstehende junge und gesunde Männer, wie auch verheiratete Paare ohne jegliche familiären Anknüpfungspunkte problemlos zurückkehren könnten. Im Falle des Beschwerdeführers komme hinzu, dass dieser volljährig geworden sei. Da er selbst angegeben habe, dass er in Afghanistan nicht verfolgt worden wäre und auch niemand nach ihm suchen würde, könne daraus keine Verfolgung seiner Person abgeleitet werden. Im Zuge der Prüfung seines Verlängerungsantrages sei festgestellt worden, dass die Gründe, welche zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden, zumal nun auch eine Rückkehr ohne familiäre Anknüpfungspunkte insbesondere nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif möglich sei und er volljährig geworden sei. Wenn es um die Frage nach in Afghanistan bestehenden Netzwerken ginge, sei in seinem Fall auf die Existenz der Verbindungen der Volksgruppe der Hazara sowie auf internationale und nationale Unterstützungsmöglichkeiten für Rückkehrer nach Afghanistan hinzuweisen. In seinem Fall wäre ihm eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni aufgrund der dort bestehenden schlechten Sicherheitslage nicht zumutbar. Es würde ihm trotzdem eine IFA mit Herat und Mazar-e Sharif zur Verfügung stehen. Auch könnte ihn dort seine Familie mit finanziellen Mitteln unterstützen. Er habe eine fünfjährige Schulbildung und habe er sich in Österreich Bildung sowie Berufserfahrung aneignen können, sodass davon auszugehen sei, dass er in der Lage wäre, sich auch in seinem Heimatland eine Beschäftigung zu finden. Dass er seinen Lebensunterhalt in Herat oder Mazar-e Sharif bestreiten könnte, sei einerseits eindeutig den diesbezüglichen Länderfeststellungen zu entnehmen. Auch sei er volljährig und wäre es ihm zumutbar, dass er auch unter durchaus schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung suche und möglicherweise durch das Verrichten von Gelegenheitsarbeiten seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Zudem gehe aus den Länderfeststellungen hervor, dass Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif gefahrlos über den Luftweg zu erreichen seien. Er wäre durch eine Rückkehr nach Afghanistan keiner realen Gefahr mehr ausgesetzt, die eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Es könne in Österreich keine besondere Integrationsverfestigung festgestellt werden, sodass eine Rückkehrentscheidung als verhältnismäßig anzusehen sei.
8. Mit Schriftsatz vom 28.01.2019 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsberater fristgerecht Beschwerde. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde die ihr obliegende Pflicht zur amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit in mehrfacher Weise verletzt habe. Eine umfassende Sachverhaltserhebung sei nicht erfolgt. Aus dem LIB ergebe sich, dass die Sicherheitslage in Afghanistan volatil sei und die Zahl der zivilen Opfer weiterhin hoch sei. Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, Ghazni, zähle zu den volatilsten Provinzen Afghanistans. Der Beschwerdeführer könne auch nicht auf eine interne Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif verwiesen werden, da die dortige Sicherheitslage unzureichend sei und eine interne Fluchtalternative im Ergebnis nicht bestehe. Mazar-e Sharif habe mit Überbevölkerung, Wohnraum- und Lebensmittelknappheit zu kämpfen und bestehe eine hohe Arbeitslosigkeit. In Herat mangle es etwa an Trinkwasser, Lebensmitteln und medizinischer Versorgung. Auch werde auf die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 verwiesen, in welchen sich UNHCR klar zu den Voraussetzungen für eine zumutbare interne Flucht- und Schutzalternative vor dem Hintergrund der enormen Versorgungsschwierigkeiten in afghanischen Großstädten äußere. Der Beschwerdeführer verfüge in Herat oder Mazar-e Sharif über keinerlei Netzwerke, weswegen er sich keinen Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten oder Unterkunft verschaffen könnte. Er verfüge in Afghanistan auch über keine Familienangehörigen, die ihn monetär oder mit Sachleistungen unterstützen könnten. Die belangte Behörde habe nicht hinreichend dargelegt, auf welcher Basis sie zu dem Schluss gelange, dass eine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage dergestalt eingetreten sei, dass nunmehr seine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die vermeintliche vorliegende IFA zulässig erscheine. Zu seinem Privatleben sei auszuführen, dass er sich seit 4,5 Jahren rechtmäßig in Österreich aufhalte, Deutsch spreche und über soziale Kontakte in Österreich verfüge. Im Falle seiner Ausweisung wäre er daher auch in seinem Recht auf Privatleben iSd Art. 8 EMRK verletzt.
9. Am 15.02.2019 langten die Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.
10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.07.2019 wurde die Beschwerde abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Heimatprovinz nicht zumutbar sei, der BF jedoch in Übereinstimmung mit den Kriterien der UNHCR und dem BFA eine interne Schutzalternative in anderen Teilen Afghanistans, konkret in Mazar-e Sharfif oder Herat, verwiesen werden könne. Es bestehe aus den näher angeführten Gründen für den Beschwerdeführer als einen volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Mann die Möglichkeit sich in den als ausreichend sicher bewerteten Städten Mazar-e Sharif oder Herat anzusiedeln und dort eine Existenz zu gründen. Weiters wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG nicht vorliegen würden, da der Beschwerdeführer weder das Vorliegen eines der Gründe des § 57 AsylG behauptet hatte, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor. Ebenso wenig würden die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG vorliegen, da die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben würden und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund treten. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung stelle gemäß § 52 FPG keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.
