TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/16 W227 2183858-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2020
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Entscheidungsdatum

16.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W227 2183856-1/4E

W227 2183858-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerden von (1.) XXXX , geboren am XXXX , und (2.) XXXX , geboren am XXXX , beide staatenlos, gegen die Spruchteile I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) jeweils vom 20. Dezember 2017, Zlen. (1.) 1096791305/151869563/BMI-BFA WIEN und (2.) 1096791000/151869571/BMI-BFA WIEN, zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und (1.) XXXX sowie (2.) XXXX wird gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Status-RL) der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 (AsylG) wird festgestellt, dass (1.) XXXX und (2.) XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerinnen (die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerde-führerin sind Schwestern) sind staatenlose Palästinenserinnen und Angehörige des sunnitischen Glaubens. Sie stellten am 29. Oktober 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei ihrer Erstbefragung gaben die Beschwerdeführerinnen u.a. Folgendes an: Sie stammten aus XXXX , XXXX , Provinz Damaskus Umgebung. Syrien hätten sie aufgrund des Bürgerkrieges im Oktober 2015 illegal mit dem PKW Richtung Türkei verlassen. In Syrien hätten sie als Palästinenserinnen nicht mehr in Sicherheit leben können. Im Falle einer Rückkehr hätten sie Angst, im Krieg zu sterben.

In Folge legten sie jeweils ihren (als echt qualifizierten) Reisepass für palästinensische Flüchtlinge vor.

2. Bei ihrer Einvernahme vor dem BFA am 6. September 2017 gaben die Beschwerde-führerinnen zusammengefasst Folgendes an:

Sie seien in XXXX geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern seien 1967 aus Palästina geflüchtet und die gesamte Familie sei unter dem Schutz der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees) in Syrien gestanden. Die Erstbeschwerdeführerin habe zwölf Jahre die Schule besucht und diese mit der Maturaprüfung abgeschlossen. Danach habe die Erstbeschwerdeführerin als Schneiderin gearbeitet und zwei Monate einen Kurs für Krankenpflegerinnen in Damaskus besucht. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zehn Jahre bis zu ihrer Ausreise zur Schule gegangen. Syrien hätten sie am 10. Oktober 2015 verlassen, da sie als staatenlose Palästinenserinnen besonders "gedemütigt" worden seien. So seien sie aufgrund ihres Personenstandsregisters stets als Palästinenserinnen "enttarnt" worden und an Checkpoints des syrischen Regimes und der freien syrischen Armee "schlecht" behandelt worden. An Checkpoints hätten Soldaten versucht, das Kopftuch von ihren Köpfen zu reißen, und sie seien mehrfach beschimpft worden. Überdies hätten sie in Syrien "große Probleme" gehabt, weil sie keinen syrischen Personalausweis besessen hätten; staatenlose Palästinenser hätten kein Recht auf "einen Ausweis". Auch ihr Onkel und ihr Cousin seien für etwa einen Monat inhaftiert worden, weil sie keinen Ausweis gehabt hätten. Die Hälfte der Personen, die in den syrischen Gefängnissen gestorben seien, seien Palästinenser. Darüber hinaus sei XXXX zwei Mal von Flugzeugen angegriffen worden. Unter diesen Umständen habe die Zweitbeschwerdeführerin ihre Schulausbildung nicht mehr fortsetzen können. Im Falle einer Rückkehr würden sie sofort verhaftet werden, weil sie Syrien verlassen hätten.

Ihre Eltern hielten sich nach wie vor in Damaskus auf, drei Schwestern befänden sich in Jordanien und zwei Brüder lebten in Österreich.

Weiters legten die Beschwerdeführerinnen jeweils ihre UNRWA-Registrierungsbestätigung sowie einen Auszug aus dem Personenstandsregister vor.

3. Mit den angefochtenen Bescheiden wies das BFA die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (jeweils Spruchteil I.), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (jeweils Spruchteil II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG befristete Aufenthaltsberechtigungen bis zum 21. Dezember 2018 (jeweils Spruchteil III.).

Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführerinnen stellte das BFA u.a. Folgendes fest:

Ihre Identität stehe fest; sie seien staatenlose Palästinenserinnen und kämen aus Syrien. Die Beschwerdeführerinnen seien gesund und ledig. Die Erstbeschwerdeführerin verfüge über eine abgeschlossene Schulausbildung und sei "arbeitstätig" gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe die Schule zehn Jahre lang besucht.

Glaubwürdig sei, dass die Beschwerdeführerinnen Syrien aufgrund des Bürgerkrieges verlassen hätten. Sie hätten den Schutz bzw. die Leistungen der UNRWA in Anspruch genommen. Aus den Länderberichten zu Syrien gehe allerdings hervor, dass eine Versorgung durch die UNRWA nur eingeschränkt möglich sei, da Lieferungen von Hilfsgütern durch die Regierung behindert würden. Eine asylrelevante Verfolgung habe jedoch nicht festgestellt werden können.

Rechtlich begründete das BFA die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten damit, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten begründete das BFA mit der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Syrien.

4. Gegen die Spruchteile I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht Beschwerden, in welchen sie zusammengefasst Folgendes vorbrachten:

Das BFA habe die Fluchtgründe der Beschwerdeführerinnen rechtlich falsch beurteilt und ihnen unterstellt, sie seien niemals persönlich bedroht worden. Die Beschwerdeführerinnen hätten ihre Fluchtgründe jedoch nachvollziehbar dargelegt. Im Falle einer Rückkehr würden die Beschwerdeführerinnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sein. So sei den Länderberichten zu entnehmen, dass die Lage der Frauen in Syrien sehr prekär sei; und Frauen würden laut UNHCR "als Risikoprofil identifiziert".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1. Zu den Beschwerdeführerinnen

Die Beschwerdeführerinnen sind staatenlose Palästinenserinnen und Angehörige des sunnitischen Glaubens. Sie tragen die im Spruch angeführten Namen, sind am XXXX und am XXXX geboren und lebten in XXXX , XXXX , Provinz Damaskus Umgebung.

Sie reisten am 10. Oktober 2015 illegal mit dem PKW über die türkische Grenze aus Syrien aus.

Die Beschwerdeführerinnen sind als Flüchtlinge bei der UNRWA registriert und verließen das Einsatzgebiet der UNRWA wegen des Bürgerkrieges.

Das BFA erkannte den Brüdern (1.) XXXX , geboren am XXXX , und (2.) XXXX , geboren am XXXX , den Status von Asylberechtigten zu.

Die Beschwerdeführerinnen sind strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

1.2.1. Politische Lage

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten. Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert.

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten, wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer "Farce".

Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden.

Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen. Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten. Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen.

Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort. Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert. Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen. Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung.

Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär. Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syrien. Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baath-Partei in der Nationalen Front. Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des von den USA unterstützten Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Diese schwierige Situation führt auch dazu, dass die Kurden wieder vermehrt das Gespräch mit der syrischen Zentralregierung suchen.

Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an. Die zwischen der Kurdischen Selbstverwaltung (dominiert von der PYD) und Vertretern der syrischen Regierung im Sommer 2018 und Anfang 2019 geführten Gespräche brachten auf Grund unvereinbarer Positionen betreffend die Einräumung einer (verfassungsgemäß festzuschreibenden) Autonomie, insbesondere für die kurdisch kontrollierten Gebiete sowie hinsichtlich der Eingliederung/Kontrolle der SDF, keine Ergebnisse. Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 8ff.)

