TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/20 W250 2197267-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.04.2020
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Entscheidungsdatum

20.04.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W250 2197258-1/15E

W250 2197263-1/15E

W250 2197261-1/11E

W250 2197266-1/11E

W250 2197267-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , 4.) mj. XXXX , geb. XXXX und 5.) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan und vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkhilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2018 1.) Zl. XXXX , 2.) Zl. XXXX , 3.) Zl. XXXX , 4.) Zl. XXXX und 5.) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Den Beschwerden wird stattgegeben und es wird XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

XXXX , XXXX und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten - abgesehen von der Fünftbeschwerdeführerin - gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten am 22.11.2015 bzw. am 04.09.2017 (Fünftbeschwerdeführerin) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Diese haben zwei leibliche Töchter, die Dritt- und die Fünftbeschwerdeführerin, sowie einen leiblichen Sohn, den Viertbeschwerdeführer.

2. Die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin fand am 23.11.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Sie gaben zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass die Zweitbeschwerdeführerin einem alten wohlhabenden Mann versprochen gewesen sei. Die Zweitbeschwerdeführerin habe diesen Mann jedoch nicht heiraten wollen und habe sich das Leben nehmen wollen. Sie und der Erstbeschwerdeführer hätten sich schon länger gekannt und sehr gern gehabt, weshalb sie gemeinsam in den Iran geflohen seien. Die Brüder der Zweitbeschwerdeführerin hätten sie jedoch in den Iran verfolgt und dort töten wollen. Die Beschwerdeführer hätten dreimal ihren Wohnort wechseln müssen und seien schließlich aus Angst um ihr Leben geflohen.

Hinsichtlich der Dritt- und des Viertbeschwerdeführers wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

3. Am XXXX wurde die Fünftbeschwerdeführerin in Österreich geboren. Sie ist die Tochter des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin. Für sie wurde am 04.09.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

4. Am 01.03.2018 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Die Beschwerdeführer gaben zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie sich in Afghanistan oft getroffen und ineinander verliebt hätten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei schwanger geworden, woraufhin der Erstbeschwerdeführer zweimal bei ihren Eltern um ihre Hand angehalten, der Vater der Zweitbeschwerdeführerin dies jedoch abgelehnt habe. Nach einiger Zeit habe der Vater der Zweitbeschwerdeführerin sie an einen älteren wohlhabenden Mann versprochen und diesem angetraut. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte mit diesem Mann nach dem Ramadan nach Pakistan ziehen sollen. Davor seien der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin jedoch in den Iran geflohen. Dort hätten sie öfters ihren Wohnort wechseln müssen, weil der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin sie dreimal gefunden habe. Beim ersten Mal sei der Erstbeschwerdeführer von diesem zusammengeschlagen worden, die beiden anderen Male habe der Bruder die Beschwerdeführer nicht gesehen bzw. erwischt. Die Beschwerdeführer hätten aus Angst schließlich den Iran verlassen.

5. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es den Beschwerdeführern nicht gelungen sei asylrelevante Fluchtgründe glaubhaft zu machen. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertige. Die Beschwerdeführer würden in Österreich - abgesehen voneinander - zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe, verfügen.

6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen oben genannte Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass die Zweit-, die Dritt- und die Fünftbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien. Zudem gehe das Bundesamt in der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul fehl. Bei richtiger Würdigung und rechtlicher Beurteilung der Lage in Afghanistan hätte das Bundesamt jedenfalls erkennen müssen, dass eine Rückkehr nach Afghanistan zu einer Verletzung der den Beschwerdeführern aus Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte führen würde. Es wurden die Anträge gestellt das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 dem Bundesamt zur Stellungnahme und Wahrung des Parteiengehörs zu übermitteln, eine (allenfalls auch weitere) mündliche Verhandlung anzuberaumen um die in der Beschwerde bezeichneten Beweisquellen sowie das erstattet Vorbringen zu erörtern und Friederike Stahlmann als (nichtamtliche) Sachverständige zu bestellen und diese zur Erörterung und allenfalls mündlichen Ergänzung oder Präzisierung des Gutachtens zu laden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung des Privatlebens der Beschwerdeführer hätte das Bundesamt jedenfalls eine Rückkehrentscheidung als unzulässigen Eingriff in ihre aus Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte erkennen müssen. Zudem habe das Kindeswohl in keiner Weise Berücksichtigung gefunden, weshalb der Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet sei.

7. Mit Dokumentenvorlage vom 16.08.2018, 29.07.2019, 29.10.2019 und 06.12.2019 legten die Beschwerdeführer Unterlagen betreffend ihre Integration in Österreich vor.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.12.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.