11. Mit Beschluss vom 26.9.2019 bewilligte der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) dem BF die Beigebung eines Rechtsanwaltes sowie die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr nach § 24a VwGG sowie die notwendigen Barauslagen des der Partei beigegebenen Rechtsanwalts.
12. Am 29.11.2019 brachte der BF durch seinen Rechtsberater die außerordentliche Revision gemeinsam mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beim Bundesverwaltungsgericht ein. In der Revision wurde zusammengefasst vorgebracht, dass die Behörde und das Bundesverwaltungsgericht keine Feststellungen zum Inhalt des Bescheides, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG vom 11.11.2016 bis 11.11.2018 verlängert wurde. Die tragenden Gründe wären maßgeblich für die Beurteilung einer wesentlichen Änderung, womit die Behörde und das Bundesverwaltungsgericht die Bedeutung des § 68 AVG und die Rechtskraftwirkung des Bescheides, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung zuletzt erteilt worden sei, verkannt hätten. Weiters belaste das Unterbleiben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung das Beschwerdeverfahren mit einem schwerwiegenden Verfahrensfehler.
13. Mit Beschluss vom 10.01.2020 gab der VwGH dem in der Revision erhobenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG statt.
14. Mit Erkenntnis des VwGH vom 29.01.2020 hob der VwGH das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf und sprach dem Revisionswerber die Aufwendungen von EUR 1.106,40 zu. Der VwGH führte in seiner Entscheidungsbegründung aus, dass das BFA die Aberkennung des subsidiären Schutzes auf den Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG stütze. Es hätten sich einerseits die persönlichen Umstände des Revisionswerbers infolge der mittlerweile erlangten Volljährigkeit sowie aufgrund des seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erweiterten Erfahrungsschatzes und andererseits die Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat geändert. Das BFA habe bei dieser Beurteilung außer Acht gelassen, dass dem Revisionswerber zuletzt mit Bescheid vom 27.10.2016 eine verlängerte Aufenthaltsberechtigung erteilt worden war und er zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig gewesen sei. Das BFA sei von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen, da die Änderung der Voraussetzungen im Sinn von § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG ausschließlich im Vergleich zu jenem Bescheid, mit dem dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, zu beurteilen seien, während der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 27.10.2016 zu Unrecht keine Beachtung geschenkt worden sei. Der VwGH habe bereits erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig sei, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG nicht geändert habe (VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155). Diese Fälle habe der VwGH auch auf Fälle übertragen, in denen die Aberkennung auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG gestützt worden sei. Das angefochtene Erkenntnis beschäftige sich unter Bezugnahme auf die individuelle Situation des Revisionswerbers ausschließlich mit den aktuell gegebenen Umständen, ohne im Hinblick auf die persönlichen oder im Herkunftsstaat maßgeblichen Verhältnisse Veränderungen aufzuzeigen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Person:
Der männliche, (mittlerweile) volljährige, ledige, gesunde, und arbeitsfähige Beschwerdeführer (ohne Obsorgepflichten) wurde am XXXX in der Provinz Ghazni geboren, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum islamischen Glauben schiitischer Richtung. Er spricht Dari und Farsi. Der Beschwerdeführer zog mit seinen Eltern im Alter von 2 Jahren in den Iran. Er besuchte im Iran für 5 Jahre die Grundschule und verfügt über Arbeitserfahrung als Schneider. Im Iran sind nach wie vor seine Eltern sowie zwei Schwestern und ein Onkel aufhältig. Im Jahr 2014 verließ der Beschwerdeführer den Iran und reiste mit Schlepperunterstützung illegal nach Österreich, wo er am 12.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Familienverhältnisse des BF in Bezug auf Afghanistan haben sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Bescheid des BFA vom 11.11.2015 bzw. seit dem Bescheid des BFA vom 27.10.2016, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde, nicht verändert.
Der Beschwerdeführer ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer hatte keine Probleme mit den Behörden im Heimatland. Auch hatte er keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit.
1.2. Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Seit seiner Antragstellung befindet sich der Beschwerdeführer auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse bis zu dem Niveau A2 besucht und entsprechende Sprachdiplome erworben. Weiters hat er beim Kurs „Kompetenzcheck Berufliche Integration – junge Männer“ teilgenommen.
Der Beschwerdeführer hat darüber hinaus keine Vereine oder Kurse in Österreich besucht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erfahrungsschatz des BF sich durch das Erlernen der deutschen Sprache auf A2-Niveau und der gesammelten Arbeitserfahrung wesentlich erweitert hat.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Er nimmt aktuell keine Leistungen der Grundversorgung in Anspruch.
1.3. Situation im Herkunftsstaat des BF:
Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Bescheid des BFA vom 11.11.2015 bzw. seit der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des BF mit Bescheid des BFA vom 27.10.2016 wesentlich und nachhaltig verbessert hat.
1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2019:
Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).
Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als “Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).
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Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).
Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:
Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))
2016
2017
2018
2019
Jänner
2111
2203
2588
2118
Februar
2225
2062
2377
1809
März
2157
2533
2626
2168
April
2310
2441
2894
2326
Mai
2734
2508
2802
2394
Juni
2345
2245
2164
2386
Juli
2398
2804
2554
2794
August
2829
2850
2234
2443
September
2493
2548
2389
-
Oktober
2607
2725
2682
-
November
2348
2488