1.2.2. Palästinensische Flüchtlinge

Rechtlicher Status der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien und das Mandat der UNRWA

Die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) ist entsprechend der Resolution 302 IV (1949) der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einem Mandat zur Förderung der menschlichen Entwicklung palästinensischer Flüchtlinge ausgestattet. Das Mandat wurde jüngst bis zum 30. Juni 2020 verlängert. Per definitionem sind palästinensische Flüchtlinge Personen, deren gewöhnlicher Aufenthaltsort zwischen 1. Juni 1946 und 15. Mai 1948 Palästina war und die sowohl ihr Zuhause wie auch ihre Mittel zur Lebenshaltung aufgrund des Konflikts von 1948 verloren haben. Dienste von UNRWA stehen all jenen Personen offen, die im Einsatzgebiet der Organisation leben, von der Definition umfasst und bei UNRWA registriert sind, sowie Bedarf an Unterstützung haben. Nachkommen männlicher palästinensischer Flüchtlinge können sich ebenfalls bei UNRWA registrieren. Darüber hinaus bietet UNRWA ihre Dienste auch palästinensischen Flüchtlingen und Vertriebenen des Arabisch-Israelischen Konflikts von 1967 und nachfolgender Feindseligkeiten an.

Schon vor dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 waren die Palästinenser in Syrien eine vulnerable Bevölkerungsgruppe. In Syrien lebende Palästinenser werden in Abhängigkeit vom Zeitpunkt ihrer Ankunft in Syrien in verschiedene Kategorien eingeteilt, von denen jeweils auch ihre rechtliche Stellung abhängt. Zu unterscheiden ist zwischen jenen Palästinensern, die als palästinensische Flüchtlinge in Syrien anerkannt sind und jenen, die in Syrien keinen Flüchtlingsstatus genießen. Da Syrien nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist, richtet sich der Flüchtlingsstatus nach syrischem Recht. Die größte Gruppe bilden Palästinenser, die bis zum oder im Jahr 1956 nach Syrien gekommen sind, sowie deren Nachkommen. Diese Palästinenser fallen unter die Anwendung des Gesetzes Nr. 260 aus 1956, welches Palästinenser, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes einen Wohnsitz in Syrien hatten, im Hinblick auf Arbeit, Handel, Militärdienst und Zugang zum öffentlichen Dienst syrischen Staatsbürgern gleichstellt. Ausgeschlossen ist diese Gruppe jedoch vom Wahlrecht, der Bekleidung öffentlicher Ämter sowie vom Erwerb landwirtschaftlicher Nutzflächen. Sie erhalten auch nicht die syrische Staatsbürgerschaft. Unter diese Kategorie fallende Personen sind bei der General Authority for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert. Für die Palästinenser, die sich nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 260 noch im Jahr 1956 in Syrien niedergelassen haben, gelten bestimmte Modifikationen und Einschränkungen (v.a. Anstellung im öffentlichen Dienst nur auf Grundlage zeitliche befristeter Verträge; keine Ableistung von Militärdienst). Sie sind aber ebenfalls bei GAPAR registriert. Diese Gruppen von Palästinensern und ihre Nachkommen sind somit als Flüchtlinge in Syrien anerkannt.

Die nach 1956, insbesondere ab 1967 nach Syrien gekommenen Palästinenser und deren Nachkommen umfassen ihrerseits eine Reihe weiterer Untergruppen: Unter anderem fallen darunter Personen, die nach 1970 aus Jordanien, nach XXXX aus dem Libanon und während der letzten beiden Dekaden aus dem Irak gekommen sind. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht bei GAPAR registriert und nicht als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind. In Syrien gelten sie als "Arabs in Syria" und werden wie Staatsbürger arabischer Staaten behandelt. Sie können ihren Aufenthaltstitel in Syrien alle 10 Jahre beim Innenministerium erneuern lassen und müssen um Arbeitsgenehmigungen ansuchen. Einige aus dieser Gruppe fallen unter das Mandat von UNHCR. Palästinenser dieser Gruppe können in Syrien jedoch öffentliche Leistungen des Gesundheits- oder Bildungsbereiches kostenfrei nutzen, abgesehen von einem Studium an der Universität, für welches sie eine Gebühr bezahlen müssen.