9. Mit Stellungnahme vom 09.01.2020 wurde vorgebracht, dass der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin Verfolgung durch die Familie der Zweitbeschwerdeführerin fürchten würden, weil sie gegen deren Willen zusammen aus Afghanistan geflüchtet seien. Ihnen drohe daher in Afghanistan Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie bzw. wegen ihres Verstoßes gegen die religiös-konservativen Wertvorstellungen der Familie der Zweitbeschwerdeführerin. Der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin sei jedenfalls aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der westlich orientierten Frauen der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Auch sei der Drittbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan der Zugang zu Bildung versperrt. Darüber hinaus seien der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin zum Christentum konvertiert und fürchten deshalb Verfolgung in Afghanistan, weshalb ihnen auch in dieser Hinsicht der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei den Beschwerdeführern als Familie mit Kindern ohne familiäres Netzwerk nicht zumutbar. Den Beschwerdeführern sei daher jedenfalls der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet. Diese haben zwei leibliche Töchter, die Drittbeschwerdeführerin, die den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt, und die Fünftbeschwerdeführerin, die den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt sowie einen leiblichen Sohn, den Viertbeschwerdeführer, der den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt.

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und sprechen Dari als Muttersprache (Verwaltungsakt des Erstbeschwerdeführers - BF 1 AS 1, 60; Verwaltungsakt der Zweitbeschwerdeführerin - BF 2 AS 1, 59; Verhandlungsprotokoll vom 09.12.2019 = VP, S. 8, 25 f).

1.1.2. Der Erstbeschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern in einem Eigentumshaus aufgewachsen (BF 1 AS 58, 60, VP, S. 8 f). Er hat vier Monate lang eine Koranschule in Afghanistan besucht und hat dann in der Landwirtschaft und als Hirte in Afghanistan gearbeitet (BF 1 AS 1, 57 f; VP, S. 9). Der Erstbeschwerdeführer zog vor seiner Heirat mit der Zweitbeschwerdeführerin zweimal in den Iran nach Teheran, wo er einmal ein Jahr und das zweite Mal zwei Jahre lebte und als Hilfsarbeiter im Garten und auf Baustellen arbeitete bevor er wieder nach Afghanistan abgeschoben wurde (VP, S. 9 f).

1.1.3. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in der Provinz Ghazni im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren und ist dort gemeinsam mit ihren Eltern und ihren vier Geschwistern (drei Brüder und einer Schwester) aufgewachsen (BF 2 AS 58, 60; VP, S. 25). Die Zweitbeschwerdeführerin hat vier Monate lang eine Koranschule in Afghanistan besucht (BF 2 AS 15, 58; VP, S. 26).

1.1.4. Die Beschwerdeführer reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 22.11.2015 bzw. am 04.09.2017 (Fünftbeschwerdeführerin) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Am XXXX wurde die Fünftbeschwerdeführerin in Österreich geboren.

1.1.5. Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin war in Afghanistan von ihren Eltern nicht einem älteren wohlhabenden Mann versprochen bzw. angetraut worden. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben in Afghanistan traditionell geheiratet. Es hat sich dabei nicht um eine heimliche, gegen den Willen der Familie der Zweitbeschwerdeführerin erfolgte Eheschließung gehandelt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin bereits vor der Heirat mit dem Erstbeschwerdeführer schwanger gewesen ist. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wurden im Iran auch nicht vom Bruder der Zweitbeschwerdeführerin aufgesucht bzw. zusammengeschlagen.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin werden aufgrund ihrer Heirat nicht von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin verfolgt.

Die Beschwerdeführer haben Afghanistan weder aus Furcht vor konkreten Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht den Beschwerdeführern weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Familie der Zweitbeschwerdeführerin, ihren angeblich angetrauten Mann, staatliche Organe oder durch andere Personen.

1.2.2. Darüber hinaus droht den Beschwerdeführern keine konkrete und individuelle physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan wegen ihrer ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zu den schiitischen Hazara. Weder Angehörige der Religionsgemeinschaft der Schiiten noch der Volksgruppe der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.2.3. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wuchsen als Angehörige der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin interessieren sich zwar für den christlichen Glauben und besuchen regelmäßig den Gottesdienst. Die Zweitbeschwerdeführerin besucht auch eine Bibelleserunde für Migrantinnen. Sie sind bisher jedoch weder zum Christentum konvertiert noch getauft. Der Erstbeschwerdeführer ist zwar in Österreich aus der islamischen Kirchengemeinschaft ausgetreten. Weder er noch die Zweitbeschwerdeführerin treten jedoch spezifisch gegen den Islam oder gar religionsfeindlich auf.

Der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Erst- und/oder der Zweitbeschwerdeführerin geworden. Der Erst- und/oder die Zweitbeschwerdeführerin würden ihrem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht weiter nachkommen, sie würden ihr derzeitiges Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht nach außen zur Schau tragen.

Die Familien des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin haben keine Kenntnis von ihrem Interesse am Christentum. Die afghanischen Behörden oder das persönliche Umfeld des Erst- und/oder der Zweitbeschwerdeführerin würden von ihrem in Österreich an den Tag gelegten Interesse am Christentum bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Kenntnis erlangen. Der Austritt des Erstbeschwerdeführers aus der islamischen Kirchengemeinschaft in Österreich ist in Afghanistan ebenso niemanden bekannt.

Der Erst- und/oder die Zweitbeschwerdeführerin würden im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund ihres Interesses für den christlichen Glauben keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt sein.

1.2.4. Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern droht aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan weder physische oder psychische Gewalt noch sind sie deswegen einer Verfolgung oder Lebensgefahr ausgesetzt.

