TE Bvwg Beschluss 2020/5/4 W282 2224471-1

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Veröffentlicht am 04.05.2020
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Entscheidungsdatum

04.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W282 2224471-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Serbien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. WEBER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom XXXX 2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang/Feststellungen:

1. Die Beschwerdeführerin (BF), eine Staatsangehörige Serbiens, reiste am XXXX 02.2018 in das Bundegebiet ein, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels zu sein. Der ebenfalls die serbische Staatsangehörigkeit besitzende Ehemann der Beschwerdeführerin hält sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf und ist seit dem Jahr 2010 im Besitz eines Aufenthaltstitels "Daueraufenhalt- EU", dieser ist seit XXXX 07.2015 unbefristet. Am XXXX 02.2018 kam der gemeinsame Sohn der Eheleute zur Welt. Dieser verfügt über eine Aufenthaltsbewilligung "Rot-Weiß-Rot Karte plus" gültig von XXXX 07.2018 bis XXXX 07.2019.

2. Die BF stellte am XXXX 03.2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 unter Vorlage der gemäß § 8 Abs. 1 AslyG-DV 2005 notwendigen Unterlagen. Die Antragsbegründung erfolgte dabei auf Deutsch durch den Ehegatten der BF, der für Sie vorbrachte, dass seine Frau in Österreich bleiben solle um den gemeinsamen Sohn nicht allein zu lassen. Außerdem könne der Säugling erst mit 11 Monaten gegen die Krankheit "Morbili" (Anm.: Masern) geimpft werden, die in Serbien grassiere. Der Ehemann sei weiters in Österreich erwerbstätig und könne den Lebensunterhalt finanzieren. Jedoch benötige er die Lohnbestätigungen von zumindest drei Monaten um für seine Gattin einen Antrag nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) stellen zu können. Diese drei Bestätigungen lägen aber noch nicht vor. Die Eheleute würden mit den neugeborenen Kind in der Wohnung der Schwiegereltern in 10 XXXX Wien wohnen. Die BF könne aktuell keinen Deutschkurs besuchen, da Sie mit dem Säugling ausgelastet sei. Nach Ende der Stillzeit wolle die BF aber einen Deutschkurs besuchen und werde dann eine Bestätigung übermittelt. Weiters hat der (erstgeborene) Sohn der Beschwerdeführerin einen angeborenen Herzfehler (Q21.0 Ventrikelseptumdefekt und Q21.1 Vorhofseptumdefekt).

3. Nach der Einvernahme der Beschwerdeführerin durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (BFA oder belangte Behörde) am 06.12.2018 erließ dieses am XXXX08.2019 den angefochtenen Bescheid zur im Spruch angegeben GZ, mit welchem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK iSd § 55 AsylG 2005 abgewiesen wurde (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen wurde (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG eine Abschiebung nach Serbien für zulässig erklärt wurde (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt wurde (Spruchpunkt IV). Weiters wurde während der Einvernahme der BF vor der belangten Behörde deren Reisepass gemäß § 39 Abs. 1, 2 und 3 BFA-VG sichergestellt.

4. Dem angefochtenen Bescheid legte die belangte Behörde auf Seite 7 bis 15 des Bescheids Feststellungen zum Heimatland Serbien der Beschwerdeführerin unter der Rubrik "Zur Lage in ihrem Herkunftsstaat" zu Grunde, die ausschließlich die Lage und Versorgung von Asylwerbern in Serbien betreffen. Andere Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der BF sowie Ermittlungen und Feststellungen zum angeborenen Herzfehler des Sohnes der BF, sowie der Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Behandlung dieses Herzdefektes in Serbien tätigte die belangte Behörde nicht. Auch wurden nach der Einvernahme am 06.12.2018 bis zu Bescheiderlassung fast 9 Monate später keine weiteren Ermittlungsschritte durch das BFA durchgeführt. Feststellungen im Hinblick auf die erneute Schwangerschaft der BF, die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung längst vorlag, wurden mangels Aktualisierung des Sachverhalts nicht getroffen. Weiters führte die belangte Behörde auf Seite 19 des Bescheides aus, dass die BF zur Auslandsantragstellung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz ausreisen könne, wobei das Kind bei Ihrem Gatten bleiben könne. Diese nur kurze Trennung sei ihr zumutbar.