Die Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern und Wohngebieten

Vor Ausbruch des Bürgerkrieges lebten geschätzte 560.000 palästinensische Flüchtlinge in Syrien, und davon mehr als 80 Prozent in und um Damaskus. Die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien waren von schweren Kämpfen in und um manche palästinensische Flüchtlingslager und Stadtteile erheblich betroffen. Die Bewegungsfreiheit von Palästinensern ist eingeschränkt. Berichten zufolge müssen sie z.B. in Damaskus eine Genehmigung der Mukhabarat (Geheimdienst) und der Sicherheitskräfte bekommen, um ihren Wohnsitz verlegen zu können.

Palästinenser müssen den Wohnsitz bei den Mukhabarat registrieren, was dazu führt, dass manche Personen nicht an Palästinenser vermieten wollen. Allgemein gesprochen sind die Palästinenser vulnerabler als der durchschnittliche Syrer, was auch mit fehlenden Identitätsdokumenten in Verbindung steht. Palästinenser, die bereits vor dem Konflikt deutlich ärmer als Syrer waren, sind nun eine der am meisten vom Konflikt betroffenen Bevölkerungsgruppen in Syrien. Sie sind außerdem häufig von mehrfachen Vertreibungen betroffen. Dies ist mitunter auch auf die strategische Relevanz der von Palästinensern bewohnten Gebiete zurück zu führen. Beispielsweise waren die Lager südlich von Damaskus strategisch bedeutend, weil sie die beiden oppositionellen Hochburgen im westlichen Damaskus und in Ost-Ghouta trennten und dadurch im bewaffneten Konflikt zum Ziel von Beschuss und Blockaden wurden. Dies führte zur Vertreibung der Bewohner dieser Lager. Sowohl das Regime als auch oppositionelle Gruppierungen belagerten oder beschossen manche palästinensische Flüchtlingslager und Nachbarschaften, oder machten diese anderweitig praktisch unzugänglich, was zu Fällen von schwerer Unterernährung und fehlendem Zugang zu medizinischer und humanitärer Versorgung und Todesfällen von Zivilisten führte.

Die Leistungen der UNRWA im Rahmen ihrer Zugangsmöglichkeiten

Die offiziellen UNRWA-Flüchtlingslager sind Gebiete, die UNRWA von der Regierung des jeweiligen Gastlandes zur Errichtung eines Lagers und der notwendigen Infrastruktur überlassen werden. Die Aktivitäten von UNRWA erstrecken sich jedoch auch auf nicht offiziell diesem Zweck zugewiesene Gebiete (sog. "Inoffizielle Lager"). Dies trifft auch auf den Stadtteil von Damaskus, Yarmouk, zu, der lange Zeit die größte Dichte an palästinensischen Flüchtlingen in Syrien aufwies. UNRWA bietet Unterstützungsleistungen in zwölf Flüchtlingslagern in Syrien an (neun offizielle und drei inoffizielle Lager). Diese Lager werden von UNRWA jedoch nicht verwaltet, und UNRWA ist nicht für die Sicherheit in den Lagern zuständig. Dies liegt in der Verantwortung der Behörden des Gaststaates.

Die palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien sind nicht durch physische Begrenzungen, wie z.B. Mauern, eingefriedet, sondern sie sind Teil der Städte, und gleichen eher Wohnvierteln. In Syrien leben Teile der palästinensischen Bevölkerung innerhalb und andere außerhalb der Lager. Das Land, auf welchem sich die UNRWA-Lager befinden, befindet sich im Eigentum des Gaststaates. Den palästinensischen Familien wurden in der Vergangenheit Grundstücke zugeteilt, worauf Häuser gebaut wurden. Rechtlich gehört den palästinensischen Bewohnern das Land, auf dem die Häuser stehen, nicht. Dennoch werden die dort errichteten Wohnungen und Häuser mittlerweile auch vermietet und verkauft. Der Zugang zu UNRWA-Lagern ist rechtlich nicht eingeschränkt, es kann jedoch faktische Probleme geben, die den Zugang einschränken.