In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist faktisch auch vorhanden. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern eine grundlegende Bildung zukommt. Die Eltern würden die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in die Schule schicken und diesen eine Schulbildung ermöglichen. Den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern droht in Afghanistan weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat oder sexuelle Ausbeutung (allenfalls als Bacha-Bazi) oder Misshandlungen.

1.2.5. Die Zweit-, die Dritt- und die Fünftbeschwerdeführerinnen sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.

Die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin sind jedoch auf Eigenständigkeit bedachte Frauen, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert sind. Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt über gute Deutschkenntnisse, nutzt in Österreich die gegebenen Freiheiten und Chancen und möchte diese auch nicht mehr ablegen. So geht sie alleine bzw. mit ihren minderjährigen Kindern einkaufen, Schwimmen, Radfahren, trifft sich mit Freunden und nimmt an Deutschkursen teil. Sie will ihre Kinder frei von Zwängen erziehen und in der Zukunft selbst eine Ausbildung machen bzw. einer Arbeit nachgehen. Die Zweitbeschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben, wobei auch ihr Ehemann ihr westliches Leben unterstützt.

Die Drittbeschwerdeführerin besucht in Österreich seit Jänner 2016 die Schule und hat die XXXX Schulstufe mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen und wurde bereits zweimal zur Klassensprecherin gewählt (BF 3 OZ 7). Sie ist für ihr Alter bereits sehr reif und selbstbewusst. Sie trifft sich in ihrer Freizeit mit Freunden und will in Zukunft eine Ausbildung machen.

Vor diesem Hintergrund würden die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frauen angesehen werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.3.1. Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.3.2. Medizinische Versorgung

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. In der staatlichen Klinik in Kabul existieren 14 Betten zur stationären Behandlung (LIB, Kapitel 22.1).

Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig (LIB, Kapitel 22.1).

1.3.3. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

1.3.3.1. Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen ist. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB, Kapitel 17.3).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB, Kapitel 17.3).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (LIB, Kapitel 17.3).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB, Kapitel 17.3).

1.3.3.2. Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan. Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIB, Kapitel 17.2).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (LIB, Kapitel 17.2).

1.3.4. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten und c.a 10 - 19% Shiiten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16, 16.1).

1.3.4.1. Schiiten

Die Schiiten Afghanistans sind mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch existieren lokale Diskriminierungsfälle (LIB Kapitel 16.1).

In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt. Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (LIB Kapitel 16.1).

1.3.4.2. Christen - Konvertiten:

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (LIB Kapitel 16.2).

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß der Auslegung des islamischen Rechts durch das Gericht mit dem Tod bestraft. Betroffene Personen haben vor Gericht drei Tage Zeit die Apostasie zu widerrufen. Widerrufen sie nicht, so haben sie die für die Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Richter könne zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestehen (Anfragebeantwortung von ACCORD zur Situation von Apostaten, christlichen Konvertiten, Personen, die Kritik am Islam äußern vom 01.06.2017, S. 4f). Geistig zurechnungsfähige Bürger die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Sie könne von der Familie und der Gesellschaft zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren (ACCORD Anfragebeantwortung vom 01.06.2017, S. 6).

Es gibt heute eine ganze Reihe von Afghanen die zum Christentum übergetreten sind. Diese geben weitgehend nicht einmal gegenüber der eigenen Familie ihren Glaubensübertritt bekannt (ACCORD Anfragebeantwortung vom 01.06.2017, S. 8f). Mitglieder religiöser Minderheiten, wie etwa Christen, vermeiden es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verfolgung oder Tötung, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Mitglieder der kleinen christlichen Gemeinden, von denen viele im Ausland zum Christentum konvertiert sind, halten aus Angst vor Diskriminierung oder Verfolgung weiterhin alleine oder in kleinen Gruppen in Privathäusern Gottesdienste ab. Es gibt keine öffentlichen Kirchen in Afghanistan. Die einzige bekannte Kirche in Afghanistan ist auf dem Gelände der italienischen Botschaft (ACCORD Anfragebeantwortung vom 01.06.2017, S. 8, 10).

1.3.4.3. Apostaten (Abfall vom Islam):

Es gibt viele Personen die freitags nicht beten oder während des Ramadans nicht fasten. Dies ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden solche Personen nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun. Für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden bzw. die Gesellschaft dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan vom 12.07.2017, S. 5f).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich, ohne, dass sie den Islam praktizieren würden und auch dann, wenn sie Apostaten oder Konvertiten sind. Solche Personen sind dann in Sicherheit, wenn diese Stillschweigen bewahren. Es kann zu einer Gefährdung kommen, wenn öffentlich bekannt wird, dass diese aufgehört haben an den Islam zu glauben (ACCORD Anfragebeantwortung vom 01.06.2017, S. 7).