5. Die Beschwerdeführerin erhob durch ihren Rechtsvertreter gegen diesen Bescheid am 25.09.2019 fristgerecht Beschwerde und beantragte darin den begehrten Aufenthaltstitel zu erteilen. Sie gab darin an, sie habe mittlerweile ihr zweites Kind geboren, das nun 1 1/2 Wochen alt sei und sie könne ihre beiden Kinder in Serbien nicht versorgen. Ihr erstes Kind habe bis zu seinem elften Lebensmonat die für Kinder in Serbien notwendige Masernimpfung nicht erhalten können. Weiters wurde in der Beschwerde der Antrag gestellt, der BF den sichergestellten Reisepass auszufolgen. Eine mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 17.10.2019 vom BFA vorgelegt.

7. Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 04.03.2020 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung G 307 abgenommen und der Gerichtabteilung W 282 neu zugewiesen.

8. Mit Schreiben vom 24.04.2020 wurde dem Rechtsvertreter der BF im Hinblick auf den Antrag auf Ausfolgung des Reisepasses als Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit iSd Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG in Bezug auf die am XXXX 03.2018 erfolgte Sicherstellung des Reisepasses der Beschwerdeführerin durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien gemäß § 39 Abs. 1, 2 und 3 BFA-VG, ein Verspätungsvorhalt gemacht.

9. Mit Eingabe des Rechtsvertreters der BF vom 04.05.2020 zog dieser den zu Punkt 8. festgestellten Antrag iSd Maßnahmenbeschwerde zurück und gab weiters an, dass die übrige Beschwerde unverändert aufrecht bleibe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in die Niederschrift der Einvernahme der BF vor dem BFA, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Auskünfte aus dem Strafregister (SA) und dem Zentralen Melderegister (ZMR) sowie aus dem "Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister" wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Feststellungen zur Einreise der Beschwerdeführerin ergeben sich aus dem Behördenakt und dem Vorbringen der Beschwerdeführerin anlässlich ihrer Einvernahme. Das Bestehen eines Herzdefektes beim erstgeboren Sohn der Beschwerdeführerin ergibt sich aus den von der BF vorgelegten medizinischen Unterlagen des St. Anna Kinderspitals.

Dass die belangte Behörde keine tauglichen Feststellungen zum Heimatstaat der Beschwerdeführerin getroffen hat, sondern Feststellungen zur Lage, Verfahren und Versorgung von Asylwerbern in Serbien getätigt hat, ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid (AS 80 - 88). Feststellungen zum Herzdefekt des Sohnes der Beschwerdeführerin sowie zu dessen Behandlungsmöglichkeiten in Serbien bei Mitausreise mit der Beschwerdeführerin, sowie zur weiteren Schwangerschaft der BF wurden im angefochtenen Bescheid nicht getroffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg. cit. als Drittstaatsangehöriger jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.

Die Beschwerdeführerin ist aufgrund ihrer serbischen Staatsangehörigkeit demnach Fremde iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.

Serbische Staatsangehörige, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind gemäß Art. 4 Abs. 1 iVm Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.11.2018 (Visumpflichtverordnung) von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.

Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).

Zu A)

3.1 Zur Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung an die belangte Behörde:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0168).

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere ausgeführt: "Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinausgehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."

In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063-4 hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in Hinblick auf die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit ausgesprochen, dass prinzipiell eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Die belangte Behörde hat die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderten Maßstäbe eines umfassend ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens im gegenständlichen Verfahren missachtet:

3.1.1 Untaugliche Feststellungen zum Herkunftsstaat und keine Ermittlungen zum angeborenen Herzfehler des ersten Kindes:

Die belangte Behörde hat trotz entsprechender Vorlage von medizinischen Befunden hinsichtlich des erstgeboren Sohnes der BF keine Ermittlungen dazu getätigt, ob eine diesbezügliche Behandlung auch im Herkunftsstaat der BF möglich wäre. Sie hat das Bestehen dieses Herzfehlers im bekämpften Bescheid auch nicht festgestellt. Entgegen der sehr kursorisch ausgeführten Ansicht der belangten Behörde, dass dieser Sohn bei seinem Vater oder den Schwiegereltern bleiben könnte und die Trennung von der Mutter nur kurz wäre, ist die belangte Behörde daran zu erinnern, dass sich die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer bereits langen Überschreitung der visumfreien Aufenthaltsdauer von 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen, jedenfalls mindestens drei Monate in Serbien aufhalten müsste um überhaupt wieder rechtmäßig einreisen zu können. Schon eine Erstantragstellung nach dem NAG selbst aus dem im Inland (soweit eine solche überhaupt gegenständlich zulässig wäre) erzeugt nämlich gemäß § 21 Abs. 6 NAG kein Bleiberecht; eine Auslandsantragstellung berechtigt nicht zur sofortigen Wiedereinreise. Eine Trennung eines Kindes im Alter von 2 Jahren von seiner Mutter als Hauptbezugsperson für die Dauer von drei Monaten ist im Hinblick auf die Wahrung des Kindeswohls kaum zumutbar, wobei das zweite Kind der BF (siehe sogleich unten) dabei mangels Aktualität des Sachverhalts bei Bescheiderlassung noch nicht einmal berücksichtigt ist. Dass das Kindeswohl umfangreich bei der Erlassung von Rückkehrentscheidungen ggü. Elternteilen zu berücksichtigen ist, auch wenn sich die aufenthaltsbeende Maßnahme nicht gegen die Kinder richtet, ist ständige Rechtsprechung des VwGH (ua. VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0034, VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0141 oder auch VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0274).