Etwa 95% der in Syrien verbliebenen palästinensischen Flüchtlingsbevölkerung hängen von humanitärer Hilfe ab, um ihre Grundbedürfnisse zu stillen, und etwa 254.000 wurden zumindest einmal innerhalb Syriens vertrieben. 34.200 palästinensische Flüchtlinge in Syrien waren in der ersten Hälfte des Jahres 2018 noch immer in für UNRWA "schwer zugänglichen" Gebieten. Für Palästinenser ist es zudem schwierig sich durch Checkpoints zu bewegen, z.B. wenn sie keine gültigen syrischen Dokumente vorweisen können. Ihre Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens ist aufgrund der Notwendigkeit, die Genehmigung für Wohnortwechsel einzuholen, und aufgrund der Registrierungspflicht eingeschränkt. Viele UNRWA Einrichtungen wurden durch den Konflikt in Syrien zerstört oder sind für UNRWA nicht zugänglich, wie z.B. 40% der UNRWA Klassenräume oder 25% der Gesundheitszentren. UNRWA versucht, Alternativen zu den Bildungseinrichtungen zu finden und bietet, sofern möglich, auch Bildung in staatlichen Schulen für palästinensische Kinder an, oft in Form einer zweiten Schicht von Unterrichtsstunden. In mehreren Flüchtlingslagern, besonders in Yarmouk, fanden schwere Kämpfe zwischen dem Regime und der Opposition statt und die Lager wurden dabei fast gänzlich zerstört. Zudem musste UNRWA aufgrund fehlender Mittel die finanzielle Unterstützung von palästinensischen Flüchtlingen im Jahr 2018 reduzieren. Auch 2019 kam es zu Reduzierungen aufgrund fehlender finanzieller Mittel. So erhalten die sogenannte "Cash Assistance" nur noch die vulnerabelsten Personen, wie weibliche Haushaltsvorstände, Waisen, Alte oder Personen mit Behinderungen. Es ist unklar ob das "Cash Assistance" Programm 2020 fortgeführt werden kann.

Reisedokumente und Ausreiseregelungen für Palästinenser

Wie und wo Palästinenser in Syrien Dokumente erhalten hängt von ihrem rechtlichen Status ab. Nur jene Palästinenser, die als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind (also zwischen 1948 und 1956 nach Syrien gekommen sind) können von der syrischen General Authority for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) ein Reisedokument erhalten. Den Reisedokumenten, wie auch den Personalausweisen ist zu entnehmen, dass die Besitzer syrische Palästinenser sind. Palästinenser, die in Syrien den Status "Arabs in Syria" haben, da sie nach 1956 nach Syrien gekommen waren, erhalten von Syrien keine Reisedokumente.

Mangels anderer gültiger Reisedokumente beantragen Personen aus dieser Kategorie über die Vertretung der Palästinensischen Behörde (Botschaft Palästinas in Syrien) in Damaskus die Ausstellung eines Reisedokuments durch die Palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah. Eine persönliche Vorsprache in Ramallah ist für die Ausstellung dieses Reisedokuments nicht erforderlich.

Für Palästinenser ist es nicht nur schwieriger als für syrische Flüchtlinge in Nachbarländern einzureisen, sondern auch dort zu bleiben und einen legalen Aufenthaltsstatus beizubehalten und folglich Leistungen zu erhalten. Ohne legalen Aufenthaltsstatus ist es nicht möglich, eine Ehe zu registrieren, weshalb in weiterer Folge auch die Geburt eines Kindes aus dieser Ehe nicht registriert werden kann.

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 17. Oktober 2019, S. 71 ff.)

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zu den Beschwerdeführerinnen basieren auf ihren vorgelegten Unterlagen und ihren (auch vom BFA als glaubwürdig gewerteten) Angaben sowie den am 16. April 2020 eingeholten Strafregisterauskünften.