Eine Person, die sich vom Islam abwendet, indem sie z.B. lautstark verkündet, nicht mehr an die islamischen Werte zu glauben, kann grundsätzlich durch die Gesellschaft bedroht werden bzw. sie kann in Lebensgefahr geraten. Dies hängt u.a. davon ab, auf welche Art und Weise, wo und wann sie ihre Abwendung verkündet und wer die Zuhörerschaft dieser Erklärung bildet (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Nichtausübung des Islam und Apostasie vom 25.10.2018)

Apostasie und Blasphemie stellen Kapitalverbrechen dar, bei denen Todesstrafe droht. In beiden Fällen haben die Betroffenen vor Gericht drei Tage Zeit um ihre "Tat" zu widerrufen (ACCORD Anfragebeantwortung vom 01.06.2017, S. 14).

1.3.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.3.6. Frauen

Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert, sie können ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft jedoch oft nur eingeschränkt verwirklichen. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen (LIB Kapitel 18.1).

Traditionen, Rollenbilder, die Sicherheitslage, ländliche Umgebungen und die Armut bzw. beschränkte finanzielle Ressourcen sind Faktoren dafür, dass Mädchen seltener die Schule besuchen als Buben. Die Anzahl weiblicher Studierender hat sich seit 2015 erhöht. Es gibt Bildungsprogramme für Mädchen und junge Frauen, die sich auch mit sicheren Transportmöglichkeiten für diese befassen. Es gibt auch Stipendien für Frauen (LIB Kapitel 18.1).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert. Der Anteil der Erwerbsbeteiligung bei Frauen hat sich auf 27% erhöht. Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen (LIB Kapitel 18.1).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt. Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB Kapitel 18.1).

Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben. Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen, doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann eine alleinstehende Frau selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In den Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif können sich Frauen auch ohne männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen (LIB Kapitel 18.1).

1.3.7. Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Talibanherrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab (LIB Kapitel 18.2).

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (LIB Kapitel 18.2).

In Afghanistan gibt es öffentliche und kostenlose Grundschulen. Alle Kinder haben ein Recht auf den Schulbesuch, aber die Eltern sind nicht verpflichtet ihre Kinder in die Schule zu schicken (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 06.05.2019 betreffend Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 9). Es gibt auch kostenpflichtige private Schulen, in Herat kann die Schulgebühr für private Schulen bis zu 1.500 USD kosten. Der Anteil an Privatschülern in Afghanistan beträgt zwischen 2% und 5% (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 2, 5). Kabul ist der gebildetste Teil von Afghanistan, die Provinz Kabul hat eine der höchsten Schulbesuchsraten unter den Elementarschülern. In der Stadt Kabul gingen ca. 22% der Kinder nicht in die Schule, der Anteil von Mädchen, die keine Schule besuchen, liegt unter 30% (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 3 f). In der Stadt Herat besuchen 79,6% der Buben und 76,2% der Mädchen eine Elementarschule, 42,3% der Buben und 41,7% der Mädchen besuchen eine Sekundarschule. Die Alphabetisierungsrate ist in der Stadt Mazar-e Sharif höher als in der Stadt Herat. Die Provinz Balkh hat eine der höchsten Einschulungsraten für Mädchen in Afghanistan (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 5). Mädchen, Kinder die in ländlichen Gebieten wohnen, Kuchis, Kinder mit Behinderungen und Kinder in schlechten wirtschaftlichen Lagen haben schlechtere Bildungschancen (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 3). Die schlechte wirtschaftliche Lage einer Familie kann dazu beitragen, dass Kinder die Schule nicht besuchen. Das traditionelle Rollenverständnis bei Mädchen, die eine ablehnende Einstellung der Familie eines Mädchens zur Notwendigkeit der Schulbildung für Mädchen und die Verheiratung von Mädchen im jungen Alter, führt dazu, dass Mädchen seltener die Schule besuchen (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 2, 10). Rund 60% der Kinder in Afghanistan, die keine Schule besuchen, sind Mädchen. Ein Großteil der Kinder, die keine Schule besuchen, lebt im ländlichen Raum (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 4). Binnenvertriebene und Rückkehrer haben erschwerten Zugang zu Bildung, wobei im Städtischen Bereich die Schulbesuchsrate höher als im ländlichen Gebiet ist. Auch das Fehlen einer Tazkira kann einen Schulbesuch erschweren oder verhindern (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 4).

Ökonomische Zwänge, mangelnde Qualität der gebotenen Schulbildung sowie tradierte Vorstellungen altersgemäßer Beschäftigung der Kinder veranlasst Eltern ihre Kinder anstelle eines Schulbesuchs arbeiten zu lassen. In den Städten gibt es Arbeitsmöglichkeiten ähnlich einem Lehrlingsverhältnis. Hierbei kann es jedoch zu Misshandlungen durch den Arbeitgeber kommen, es besteht für die Lehrlinge nur wenig Schutz. Die Bezahlung der Lehrlinge ist - verglichen mit anderen Formen der Kinderarbeit - sehr gering. Da Kinder, die gleichzeitig arbeiten und zur Schule gehen mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert sind (Ausgrenzung in der Schule, negative Einstellung der Schule und des Arbeitgebers, Doppelbelastung, etc), begünstigt dies einen Schulabbruch der Kinder (Bildungsmöglichkeiten für Kinder, S. 2, 11 f).