Die belangte Behörde hat aber dementgegen keinerlei Feststellungen über die Auswirkungen auf das Kindeswohl getroffen. Bei Beachtung der oben zitieren Judikatur hätte die belangte Behörde von vornherein nur die temporäre Ausreise der BF für 3 Monate mit ihren (mittlerweile zwei) Kindern als zumutbare Variante werten können; die Tatsache, dass zumindest ein Kind über einen Aufenthaltstitel verfügt, hindert dies nicht. Doch selbst wenn die belangte Behörde weiterhin auf einem alleinigen Verbleib der Kinder im Bundesgebiet beim Vater beharren möchte, hätte sie zumindest iSe Abwägung des Kindeswohls zuvor die Möglichkeit der Mitausreise des erstgeborenen Sohnes prüfen müssen und hierzu vor allem Feststellungen darüber treffen müssen, ob der Herzfehler des erstgeborenen Sohnes der BF in Serbien während seines Aufenthalts dort adäquat behandelbar ist.

Ungeachtet dessen legt die belangte Behörde ihrem Bescheid überhaupt keine tauglichen Feststellungen zum Heimstaat der BF zu Grunde, da die aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA (entgegen der Angabe "BAA" im Bescheid als das nicht mehr existente Bundesasylamt) entnommen Auszüge nicht die allgemeine Lage hinsichtlich Sicherheit und Krankenversorgung in Serbien dokumentieren, sondern die Exzerpte nur die Versorgung, Behandlung und die Verfahren von/für Asylwerber in Serbien betreffen. Die BF ist jedoch serbische Staatsbürgerin und in Serbien nicht Asylwerberin. Es mag durchaus sein, dass es bei der Entnahme dieser Feststellungen aus dem Länderinformationsblatt durch das BFA zu einem Versehen kam, jedoch ändert dies letztlich nichts daran, dass zu diesem im ggst. Fall äußerst entscheidungsrelevanten Punkt überhaupt keine tauglichen Feststellungen getroffen wurden.

3.1.2 Mangelnde Aktualität des Sachverhalts bei Bescheiderlassung:

Die belangte Behörde hat es weiters unterlassen, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zwischen der Einvernahme der BF am 06.12.2018 und der Bescheiderlassung am XXXX 2019 auf den aktuellsten Stand zu bringen. Es vergingen somit zwischen dem letzten aus dem Behördenakt erkennbaren Ermittlungsschritt und der Bescheiderlassung fast neun Monate, ohne dass aus dem Akt der belangten Behörde ein Grund für diese Verfahrensverzögerung erkennbar ist. Zwischenzeitig wurde lediglich ein Auszug des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger über den Gatten der BF eingeholt.

Durch die Unterlassung der Aktualisierung des Sachverhalts (z.B. im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs) konnte die belangte Behörde naturgemäß auch nicht von der zwischenzeitig bereits weit fortgeschrittenen zweiten Schwangerschaft der BF Kenntnis erlangen und diese somit im angefochtenen Bescheid auch nicht berücksichtigten. Die bevorstehende Geburt des zweiten Kindes der Beschwerdeführerin bringt aber u.U. erhebliche Änderungen im Hinblick auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids mit sich. Aufgrund des langen Zeitraums zwischen der Einvernahme der BF und ihres Gatten und der Bescheiderlassung wären Ermittlungen, ob der zu Grunde liegende Sachverhalt unverändert geblieben ist, jedenfalls dringend notwendig gewesen.

Zusammengefasst hat die belangte Behörde iSd der oben zitierten Judikatur des VwGH zum Teil nur unzureichende bzw. untaugliche Ermittlungsschritte gesetzt. Der angefochtene Bescheid war daher § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen

3.2 Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Einleitend ist festzuhalten, dass weder von der Beschwerdeführerin noch von der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung beantragt wurde.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen war.

Zu B)

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2224471.1.00

Im RIS seit

23.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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