Die Registrierung der Beschwerdeführerinnen bei UNRWA ergibt sich einerseits aus ihrer UNRWA-Registrierungsbestätigung (jeweils) vom 8. Oktober 2015 und andererseits aus ihren (als echt qualifizierten) Reisepässen für palästinensische Flüchtlinge.

Dass den Brüdern der Beschwerdeführerinnen der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich aus den Auskünften des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister jeweils vom 16. April 2020 (vgl. IFA-Zlen. [1.] 1031245902 und [2.] 1031245009).

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten (nun aktualisierten) Quellen, die schon das BFA seinen Bescheiden zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen auch die Beschwerdeführerinnen nicht entgegentraten, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerden (Spruchpunkt A)

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Grup-pe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befin-det und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines ge-wöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Gemäß § 6 Abs. 1 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn und solange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D GFK genießt (Z 1); einer der in Art. 1 Abschnitt F GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt (Z 2); er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt (Z 3) oder er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht (Z 4).

Gemäß Abs. 2 leg.cit. kann, wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.

Nach Art. 1 Abschnitt D GFK findet das Abkommen auf Personen keine Anwendung, die derzeit von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Beistand erhalten. Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne dass die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig.

Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D GFK genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.

Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. b Status-RL ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er von den zuständigen Behörden des Landes, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Landes verknüpft sind, bzw. gleichwertige Rechte und Pflichten hat.

Gemäß Art. 12 Abs. 2 Status-RL ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen; b) eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, das heißt vor dem Zeitpunkt der Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; insbesondere grausame Handlungen können als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden; c) sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.

Gemäß Art. 12 Abs. 3 Status-RL findet Abs. 2 auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

3.1.2. Die Beschwerdeführerinnen genießen aus folgenden Gründen den "ipso facto" Schutz der Status-RL:

3.1.2.1. Bei UNRWA handelt es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen i.S.d. Art. 1 Abschnitt D GFK, auf den sowohl Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL sowie § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG Bezug nehmen. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die grundsätzlich dem Schutz einer von Art. 1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation unterstehen, unterscheidet sich in folgender Hinsicht von jener anderer Asylwerber:

Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL sieht - in Entsprechung des Art. 1 Abschnitt D GFK - einerseits vor, dass Drittstaatsangehörige oder Staatenlose von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen sind, wenn sie unter dem Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Art. 1 Abschnitt D GFK stehen. Andererseits genießen vom Anwendungsbereich der genannten Bestimmungen erfasste Personen dann, wenn der Schutz oder Beistand einer solchen Organisation "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw. der GFK. Aufgrund dieses in Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL angeordneten "ipso facto"-Schutzes sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung erfassten Personen auf Antrag den Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn der Beistand einer Organisation der Vereinten Nationen i.S.d. Art. 1 Abschnitt D GFK "aus irgendeinem Grund" wegfällt und keiner der in Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt. Der "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung von Personen, die unter dem Schutz von UNRWA gestanden sind, als diese - im Unterschied zu nicht unter Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL fallende Personen - für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft machen müssen (vgl. EuGH 19.12.2012, C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott u.a., Rz 76 sowie VfGH 22.09.2017, E 1965/2017 unter Hinweis auf VfGH 18.09.2014, U 73/2014 und VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274).

Österreich ist seiner Verpflichtung, die Status-RL und damit auch Art. 12 Status-RL in innerstaatliches Recht umzusetzen, insoweit nachgekommen, als nach dem in § 6 Abs. 1 Z 1 AsylG normierten Asylausschlussgrund einem Fremden kein Asyl gewährt werden kann, "so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt". Eine ausdrückliche Regelung, die die - in Satz 2 des Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL vorgesehene - "ipso facto"-Zuerkennung von Asyl an Personen, denen gegenüber der Beistand der UNRWA "aus irgendeinem Grund" weggefallen ist, anordnen würde, enthält das AsylG jedoch nicht. Art. 12 Abs. 1 lit. a zweiter Satz Status-RL ist daher unmittelbar anwendbar (vgl. VfGH 22.09.2017, E 1965/2017).