Kinderarbeit ist in Afghanistan offiziell verboten. Viele Familien sind auf die Einkünfte, die ihre Kinder erwirtschaften, angewiesen. Daher ist eine konsequente Umsetzung des Kinderarbeitsverbots schwierig. Es gibt Programme, die es Kindern erlauben sollen, neben der Arbeit eine Schulausbildung zu absolvieren. Auch ein maximaler Stundensatz und Maßnahmen zum Arbeitsschutz (wie z.B. das Tragen einer Schutzmaske beim Teppichknüpfen) sind gesetzlich geregelt. Der Regierung fehlt es allerdings an durchsetzungsfähigen Überprüfungsmechanismen dieser gesetzlichen Regelungen (LIB Kapitel 18.2).

Viele Kinder sind unterernährt. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (LIB Kapitel 18.2).

Es sind insbesondere zwei Faktoren zentral: 1.) ob eine Familie intakt ist, oder bedeutsame Ernährer der Familie (Väter) fehlen; 2.) ist auch die Haltung der Familien, insbesondere der Eltern, gegenüber Kinderarbeit und Bildung von Bedeutung. Kinderarbeit ist unter IDPs weiter verbreitet, als in anderen Bevölkerungsschichten (LIB Kapitel 18.2).

Arbeitende Kinder sind besonders gefährdet, Gewalt oder sexuellen Missbrauch zu erleiden. Dies kann durch den Arbeitgeber, aber auch durch andere Personen geschehen. Für Kinder, welche ungeschützt im öffentlichen Raum arbeiten, besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko von Entführungen, sexuellen Übergriffen und in manchen Fällen auch Tötungen(LIB Kapitel 18.2).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungs- und Gerichtsakten, durch Einvernahme der Erst- bis Drittbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden (Konvolut Auszüge ZMR, GVS, Strafregister; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 13.11.2019; UNHCR-Richtlinie zu Afghanistan vom 30.08.2018; EASO Country Guidance Afghanistan aus Juni 2019; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Sozialleistungen für Rückkehrer vom 01.02.2018; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Bildungsmöglichkeiten für Kinder in Kabul, Herat, Mazar-e Sharif vom 06.05.2019; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Antidepressiva, psychiatrische und psychologische Betreuung in Kabul-Stadt, Mazar-e Sharif und Herat-Stadt vom 15.05.2019; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend medizinische und psychosoziale Leistungen für Kinder in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan zur Nichtausübung des Islam und Apostasie vom 25.10.2018; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Christen, Konvertiten, Abtrünnigen in Afghanistan vom 12.07.2017; ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan betreffend die Situation vom Islam abgefallenen Personen etc. vom 01.06.2017; Analyse der Staatendokumentation "Frauen in Afghanistan" vom 02.07.2014; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend außerehelicher Geschlechtsverkehr, uneheliches Kind vom 15.09.2016; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017) und Beilage ./A bis ./W (Konvolut an Empfehlungsschreiben - Beilage ./A; zu BF1: Bestätigung und psychologische Stellungnahme vom 04.12.2019 - Beilage ./B; Austritt aus der Kirchengemeinschaft vom 12.11.2019 - Beilage ./C; Bestätigung Unterstützungstätigkeit aus November 2019 - Beilage ./D; Bestätigung Mithilfe vom 13.04.2018 - Beilage ./E; Bestätigung Tanzgruppe aus November 2019 - Beilage ./F; Kursbestätigung Alpha Teil 2 vom 20.12.2018 - Beilage ./G; Arbeitsbestätigung vom 28.11.2019 - Beilage ./H; Bestätigung Rotes Kreuz vom 03.10.2019 - Beilage ./i; Psychiatrische Stellungnahme vom 23.09.2019 - Beilage ./J; zur BF 2: Bestätigung und psychologische Stellungnahme vom 04.12.2019 - Beilage ./K; ÖSD-Zertifikat A2 vom 24.03.2018 - Beilage ./L; Deutsch B1 vom 17.01.2019 - Beilage ./M; Kursbestätigung B1 vom 25.04.2019 - Beilage ./N; Teilnahmebestätigung Gruppe für psychologische Stabilisierung vom 13.08.2019 - Beilage ./O; Teilnahmebestätigung "Frauengeschichten" vom 02.11.2019 - Beilage ./P; Bestätigung Tanzgruppe aus November 2019 - Beilage ./Q; Bestätigung ehrenamtliche Unterstützung aus November 2019 - Beilage ./R; Konvolut an medizinischen Unterlagen - Beilage ./S; zu BF 3: Bestätigung Tanzgruppe aus November 2019 - Beilage ./T; Zeitungsartikel undatiert - Beilage ./U; Schulbesuchsbestätigung vom 27.11.2019 - Beilage ./V; Konvolut Fotos - Beilage ./W) und durch Einsicht in die mit Schreiben vom 16.08.2018 (OZ 5 - Bestätigung ehrenamtliche Unterstützung BF 2); vom 29.10.2019 (OZ 9 - zu BF 1: Konvolut Empfehlungsschreiben vom 11.10.2019; Bestätigung über Integrationsbereitschaft vom 03.10.2019; Teilnahmebestätigung "Tausendund(M)ein Weg" vom 06.06.2019; Bestätigung Engagement als Tänzer undatiert; Einladung zur Aktionswoche; Teilnahmebestätigung an Exkursion vom 08.05.2017; Gewährung von Freilernmitteln vom 20.06.2017; Konvolut medizinische Unterlagen; Teilnahmebestätigung Alphabetisierungskurs vom 15.02.2018; Kursbestätigung Alpha Teil 2 vom 20.12.2018; Kursbestätigung Alpha Teil 2 vom 13.03.2018; Kursbestätigung Alpha Teil 1 vom 21.12.2017; Kursbestätigung Alpha Teil 1 vom 23.06.2017; Teilnahmebestätigung "Miteinander Deutsch trainieren" vom 26.07.2016; zu BF 2: Teilnahmebestätigung Alphabetisierungs- und Deutschclub vom 15.02.2018; Kursbestätigung Deutsch B1 Teil 1 vom 25.04.2019; ÖSD-Zertifikat A2 vom 29.03.2018; Teilnahmebestätigung "Tausendund(M)ein Weg" vom 06.06.2019; Unterstützungsschreiben vom 15.02.2018; Bestätigung Engagement Tänzerin undatiert; Auszug aus Pfarrbrief Herbst 2019; Konvolut medizinische Unterlagen; Teilnahmebestätigung an Gruppe für psychologische Stabilisierung; zu BF 3: Jahreszeugnis vom 05.07.2019; Schulnachricht vom 15.02.2019; Teilnahmebestätigung Sommersprachcamp 2018; Jahreszeugnis vom 06.07.2018; Teilnahme Olympiade vom 15.04.2018; Ablegung Frühschwimmerprüfung vom 09.01.2018; Teilnahmebestätigung Fußballcamp 2019; Urkunde Erste-Hilfe vom 22.06.2016; Bestätigung Engagement Tänzerin undatiert; zu BF 4: Jahreszeugnis vom 05.07.2019; Vereinsanmeldung; Teilnahmebestätigung Fußballcamp 2019; Teilnahmebestätigung Sommersprachcamp 2018; Diplom Rhythmus- und Gesangsworkshop vom 15.11.2017; zu BF 3 und BF 4: Konvolut Unterstützungsschreiben) und vom 06.12.2019 (OZ 11 - Bestätigung Teilnahme an Veranstaltungen der Kirche vom 05.12.2019) ins Verfahren eingebrachten Unterlagen.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer:

2.1.1. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den jeweils in der Klammer angeführten Beweismitteln.

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum der Beschwerdeführer gelten ausschließlich zur Identifizierung der Personen der Beschwerdeführer im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zu den familiären Verhältnisse der Beschwerdeführer zueinander, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, der Muttersprache der Beschwerdeführer sowie ihrem jeweiligen Lebenslauf (ihr Aufwachsen und ihre familiäre und wirtschaftliche Situation in Afghanistan sowie zur jeweiligen Schul- und Berufserfahrung) gründen sich auf den diesbezüglich schlüssigen Aussagen der Beschwerdeführer. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.

2.1.2. Dass der Erstbeschwerdeführer vor seiner Heirat mit der Zweitbeschwerdeführerin bereits zweimal im Iran gelebt hat, ergibt sich aus seinen diesbezüglich stringenten Angaben in der Beschwerdeverhandlung. Der Erstbeschwerdeführer gab zwar bei der Einvernahme beim Bundesamt an, dass er sich lediglich 6 Monate im Iran aufgehalten habe, er erwähnte in der Einvernahme beim Bundesamt jedoch ebenso nicht, dass er zweimal vor seiner Heirat im Iran gelebt habe. Aufgrund des persönlichen Eindruckes und weil der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung diesbezüglich stringente Angaben machte, zumal er angab, dass er sich einmal ein Jahr und beim zweiten Mal zwei Jahre im Iran aufgehalten habe und zweimal vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden sei (VP, S. 10), folgt das Gericht entgegen seinen Ausführungen in der Einvernahme beim Bundesamt seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung.

2.1.3. Die Feststellungen zur Einreise sowie das Datum der Antragstellung ergeben sich aus den Akteninhalten. Die Feststellung zur Geburt der Fünftbeschwerdeführerin in Österreich ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde (Verwaltungsakt der Fünftbeschwerde-führerin - BF 5 AS 5).

2.1.4. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Erst- bis Drittbeschwerde-führer ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Strafregisterauszug jeweils vom 16.04.2020). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Viert- und der Fünftbeschwerdeführerin ergibt sich aus der Strafunmündigkeit aufgrund ihres Alters.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

2.2.1. Zum Fluchtvorbringen wurde vorgebracht, dass die Zweitbeschwerdeführerin schwanger gewesen sei, weshalb der Erstbeschwerdeführer zweimal bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten habe, was dieser jedoch abgelehnt und die Zweitbeschwerdeführerin einem wohlhabenden Mann versprochen habe. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin wären deshalb in den Iran gereist und hätten dort heimlich, gegen den Willen der Eltern der Zweitbeschwerdeführerin geheiratet. Der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin habe die Beschwerdeführer im Iran aufgesucht und den Erstbeschwerdeführer einmal zusammengeschlagen. Ihrem Vorbringen kommt aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