Für die Klärung der Frage, ob der Schutz oder Beistand von UNRWA nunmehr aus "irgendeinem Grund" i.S.d. Status-RL nicht länger gewährt wird, reicht das bloße oder das freiwillige Verlassen des Einsatzgebietes von UNRWA nicht aus. Vielmehr muss der Wegzug aus diesem Gebiet durch vom Betroffenen nicht zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe, die ihn dazu zwingen, dieses Gebiet zu verlassen und den von UNRWA gewährten Beistand zu genießen, gerechtfertigt sein. Was im Einzelfall die (von den zuständigen nationalen Behörden und Gerichten vorzunehmende) Prüfung der Umstände angeht, die dem Verlassen des Einsatzgebiets von UNRWA zugrunde liegen, muss das Ziel von Art. 1 Abschnitt D GFK, auf den Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL verweist (nämlich, die Fortdauer des Schutzes der palästinensischen Flüchtlinge als solche zu gewährleisten, bis ihre Lage gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist) berücksichtigt werden.

Angesichts dieses Ziels gilt ein palästinensischer Flüchtling dann als gezwungen, das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, wenn er sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dieser Organisation unmöglich ist, ihm in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der ihr übertragenen Aufgabe im Einklang stehen (vgl. wieder EuGH 19.12.2012, C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott, u.a. sowie VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274).

Einem antragstellenden palästinensischen Flüchtling wird es u.a. dann nicht möglich sein, zurückzukehren oder sich unter den Schutz von UNRWA zu stellen, wenn damit eine Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der persönlichen Freiheit verbunden wäre, sowie aus anderen ernst zu nehmenden Schutzproblemen, wie beispielsweise bei Vorliegen von bewaffneten Konflikten oder von anderen Gewaltsituationen sowie in Bürgerkriegssituationen (vgl. EuGH 19.12.2012, C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott, u.a. sowie UNHRC, in "Note on UNHCR's Interpretation of Article 1 D of the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and Article 12(1)(a) of the EU Qualification Directive in the context of Palestinian refugees seeking international protection" vom Mai 2013).

3.1.2.2. Die Beschwerdeführerinnen haben jeweils durch die Vorlage ihrer UNRWA-Registrierungsbestätigung vom 8. Oktober 2015 sowie ihres Reisepasses für palästinensische Flüchtlinge nachgewiesen, dass sie unter dem Schutz oder Beistand der UNRWA gestanden sind (siehe EuGH 17.06.2010, C-31/09, Bolbol, Rz 52; VfGH 22.09.2017, E 1965/2017 und VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0274).

Das Einsatzgebiet der UNRWA in Syrien, in dem sie registriert wurden, verließen die Beschwerdeführerinnen aufgrund des Bürgerkrieges. Fallbezogen lagen somit von den Beschwerdeführerinnen nicht zu kontrollierende und von ihrem Willen unabhängige Gründe für die nicht längere Gewährung des Schutzes oder Beistandes durch UNRWA vor.

Da auch keiner der in Art. 12 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 und 3 Status-RL genannten Ausschlussgründe vorliegt, genießen die Beschwerdeführerinnen gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL "ipso facto" den Schutz dieser Richtlinie.

Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung erwarten lässt (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichts-verfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie VfGH 18.06.2012, B 155/12; EGMR Tusnovics v. Austria, 07.03.2017, 24.719/12).

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass den Beschwerdeführerinnen der in Art. 12 Abs. 1 lit. a Status-RL normierte "ipso facto"-Schutz zu gewähren ist, entspricht der oben angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Registrierung staatenlos Statusrichtlinie UNRWA Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W227.2183858.1.00

Im RIS seit

23.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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