Das Gericht geht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund des persönlichen Eindrucks des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin davon aus, dass ihnen hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Die Beschwerdeführer wurden zu Beginn der Verhandlung angehalten, ihr Vorbringen detailliert, konkret und nachvollziehbar zu gestalten. Diesen Anforderungen sind die Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden, zumal die Beschwerdeführer lediglich eine grobe Rahmengeschichte präsentierten. Zudem ergaben sich viele Widersprüche und Unplausibilitäten, die ihre Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die behaupteten Vorfälle schon einige Zeit zurückliegen und deshalb Erinnerungslücken einer vollkommen detaillierten Erzählung entgegenstehen können. Dass die Beschwerdeführer die Ereignisse jedoch in einer derart oberflächlichen und nicht stringenten Weise wie in der mündlichen Verhandlung schildern würden, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gaben beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung an, dass die Zweitbeschwerdeführerin schwanger gewesen sei, weshalb der Erstbeschwerdeführer bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten habe. Dieser habe die Heiratsanträge jedoch abgelehnt und die Zweitbeschwerdeführerin mit einem wohlhabenden alten Mann verheiratet. Es fällt auf, dass weder der Erst- noch die Zweitbeschwerdeführerin in der Erstbefragung erwähnten, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan schwanger gewesen sei (BF 1 AS 11; BF 2 25).

Gemäß § 19 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG) dient die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden und hat sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen (vgl. hierzu auch VfGH 27.06.2012, U 98/12), ein Beweisverwertungsverbot ist damit jedoch nicht normiert. Die Verwaltungsbehörde bzw. das Bundesverwaltungsgericht können im Rahmen ihrer Beweiswürdigung die Ergebnisse der Erstbefragung in ihre Beurteilung miteinbeziehen.

Es wird daher im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf Fluchtgründe der Beschwerdeführer bezog und diese nur in aller Kürze angegeben sowie protokolliert wurden. Dass weder der Erst- noch die Zweitbeschwerde-führerin die - erst in weiterer Folge angeführte - verbotene Schwangerschaft der Zweitbeschwerdeführerin, somit einen wesentlichen Teil ihrer Fluchtgründe zunächst nicht einmal ansatzweise erwähnten, ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachvollziehbar und zumindest als Indiz für ein insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen zu werten.

Zudem ergaben sich wesentliche Widersprüche im Vorbringen des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin, die ihr Fluchtvorbringen unglaubhaft scheinen lassen:

So gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass er seine Eltern geschickte um beim Vater der Zweitbeschwerdeführerin um deren Hand anzuhalten (BF 1 AS 62). In der Beschwerdeverhandlung nannte er diesbezüglich jedoch lediglich seine Mutter (VP, S. 11, 17). Die Zweitbeschwerdeführerin gab beim Bundesamt hingegen an, dass der Erstbeschwerdeführer beim ersten Mal seine Eltern geschickt habe, beim zweiten Mal sei er hingegen alleine zu ihrem Vater gekommen (BF 2 AS 63). In der Beschwerdeverhandlung führte sie aus, dass die Mutter und der Vater des Erstbeschwerdeführers bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten hätten (VP, S. 27, 32). Dass die Beschwerdeführer nicht übereinstimmend und nicht einmal jeweils gleichbleibend angeben konnten, wer nun beim Vater der Zweitbeschwerdeführerin um ihre Hand angehalten habe, ist nicht nachvollziehbar, zumal es sich doch um einschneidende Ereignisse gehandelt habe, weil ihre gemeinsame Zukunft auf dem Spiel gestanden sei.

Der Erstbeschwerdeführer schilderte den Vorfall als er in XXXX im Iran vom Bruder der Zweitbeschwerdeführerin aufgefunden worden sei wie folgt: "[...] In XXXX hat mich meine Frau zum Einkaufen geschickt. Ich war mit den Einkaufstaschen unterwegs, als ich von hinten am Hals gepackt wurde. Ich wurde am Bein und am Kopf geschlagen, meine Hand wurde verdreht, man hat mich gegen die Wand gedrückt. Ich wurde am Hinterteil mit einer Motorradkette geschlagen. Ich wurde mit Fäusten auf Kopf und Rücken geschlagen. Auch mit der Kette wurde ich auf die Beine geschlagen. Man hat mich auf den Boden geworfen und mich weiter geschlagen. [...]" (BF 1 AS 63). In der Beschwerdeverhandlung führte er diesbezüglich jedoch aus, dass er ca. um 19 oder 20 Uhr nach der Arbeit in einer Gasse gewesen sei und einen kleinen Topf mit seinem Essen in der Hand gehabt habe als er festgehalten und ihm mit der Faust in den Bauch geschlagen worden sei. Er sei am Boden gelegen und einer sei auf ihm gestanden, der andere habe ihn geschlagen (VP, S. 19). Die Schilderungen weichen derart voneinander ab, dass es nicht glaubhaft ist, dass dieser Vorfall tatsächlich stattgefunden hat. Nach Vorhalt seiner Widersprüche gab der Erstbeschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung an, dass er alles vergessen habe (VP, S. 19). Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Erstbeschwerdeführer angegeben hat, aufgrund seines Gesundheitszustandes vieles zu vergessen. Aus den im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen geht zwar hervor, dass der Erstbeschwerdeführer seit ca. einem Jahr in ambulanter Behandlung zur Demenzabklärung stehe. Aus dem Ambulanzbefund vom 27.06.2019 geht jedoch hervor, dass beim Erstbeschwerdeführer keine Hinweise auf formale oder inhaltliche Denkstörungen vorliegen (BF 1 OZ 9 - Ambulanzbefund vom 27.06.2019; Beilage ./J). Vor diesem Hintergrund und weil der Erstbeschwerdeführer befragt nach dem Vorfall im Iran als er mit einer Kette geschlagen worden sei, Ausführungen machte und zunächst nicht anführte, sich nicht mehr daran erinnern zu können, sondern dies erst nach Vorhalt seiner Widersprüche behauptete, wertet das Bundesverwaltungsgericht dies lediglich als Schutzbehauptung.

Zudem fällt auf, dass der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt auch angab, dass der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin zu ihm gesagt habe, dass er seine Schwester geschwängert zu haben, weshalb er ihn umbringen müsse (BF 1 AS 63), während er in der Beschwerdeverhandlung ausdrücklich befragt angab, dass der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin nichts zu ihm gesagt, sondern ihn nur geschlagen habe (VP, S. 19). Auf Vorhalt dieser Widersprüche führte der Erstbeschwerdeführer aus: "Ich wollte gerade etwas sagen. Er hat gesagt, ich habe seine Schwester entführt, ich möchte dich töten. Es ging mir sehr schlecht damals." (VP, S. 20). Dass der Erstbeschwerdeführer nunmehr nach Vorhalt seines Widerspruchs gerade dazu etwas sagen wollte, war weder der Situation in der Beschwerdeverhandlung zu entnehmen noch ist dies vor dem Hintergrund, dass der Erstbeschwerdeführer die konkrete Frage, ob der Bruder seiner Ehefrau auch etwas zu ihm gesagt habe, ausdrücklich verneinte und weiters anführte nur von ihm geschlagen worden zu sein, nicht plausibel. Das Gericht wertet auch dies daher als bloße Schutzbehauptung.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie der Erstbeschwerdeführer den Bruder der Zweitbeschwerdeführerin erkannt haben soll, zumal die Angreifer eine Mütze aufhatten und der Erstbeschwerdeführer diese nicht gesehen habe (VP, S. 19). Zudem hat der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt angegeben, dass er nie Kontakt zum Bruder der Zweitbeschwerdeführerin gehabt habe (BF 1 AS 63). Auch die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung an, dass der Erstbeschwerdeführer persönlich nie Kontakt zu ihren Eltern oder ihren Brüdern in Afghanistan gehabt habe (VP, S. 27). Dass der Erstbeschwerdeführer den Bruder der Zweitbeschwerdeführerin lediglich an Wunden an den Händen erkannt haben soll, ist daher nicht plausibel (VP, S. 19). Entsprechendes gilt auch umgekehrt. So ist ebenso nicht nachvollziehbar, wie der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin den Erstbeschwerdeführer im Iran als Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin identifizieren hätte sollen, zumal der Erstbeschwerdeführer nie Kontakt zum Bruder der Zweitbeschwerdeführerin gehabt habe (BF 1 AS 63; VP, S. 27). Die Zweitbeschwerdeführerin gab in der Beschwerdeverhandlung an, dass ihr Bruder bei dem Vorfall als der Erstbeschwerdeführer mit einer Kette geschlagen worden sei etwas auf dem Kopf gehabt, es dann jedoch runtergenommen und gesagt habe: "Du glaubst, dass du einfach meine Schwester entführen kannst und ich dich nicht finden kann." (VP, S. 34). Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Angaben des Erstbeschwerdeführers, der behauptete den Bruder der Zweitbeschwerdeführerin lediglich aufgrund seiner Wunden an der Hand erkannt zu haben und erst auf Vorhalt seiner Widersprüche angab, dass der Bruder der Zweitbeschwerde-führerin etwas zu ihm gesagt habe.

Auch konnte der Erstbeschwerdeführer den Namen des Bruders der Zweitbeschwerdeführerin, der ihn im Iran geschlagen habe nicht gleichbleibend nennen (Bundesamt: XXXX [BF 1 AS 63] - Beschwerdeverhandlung: XXXX [VP, S. 19]). Dass sich der Erstbeschwerdeführer auch an den Namen seines Schwagers nicht erinnern könne, ist wie bereits ausgeführt lediglich als Schutzbehauptung zu werten. Das Gericht geht aufgrund der derart widersprüchlichen Angaben davon aus, dass es sich lediglich um eine konstruierte Geschichte handelt.

Es ergaben sich auch betreffend die Umstände des Kennenlernens und der Heirat zwischen dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin Widersprüche in deren Aussagen. So gab der Erstbeschwerdeführer beim Bundesamt an, dass er die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan während ihrer Beziehung immer bei einem Grabmal, bei dem die Zweitbeschwerdeführerin Wasser geholt habe, getroffen habe. Sie hätten bei diesen Treffen immer das nächste Tref

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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